Protokoll der Sitzung vom 10.10.2007

Will man nämlich nicht den politisch sehr zweifelhaften und verfassungsrechtlich bedenklichen Weg einer formal gescheiterten Vertrauensfrage gehen, dann bleibt die hohe Hürde einer Zweidrittelmehrheit für den hier vorliegenden Antrag. Das hat seinen guten Grund. Den Müttern und Vätern unserer Verfassung lag ein beständiger Parlamentarismus am Herzen. Die Irrungen und Wirrungen der Weimarer Kurzzeitparlamente standen ihnen auch in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch warnend vor Augen, Frau Kollegin Spoorendonk. Hören wir nicht allenthalben die Klagen der Bürger, die schon wieder zur Urne gerufen werden? Wer dies zu oft und ohne gute Gründe tut, der macht die Wahlurnen ungewollt zu den Urnen des demokratischen Parlamentarismus.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt wahrlich nicht zu wenig Wahlen in Deutschland. Neben zahlreichen kommunalen Direktwahlen stehen schon im nächsten Mai die allgemeinen Kommunalwahlen, im Jahr darauf die Bundestagswahl und die Europawahl und 2010 dann auch die Land

(Anke Spoorendonk)

tagswahl auf dem Terminkalender. Das alles muss man vor Augen haben, wenn man die unzweifelhaft vorhandenen Konflikte innerhalb der Großen Koalition dieses Herbstes und auch diejenigen des Frühjahrs resümiert. Es darf nicht um Sympathie oder Antipathie gehen. Allein entscheidend ist die Frage der Verständigung auf zentrale politische Projekte und ein Mindestmaß an gegenseitigem Vertrauen, insbesondere natürlich im Landeskabinett.

Nach den Entscheidungen vom 17. September 2007 besteht nach Ansicht meiner Fraktion eine ausreichende Grundlage für die Fortsetzung der Großen Koalition und sogar eine gewisse Chance, auch in der zweiten Hälfte der Wahlperiode erneut Akzente zu setzen. Es geht - das ist angesprochen worden - um die Umsetzung der Verwaltungs- und Funktionalreform und um ein Klimaschutzprogramm. Wir wollen die Kinderbetreuung ausbauen und die Bedingungen für Familien weiter verbessern und damit dafür sorgen, dass ganz SchleswigHolstein und nicht nur Nordfriesland und Schleswig-Flensburg als familienfreundliche Region im Familienatlas abgebildet werden.

(Beifall bei der CDU)

Wir wollen weiterhin die Haushaltskonsolidierung fortsetzen.

Dass die Oppositionsabgeordneten dies nun mit wildem Kopfschütteln verneinen und natürlich eine miserable Bilanz der bisherigen Arbeit der Großen Koalition ziehen, steht in ihrem parlamentarischen Aufgabenbuch. Geradezu kurios, Herr Kollege Kubicki, mutet mich jedoch die gemeinsame Pressekonferenz der drei Oppositionschefs an, bei der sie alle einander versicherten, dass ein neu zu wählender Landtag eine andere Mehrheit als die einer Großen Koalition bringen würde. Da stimmt Hentschel Kubicki und Kubicki Hentschel zu, wenn jeweils der andere sagt, es gebe eine klare Mehrheit für eine kleine Koalition. Allerdings meint jeder eine andere kleine Koalition.

(Heiterkeit und Beifall bei CDU und SPD - Wolfgang Kubicki [FDP]: Die Grünen wol- len doch jetzt mit der Union gehen!)

Das heißt, die uns vorgeführte vermeintliche Einigkeit der Oppositionsfraktionen zerplatzt wie eine Seifenblase: Jeder will etwas anderes und jeder will mit jemand anderem.

Für die CDU-Fraktion gilt jedoch: Pacta sunt servanda. Wir halten uns an Vereinbarungen, auch wenn es uns manchmal nicht einfach gemacht wird. Für meine Fraktion ist die Entstehungsgeschichte unserer Vereinbarungen zur Elternbeteiligung an

der Schülerbeförderung nach den Entwicklungen am 17. September 2007 geklärt. Aufgrund von nunmehr 25-jährigen Erfahrungen in einer politischen Partei weiß ich, dass Verlautbarungen in Parteiorganen längst nicht immer für bare Münze zu nehmen sind. Manch kernige Aussage dort ist eher ein Zeichen von Schwäche denn von Stärke. Deshalb sollten und wollen wir die Arbeit fortsetzen. Es ist viel erreicht und es ist viel zu tun.

Selten haben die Kinder so im Mittelpunkt der landespolitischen Anstrengungen gestanden wie in dieser Legislaturperiode. Unsere Kindertagesstätten haben einen Bildungsauftrag bekommen. Vor der Einschulung findet bei allen Kindern eine Sprachstandsuntersuchung statt. Wer hätte das noch vor wenigen Jahren zu fordern gewagt?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wir! - Weiterer Zuruf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir!)

- Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Grünen-Fraktion, wenn wir vor einigen Jahren gefordert hätten, dass alle Kinder, die eingeschult werden, richtig deutsch sprechen können sollten, wären wir von manch einem Politiker - dies sage ich insbesondere mit Blick auf die Grünen - in die rechte Ecke gestellt worden. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei CDU und SPD)

So tragen wir gewachsenen Integrationsnotwendigkeiten ebenso Rechnung wie einer zunehmenden sozialen Problematik in deutschsprachigen Familien. Ein modernes Kinder- und Jugendschutzgesetz ist in der parlamentarischen Beratung. Das kostenfreie dritte Kinderjahr ist verabredet und bleibt insbesondere finanzpolitisch eine große Aufgabe dieser Großen Koalition. Es tut sich etwas für Kinder und Familien in Schleswig-Holstein. Das ist eine Leistung dieser Großen Koalition.

Das Gymnasium und damit insbesondere die Vorbereitung auf ein Hochschulstudium in SchleswigHolstein wurden gestärkt und damit wettbewerbsfähig gemacht.

Eine Verstärkung der Allgemeinbildung gehört ebenso dazu wie eine Verkürzung der Schulzeit auf acht Jahre. Daneben haben wir der demografischen Entwicklung und auch der bildungspolitischen Kritik an unserem Schulsystem durch ein völlig neues Schulgesetz Rechnung getragen. Ich halte unser Schulgesetz für eins der modernsten in Deutschland und kann es allen nur zur Nachahmung empfehlen.

(Beifall bei CDU und SPD)

(Dr. Johann Wadephul)

Die Anerkennung der neuen Schulformen nimmt ständig zu. Alte ideologische Gräben wurden überwunden: Sozialdemokraten treten vor Ort für Regionalschulen ebenso ein wie Christdemokraten für Gemeinschaftsschulen. Zu meiner größten Überraschung hat jetzt sogar der Landesvorsitzende der FDP seinen Frieden mit dem neuen Schulgesetz geschlossen. Das ist die schönste Botschaft vom jüngsten Parteitag der FDP für alle Kinder: Die nicht enden wollende Schulsystemdebatte kann aufhören. Wir können endlich wieder konkret über alles reden, was den Kindern den Unterricht gewinnbringender, attraktiver und lernreicher macht.

Dazu gehört die Vereinbarung der Koalitionspartner CDU und SPD hinsichtlich der Stundenverpflichtung, die ab 2010 im nicht gymnasialen weiterführenden Bereich einheitlich 26 Stunden betragen soll. Damit haben wir auch in den Kollegien Klarheit und Befriedung geschaffen.

In einer gemeinsamen Kraftanstrengung der Bildungs- und Finanzpolitiker unserer Koalition haben wir darüber hinaus erreicht, dass wir im nächsten Jahrzehnt bis zum Jahr 2015 in jeder Schulwoche rechnerisch 26.000 Stunden mehr Unterricht von über 1.000 zusätzlichen Lehrern zur Verfügung stellen werden. Das ist ein Ergebnis des Rückgangs der Schülerzahlen. Den so entstandenen Handlungsspielraum investieren wir zur Hälfte sofort in die Bildung unserer Kinder und zur anderen Hälfte meiden wir neue Schulden. Eine bessere Politik für die nachwachsende Generation kann man nicht machen, meine Damen und Herren von der Opposition.

Damit bin ich bei den finanzpolitischen Herausforderungen und damit beim zentralen Projekt der nächsten Hälfte der Legislaturperiode. Zu schnell wird vergessen, wie schlimm die finanzpolitische Lage Schleswig-Holsteins noch ist. Ich werde nicht vergessen, dass bei der Bestandsaufnahme bei Regierungsübernahme in Schleswig-Holstein diese erschreckend ausfiel. Konnte man im Haushaltsplan für das Jahr 2005 noch eine geplante Nettoneuverschuldung von 500 Millionen € nachlesen, so stellte sich beim Kassensturz heraus, dass das Minus um gut 1 Milliarde € höher lag. Nur aufgrund der guten wirtschaftlichen Entwicklung und der daraus resultierenden Steuereinnahmen, aber auch nur wegen der von diesem Landtag beschlossenen schwierigen Kürzungsmaßnahmen, die teilweise von der Opposition getragen wurden - was man hier anerkennender Weise sagen muss - für Beamte und für die kommunale Ebene - schwer genug ist es uns gefallen - konnten wir die Nettoneuverschuldung um mittlerweile etwa 1 Milliarde € senken.

Aber damit sind wir immer noch eines der ärmsten Länder in Deutschland. Kaum einer hat eine höhere Pro-Kopf-Verschuldung. Bei nur wenigen Bundesländern ist auch der Trend so wenig optimistisch wie bei uns. Immer, wenn wir vom Bund oder anderen Bundesländern - denken wir etwa nur an Mecklenburg-Vorpommern - lesen, dass man dort den Haushalt schon ausgleichen kann, muss unser sorgenvoller Blick in die eigenen Kassenbücher gehen. Während andere Schulden zurückzahlen, zahlen wir für Zinsen immer noch mehr als für Hochschulen und für Forschung. Die schlichte Erkenntnis lautet: Es gibt weder einen Anlass noch irgendeine moralische Berechtigung, von unserem Sparkurs abzulassen. Wir schulden unseren Kindern und Enkelkindern, dass wir heute sparsam sind und nicht auf deren Kosten neue Schulden auftürmen. Wer heute Sparvorschläge ablehnt, lässt seine Kinder die Zeche zahlen.

(Beifall bei CDU und SPD)

Auf dieser Grundlage werden wir die Haushaltsberatungen aufnehmen und gemeinsam für die beiden Jahre 2009 und 2010 nochmals 900 Millionen € zu erwirtschaften haben. Für mich und meine Fraktion ist maßgeblich, dass dieses Ziel nicht infrage gestellt wird. Um es zu bewältigen, bedarf es einer gemeinsamen gewaltigen Kraftanstrengung.

Wir haben gemeinsam vereinbart, dass wir diesen Kurs durchhalten. Wir wollen gemeinsam mit unserem Koalitionspartner die schleswig-holsteinische Schuldenuhr noch einmal deutlich verlangsamen. Viele sagen, dies sei eine unbedingt notwendige Selbstverständlichkeit. Ich sage: Das ist eine unbedingte Notwendigkeit. Aber die Zusagen beider Fraktionen, die schon viel Protest erlebt haben, verdienen Respekt und erfordern weiterhin politischen Mut. Dazu rufe ich uns alle miteinander auf. Ich richte auch an die Oppositionsfraktionen den Appell, an dieser Stelle mitzumachen.

Es ist unstrittig: In dieser Koalition gab es Reibereien. Die mussten wir austragen. Das haben wir getan. Aber Reibung hat - das haben wir im Physikunterricht gelernt - auch zu Wärme und zu Energie geführt. Diese Energie können wir gut gebrauchen, um die zweite Halbzeit der Wahlperiode erfolgreich für unser Land zu gestalten. Wir wollen unsere Aufgabe auf der Grundlage unserer Vereinbarung fortsetzen. Wir laden jeden zum Mitmachen ein.

Den Antrag der Opposition werden wir ablehnen.

(Dr. Johann Wadephul)

Für die Fraktion der SPD erteile deren Vorsitzenden, dem Herrn Abgeordneten Lothar Hay, das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten beabsichtigen genauso wie unser Koalitionspartner, die Koalition fortzusetzen und somit den Antrag der vereinten Opposition auf vorzeitige Beendigung der 16. Wahlperiode abzulehnen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Wir sehen unsere bisherige Zusammenarbeit im Rückblick als erfolgreich an. Ich nenne hier nur die ersten Schritte. Das sind die ersten Schritte zur Haushaltskonsolidierung und das neue Schulgesetz. Herr Kollege Wadephul hat dankenswerterweise schon dargestellt, was in zweieinhalb Jahren gemacht worden ist. Er hat dargestellt, was wir in den nächsten zweieinhalb Jahren noch an großen Aufgaben für unser Land gemeinsam leisten wollen. Ich verzichte bewusst auf eine Wiederholung. Das ist das, was wir als SPD-Fraktion genauso sehen.

Innenminister Dr. Stegner hat durch seine Entscheidung zum Rückzug von seinem Amt am 15. Januar 2008 auch persönlich einen Beitrag zur Weiterführung dieser Koalition geleistet, der ihm mit Sicherheit nicht leichtgefallen ist. Wenn wir uns in der Koalition alle mit der nötigen Achtung und dem Willen zu inhaltlichen Kompromissen begegnen, ist mir um eine erfolgreiche Weiterarbeit nicht bange.

Auf die Vorhaben für die zweite Hälfte der Legislaturperiode sind Ministerpräsident Carstensen und die stellvertretende Ministerpräsidentin, Frau Ute Erdsiek-Rave, gestern in der Pressekonferenz ausführlich eingegangen. Ich verzichte bewusst auf eine Wiederholung und schließe das ein, was der Kollege Wadephul heute gesagt hat.

Wenn die Nordkonjunktur an Fahrt verliert, so muss der UV-Nord-Vorsitzende Professor Driftmann als mit entscheidenden Grund auch die internationale Krise der Finanzmärkte benennen, bevor er andere Dinge, die nicht im direkten Zusammenhang damit stehen, nennt, und immer wissen, auf welchem Niveau sich die Konjunkturdaten in Schleswig-Holstein inzwischen bewegen. Auch ein Erfolg der gemeinsamen rot-schwarzen Landesregierung.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich bin erstmals seit Beginn meiner politischen Tätigkeit als Abgeordneter des Schleswig-Holsteinischen Landtages in einer Großen Koalition tätig. Von Anfang an waren die Erwartungen auch wegen der theoretischen Möglichkeit einer verfassungsändernden Mehrheit besonders hoch. Vielleicht muss man heute sagen: unrealistisch hoch, denn neben dieser Möglichkeit unterscheidet sich eine Große Koalition von anderen Konstellationen kaum. Ich habe diese Erfahrung seit 1996 machen können. In dieser Großen Koalition müssen wir wie in jeder anderen inhaltliche Differenzen für mögliche Kompromisse überbrücken. Dies werden wir auch beim Nichtraucherschutz hinbekommen.

(Beifall der Abgeordneten Frauke Tengler [CDU])

Im November wird dieses Gesetz vom Hohen Haus verabschiedet werden.

Die Gräben sind oft breit und die notwendige Suche nach sinnvollen Kompromissen ist oft aufwendig. Wir haben aber immer wieder bewiesen, dass es funktionieren kann. Hier wollen wir anknüpfen und weiterarbeiten.

Warum stellt nun die vereinte Opposition den Antrag auf Auflösung des Landtages? - Mein Befund: SSW und Grüne sind dem Selbstinszenierer und Oppositionsführer Wolfgang Kubicki auf den Leim gegangen. Wohl wissend, dass man gemeinsam nur über 10 von nötigen 46 Stimmen verfügt, wird unter dem Vorwand, Schaden vom Land abwenden zu wollen, ein Antrag gestellt, der die viel beschworene Politikverdrossenheit sicherlich nicht verringern wird.

Mit Blick auf die Motivation des Herrn Oppositionsführers muss es erlaubt sein zu fragen: Was, Herr Kubicki, würden Sie eigentlich noch alles tun, wenn Sie die Chance hätten, mediale Aufmerksamkeit in größerem Umfang zu gewinnen? In Ihrer „Lebensbeichte“ vom 8. Mai 2005 gegenüber dem allseits geschätzten FAZ-Journalisten Volker Zastrow, die man ebenfalls schon wieder für eine Selbstinszenierung halten könnte,

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Unglaublich!)

sagen Sie den Satz: „Nein, nein, ich brauche wirklich Persönlichkeitsunterricht.“ - Ich weiß nicht, ob das helfen könnte, Herr Kubicki. Aber Sie sollten es versuchen.

(Beifall bei der SPD)

Die inhaltliche Übereinstimmung der heute tatkräftig vereinten Opposition ist ansonsten in vielen Punkten gering. Herr Kollege Wadephul hat dan

kenswerterweise darauf hingewiesen. Ich will nur ein Beispiel nennen, weil mich das auch wirklich ärgert.