Protokoll der Sitzung vom 10.10.2007

(Wolfgang Kubicki)

vom Elend der Großen Koalition erlöst. Denn der Ministerpräsident hatte offensichtlich genug von seinen Querschüssen und wollte ihn fristlos entlassen. Aber der Ministerpräsident ließ sich von Dr. Stegner noch einmal umstimmen - heraus kam der 15. Januar 2008 als Rückrittsdatum.

Es bleibt das Geheimnis des Ministerpräsidenten, warum er einwilligte, noch über ein Vierteljahr mit einem Innenminister zusammenzuarbeiten, dem er nach eigener Aussage überhaupt nicht mehr vertraut. Kein Geheimnis blieb, dass der Ministerpräsident und der Innenminister im Gespräch über dessen Entlassungstermin auch über die möglichen Pensionsansprüche von Herrn Dr. Stegner sprachen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Kollege Hay, immerhin hörten 24 Mitglieder aus dem Führungszirkel der Landes-CDU dem Ministerpräsidenten zu, wie er mit Herrn Dr. Stegner telefonierte, so zum Beispiel der Landtagspräsident, der Vorsitzende und ein stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion, die hier im Saal anwesend sind. Und trotzdem: Auf den Tag genau 20 Jahre nach der berüchtigten Ehrenwort-Pressekonferenz von Herrn Dr. Barschel behauptete Herr Dr. Stegner in einer Pressekonferenz, es sei „weiß Gott nicht“ über seine Pensionsansprüche gesprochen worden. Ich bleibe dabei: So wie Herr Dr. Barschel am 18. September 1987 die Öffentlichkeit belog, so belog Herr Dr. Stegner am 18. September 2007 die Öffentlichkeit.

Es ist mir unverständlich, warum er log und bis heute weiter lügt. Er kann das hier klarstellen.

Herr Kollege, wenn Sie behaupten, dass ein Abgeordneter lügt, erteile ich Ihnen hiermit einen Ordnungsruf.

Der Innenminister und Abgeordnete Dr. Stegner kann hier klarstellen, ob der Begriff der Pensionsansprüche in dem Telefonat mit dem Ministerpräsidenten gefallen ist und eine Rolle gespielt hat.

Warum soll der Vorsitzende einer Partei - so sage ich -, die für einen gesetzlichen Mindestlohn eintritt, nicht auch für seine „Mindestministerpension“ kämpfen? Aber wir im Parlament haben einen Anspruch darauf, das zu erfahren. Denn wenn wir mit Beamtinnen und Beamten des Landes über ihre Pensionsansprüche reden, diskutieren und sie einschränken wollen, haben wir Anspruch darauf zu

erfahren, ob diese Überlegung auch - jedenfalls was das Wort angeht - im Gespräch zwischen dem Ministerpräsidenten und dem Innenminister eine Rolle gespielt hat.

(Beifall bei der FDP)

Ich sage von dieser Stelle aus: Ein Minister, der gegenüber der Öffentlichkeit die Unwahrheit sagt, ist nicht tragbar.

Ich stelle anheim, dass der Innenminister allen Spekulationen widerstehen kann, wenn er vor dem 29. November 2007 - das ist der Termin, um den es geht - sein Amt räumt. Das ist der Stichtag, ab dem seine Pensionsansprüche als Staatssekretär ab seinem 55. Lebensjahr nicht nur um 10 % seines Ministergehaltes, sondern um 35 % des Ministergehaltes aufgebessert werden. Ob diese Steigerung der Kaufkraft entspricht, mögen andere untersuchen.

Ich glaube aber, dass wir das vom Innenminister nicht erwarten können. Stattdessen behauptet er, er würde bis zum 15. Januar 2008 - so seine Presseverlautbarung - noch als Innenminister gebraucht, angeblich, um noch die Leitlinien für die Kreisgebietsreform vorzulegen und sein Haus aufzuräumen. Beides - sage ich ausdrücklich - ist unglaubwürdig. Zum einen: Warum sollte der Ministerpräsident, warum sollte das Kabinett Leitlinien für das letzte große Projekt der Großen Koalition gerade von dem Minister benötigen, dem sie nicht mehr über den Weg trauen und mit dem sie sich seit Jahr und Tag über die Kreisgebietsreform streiten? Zum anderen hat Herr Dr. Stegner vor gerade einmal zweieinhalb Jahren ein geordnetes Innenministerium von Klaus Buß übernommen. Würde Herr Dr. Stegner tatsächlich drei Monate brauchen, um sein Haus aufzuräumen, würde das nur zeigen, welches Chaos er dort in kürzester Zeit angerichtet hätte. Das kann ich mir bei einem so erfahrenen Amtschef wie Staatssekretär Lorenz beim besten Willen nicht vorstellen.

All das zeigt: Die Große Koalition ist unwiderruflich gespalten, die Landesregierung ist gelähmt. Das Wichtigste aber ist in den Hintergrund verbannt: der Anspruch der Bürgerinnen und Bürger Schleswig-Holsteins auf nützliche Politik. Und dieser Anspruch würde bis zur nächsten Landtagswahl ganz tief im Hintergrund bleiben, also beim bisherigen Wahltermin noch zweieinhalb Jahre lang. Denn nach der Rochade in der SPD würde Herr Dr. Stegner als Fraktionsvorsitzender der SPD weiter am Kabinettstisch sitzen, ohne der Kabinettsdisziplin unterworfen zu sein. Wir müssen daher erwarten, dass er die Regierungspolitik noch stärker torpedieren würde als bisher: Die Große Koalition würde

(Wolfgang Kubicki)

noch tiefer gespalten, die Landesregierung bliebe gelähmt. Diese zweieinhalb Jahre politischen Stillstand müssen wir Schleswig-Holstein ersparen.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Alle in diesem Hohen Haus kennen mein Verhältnis zu dem Präsidenten des Unternehmensverbandes Schleswig-Holstein und zu seinen Aussagen, Vorhersagen und sonstigen Prognosen. Ich bin da immer sehr skeptisch. Aber die Tatsache, dass er als Präsident des Unternehmensverbandes gerade heute hat veröffentlichen lassen, dass die Unternehmen Schleswig-Holsteins das Vertrauen in diese Koalition verloren haben, dass viele nicht mehr bereit sind zu investieren, zeigt, wie schnell wir handeln müssen, um Schleswig-Holstein wieder auf einen guten Weg zu bringen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn eine Regierungskoalition so zerrissen ist, dass sie die Regierungsmacht nicht mehr zum Wohle des Volkes ausübt, sondern nur noch wahlkampftaktische Spielchen aufführt, dann ist die Zeit reif, die Macht in die Hände der Bürgerinnen und Bürger zu legen. Sie sollen entscheiden dürfen, von wem sie regiert werden wollen.

Lassen Sie uns getreu unseres Amtseides weiteren Schaden von Schleswig-Holstein abwenden; lösen wir gemeinsam diesen Landtag auf und öffnen wir so den Weg zu Neuwahlen!

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich dem Vorsitzenden, Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel, das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In diesem Haus findet jede Regierungserklärung normalerweise am Mittwochmorgen um 10 Uhr statt. Aber wenn die versammelte Opposition die Auflösung des Parlamentes, des Landtages, beantragt, dann glaubt die Große Koalition hier offensichtlich, diese Debatte am Nachmittag verstecken zu können. Das ist Vogel-Strauß-Politik, das ist geradezu kindisch.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Vielleicht denken Sie, wenn die Oppositionsparteien Neuwahlen fordern, dann ist es das übliche Geschäft der Opposition.

(Zuruf des Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD])

Immer getreu dem Motto: Was kümmert es eine deutsche Eiche, wenn ein Schwein sich daran schubbert.

(Zuruf des Abgeordneten Holger Astrup [SPD])

Lieber Herr Astrup, die Situation ist aber eine andere: Die Forderung nach Neuwahlen ist keine Laune der Opposition, sie ist objektiv notwendig.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Große Koalitionen sollten - so lehrt uns die Geschichte - Ausnahmeregierungen sein, um in einer Notlage Lösungen zu organisieren, die auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens beruhen. Ob das Land Schleswig-Holstein je in einer solchen Notlage war, sei einmal dahingestellt. Aber es drängt sich die Frage auf: Ist diese Regierung eine Regierung, die Lösungen anbietet, oder ist diese Regierung nicht eher eine, die Lösungen verhindert und selbst Teil des Problems ist?

Erinnern wir uns: Der Ministerpräsident war angetreten, die Bürokratie abzubauen, 5.000 Stellen zu streichen und den Haushalt zu sanieren. Alles sprach für den Erfolg: eine Zweidrittelmehrheit im Parlament; die Wirtschaft hat die Koalition begrüßt; der Konjunkturmotor sprang an und die Steuereinnahmen sprudelten. Und tatsächlich, der Finanzminister startete mutig. Er brach alle Wahlversprechen seiner Partei, strich den Beamten das Weihnachtsgeld, den Kommunen 120 Millionen € und den Eltern das Geld für die Schülerbeförderung.

Als es dann aber an die eigene Klientel ging, ging den beiden die Luft aus: Seine Ministerkollegen ließen Herrn Wiegard kalt auflaufen. Während RotGrün noch Jahr für Jahr die Stellen im Land reduziert hatte, hat diese Regierung die Bürokratie mittlerweile sogar ausgeweitet. Die Sparrunden, von denen Herr Wadephul vorhin so schön berichtet hat, sind in den Ministerien mittlerweile zu Lachnummern geworden. Den Spezialstaatssekretär Schlie machen Sie mit leeren Seiten als Sparvorschläge zum Gespött. Die Minister laufen mit der Spendierhose im Lande herum - der SchleswigHolstein-Fonds macht es ja möglich. Und die 800 Millionen €, die Sie 2005 aufstocken mussten, haben auch damit etwas zu tun, was Sie alles aufgesattelt haben, lieber Herr Wadephul.

(Wolfgang Kubicki)

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die Funktionalreform leidet nach zweieinhalb Jahren ohne konzeptionelles Konzept - es gibt nämlich kein Konzept, Herr Hay - an Gutachteritis, während der zuständige Minister geschasst wird.

Meine Damen und Herren, mittlerweile weisen fast alle Bundesländer verfassungskonforme Haushalte vor; einige schreiben sogar schwarze Zahlen. Ich mache Ihnen nicht den Vorwurf, dass Sie das noch nicht geschafft haben. Dass Sie stattdessen allerdings den Haushalt ausweiten und neue Stellen schaffen, ist ein Skandal.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Johann Wadephul [CDU]: Wer hat die Lage herbeigeführt? Das waren doch Sie!)

Für die Wirtschaftspolitik gilt das Gleiche: wohltönende Versprechen. Je mehr diese Regierung in Schleswig-Holstein regiert, desto mehr fällt Schleswig-Holstein in den Umfragen und Analysen zurück.

(Zuruf von der CDU: Das Gegenteil ist der Fall!)

Die Rückkehr zur einzelbetrieblichen Förderung ist nichts weiter als die Rückkehr zur Klientelpolitik. Der Wirtschaftsminister feiert nicht mehr Hightech, sondern Bierflaschenverschlüsse als Innovation.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unsere Ideenschmieden, die Hochschulen, gängelt und chaotisiert er mit Reformen, die niemand braucht und niemand will. Das Chaos, das an der Universitätsklinik angerichtet worden ist, ist nun wirklich nicht mehr zu übertreffen.

Statt fairer Ausschreibungen für das Bahnnetz erleben wir Mauschelei mit dem Duzfreund Mehdorn. Die heimische Windkraftbranche lässt der Minister im Stich. Er kümmert sich nicht um den Netzausbau, sondern kungelt lieber mit E.ON und Vattenfall für Kohle und Atom. Dies geschieht übrigens zum Schaden der mittelständischen Wirtschaft, die die hohen Strompreise zahlen muss.

(Lachen bei der CDU)

In der Umweltpolitik macht sich Minister von Boetticher zum Lobbyisten von Klientelinteressen: Während der Ökomarkt boomt, wird bei uns die Förderung gekürzt. Den Vorteil haben andere. So wird das Ministerium zur Filiale des konventionellen Bauernverbandes degradiert.

(Zurufe von der CDU: Oh, oh!)

Der Innenminister spielt klassische Sozialdemokratie: In Berlin blinkt er unentwegt links, in Schleswig-Holstein aber biegt er konsequent rechts um die Ecke - siehe Polizeigesetz - und erzählt in der „taz“, er wolle das Erbe von Otto Schily antreten.

Die Sozialministerin schreibt regelmäßig Initiativen der Opposition ab, die die Regierungsfraktionen zuvor abgelehnt haben.

(Lachen bei CDU und SPD)