Es ist nun umzusetzen. Das ist die Aufgabe des Justizvollzugs, das ist aber auch eine Aufforderung an dieses Haus, zum Beispiel an den Finanzausschuss.
Für die Fraktion der FDP hat der Herr Oppositionsführer, der Fraktionsvorsitzende, Herr Abgeordneter Wolfgang Kubicki, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Schlosser-Keichel, sehr verehrter Herr Kollege Wadephul, wenn wir ehrlich sind, stehen wir heute vor einem Scherbenhaufen.
Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sind wir gehalten, bis zum Ende des Jahres ein Gesetz zum Jugendstrafvollzug zu verabschieden. Gut, einen Entwurf haben wir, aber er taugt allenfalls für uns als Beleg dafür, wie wenig sich die regierungstragenden Fraktionen verstehen, um aus einem mäßigen Entwurf einen guten zu machen. Nicht einer der vielen im parlamentarischen Verfahren vorgebrachten Änderungsvorschläge hat bislang Berücksichtigung gefunden. Alle Stellungnahmen, alle Anhörungen im Innen- und Rechtsausschuss, alles umsonst, wenn das Parlament diesen Gesetzentwurf heute so verabschiedet.
Dabei waren die fachlichen Hinweise der vielen Sachverständigen, die in das Verfahren eingebunden waren, ebenso eindringlich wie einsichtig: Für eine erfolgreiche Resozialisierung brauchen wir eine verstärkte Eingliederungsplanung für die jungen Gefangenen, wir brauchen ein verstärktes Übergangsmanagement für sie, wir brauchen eine verstärkte Verzahnung stationärer und ambulanter Maßnahmen. Nur so lassen sich Jugendliche und Heranwachsende erfolgreich resozialisieren.
Nur so lässt sich auch dem Schutz der Allgemeinheit Rechnung tragen, weil nur so die Rückfallquoten klein gehalten werden können. Aber die großen Fraktionen konnten sich ja nicht auf eine Sprachregelung einigen und so bleibt es in trauriger Konstanz beim üblichen Klein-Klein. Lieber wird gar nichts gemacht, als ein neuer Streit riskiert. Statt großer Politik nur große Redezeiten.
Der Strafvollzug und insbesondere der Jugendstrafvollzug in Schleswig-Holstein hätte wahrlich Besseres verdient. Er wurde seit Amtsantritt des früheren Justizministers Dr. Klaus Klingner stetig reformiert und ist fortwährend verbessert worden. Das haben wir immer ausdrücklich anerkannt. Sowohl in der Praxis wie in der Wissenschaft hat die Vollzugspraxis in Schleswig-Holstein und ihrer Verzahnung mit den Sozialen Diensten der Justiz und der Freiwilligen Straffälligenhilfe zunehmend Beachtung und Bedeutung gefunden. Meine Anerkennung und mein Dank gilt allen, die dazu beigetragen haben und es auch immer noch tun.
Nur reicht das natürlich nicht. Wünschenswerter und weitaus anerkennender wäre es, die Vernetzung der ambulanten und stationären Resozialisierung weiterzuentwickeln und ein zukunftsorientiertes Gesamtkonzept auch gesetzlich festzuhalten. Denn bei aller Anerkennung für die bisher erreichte Qualität: Gerade an den Schnittstellen zwischen stationärer und ambulanter Resozialisierung hapert es bisweilen noch. Es bestehen gesetzliche, fachliche und organisatorische Schwierigkeiten, sodass Verluste an Effektivität und Effizienz entstehen - mit der Folge, Kollege Lehnert, erhöhter Rückfallgefahr zum Beispiel im Übergang zwischen Vollzug und Führungsaufsicht.
Ich kann daher nur dringend an Sie appellieren, heute dem Änderungsantrag der FDP-Fraktion zuzustimmen, damit Schleswig-Holstein seine Vorreiterrolle in der Kriminalpolitik auch im Jugendstraf
vollzug fortsetzen kann. Wir brauchen mehr als einen Gesetzentwurf, Frau Kollegin Schlosser-Keichel, der sich zwar zur Resozialisierung bekennt, sie aber nicht konsequent umsetzen will.
Konkret heißt das: Als Vollzugsziel kommt ausschließlich das Ziel in Betracht, die Gefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen und sie in die Gesellschaft einzugliedern. Der Schutz der Allgemeinheit ergibt sich dann geradezu zwangsläufig, und zwar nicht nur für die Zeit, in der sich die Gefangenen im Vollzug befinden, sondern insbesondere für die Zeit nach ihrer Inhaftierung.
Je besser uns die Resozialisierung gelingt - und ich weise darauf hin, dass es uns ausweislich der hohen Rückfallquoten gerade bei den 15- bis 20-Jährigen mit den bisherigen Vollzugsformen alles andere als gut gelingt -, umso größer ist der Schutz der Allgemeinheit.
In Baden-Württemberg hat eine differenzierte Untersuchung gezeigt, dass beim gelockerten Vollzug zwar immer noch 37 % der straffälligen Jugendlichen und Heranwachsenden rückfällig werden. Aber das ist dramatisch weniger als die Rückfallquote in Höhe von 63 % bei überwiegend geschlossenem Vollzug.
Damit bin ich gleich bei einer weiteren wesentlichen Änderung, den Regelungen zum offenen und geschlossenen Vollzug und zum Vollzug in freien Formen. Tatsächlich liegt der Anteil von Gefangenen im offenen Jugendstrafvollzug in SchleswigHolstein gerade einmal bei knapp 3 % und auch bundesdurchschnittlich nur bei 7,9 %. Ich räume auch durchaus ein, dass es immer Gefangene geben wird, für die nur ein geschlossener Vollzug in Betracht kommt. Frau Kollegin Schlosser-Keichel, das entbindet uns jedoch nicht davon, in jedem Fall zunächst vorrangig zu prüfen, ob und inwieweit ein Gefangener den besonderen Anforderungen des offenen Vollzugs genügt.
Wir haben deshalb den offenen Vollzug zum Vorrangvollzug erklärt, von dem ein Gefangener nur bei begründeten Befürchtungen des Missbrauchs durch Flucht oder die Begehung weiterer Straftaten auszuschließen ist.
Denn über eins müssen wie uns im Klaren sein: Für die Resozialisierung, für eine Eingliederung in die Gesellschaft ist es von entscheidender Bedeutung, dass der Gefangene einen Bezug zur Außenwelt behält oder aufbauen kann, bevor er entlassen wird. Frau Kollegin Schlosser-Keichel, ich kann nur auf eine Entscheidung des Verfassungsgerichts im Strafvollzug bei erwachsenen Strafgefangenen aus dem Oktober 2007 hinweisen, in der das Bundesverfassungsgericht erklärt hat, dass bei Ersttätern der offene Vollzug grundsätzlich die Regel sein muss, um gerade die sozialen Beziehungen nicht zu zerstören, die anschließend bei einer Resozialisierung wieder massiv aufgebaut werden müssten.
Auf eindringliche Empfehlung nahezu aller Anzuhörenden schlagen wir deshalb nicht nur vor, den Vollzug frühzeitig zu locken und die Gefangenen am besten regelmäßig aus dem offenen Vollzug als letzte Phase des Strafvollzugs zu entlassen. Wir folgen auch der Empfehlung, dem Gefangenen anhand eines Eingliederungsplans und mit Unterstützung eines Koordinators die soziale und berufliche Integration zu erleichtern, insbesondere ihm zu helfen, eine geeignete Unterbringung zu finden sowie eine Arbeits- und Ausbildungsstelle.
Auch wenn ich mich wiederhole: Je besser es uns gelingt, den Übergang in die Freiheit zu gestalten, je besser der ehemalige Straffällige wieder in die Alltagssituation hineinfindet, desto größer ist die Chance, dass er nicht wieder straffällig wird.
Die besondere Bedeutung von Schule, Ausbildung und Beruf liegt dabei offen auf der Hand. Dass darüber hinaus ein Vollzug in freien Formen, wie er in Baden-Württemberg aktuell praktiziert wird, für uns als ernst zu nehmende Möglichkeit in Betracht kommt, habe ich bereits in erster Lesung deutlich gemacht.
Der Jugendhof Seehaus in Leonberg praktiziert seit 2003 diese Form des Strafvollzugs für verurteilte Jugendliche im Alter von 14 bis 19 Jahren - und das mit gutem Erfolg. Schleswig-Holstein sollte sich diese Möglichkeit durchaus offenhalten.
Auf jeden Fall muss der geschlossene Vollzug am Ende aller Überlegungen zum Jugendstrafvollzug stehen. Gerade jüngere Gefangene werden von den Eigenheiten in einer Jugendvollzugsanstalt oftmals stärker vereinnahmt und negativ beeinflusst werden, als wir uns das bewusst machen wollen. Durch
diese negativen Einflüsse werden positive Ansätze nicht selten zunichte gemacht und kriminelle Verhaltensmuster gestärkt.
An mögliche weiter gehende Beeinflussungen, wie sie sich durch die Zulässigkeit des Jugendstrafvollzugs auch in getrennten Abteilungen einer Anstalt des Erwachsenenvollzugs vorstellen lassen, mag ich gar nicht erst denken. Leider sieht der schleswig-holsteinische Entwurf diese Möglichkeit ausdrücklich vor. Auch die Grünen erhalten sie jedenfalls für Heranwachsende in ihren Änderungsanträgen aufrecht. In meinen Augen, liebe Kollegin Heinold, lieber Kollege Hentschel, ist das ein glatter Widerspruch zu allen Resozialisierungs- und Erziehungsvorschlägen, zu denen sich die Grünen ansonsten lautstark in diesem Gesetzgebungsverfahren bekennen.
Wir wollen stattdessen, dass, wenn eine Unterbringung im geschlossenen Vollzug sein muss, die Jugendstrafe nur in Jugendstrafvollzugsanstalten vollzogen werden darf. Folglich haben wir die aktuelle Unterbringung in Neumünster unter eine Frist bis Anfang 2010 gestellt.
Auch unsere weiter gehenden Änderungsvorschläge zielen auf die Resozialisierung der Gefangenen, auch wenn das der einen oder dem anderen zumindest auf den ersten Blick nicht so erscheinen mag. Das gilt für die Unterbringung der Gefangenen regelmäßig in Wohngruppen aus fünf bis zehn Gefangenen, aber auch für das Tragen eigener angemessener Kleidung. Das Verantwortlichsein für die Kleidung, statt sich schlicht irgendwelcher Anstaltskleidung zu bedienen, hat etwas mit Resozialisierung und mit der Übernahme von Verantwortung zu tun.
Wie im wirklichen Leben sollen sich die Gefangenen um ihre Angelegenheiten möglichst selbst kümmern. Besucherregelungen und Pakete gehören ebenfalls in diese Rubrik.
Es liegt auf der Hand, dass diese Maßnahmen mit Mehrbelastungen des Vollzugspersonals verbunden sein können - und das in einer Situation, in der das Personal bereits heute oftmals bis an seine Grenzen belastet ist. Unsere Große Anfrage zum Justizvollzug hat da sehr aussagekräftige Ergebnisse geliefert.
Aber: Erfolgreiche Resozialisierung hat immer auch etwas mit Personal zu tun und infolgedessen auch mit Kosten. Wir erkennen das nicht nur an,
wir sind uns auch darüber im Klaren, dass das dann Auswirkungen auf die personelle Situation haben muss. Trotzdem sage ich: Was wir in diesem Bereich investieren, ist tausendmal geringer an Kosten, als das, was wir anschließend bei möglicher Strafverfolgung wegen neuer Taten aufbringen müssten.
Frau Kollegin Schlosser-Keichel, Sie haben auf die mangelhaften Belegungszahlen hingewiesen. Es ist aber keine Lösung, diese Maßnahmen deshalb gar nicht erst durchzuführen, weil die bisherige Situation so angespannt ist und deshalb weitere offene Vollzugsformen kaum zulässt. Denn das hieße ja, an Resozialisierungsmaßnahmen zu sparen. Ich sage Ihnen, das können wir uns ganz bestimmt nicht leisten.
Ich bedanke mich bei den Sachverständigen und denjenigen, die wir im Innen- und Rechtsausschuss zu dieser Problematik angehört haben. Ich bedanke mich auch beim Ministerium für diesen Entwurf. Ich würde mir aber wünschen, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie würden wenigstens in einem wesentlichen Teil den Änderungsvorschlägen der FDP-Fraktion zustimmen, damit wir wirklich sagen können, wir haben ein modernes, offenes, zukunftsorientiertes und vorbildliches Jugendstrafvollzugsrecht in Schleswig-Holstein. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag.
Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden, dem Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Gesetzgebungsverfahren ist ein Tiefpunkt in der Geschichte des Strafvollzugs in Schleswig-Holstein. Von dem Geist der seit 1998 propagierten rationalen Kriminalpolitik der früheren Justizminister Klaus Klingner, Gerd Walter und Anne Lütkes, die von allen Fraktionen dieses Hauses mitgetragen worden ist - das muss man anerkennen -, sind bestenfalls Rudimente übrig geblieben.