Eine Veränderung des Jugendstrafrechts ist also nicht geboten. Geboten ist Unterstützung, wo sie gebraucht wird, und zwar durch eine ausreichende Ausstattung der ambulanten Familienhilfen und der Bewährungshilfe, durch eine ausreichende Ausstattung von Polizei und Justiz, sodass die Strafe auf dem Fuß erfolgen kann, was auch eine erzieherische Wirkung hat, sowie durch eine ausreichende Förderung freier Träger. Wir sollten uns ernsthaft um Schulsozialarbeit bemühen, um auffällige Kinder und Jugendliche in ihrem sozialen Umfeld vor jeder Straffälligkeit betreuen zu können. Darüber sollten wir wirklich sehr ernsthaft debattieren.
Darüber hinaus sollten wir insbesondere für Wiederholungs- und Intensivtäter auch eine kritische Bestandsaufnahme über die in Schleswig-Holstein derzeitig vorhandenen Hilfe- und Kontrollsysteme durchführen. Derzeit bekommt man eher den Eindruck, dass viele Institutionen und Organisationen unkoordiniert und nebeneinanderher arbeiten. Polizei, Jugendhilfe, Bewährungshilfe, Jugendarrest, Jugendstrafvollzug, Agenturen für Arbeit, Schuldnerberatung, Drogenhilfe, Freie Straffälligenhilfe, Opferhilfe und so weiter sind hier zu nennen. Der letzte Opferschutzbericht der Landesregierung hat in dieser Frage zumindest keine zufriedenstellende Auskunft gegeben.
Wenn CDU und SPD heute dem Antrag von FDP, Grünen und SSW zustimmen, dann wäre das, zumindest dem Inhalt nach, ein gutes politisches Signal.
Die weitere Debatte können wir gern im Ausschuss führen. Ich beantrage die Überweisung an den Innen- und Rechtsausschuss.
Ich danke Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki. - Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneter Peter Lehnert das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jugendgewalt in Deutschland ist ein gesellschaftliches Problem, für das es keine Patentlösungen gibt. Eine Politik des Verschweigens, des Verharmlosens und der Tabuisierung würde Lösungsansätze allerdings behindern. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich die Lebenswirklichkeit verändert hat. Bürger meiden aus Angst vor Jugendgewalt zunehmend öffentliche Verkehrsmittel und bestimmte Bereiche. Das dürfen wir nicht länger hinnehmen. Rechtsfreie Räume darf es in Deutschland nicht geben. Die Menschen erwarten mit Recht, dass der Staat alles daran setzt, seine Bürger entschlossen und erfolgreich vor kriminellen Übergriffen zu schützen. Vorrangig müssen alle Maßnahmen den Schutz potenzieller Opfer von Straftaten im Blick behalten.
Mit welchen Fakten haben wir uns zu befassen? Die Gewaltkriminalität in Deutschland ist in den letzten Jahren um 15 % gestiegen. Jugendliche und heranwachsende Täter verüben rund 43 % aller Gewaltdelikte. Auch wenn es zurzeit nicht gerade populär zu sein scheint, so macht es doch keinen Sinn, es zu verschweigen: Die Jugendgewalt in unserem Land ist nun einmal nicht unerheblich von jungen Männern mit Migrationshintergrund geprägt. Dies macht deutlich, dass nur mit einem differenzierten Maßnahmenkatalog angemessene und zielgruppenorientierte Lösungen für das Problem der Jugendgewalt gefunden werden können. Damit der Staat seine Bürger wirksam vor Übergriffen schützen kann, müssen präventive und repressive Maßnahmen ergriffen werden, die sich nicht ausschließen, sondern sich im Gegenteil sinnvoll ergänzen.
Den Blick nur auf die Prävention zu richten, ist hingegen der falsche Weg, denn es gibt keine Erfolgsgarantie; insbesondere dann nicht, wenn Betroffene und ihre Familien für vorbeugende Maßnahmen nicht zugänglich sind. Die Ursachen für
Kinder- und Jugendkriminalität sind so vielfältig wie wir Menschen selbst. Dennoch sind einige immer wiederkehrende Ursachenmerkmale festzustellen, die eindeutig mit dem Milieu, in dem die Jugendlichen aufwachsen und sich bewegen, zusammenhängen. Der Verlust von Werteorientierungen, fehlende Zukunftsperspektiven und mangelnde soziale Kompetenzen können ebenso eine Rolle spielen wie eine schlechte Ausbildung, das Wohnumfeld oder die Überforderung der Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder.
Auch Gewalt in den Medien und entsprechende Einflusswirkungen kommen als Auslöser von kriminellen Verhaltensweisen - insbesondere von Gewalthandlungen - infrage. Integrationsprobleme und eigene Gewalterfahrungen bei jungen Menschen verstärken ebenso wie mangelnde Sprachkompetenzen bei ausländischen Jugendlichen die Problemfelder. Diese kausalen Zusammenhänge werden durch sehr viele einzelne und mittlerweile soziologisch ausgewertete Biografien immer wieder bestätigt. Sie bilden einen festen und wesentlichen Bestandteil der Ursachen der Jugendgewalt. Die Schwierigkeiten im Bereich der sozialen Rahmenbedingungen erklären vieles. Sie dürfen aber nicht als pauschale Entschuldigung herangezogen werden. Für die Tat und ihre Folgen ist vor allen Dingen der Täter selbst verantwortlich.
Die wichtigsten Beiträge für eine individuelle und nachhaltige Gewaltprävention leistet eine auf Wertevermittlung ausgerichtete Erziehung in der Familie. Schule und Freizeiteinrichtungen können die Erziehungsarbeit der Eltern unterstützen. Wo Defizite festgestellt werden, bedarf es gezielter Förderungen über die unterschiedlichen Entwicklungsphasen junger Menschen hinweg. Der erfolgreichen Verhinderung von Gewaltkriminalität durch eine systematische und umfassende Präventionsarbeit kommt maßgebliche Bedeutung zu. Es hat sich als erfolgreiches Präventionsmodell bereits eine Vielzahl sogenannter runder Tische etabliert. Diese Runden Tische bringen Kooperationen von Jugendämtern, Polizei, Justiz und Schulen sowie Ausländerbehörden. Eine flächendeckende Fortführung dieser bewährten Programme muss systematisch verfolgt werden.
Erfolgreiche Prävention setzt voraus, dass Probleme erkannt und benannt werden. Studien belegen, dass sich ethnische Unterschiede im Gewaltverhalten von Jugendlichen durch familienspezifische Rahmenbedingungen und gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen erklären lassen. Hier haben auch die Migrantenverbände eine Verantwortung,
damit wir gemeinsam gegen innerfamiliäre Gewalt, falsch verstandene Familienehre und mangelndes Rechtsbewusstsein vorgehen können.
Wir müssen wissen, wo besondere Präventionsanstrengungen erforderlich sind. Die Benennung der Täter und besonders problematischer Milieus einschließlich der Herkunft darf deshalb nicht länger problematisiert werden. Wir müssen jugendlichen Tätern klare Grenzen setzen und durch rasche und konsequente Reaktion dem gesetzlichen Vorrang Geltung verschaffen. Die Sanktion muss der Tat auf dem Fuße folgen. Nur eine rasche und konsequente Reaktion auf die Straftat beeindruckt jugendliche Täter. Urteile müssen deshalb schnellstmöglich ergehen, um Wirkung zu erzielen. Die verhängten Sanktionen müssen spürbar sein. Eine Staatsgewalt, die schwere Gewaltdelikte lediglich mit Weisungen, Verwarnungen und Auflagen ahndet, weitere Reaktionen aber zumeist ausklammert, wird von vielen jugendlichen Tätern nicht ernst genommen. Konfliktlösungen ohne Gewalt müssen bestimmte jugendliche Straftäter frühzeitig lernen, nicht erst nach einer langen kriminellen Karriere. In Erziehungsinternaten mit therapeutischem Gesamtkonzept können sie den Alltag mit fester Struktur und Respekt vor anderen erleben. Auch als Alternative oder Ergänzung zur Haftstrafe kommt eine Unterbringung in einer, wenn nötig geschlossenen, Erziehungseinrichtung oder in einem Präventionsprojekt in Betracht.
Ständiges Fehlen im Schulunterricht sollte konsequent sanktioniert werden. Eltern sollten dazu angehalten werden, ihren Erziehungsauftrag zu erfüllen, um dem Anspruch ihrer Kinder auf Bildung gerecht zu werden.
Der Staat kann nur dann von Bürgern Zivilcourage und Einsatz fordern, wenn er selbst entschlossen genug mit jungen Straftätern umgeht. Jugendliche und heranwachsende Straftäter spüren heute häufig erst nach einer Vielzahl sehr milder Sanktionen die Härte des Gesetzes. Bei Serien- und Intensivstraftätern verfehlen die uns zur Verfügung stehenden Maßnahmen nicht selten ihre Wirkung. Das derzeitige Instrumentarium des Jugendstrafrechts sollte deshalb zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger ergänzt werden.
Nach den Ursachen für Jugendgewalt zu suchen erfordert Sachlichkeit und Ernsthaftigkeit sowie eine vielschichtige Analyse, die sich von ideologisch verfestigten Grabenkämpfen verabschieden muss. Nur mit diesem Lösungsansatz erzielen wir nachhaltige Ergebnisse, die sich für die Gesellschaft, die Täter und vor allem die Opfer als hilfreich erweisen
werden. Ich finde es sehr positiv, Herr Kubicki, dass wir diesen Antrag in den zuständigen Fachausschuss überweisen und dort die Diskussion sachlich und fachlich weiterführen.
Ich danke dem Abgeordneten Peter Lehnert und erteile das Wort für die SPD-Fraktion der Frau Abgeordneten Anna Schlosser-Keichel.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist zu hoffen, dass sich mit dem Pulverdampf der Wahlkämpfe auch die Lautstärke der Stammtische senkt, an denen über den Umgang mit straffälligen Kindern und Jugendlichen diskutiert wird.
Die wirklichen Fachleute, Vertreter des Strafvollzuges und der Polizei ebenso wie Richter und Soziologen, haben ohnehin auch in den vergangenen stürmischen Wochen in bemerkenswerter Übereinstimmung deutlich gemacht, dass längere und härtere Strafen die zweifellos vorhandenen Probleme auch nicht im Ansatz lösen können.
Das war und das ist auch unsere Position, die wir, die SPD-Fraktion, in der Koalition vertreten. Mit uns wird es keine Verschärfung des Jugendstrafrechtes geben
und, um auf Herrn Lehnert zu antworten, auch keine geschlossenen Erziehungsheime. Kinder, so auffällig sie auch sein mögen, sind ein Fall für die Jugendhilfe und nicht für die Justiz.
Für ausländische kriminelle Jugendliche, um einen weiteren Diskussionspunkt aufzugreifen, gibt es bereits die Möglichkeit der Abschiebung. Und was den martialischen Ruf nach dem Warnschussarrest angeht: Wir haben in Moltsfelde eine gut belegte Jugendarrestanstalt. Die derzeit 33 Plätze werden völlig unabhängig von der aktuellen Diskussion demnächst um 24 Plätze erweitert. Dazu muss man wissen, dass ein Jugendarrest auf manchen Ersttäter und Mitläufer durchaus wie der berühmte „Schuss vor den Bug“ wirken und zum Nachdenken anregen kann. Für „Rädelsführer“ dagegen - das ist die Per
sonengruppe, die uns die Probleme macht, die mit großer Gewalt vorgeht - stellt der Arrest sozusagen einen Ritterschlag dar, auf den man stolz verweisen kann. Also ist auch das Thema Arrest differenziert zu betrachten.
Um noch eines deutlich zu machen: Wir dulden keine Gewalt, nicht im öffentlichen Bereich und im Übrigen - ich erinnere an die Diskussion über die Wegweisung - auch nicht im privaten Bereich der Familie, wo viele der Jugendlichen, über die wir heute sprechen, ihre ersten und prägenden Gewalterfahrungen gemacht haben.
Wir sind uns einig, Herr Lehnert, auch Jugendliche und Heranwachsende müssen die Folgen ihrer Tat spüren, müssen unmittelbar, schnell vor dem Richter stehen. Sie sollen die Strafe noch direkt mit ihrem Tun in Verbindung bringen können. Deshalb muss das Vorrangige Jugendverfahren, das als „Flensburger Modell“ bundesweit Beachtung gefunden hat, das inzwischen auch ausdehnt worden ist und gute Erfolge zeigt, in ganz Schleswig-Holstein angewendet werden.
Wir müssen im Ausschuss ernsthaft darüber beraten, welche unerklärlichen Widerstände es in gewissen Landesteilen dagegen noch gibt und wie sie schnellstens auszuräumen sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir möchten auch künftig den Richterinnen und Richtern die Entscheidung überlassen, ob sie Heranwachsende nach Erwachsenenstrafrecht verurteilen oder ob sie zum Beispiel einen 19-jährigen als so unreif einschätzen, dass Erziehungsmaßnahmen, die im Jugendstrafvollzug ja im Vordergrund stehen, den größeren Erfolg versprechen. Da, wie gesagt, verlasse ich mich auf die Entscheidungen der Richterinnen und Richter. Der Jugendstrafvollzug ist ja kein Knast light. Der Jugendstrafvollzug hat viel differenziertere, für die Betroffenen oft auch ungleich anstrengendere Möglichkeiten, an ihrer Resozialisierung zu arbeiten. Deshalb ist es in bestimmten Fällen sicherlich die bessere Wahl. Über das Jugendstrafvollzugsgesetz haben wir hier im Dezember in aller Ausführlichkeit gesprochen. Wir haben damit das Handwerkszeug, um den fortschrittlichen und auf Resozialisierung ausgerichteten Jugendstrafvollzug auch weiter zu verbessern.
Das Gesetz ermöglicht auch neue Entwicklungen, etwa den im vorliegenden Antrag genannten Vollzug in freien Formen. Das Übergangsmanagement neu zu organisieren, die Schritte nach dem Strafvollzug in die Freiheit, das wird die große Herausforderung für den Strafvollzug in den nächsten Jahren sein. Wir werden auch unseren finanziellen Beitrag zur Umsetzung des neuen Jugendstrafvollzugsgesetzes leisten.
In erster Linie aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss es darum gehen, aktiv zu werden, bevor das Kind in den kriminellen Brunnen gefallen ist, wie es der Kollege Puls kürzlich ausgedrückt hat. Wir wissen, dass der Grund für den Ausbruch von Gewalttätigkeit oft berufliche Perspektivlosigkeit, Randständigkeit und soziale Verwahrlosung ist. Wir brauchen deshalb Schulen, die gerechte Bildung und damit gerechte Berufschancen sichern. Unsere laufende Schulreform ist sicherlich ein wichtiger Beitrag dazu.
Wir brauchen eine funktionierende Jugendhilfe für überforderte Eltern und für gefährdete Kinder und Jugendliche. Die kostet Geld. Und wir brauchen die gute Zusammenarbeit aller Akteure, Schule, Jugendhilfe, Polizei, Justiz, damit dann im Ernstfall nicht aus Ersttätern Intensivtäter werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die nötigen Investitionen in diesen Bereichen Schule, Bildung, Jugendhilfe sind nicht nur sozial angemessen, sondern langfristig allemal wirtschaftlicher als der Reparaturbetrieb, den wir uns im Arrest und im Strafvollzug leisten.
Ich sage das mit Blick auf unsere eigenen Haushaltsberatungen, aber auch in Richtung der Kreise und kreisfreien Städte, der Jugendhilfeträger.
Ich beantrage auch die Überweisung an den Innenund Rechtsausschuss und möchte jetzt schon anregen, im Rahmen dieser Beratung auch die in der Pressemitteilung der Landesregierung vom 25. Januar genannten Konzepte und Präventionsprojekte vorzustellen, gegebenenfalls auch andere Projekte, die sich in der Fläche entwickelt haben.