Protokoll der Sitzung vom 31.01.2008

Die Antworten, die im April 2007 bei einer Anhörung des Sozialausschusses des Niedersächsischen Landtages unter Beteiligung von Abgeordneten aus Schleswig-Holstein gegeben wurden, waren nicht abschließend - sie konnten es wahrscheinlich auch gar nicht sein -; es wurden sogar neue Fragen aufgeworfen, insbesondere dazu, wie die vorgestellten wissenschaftlichen Ergebnisse zustande gekommen sind.

Insoweit wurde aus der Anhörung deutlich, dass sich zwei Gruppen von Wissenschaftlern mit unterschiedlichen Ansätzen gegenüber stehen. Je nach persönlicher Haltung zur Kernenergie scheint das Herangehen, das Umgehen oder das Interpretieren der Wissenschaftler unterschiedlich zu sein. Insbesondere wurden gegenseitig die Methodik und die Ergebnisse der jeweiligen Untersuchungen angezweifelt, was letztlich natürlich nicht dazu beiträgt, einer Aufklärung näher zu kommen. Wenig hilfreich ist es in diesem Zusammenhang - das will ich ganz deutlich sagen -, wenn Fachleute mit dem Anspruch auftreten, wissenschaftlich zu arbeiten, sich aber bis heute nicht in der Lage sehen oder nicht willens sind, den Weg zu ihrem Ergebnis für Dritte nachvollziehbar darzulegen.

Ich will - auch wenn das möglicherweise nicht besonders populär ist - hier einen exemplarisch herausgreifen. Ganz konkret hat beispielsweise in der Anhörung Professor Vladislav Mironov von der Sacharow-Universität in Kiew seine Ergebnisse präsentiert, ohne die Datenbasis und die Methodik zu veröffentlichen, und zwar bis heute nicht. Wenn Professor Mironov auf schriftliche Anfrage im Juni 2007 erklärt, dass es für ihn - ich zitiere aus dem Antwortschreiben, das ins Deutsche übersetzt wurde - „eine leere Beschäftigung“ sei, „die Details der Analyse zu beschreiben“, dann sind zumindest Zweifel an der Seriosität einer solchen wissenschaftlichen Darstellung angebracht.

(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, der Weg zum Ergebnis ist genauso wichtig wie das Ergebnis selbst, ohne dass ich das Ergebnis anzweifeln will. Ich könnte es auch gar nicht anzweifeln, weil mir schlicht die fachliche Kompetenz fehlt. Aber es ist nötig, dass der Weg zum Ergebnis nachvollziehbar beschrieben wird, damit wir mit dem Ergebnis umgehen können und daraus weitere Schlüsse ziehen können. Das bedeutet auch, dass man sich als Wissenschaftler, unabhängig welcher Richtung, den

kritischen Fragen stellen muss. Andernfalls wird dies weder dem selbst postulierten Anspruch gerecht, wissenschaftlich gearbeitet zu haben, noch wird es den Menschen gerecht, die so sehr auf eine Antwort warten.

Wir haben uns diesem Antrag angeschlossen, weil diese Fragen gemeinsam mit Niedersachsen geklärt werden sollen. Union und SPD haben einen eigenen Antrag vorgelegt. Sie wollen sich lediglich über das Ergebnis des vom Niedersächsischen Landtag beschlossenen Expertengespräches berichten lassen. Und sie haben jetzt schon den Schluss gezogen, neue Bodenproben ziehen zu wollen. Ich schließe mich da voll und ganz den Ausführungen des Kollegen Matthiessen an. Ich halte es für bedauerlich, dass es in diesem Landtag nicht gelingt, was im Niedersächsischen Landtag gelungen ist, wo sich alle Fraktionen dem dortigen Antrag angeschlossen haben und es somit sogar geschafft haben, dieses Thema aus dem Wahlkampf herauszuhalten.

Das, was Union und SPD wollen, reicht aber nicht aus. Der Antrag sieht vor, ein weiteres Expertengespräch anhand eines klar strukturierten Fragenkataloges durchzuführen. Moderiert durch das Bundesamt für Strahlenschutz sollen die bisherigen Forschungsergebnisse und die Aussagen der Wissenschaftler nach einheitlichen Kriterien beurteilt werden. Es geht nicht darum, im Ergebnis irgendetwas zu verteidigen oder irgendetwas abzuwerten. Es geht weder um Verharmlosung noch um vorschnelle Bewertung.

Deutlich wurde aber bei der Anhörung: Um Antworten richtig bewerten zu können, ist erstens ein fachlicher Rahmen notwendig. Zweitens - da nehme ich den Kollegen Matthiessen aus, weil er von der Thematik mehr versteht als der Rest von uns ist es notwendig, dass Leuten wie uns, Politikern, die im Zweifel entscheiden sollen, wie es weitergeht, dieser fachliche Rahmen so dargestellt wird, dass wir ihn auch verstehen. Denn wenn wir ihn nicht verstehen, wird Ideologie unsere Antworten prägen. Genau das ist es, was wir hier nicht gebrauchen können.

(Beifall bei der FDP)

Zentrale Vorrausetzung ist, von Wissenschaftlern darlegen zu lassen, wie sie beispielsweise ihre Probenstrategie festgelegt haben und ob sie bereit sind, ihre Dokumentation zur Probenaufbereitung Dritten zur Überprüfung zu überlassen.

Das gemeinsame Vorgehen mit Niedersachsen anhand dieses Fragenkataloges soll auch ideologische

(Dr. Heiner Garg)

Grundsatzdebatten - sei es unter den Wissenschaftlern oder unter den Politikern - möglichst vermeiden. Haben doch die Streitigkeiten in der Vergangenheit zwischen den verschiedenen Wissenschaftlern und den Politikern deutlich gemacht, dass bisher - je nach politischer Einstellung - zu verengt in die eine oder in die andere Richtung geschaut worden ist. Möglicherweise liegt es auch daran - ohne dass qualitativ bewerten zu wollen -, dass sich bislang immer dieselben 15 Forscher mit der Materie beschäftigt haben.

Wenn jetzt Anregungen und Vorschläge einer Bürgerinitiative beim weiteren Vorgehen eingebunden werden sollen, wie von CDU und SPD gewollt, dann erwarte ich, dass Union und SPD auch sagen, wie eine solche Beteiligung konkret aussehen soll. Ich habe überhaupt nichts dagegen, dass sich die Bürgerinitiative in die Beratung einbringen will. Ein Kollege der Sozialdemokratie aus dem Niedersächsischen Landtag ist in dieser Bürgerinitiative federführend tätig, sprich: Er ist der Vorsitzende der Bürgerinitiative. Wenn man die Bürgerinitiative einbringen will, erwarte ich, dass uns die beiden Koalitionsfraktionen, wenn sie ihren Antrag aufrechterhalten, ganz konkret sagen, in welcher Form sich die Bürgerinitiative an einem strukturierten Expertengespräch beteiligen soll.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Grüne, FDP und SSW wollten mit ihrem Antrag die üblichen reflexhaften Reaktionen vermeiden, wie es sie übrigens auch nach Vorstellung der KiKK-Studie gegeben hat. Da gab es auch die reflexartigen Reaktionen, und zwar sowohl von der einen als auch von der anderen Seite. Wir wollten das vermeiden und haben uns unter anderem deswegen für diesen Antrag entschieden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und Sozialdemokratie, vielleicht könnten Sie doch über Ihren Schatten springen und sich dem Antrag, den die Oppositionsfraktionen, auch wenn es die Oppositionsfraktionen waren, vorgelegt haben, anschließen und damit ein Stück weit zu dem beitragen, um das es eigentlich geht: Das, was wir in Niedersachsen erfahren haben, zu begreifen und danach in einem zweiten Schritt weiter zu überlegen, wie verantwortungsvoll mit der Problematik umgegangen werden kann. Ich empfände es als Zeichen der Größe, wenn Sie heute dem Antrag von Grünen, FDP und SSW zustimmen könnten

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

und dabei Koalitionsinteressen oder parteipolitische Interessen hintenanstellen könnten. Dann könnten Sie nämlich unter Beweis stellen, worum es Ihnen tatsächlich geht. Ich gehe davon aus, dass es Ihnen darum geht, die offenen Fragen für die Menschen in der Region zu beantworten.

(Beifall bei der FDP)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg. - Das Wort für den SSW im Landtag hat nun der Herr Abgeordnete Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor gut einem Jahr haben wir den Bericht der Landesregierung zu Leukämiefällen im Rau Geesthacht/Elbmarsch debattiert. Der Bericht machte deutlich, dass frühzeitig und sehr intensiv mit der Ursachenforschung der Leukämie-Erkrankung in der Elbmarsch begonnen wurde. So wurden insgesamt 17 Studien im Zeitraum von 1992 bis Ende November 2005 durchgeführt.

Sowohl Schleswig-Holstein als auch Niedersachsen haben Expertenkommissionen eingesetzt, die zahlreiche potentielle Ursachen für die Leukämie-Erkrankungen untersuchen sollten. Dazu zählten unter anderem radioaktive Strahlenbelastungen sowie epidemiologische Untersuchungen. Darüber hinaus wurden auch natürliche Gegebenheiten wie beispielsweise Wasser, Boden oder Luft oder auch Nahrungsmittel untersucht. Doch keine der durchgeführten Untersuchungen lieferte eine wissenschaftlich fundierte Erklärung für die Ursache der Häufung kindlicher Leukämien in dieser Region.

Die neueste Untersuchung des Bundesamtes für Strahlenschutz - die epidemiologische Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken (KiKK) - hat Ende letzten Jahres neue Ergebnisse ans Licht gebracht. Die Studie bestätigt, „dass in Deutschland ein Zusammenhang zwischen der Nähe der Wohnung zum nächstgelegenen Kernkraftwerk zum Zeitpunkt der Diagnose und dem Risiko, vor dem fünften Geburtstag an Krebs (bezie- hungsweise Leukämie) zu erkranken, beobachtet wird.“ Diese Studie macht keine Aussage darüber, durch welche Ursachen diese Beziehung zu erklären ist.

Auch wenn es immer noch keine Kenntnis über die Ursachen gibt, darf uns das Ergebnis der Studie nicht in Ruhe lassen. Denn der Zusammenhang

(Dr. Heiner Garg)

zwischen Wohnort und Entfernung zum AKW ist auffallend. Das heißt, hierin muss der weitere Forschungsauftrag liegen, damit diese Frage endgültig geklärt werden kann.

Auch wenn die Studie keine Aussage über Ursachen zwischen den Leukämiefällen und den Kernkraftwerken trifft, beschleicht einen ein Verdacht. Und eben dieser Verdacht lässt die Bevölkerung in der Region auch nicht zur Ruhe kommen. Deshalb sind wir der Auffassung, dass die Untersuchungen nicht gestoppt werden dürfen, bevor der schlüssige Beweis vorliegt, dass AKWs oder das GKSS nichts mit den Leukämiefällen zu tun haben, oder andere Ursachen für die häufigen Erkrankungen gefunden werden konnten.

Auch wenn bisher keine Zusammenhänge wissenschaftlich belegbar sind, können wir letztlich nicht ausschließen, dass sie vorhanden sein könnten. Denn an einen puren Zufall mag man angesichts der Ergebnisse nicht denken. Wer sich aber hinstellt und behauptet, dass die Studie keine neue Erkenntnisse liefert, verharmlost das Problem.

An der Studie beteiligt wurden sowohl Atomkraftkritiker wie auch -befürworter. Man hat eine von allen akzeptierte Methodik gefunden, die Studie durchzuführen. Daher sollten wir das Ergebnis ernst nehmen.

Im Umkreis von 5 km um die deutschen Kernkraftwerke wurde für den Untersuchungszeitraum von 1980 bis 2003 ermittelt, dass 77 Kinder an Krebs, davon 37 an Blutkrebs erkrankt sind. Nach dem statistischen Durchschnittswert wären nach Darstellung der Wissenschaftler 48 Krebs- beziehungsweise 17 Leukämiefälle zu erwarten gewesen, also knapp die Hälfte. Diese Zahlen machen deutlich, dass wir tatsächlich von Clusterbildungen sprechen können.

Es klingt dann nahezu wie Hohn, wenn vonseiten des Bundesumweltministeriums gesagt wird, dass der Anstieg bei den Krebserkrankungen nach derzeitigem Kenntnisstand der Wissenschaft nicht durch die Strahlenbelastung aus einem Atomkraftwerk erklärt werden könne. Um das erhöhte Krebsrisiko zu erklären, müsste demnach angeblich die Strahlenbelastung der Bevölkerung um mindestens das Tausendfache höher sein - nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Aus unserer Sicht darf die Frage der Leukämiefälle keine ideologische Frage sein, sondern eine Sachfrage, der unbedingt nachgegangen werden muss. Deswegen auch die Kopie des Antrages aus Niedersachsen. Wir müssen die Thematik sachorientiert

und emotionsfrei aufarbeiten. Diese Zielsetzung hat auch der von uns und den anderen Oppositionsparteien eingebrachte Antrag, der einstimmig so in Niedersachsen verabschiedet wurde und von dem wir glauben, das es kein Problem sein sollte, diesen auch in Schleswig-Holstein einstimmig zu verabschieden. Daher ist es aus unserer Sicht mehr als bedauerlich, dass wir es hier nicht hinbekommen haben, einen interfraktionellen Antrag zu diesem Thema zu stellen. Leider war die Große Koalition bisher nicht gewillt, den Antrag der Oppositionsparteien mitzutragen. Stattdessen hat sie einen eigenständigen Antrag eingebracht.

Vor dem Hintergrund der gemeinsamen Anhörung der zuständigen Ausschüsse in Hannover hätte ich mir von der Großen Koalition mehr politisches Verständnis für die Sache versprochen.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Denn ich finde, dass es uns als Schleswig-Holsteinischer Landtag gut zu Gesicht gestanden hätte, wenn wir ein einstimmiges Signal an die Bürgerinnen und Bürger im Raum Geesthacht und Elbmarsch und an unsere Kollegen im Niedersächsischen Landtag gegeben hätten. Diese Chance haben die Kollegen von der Großen Koalition bisher nicht genutzt. Das ist bedauerlich, denn ich glaube, dass wir in der Sache gar nicht so weit auseinanderliegen.

Angesichts der Tatsache, dass die SPD seinerzeit selbst den Vorschlag eingebracht hat, eine gemeinsame Anhörung der Sozialausschüsse der beiden Landtage zur Untersuchung der rätselhaften Häufung von Leukämiefällen in der Elbmarsch durchzuführen, um Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Vorgehensweisen und Untersuchungsmethoden aus dem Weg zu räumen, ist es unverständlich, dass wir in Schleswig-Holstein jetzt nicht an einem Strang ziehen wollen.

(Beifall bei SSW und FDP)

Nur dann nämlich können wir den Menschen in der Elbmarsch deutlich machen, dass wir vonseiten der Politik das Problem ernst nehmen. Gegenseitige Kritik und Missverständnisse helfen hier nicht weiter. Wir sollten das Problem auch künftig gemeinsam und länderübergreifend angehen. Deswegen hoffe ich, dass wir im Ausschuss noch einen gemeinsamen Beschluss hinbekommen. Ich bitte daher, die beiden Anträge in den Sozialausschuss zu überweisen. Ich habe den Eindruck, dass wir heute nicht zu einer Einigung kommen. Vielleicht schaffen wir es, uns im Sozialausschuss hinzusetzen und

(Lars Harms)

doch noch einen gemeinsamen Beschluss hinzubekommen, damit wir auch nach außen hin wirklich zeigen können, dass wir alle gemeinsam die Sorgen und Nöte der Menschen in der Elbmarsch entsprechend ernst nehmen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für uns steht fest, dass wir die Sorgen und Ängste der Menschen im Raum Geesthacht und in der Elbmarsch ernst nehmen müssen. Wir müssen alles daran setzen, die Ursachen für diese Leukämie-Cluster zu erforschen, und wir dürfen mit den Untersuchungen so lange nicht aufhören, bis der Beweis für die Ursachen erbracht wurde. Nur so werden wir der Verantwortung den Menschen gegenüber gerecht, die sich dort um die Gesundheit ihrer Kinder sorgen. Das sollten wir, wenn möglich, einvernehmlich tun.

(Beifall bei SSW und FDP)

Ich danke Herrn Abgeordneten Lars Harms. Mir liegen jetzt Wortmeldungen für Dreiminutenbeiträge vor. Als Erstem erteile ich Herrn Abgeordneten Olaf Schulze das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Harms, ich glaube, diese Auffassung teilen wir wirklich. Ich denke auch, dass alle hier im Haus die Sorgen und Ängste der Menschen in der Elbmarsch und in Geesthacht ernst nehmen. Wir sind alle bemüht und haben alle das Ziel, wirklich zu helfen und gemeinsam etwas zu tun.

Das zeigt auch der interfraktionelle Antrag, den wir Ende 2006 eingebracht und mit dem wir deutlich gemacht haben, dass wir uns alle an den Anhörungen und Untersuchungen in Hannover beteiligen wollen. Alle Fraktionen waren daran beteiligt und waren auch vor Ort. Insofern sind wir hier wirklich nicht auseinander.

Eines finde ich allerdings schade. Wir als Schleswig-Holsteiner, die wirklich betroffen sind - ein Großteil der Leukämiefälle trat in Schleswig-Holstein auf -, können nicht immer abwarten, was Niedersachsen macht. Das will unser Antrag noch einmal zeigen. Wir sagen erstens: Wir nehmen das Ergebnis aus Niedersachsen auf und wir beteiligen uns daran. Das ist uns wichtig. Deswegen steht das auch in unserem Antrag nach den Worten „Der

Landtag bittet die Landesregierung“ als erster Punkt.