Protokoll der Sitzung vom 23.04.2008

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Ich empfinde die erwähnten Auswirkungen im Übrigen als alles andere als positiv, weil sie bislang lediglich zu einer Beitragserhöhung geführt haben. Wenn Sie aber auf dieser Einschätzung bestehen, sei’s drum! Diese Auswirkungen haben Sie auch ohne Gesundheitsfonds. Ich kann nur sagen, der Vorschlag, der nicht nur von Oppositionsfraktionen aus Landtagen, sondern auch von beredten Gesundheitsexperten aus den Reihen der die Regierung tragenden Fraktionen im Deutschen Bundestag, also aus Ihren Reihen, Frau Kollegin Sassen und Frau Kollegin Schümann, kommt, den Gesundheitsfonds zu stoppen, bevor es zu spät ist, ist richtig. Ich denke, wir sollten heute hier die Gelegenheit dazu nutzen, dies zu tun.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Zu einem weiteren Kurzbeitrag hat Frau Abgeordnete Jutta Schümann das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es schon sehr populistisch, was Sie hier abziehen, Herr Kollege Garg und liebe Kollegin Heinold. Sie sprechen von einer missratenen Gesundheitsreform. Sie machen dabei aber nicht deutlich, dass es um unterschiedliche Aspekte bei der Reform geht. Wollen Sie etwa sagen, es sei missraten, dass wir jetzt Mutter-Kind-Kuren und VaterKind-Kuren finanzieren, dass wir Hospizfinanzierung durchführen, dass wir Palliativversorgung fördern, dass wir mit diesem Gesetz neue Kooperationsformen schaffen? Wollen Sie sagen, dass all dies missraten ist?

Es geht um die Finanzierung. Seien Sie also entsprechend sachlich und argumentieren Sie entsprechend differenziert in der Debatte. Es geht darum, wie wir die soeben genannten Maßnahmen und anderes zukünftig finanzieren. Wir sagen, dass wir dies mit dem Gesundheitsfonds tun wollen. Ich sage ganz deutlich, dass es sich bei diesem Fonds um einen Kompromiss handelt, zu dem man, ausgehend von unterschiedlichen Ideen, gefunden hat,

wie es in der Demokratie üblich ist. Es ist natürlich schwierig, eine sachgerechte Lösung herbeizuführen. Nun aber so zu tun, als wäre die Finanzierung dann gewährleistet und als wären die Beiträge für die Krankenkassen stabiler oder möglicherweise sogar geringer, wenn man den Gesundheitsfonds schlichtweg streicht, ist fahrlässig.

Wir lehnen Ihren Antrag heute hier nicht ab. Wir möchten nicht, dass Sie draußen dann damit argumentieren, dass die SPD den Antrag abgelehnt hat, und sagen, die SPD sei an einer weiteren Debatte nicht interessiert. Sie werden im Ausschuss zur Aussprache aufgefordert sein; dann werden wir entsprechende Fragen an Sie richten. Wir werden Sie fragen, welche Alternativlösungen Sie haben und wie Sie gewährleisten wollen, dass die Beiträge stabil bleiben oder zukünftig möglicherweise sogar sinken.

Die Debatte wurde meines Erachtens hier sehr undifferenziert geführt. Angesichts der Komplexität des Themas halte ich Ihre Darstellung für etwas vereinfacht. Das ist nicht in Ordnung. Schade, dass die Zuhörer jetzt nicht mehr anwesend sind. Ich glaube, wir müssen den Menschen deutlich machen, dass Sie die Debatte im Moment auf den Fonds reduzieren. Alles andere lassen Sie weg. Ich finde, das ist unredlich.

(Beifall bei SPD und CDU)

Zu einem weiteren Kurzbeitrag hat Frau Abgeordnete Ursula Sassen das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich denke, wenn wir verantwortlich mit dieser Debatte umgehen wollen, ist es an der Zeit, dass nicht einfach in der Form polarisiert wird, dass gesagt wird: Der Gesundheitsfonds muss weg. Vielmehr müssen wir uns auch einmal Gedanken darüber machen, wie wir damit umgehen, wenn der Gesundheitsfonds kommt. Das ist auch der Grund dafür, warum wir sagen, wir sollten uns im Ausschuss noch einmal darüber unterhalten. Dies ist nötig, damit wir auf das, was kommt, vorbereitet sind. Wir sollten auf diesem Wege unsere Gedanken einbringen, und zwar in Orientierung an Folgen für die Länder und speziell Folgen für Schleswig-Holstein.

Man kann wirklich darüber streiten, ob man den vorliegenden Antrag nicht ablehnen müsste.

(Dr. Heiner Garg)

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP] - Dr. Heiner Garg [FDP]: Lehnen Sie ihn ab!)

Da bin ich voll d’accord, und zwar aus folgendem Grunde. Die von Ihnen hier gegebene Begründung dafür, dass der Gesundheitsfonds abgeschafft werden müsste, ist nicht stichhaltig. Zur Begründung müsste schon ein bisschen mehr gesagt werden. Vor allen Dingen müsste ein Gegenvorschlag unterbreitet werden. Einen solchen gibt es bisher aber nicht. Ich mache daher den Vorschlag: Diskutieren wir über den Fonds - ob wir ihn nun lieben oder nicht -, diskutieren wir darüber, wie wir, wenn der Fonds kommt, ein Programm für uns entwickeln können, das für uns und für Schleswig-Holstein einen vernünftigen und für das Land möglichst unschädlichen Umgang mit dem Fonds ermöglicht.

Zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Herr Abgeordnete Martin Kayenburg das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Gesundheitsreform werde ich mich nicht äußern.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Meine Position zum Gesundheitsfonds brauche ich nicht zu wiederholen. Ich habe sie hier schon einmal deutlich gemacht. Wenn der Ausschuss aber ohnehin darüber beraten wird, kann die Regierung hier und heute oder vielleicht auch im Ausschuss ein paar Fragen beantworten, die sich mir aufdrängen. Die erste Frage wäre, warum der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesversicherungsamt zurückgetreten ist.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lag es daran, dass das Umverteilungsvolumen insgesamt zu groß wurde, dass zu viel in den RSA hineingepackt wurde, oder gab es eine grundsätzliche Dissonanz zwischen dem Ministerium und dem Wissenschaftlichen Beirat oder dem Bundesversicherungsamt? Es stellt sich wirklich die Frage: Überfrachten wir den RSA, wenn Diabetes mellitus oder gar Schwangerschaft plötzlich als Krankheiten betrachtet werden? Das müssen wir einmal hinterfragen.

Ein zweiter Punkt. Die Regierung hat auf eine Anfrage des Abgeordneten Garg geantwortet, dass die

gesetzlichen Krankenkassen zumindest in Schleswig-Holstein nicht insolvenzfähig seien, weil entsprechende Regelungen aus dem Landesverwaltungsgesetz dieses verhinderten. Dies will ich zunächst einmal so stehen lassen. Es stellt sich aber die Frage, warum dann im Bundesrat darüber verhandelt wird, dass diese Insolvenzfähigkeit noch einmal gesondert festgeschrieben wird. Ist das nicht so sicher? Ist es doch sicher? Was steckt eigentlich dahinter? Die Frage 2 b) wäre dann: Liegt es etwa daran, dass die hohen Schulden aufgrund der Pensionsverpflichtungen, die bei den gesetzlichen Kassen nirgendwo ausgewiesen sind, jetzt plötzlich aus den Verwaltungskosten des Gesundheitsfonds zu zahlen sind? Dies frage ich ganz konkret.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Im Klartext würde das bedeuten, dass die Versicherten für die nicht vorhandene Vorsorge bei der einen oder anderen Kasse aufzukommen haben, was dann natürlich zu einer Erhöhung der Beiträge führen wird.

Ich habe in der Debatte eben - drittens - gehört, dass 4 Milliarden € aus Steuermitteln aufzubringen seien. Angesichts dessen frage ich mich, wann der Bund sagen wird: Eigentlich ist das keine Sache, die der Steuerzahler zu vertreten hat. Dies müssen die Versicherten tragen. - Die weitere Entwicklung kann man sich dann vorstellen. Vielleicht kann die Landesregierung ja etwas über die erwartete Entwicklung der Versicherungsbeiträge nach Einrichtung des Fonds sagen.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Viertens würde mich wirklich interessieren, welche zusätzlichen Belastungen auf schleswig-holsteinische Versicherte zukommen, wenn die süddeutschen Bundesländer - wovon ja auszugehen ist - an der Konvergenzklausel festhalten. Das würde bedeuten, dass wir für bessere, teurere Leistungen in Süddeutschland zu zahlen hätten. Dies kann ich vor dem Hintergrund der Föderalismusdebatte, wie sie in Bayern geführt wird, überhaupt nicht mehr verstehen.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

(Ursula Sassen)

Für die Landesregierung hat nun die Gesundheitsministerin Frau Dr. Gitta Trauernicht das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Abgeordneter, Ihre Fragen haben deutlich gemacht, dass Sie von der Materie sehr viel verstehen. Das sage ich auch mit Blick auf die allgemeine Diskussion unter dem Motto „Gesundheitsfonds stoppen“. Es sind grundlegende, vielfältige, sehr differenzierte Fragen zu stellen und Antworten zu geben. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie bei der Behandlung des Antrages im Ausschuss anwesend wären. Denn der Antrag wird ja in den Ausschuss überwiesen werden, wo wir ihn umfassend beraten können. Im Übrigen sind Kleine Anfragen an uns auch sehr gut, weil wir dann in gebotener Weise und großem Umfang schriftlich auf Ihre Fragen antworten können. Wir beschäftigen uns nämlich zurzeit mit all diesen Themen.

Zunächst will ich sagen: In der Opposition kann man sich immer eine Extraportion Fundamentalismus leisten. Insbesondere in der Gesundheitsversorgung, die ja vielfältigen Interessen und sachlichen Anforderungen Rechnung zu tragen hat, erhöht sie jedenfalls die Sprechfähigkeit allgemein, allerdings zulasten der Komplexität und der Sachlichkeit.

Es ist schon gesagt worden: Regierungen wollen gestalten und müssen dabei auch schwierige Kompromisse eingehen. Die zukünftige Finanzierungsstruktur der gesetzlichen Krankenversicherung war bekanntlich ein solcher Kompromiss. Er hat wie viele Kompromisse Vorzüge, aber ohne Zweifel auch Nachteile.

Meine früh geäußerte Skepsis gegen das GKVWettbewerbsstärkungsgesetz will ich gut ein Jahr nach seiner Verabschiedung nicht relativieren, aber ich will deutlich machen, dass die Annahme, heute könne die Reißleine gezogen werden, vor dem Hintergrund durchaus bemerkenswert ist, dass dieser Gesundheitsfonds, obwohl er kein Selbstgänger war und kritisch diskutiert wurde, von der großen Mehrheit des Bundestages beschlossen wurde und Gesetz geworden ist. Dieses kann durch eine Landtagsdiskussion und einen Landtagsbeschluss nicht außer Kraft gesetzt werden.

Nun komme ich zum nächsten Thema. Einfluss können wir allerdings noch nehmen, weil die Bun

desregierung noch eine Vorlage zur Umsetzung der Konvergenzklausel vorlegen muss. Im Hinblick hierauf werden wir selbstverständlich die Interessen des Landes Schleswig-Holstein wahrnehmen. Es könnte gut sein, dass die Umsetzung dieser Konvergenzklausel am Widerstand der meisten Länder scheitern wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, man kann über die Frage: Gesundheitsfonds - ja oder nein? streiten; aber es kommt auch auf die Ausgestaltung des Gesundheitsfonds an. Dieser Fonds muss noch gestaltet werden, zum Beispiel weil der für Zuweisungen aus dem Fonds an die Kassen unabdingbare morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich fachlich nach Krankheiten konkretisiert, gesundheitsökonomisch gerechnet und auf viele sonstige Wirkungen abgeklopft werden muss. Über die Frage der Anzahl der Krankheiten und über die Frage, welche Krankheiten hier einfließen sollten, ist politisch im Bundestag intensiv gestritten worden. Leider war gerade Ihre Fraktion dagegen, dass möglichst viele Krankheiten diesem RSA zugrunde gelegt werden, was nun natürlich zu Konsequenzen und zu Problemen führt.

Gerade dieser „Morbi-RSA“, wenn er denn gelingt - zurzeit wird an ihm gearbeitet -, soll sicherstellen, dass Krankenkassen mit vielen schlechten Risiken keinen selektiven Wettbewerb auf Kosten der Versicherten führen müssen. Dies dürfen wir nicht zulassen, denn so würden Patienten stigmatisiert und Versicherte würden ausgegrenzt.

Schauen wir und die gesamte Debatte an, so ist es aber auch kein Wunder, dass sich gerade Kassen mit guten Risiken an der Spitze der Bewegung gegen den Gesundheitsfonds befinden. Das ist plausibel. Sie haben eben nicht so viele multimorbide und ältere Versicherte mit niedrigem Einkommen und niedrigen Beiträgen wie andere Kassen, zum Beispiel die AOK. Der Weg zu diesem Mehr an Solidarität, auch kassenübergreifend, durch einen bundesweit für alle einheitlichen Beitrag, ist deswegen noch mühsamer geworden, weil auf politischen Druck aus Bayern eine, wie auch ich finde, systemwidrige Umverteilungsklausel, die Konvergenzklausel, in den Kompromiss, hineinverhandelt worden ist. Hier hat es einen Kompromiss gegeben, der nicht umsetzbar ist. Herr Abgeordneter, das Bundesversicherungsamt und vor allem die Gutachter haben haben festgestellt, dass die Konvergenzklausel, so wie sie im Gesetz steht, nicht umsetzbar ist. Auf dieser Basis kann es nicht gehen.

Wir alle wissen, dass die Interessen Bayerns nicht gesundheitspolitischer Natur waren. Es waren - ich

sage einmal: - die typisch bayrischen Gründe, die wir kennen. Wir haben immer gesagt, dass wir uns gegen den Egoismus der süddeutschen Länder zu wehren wissen.

Auch die Wirkung einer solchen Konvergenzklausel muss spitz gerechnet werden, gerade weil wir da bin ich völlig mit Ihnen einig - nicht zulasten unserer Versorgungs- und Kostenstruktur in Schleswig-Holstein Münchner Facharztumsätze oder Stuttgarter Krankenhauskosten quasi zu Höchstpreisen finanzieren wollen. Dieses Petitum haben wir im Kabinett sehr früh als Basis für unsere Zustimmung nach Berlin signalisiert, kommuniziert, und wir werden auch weiterhin darauf achten.

Last, but not least, sind Sie, Herr Dr. Garg, doch Politiker genug, um zu bewerten, was die Rücknahme eines Kompromisses für die zwei gewichtigen Damen, für die politischen Spitzen einer Koalition, zuförderst für die Kanzlerin, die an diesem Kompromiss mitgearbeitet hat, bedeuten würde.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Der Zeitpunkt, zu dem wir zu einer Gesamtbewertung kommen können, ist noch nicht gekommen. Wir brauchen ein verlässliches, ein gerechteres, ein belastbares und kommunizierbares Zahlen- und Regelwerk. Wir sollten also nicht schon scharf schießen, wenn wir noch gar keine Konturen einer Zielgröße ausmachen können. Dies hat Frau Sassen bereits sehr deutlich gemacht. Das wird sich frühestens ab Ende August abzeichnen.

In Berlin wird geplant, gerechnet, begutachtet und so weiter. Wir beobachten dies unter Wahrung der Interessen schleswig-holsteinischer Versicherter und mischen uns ein. Für die Landesregierung bleibt es bei der Zustimmung im Bundesrat, solange dies den Landesinteressen nicht erkennbar schadet und sinnwidrig ist.

Nochmals: Zweifel waren und sind immer erlaubt. Politik bedeutet aber auch Verantwortung und Kompromissfähigkeit, bedeutet auch, glatter Lobby zu widerstehen. Das sollte das Hohe Haus bei der Beratung dieses Antrags bedenken.

(Beifall bei der SPD)

Ich danke der Frau Ministerin. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.