Protokoll der Sitzung vom 23.04.2008

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Tribüne begrüßen wir recht herzlich Schülerinnen und Schüler des Friedrich-Schiller-Gymnasiums aus Preetz mit ihren Lehrkräften. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Für die Fraktion der FDP hat nun der Herr Abgeordnete Dr. Heiner Garg das Wort.

Frau Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Gesetz zur Weiterentwicklung und Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen in Schleswig-Holstein wurde am 21. November 2007 in zweiter Lesung verabschiedet. Am 1. April 2008 ist es in Kraft getreten.

Jetzt legen die Koalitionsfraktionen ein Änderungsgesetz nach. Die Vorstellung von Union und SPD ist, durch eine entsprechende Änderung des Haushaltsgesetzes 2007/2008 quasi durch die Hintertür die notwendigen Mittel für die Umsetzung des Kinderschutzgesetzes bereitzustellen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist aus unserer Sicht nicht so einfach. Sie weisen zwar immer wieder darauf hin, dass Ihre Mehrheit im Parlament groß ist, aber ein Blick in die Landesverfassung hätte gut getan. Es erleichtert zumindest die Rechtsfindung.

Artikel 54 der Landesverfassung ist an dieser Stelle aus unserer Sicht eindeutig. Ich zitiere:

(Siegrid Tenor-Alschausky)

„Beschließt der Landtag Maßnahmen, die Kosten verursachen, so ist gleichzeitig für die notwendige Deckung zu sorgen.“

Das bedeutet nichts anderes, als dass spätestens mit Inkrafttreten eines Gesetzes die Finanzierung geregelt sein muss. Das war jedoch beim Kinderschutzgesetz am 1. April 2008 offensichtlich nicht der Fall. Und dass dies nicht der Fall war, dokumentieren Union und SPD mit dem vorliegenden Änderungsgesetz ganz offiziell.

Der heute vorgelegte Gesetzentwurf dokumentiert also, dass eine Finanzierung bisher nicht gesichert war.

Die Folge ist, dass gegen dieses jetzt in Kraft befindliche Gesetz jederzeit im Rahmen einer Normenkontrollklage vorgegangen werden kann und der Erfolg einer solchen Klage bereits vorprogrammiert ist.

Die Frage, die sich jetzt stellt, ist folgende: Kann dieser Umstand durch den jetzt vorgelegten Entwurf der Großen Koalition geheilt werden? - Nein. Weder durch diesen Gesetzentwurf, der letztlich nichts anderes als ein Nachtragshaushalt ist, noch durch einen regulären Nachtragshaushalt kann dies gelingen. „Gleichzeitig“, liebe Kolleginnen und Kollegen, heißt nach Artikel 54 der Landesverfassung nichts anderes, als dass spätestens mit dem Inkrafttreten des Gesetzes die Finanzierung geregelt sein muss.

Welche Möglichkeit gibt es aber dann, um diese Rechtsunsicherheit zu beseitigen? Wie können wir noch in dieser Tagung zu einer verfassungskonformen Lösung kommen? - Unser Vorschlag hierzu lautet, das Gesetz zur Weiterentwicklung und Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen rückwirkend zum 1. April aufzuheben und neu einzubringen, allerdings ergänzt um die Finanzierungsregelungen.

Mit einer rückwirkenden Inkraftsetzung des dann neu zu verabschiedenden Gesetzes kann das Kinderschutzgesetz endlich Wirkung für SchleswigHolstein entfalten und eine permanente Rechtsunsicherheit würde beseitigt. Nach unserer Ansicht ist eine rückwirkende Regelung auch deshalb möglich, weil sich für die Kreise und kreisfreien Städte inhaltlich nichts ändert.

Eine verfassungsmäßige Lösung entbindet die Große Koalition nicht von der Antwort auf die Frage, warum erst nach Inkrafttreten des Gesetzes Finanzierungsregelungen getroffen worden sind. Immerhin debattieren wir seit Januar 2006 dieses The

ma auf der Basis eines Ursprungsantrages der Grünen zur Änderung des Gesundheitsdienstgesetzes.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Vorwürfe der Kommunen, dass ihnen für die Umsetzung die notwendigen Mittel fehlen würden, begegnet Ministerin Trauernicht damit, dass die Kreise und kreisfreien Städte auch ohne das neue Gesetz verpflichtet wären, sich um die betreffenden Kinder zu kümmern. Tatsächlich sind alle Regelungen des Kinderschutzgesetzes mit Ausnahme der Regelungen im Gesundheitsdienstgesetz bereits im SGB VIII niedergelegt. Insofern frage ich mich, warum wir nicht bereits vor zwei Jahren den grünen Gesetzentwurf verabschiedet haben.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Gute Frage!)

Sie werden lediglich auf Landesrecht heruntergebrochen und da lohnt sich ein Gespräch mit den von Frau Franzen angesprochenen Jugendämtern. Diese sagen nämlich klipp und klar: Das Einzige, was sich substanziell geändert hat, sind die Änderungen im Gesundheitsdienstgesetz. Alles andere ändert in der praktischen Arbeit vor Ort gar nichts.

Es lohnt sich allerdings ein Blick auf die Finanzierungsvorschläge. Diese entpuppen sich dann nämlich als bloße Umschichtung. An der einen Stelle wird den Kommunen etwas weggenommen, um es ihnen an anderer Stelle unter einer neuen Überschrift wiederzugeben. Ich will nur ein paar Stichworte liefern. Insgesamt reden wird da, wo es sich ausschließlich um Umschichtungen handelt, um über eine halbe Million €. Da sind Kosten für Fortbildungsmaßnahmen, die das Land als überörtlicher Träger der Jugendhilfe für die Mitarbeiter durchführt, inbegriffen. Es geht um Zuschüsse zu Projekten der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit. Es geht vor allem - das sind 414.000 € - um Zuweisungen für präventive Maßnahmen, örtlicher Jugendhilfeträger.

(Beifall bei FDP und SSW)

Ich frage Sie im Ernst, Frau Ministerin Trauernicht: Brauchen Sie die wirklich nicht?

Vor diesem Hintergrund habe ich erhebliche Zweifel daran, ob es wirklich sinnvoll ist, alles so zu belassen, wie es ist, also einfach den Änderungsantrag der Großen Koalition in erster und zweiter Lesung durchzupeitschen. Ich schlage vor, wir unterhalten uns im Finanzausschuss ernsthaft über die Schaffung eines Artikelgesetzes, Artikel 1: Außerkraftsetzen, Artikel 2: den Gesetzeswortlaut wieder einbringen, Artikel 3: Änderung des Haushaltsgesetz

(Dr. Heiner Garg)

tes, Artikel 4: neues Inkrafttreten rückwirkend zum 1. April 2008.

(Beifall bei der FDP - Holger Astrup [SPD]: Gut erklärt, Herr Kollege!)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Frau Abgeordnete Monika Heinold das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich ein bisschen über die Redebeiträge der CDU und der SPD gewundert. Es geht hier gar nicht inhaltlich um das Kinderschutzgesetz. Darüber haben Sie alle lange diskutiert. Sie haben zwei Jahre dafür gebraucht. Es geht vielmehr darum, dass 23 Tage nach Inkrafttreten des Gesetzes die CDU und die SPD sagen: Halt, stopp, wir haben die Finanzierung vergessen, wir machen hier schnell noch einmal einen Finanzierungsvorschlag! Der Landtag wird mal eben damit konfrontiert, dass mehrere Haushaltsstellen umgeschichtet werden sollen.

CDU und SPD haben bis hinters Komma fein durchleuchtet, anscheinend eigenständig, wo das Ministerium Gelder nicht mehr braucht und diese umgeschichtet werden können. Ich sage: Respekt vor Ihrer Haushaltskenntnis, meine Damen und Herren! Respekt! Im Finanzausschuss gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder sagen uns CDU und SPD als Fraktionen, warum an diesen Stellen gekürzt werden kann,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

was die Folge ist, was die Betroffenen dazu sagen, die bisher von den Mitteln profitieren - das wäre ein normales Haushaltsverfahren

(Anke Spoorendonk [SSW]: Richtig!)

oder, falls Sie doch nicht so ganz genau wissen, was Sie da aufgeschrieben haben, ist meine herzliche Bitte präventiv an die Sozialministerin, dass sie diese Fragen dort ausführlich und schriftlich beantwortet.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Meine Fraktion ist nicht bereit, mal eben 1 Million € umzuschichten, ohne zu wissen, was für eine Wirkung das in der Jugendhilfe hat. Ich glaube, so ein Hoppla-Hopp-Verfahren ist der Situation auch nicht angemessen. Deshalb sage ich in aller Deut

lichkeit: Ich erwarte eine ordentliche Ausschussberatung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Ich erwarte, dass es zum Ausschuss eine schriftliche Vorlage gibt, entweder von den Regierungsfraktionen oder von der Landesregierung - das ist mir wurscht -, in der detailliert dargestellt wird: Wie ist der Iststand der Haushaltstitel, aus denen das Geld genommen wird, und wie ist die Begründung für die Umschichtung und für die Kürzung? Wenn Sie uns dies vorgelegt haben, werden wir darüber entscheiden, ob wir das mittragen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Für die Abgeordneten des SSW erteile ich dem Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrte Damen und Herren! Die Große Koalition hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der den Schutz von Kindern und Jugendlichen weiter verbessern soll. Dass die Kinder und Jugendlichen angesichts der rasanten Zunahme von Armut in unserer Gesellschaft Unterstützung und Förderung bedürfen, ist für uns alle völlig unbestritten.

Die Landesregierung hat sich ein ehrgeiziges und hohes Ziel gesetzt, nämlich die Kinder- und Jugendförderung neu zu organisieren. Der SSW unterstützt dieses Vorhaben, hat aber auch schon gefordert, dass dieser Schutz finanziell unterfüttert werden muss, damit auch wirklich geholfen werden kann. Der Staat muss in zunehmendem Maße Defizite ausgleichen, wobei Prävention und Frühförderung eine besondere Bedeutung zukommen. Informierte Eltern, die wissen, an wen sie sich bei auftretenden Problemen im Unterstützungsnetzwerk wenden müssen, erhalten sicherlich schneller Hilfe als nichtinformierte Eltern.

Je früher die Unterstützung einsetzt, desto nachhaltiger kann sie sein. Es ist zum Beispiel mehrmals auf die enorme Bedeutung der Erkennung von Schwerhörigkeit bei Kleinkindern und Säuglingen hingewiesen worden. Ihre Integrationschancen erhöhen sich, wenn das Handicap möglichst früh erkannt wird. Die dreiviertel Million €, die der Titel hier vorsieht, sind im wahrsten Sinne des Wortes gut angelegt. Allerdings kann ich die Überrollung

(Dr. Heiner Garg)

nicht nachvollziehen. Ich glaube, in den Haushaltsberatungen werden wir nachlegen müssen.

Die Gegenfinanzierungsvorschläge im Gesetzentwurf sehen die Kürzung bei den Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz und bei den Ausgaben, die im Rahmen der atomrechtlichen Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren entstehen, vor. Hier müssen wir wissen, ob hier wirklich überschüssige Mittel zur Verfügung stehen. Außerdem werden Mittel zur Bekämpfung von Volkskrankheiten und anderen Krankheiten eingesetzt. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Wir sparen da unter anderem bei der AIDS-Prävention, um das Geld bei der Kleinkindprävention auszugeben. Als Sozialpolitiker bin ich besorgt darüber, dass es entweder der Sozialministerin nicht gelingt, für einen geordneten Mittelabfluss bei der AIDS-Aufklärung zu sorgen, die wir alle beschlossen haben, oder aber die Große Koalition wirklich bewusst weniger Geld als benötigt hierfür aufwenden will. Beide Schlussfolgerungen wären für die Betroffenen fatal. Gerade vor ein paar Tagen meldete das Robert-Koch-Institut in Berlin nämlich einen neuen Höchststand von AIDS-Neuinfektionen. Die Zahl der Erstdiagnosen stieg 2007 um 4 %, so viel wie noch nie seit Beginn der Erfassung im Jahr 1993. Deshalb kann man gerade hier nicht sparen.

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich also noch erheblicher Beratungsbedarf.

(Beifall beim SSW)

Wir müssen gründlich über den vorliegenden Antrag beraten. Beim Zusammenrechnen der Titel, um die es geht, fällt nämlich auf, dass die Ansatzverminderung, also das Einsparvolumen, höher ist als die Ansätze der Titel, die neu in der Maßnahmengruppe aufgenommen werden sollen. Ich halte es für sehr problematisch, wenn wir im Namen der Verbesserung des Kinderund Jugendschutzes letztlich eine Einsparung beschließen sollten.