Protokoll der Sitzung vom 29.05.2008

heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. Das aber ist eine falsche Gewissheit, meine ich. Scharfmacher aller Parteien kümmern sich nämlich nicht um die entscheidende Frage: Welche Linie darf auch in Zeiten der allergrößten Not nicht überschritten werden? Hinzu kommt - auch das muss noch einmal gesagt werden -, dass auch Stimmen aus dem Lager der Großen Koalition in Berlin - ich gucke absichtlich in Richtung SPD - nicht zur weiteren Beruhigung beitragen.

Der Journalist Heribert Prantl kritisiert in seinem aktuellen Buch „Der Terrorist als Gesetzgeber“, dass dem Rechtsstaat der Anker fehle, wenn immer mehr Gesetze den Kern privater Lebensgestaltung missachten würden. Genau das droht mit dem BKA-Gesetz. Wenn wir heute die Ausspähung von Wohnungen Dritter, die Online-Durchsuchung und das Protokollieren von Gesprächen von Verdächtigen mit Arzt und Geistlichem gutheißen, kappen wir die Halteleine unserer demokratischen Gesellschaft. Sollte es tatsächlich einen Terroranschlag geben, haben wir dann keinen unantastbaren Kern eines freiheitlichen Rechtsstaates mehr. Hysterie und Willkür wären die Folgen. Eingriffe in die Privatsphäre sollten also gut durchdacht sein.

Wir haben bereits zu Beginn dieser Diskussionen unmittelbar nach den Anschlägen des Jahres 2001 gefragt, ob die damals verabschiedeten Maßnahmen wirklich mehr Sicherheit bringen.

In anderen Bereichen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Evaluation von Gesetzen durchaus üblich. In der Schulpolitik, im Gesundheitswesen oder auf dem Arbeitsmarkt fragen wir uns, ob die verabschiedeten Maßnahmen wirklich den beabsichtigten Zielen dienen. Wenn nicht, dann muss man sich etwas Neues einfallen lassen. Diese vernünftige Politik - sage ich mal - vermisse ich bei der Terrorismusprävention. Da regiert die Angst. Es scheint immer nur in eine Richtung zu gehen: noch stärkere Kontrolle, noch größere Eingriffe in die Grundrechte und noch mehr Screening von uns allen.

Der SSW fordert: Auch die Sicherheitspolitik muss sich regelmäßig auf die Umsetzung der Ziele überprüfen lassen. Ich möchte ein Beispiel anführen. In der zentralen Anti-Terror-Datei werden fleißig Daten gesammelt, obwohl gar nicht klar ist, ob die zentrale Erfassung überhaupt Erfolg hat. Zunächst sollten also die bereits beschlossenen Maßnahmen auf den Prüfstand, bevor weitere Eingriffe in die Privatsphäre verabschiedet werden.

Allerdings bezweifele ich, dass das Eindringen in die Privatsphäre überhaupt die gewünschten Erfol

ge bringt. Es ist doch eher die klassische Polizeiarbeit mit Verhör und Menschenkenntnis, die in der Vergangenheit zu entscheidenden Hinweisen geführt hat.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Die Position des SSW zum BKA-Gesetz ist klar: Wir lehnen den großen Lauschangriff ab. Wir sind gegen Online-Durchsuchungen und staatliche Ausspähprogramme. Wir wollen keine nationale Abhörzentrale, weil damit Polizei und Geheimdienst letztlich miteinander verquickt werden. Wir fordern eine bessere Überwachung und die Kontrolle der Überwacher. Die steigende Zahl von abgehörten Internetgesprächen zeigt uns, dass hier wirklich mehr als Klärungsbedarf besteht.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich danke der Frau Abgeordneten Spoorendonk und erteile das Wort für die Landesregierung Herrn Innenminister Lothar Hay.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir diskutieren zurzeit also einen Referentenentwurf aus dem Bundesinnenministerium. Trotzdem gibt es natürlich einige Punkte, auf die man schon eingehen muss. Ich muss nur darauf hinweisen: Es hat auch kritische Anmerkungen aus den Reihen der SPD-Bundestagsfraktion gegeben.

Was die einzelnen Punkte des Referentenentwurfs betrifft - ich gehe kurz darauf ein -, so sind das einmal der § 4a - darin geht es um die Befugnisse des Bundeskriminalamtes -, der § 20c - Befragung und Auskunftspflicht -, der § 20h - besondere Bestimmungen über den Einsatz technischer Mittel in oder aus Wohnungen -, der § 20k - Online-Durchsuchung - und der § 20u - Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Personen.

Da wir zurzeit ja erst einen Referentenentwurf haben, können wir, so meine ich, ganz unaufgeregt diskutieren und können den Zeitpunkt abwarten, zu dem wir einen Gesetzentwurf haben, mit dem wir uns dann auch im Innen- und Rechtsausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtags beschäftigen können.

Warum debattieren wir heute darüber? Die Länder sind sich mit dem Bundesinnenminister völlig ei

(Anke Spoorendonk)

nig, dass es Situationen geben kann, in denen das Bundeskriminalamt auch Gefahrenabwehrkompetenzen benötigt. Dies hat Schleswig-Holstein zu einem sehr frühen Zeitpunkt schon positiv begleitet. Der Verfassungsgesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 - Kollege Puls hat darauf hingewiesen - in Artikel 73 Abs. 1 Nr. 9a in Verbindung mit seinem Absatz 2 des Grundgesetzes dem Bundeskriminalamt die Aufgabe der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus nur in den ausgewiesenen Fällen zugewiesen - Kollege Lehnert hat darauf hingewiesen -: Erstens in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, zweitens die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder drittens die oberste Landesbehörde um eine Übernahme der Gefahrenabwehr ersucht.

Die einfachgesetzliche Umsetzung und Ausgestaltung dieser Verfassungsvorgabe bedarf der Zustimmung des Bundesrates. Aber so weit ist es noch nicht; darüber müssen wir diskutieren, wenn wir den Gesetzentwurf in der vom Bundestag verabschiedeten Form kennen. Ob und wie die Gefahrenabwehrbefugnisse des Bundeskriminalamtes ausgestaltet sein sollten, ist ein Thema, das im April auch die Medien erreicht hat.

Zur Online-Durchsuchung gemäß § 20k des Entwurfs: Die Innenminister der Länder haben sich im April auf ihrer Fachkonferenz lediglich auf das Ob, aber noch nicht auf das Wie geeinigt.

Zur optischen und akustischen Wohnraumüberwachung mit technischen Mitteln in § 20h des Entwurfes bildet der Entwurf des Bundeskriminalamtsgesetzes nur nach, was in Länderpolizeigesetzen in Schleswig-Holstein in § 185 Abs. 3 des Landesverwaltungsgesetzes - bereits seit Jahren der Polizei zur Gefahrenabwehr verfassungskonform und praxisbewährt zur Verfügung gestellt wird.

Zum Schutz der besonders zeugnisverweigerungsberechtigten Personen in § 20u des Entwurfes: Darüber müssen wir in der Tat intensiv diskutieren. Der Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Personen muss nach meiner Auffassung für alle in den §§ 53 und 53a Strafprozessordnung genannten Berufsgruppen gelten.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich aber auch auf die zentrale Vorschrift des Gesetzentwurfs hinsichtlich der Kompetenzabgrenzung für das Bundeskriminalamt eingehen. Ich habe erhebliche Zweifel, ob die im Entwurf gefundene einfachge

setzliche Umsetzung in § 4 a Abs. 1 Satz 1 auch der Verfassungsvorgabe des Artikels 73 Abs. 1 Nr. 9 a des Grundgesetzes entspricht. Begrüßenswert ist die nun herausgestellte Benehmensregelung. Es bleibt jedoch dabei, dass der aktuelle Entwurf dem Bundeskriminalamt eine weitere Zuständigkeit gibt, die neben die Länderzuständigkeit tritt. Bei einer internationalen Terrorismusgefahr entstünde im Verhältnis der Sicherheitsbehörden eine doppelte Führung. Auf normativer Ebene wird so die im Tatsächlichen sicherlich bestens funktionierende Zusammenarbeit zwischen dem Bundeskriminalamt und den Polizeibehörden der Länder bei der Abwehr der Gefahren des internationalen Terrorismus, wie wir sie aus dem Bereich der Strafverfolgung als Selbstverständlichkeit kennen, behindert.

Es gilt jedoch, die von uns allen zu erwartende gute Zusammenarbeit bei der Abwehr der Gefahren des internationalen Terrorismus durch klare Normen zu unterstützen.

(Beifall der Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP] und Karl-Martin Hentschel [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Dazu haben die SPD-Minister am 12. November 2007 - also vor Beginn meiner Amtszeit - dem Bundesinnenminister einen Entwurf zugeleitet. Der aktuelle Entwurf aus dem Hause Schäuble geht darauf leider nicht ein. Er geht auch nicht auf unseren Vorschlag ein, den Begriff der nicht lokalisierbaren Gefahr auch für die Fälle klarzustellen, bei denen der räumliche Anknüpfungspunkt dem BKA zwar bekannt ist, die Information aber aus Gründen des Quellenschutzes nicht an die Landespolizei weitergegeben werden darf. Die Verfassung spricht hier von einer nicht erkennbaren Zuständigkeit einer Landesbehörde. Problematisch ist dabei die Straftatenverhütungskompetenz bei allen terroristischen Straftaten weit im Vorfeld einer konkreten Gefahr. Dieser weite Rahmen sprengt aus meiner Sicht die Verfassungsvorgabe des Artikels 73 Abs. 1 Nr. 9a Grundgesetz.

(Beifall bei der FDP)

Sogar den tatsächlichen Sachbedarf sehe ich angesichts gut funktionierender Länderpolizeiarbeit nicht. Ich freue mich auf eine Debatte im Ausschuss.

(Beifall im ganzen Haus)

Ich danke dem Herrn Innenminister. Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 16/2053 an

(Minister Lothar Hay)

den Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Das ist einstimmig so beschlossen.

In einer geschäftsleitenden Bemerkung gebe ich dem Plenum bekannt, dass sich die Fraktionen darauf geeinigt haben, Tagesordnungspunkt 38 ohne Aussprache an den Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:

Errichtung einer Landesopferschutzstiftung

Antrag der Fraktionen von CDU und SPD Drucksache 16/2058

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Mit dem Antrag wird ein mündlicher Bericht in dieser Tagung erbeten. Wer möchte diesen Bericht hören? Ich bitte Sie um Ihr Handzeichen. - Ich bitte den Minister für Justiz, Arbeit und Europa, Herrn Uwe Döring, diesen Bericht zu geben.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es kann uns alle treffen, Opfer einer Straftat zu werden. Wir wissen von den Betroffenen, wie schwierig das ist und wie viele Belastungen und Ängste sich daraus ergeben. Wir sind uns als Landesregierung dieser Tatsachen bewusst. Wir sind uns auch der Verantwortung bewusst, die sich daraus ergibt. Deshalb wird der Opferschutz von uns aktiv und konsequent betrieben. Wir wollen ihn auch entsprechend ausbauen.

Wir haben Ihnen am 15. November 2006 im Rahmen des zweiten Opferschutzberichts ausführlich berichtet. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon gesagt, dass wir uns zur Verbesserung vorstellen können, eine Stiftung aus Landesmitteln zu errichten, um den Opferschutz entsprechend zu verbessern und zu begleiten. Ähnlich wie in den Bundesländern Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen kommt für uns die Gründung einer Landesstiftung Opferschutz Schleswig-Holstein in Betracht. Durch diese Stiftung soll Opfern von Straftaten geholfen werden, die von anderer Seite keine Hilfe erhalten. Das heißt, die Stiftung soll nur dann tätig werden, wenn die Geschädigten allein stehen und aus ihrer finanziellen Not keinen Ausweg finden und wenn sie auch keine anderen Ansprüche auf Entschädigung - beispielsweise aus dem Opferentschädigungsgesetz - haben.

Diese von der Landesregierung angestrebte individuelle Opferhilfe ist - so denke ich - praktizierter Opferschutz. Diese Hilfe berührt nicht die Tätigkeit anderer Stiftungen oder anderer in diesem Bereich tätigen Verbände. Die Erfahrungen aus anderen Ländern sind positiv. Die steigenden Antragszahlen in anderen Bundesländern zeigen, dass es notwendig ist, so etwas zu machen. Ich habe den Innenund Rechtsausschuss am 13. Februar 2008 durch ein Eckwertepapier entsprechend unterrichtet, das wir im Ministerium erarbeitet haben. Die wesentlichen Punkte sind: Der Stiftungszweck ist die Hilfe für Opfer von Straftaten.

Dabei ist zu bemerken: Wir wollen nicht, dass der Täter in irgendeiner Weise bei der Wiedergutmachung entlastet wird. Vielmehr soll das eine Hilfe für die Opfer sein, indem Opfer von Gewalttaten individuelle Unterstützung erhalten. Angestrebt ist auch die Weitergabe von finanziellen Mitteln an gemeinnützige Stiftungen, die ihrerseits Opfer unterstützen. Auch dies soll möglich sein. Die Stiftung soll gemeinnützig sein. Sie soll als rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts gegründet werden. Wir stellen uns ein Stiftungsvermögen in der Höhe von 1,5 Millionen € vor, damit vernünftig gearbeitet werden kann.

Um dieses Eckpunktepapier mit Leben zu erfüllen, haben wir mit den Ländern Verbindung aufgenommen, die bereits solche Stiftung eingerichtet haben. Wir sind so weit, um die Umsetzung in Angriff nehmen zu können. Wir haben auch mit Vertretern des Weißen Rings und anderer Organisationen gesprochen, die in diesem Bereich tätig sind. Wir beabsichtigen hier keine Konkurrenz. Im Gegenteil, wir wollen mithelfen. Wir wollen auch vorsehen, dass in den Gremien einer solchen neuen Stiftung auch Vertreter dieser Organisationen vertreten sind. Dies gilt insbesondere für Vertreter des Weißen Rings. Wir wollen auch nicht in die Fläche gehen. Es soll sich dabei um ein Vermögen handeln, das ausgeschüttet werden kann und bei dem die Erträge entsprechenden Zwecken dienen.

Zunächst brauchen wir die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen. Hier sind wir mit dem Kollegen Wiegard im Gespräch. Ich möchte keine neuen Risiken für den Haushalt 2008/2009. Es gibt hier verschiedene Wege. Die Entscheidung ist noch nicht gefallen, ob wir schrittweise vorgehen und beispielsweise durch Gewinnabschöpfungen aufstocken oder ob wir auf andere Weise ermöglichen, 1,5 Millionen € auf einen Schlag bereitzustellen, um das Ganze sehr schnell umsetzen zu können. Auch hier werde ich Vorschläge machen, die keine

(Vizepräsidentin Frauke Tengler)

zusätzlichen Haushaltsbelastungen beinhalten. Wir könnten dann in Abstimmung mit dem Innenminister erreichen, dass zum Jahresende mit dem Inkrafttreten des Haushalts auch die Stiftung errichtet werden kann. Es wäre dann möglich, dass aus den Erträgen Ende 2009 erste Hilfen geleistet werden können. Auch dann, wenn diese Stiftung nur nachrangige finanzielle Hilfen an Opfer leistet, ist dies eine sehr wichtige Aufgabe. Der Staat sollte sich dieser Aufgabe auch angesichts knapper Mittel nicht verschließen. Ich bitte um die Zustimmung des Hauses und um Ihre Unterstützung, um dies gemeinsam auf den Weg zu bringen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich bedanke mich bei Herrn Minister Döring. Ich eröffne die Aussprache. Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Peter Lehnert das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der von der CDU-Fraktion bereits mehrfach eingebrachten Forderung nach Einrichtung einer Opferschutz-Stiftung in Schleswig-Holstein wollen wir den betroffenen Menschen in unserem Land helfen.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Mit dem heute vorliegenden Berichtsantrag verfolgen wir die Absicht, wichtige Grundlagen für die konkrete Umsetzung dieses Zieles zu erhalten und damit auch ein Signal für mehr Schutz und Hilfe zugunsten der Opfer von Straftaten zu setzen.