Protokoll der Sitzung vom 29.05.2008

Mit dem heute vorliegenden Berichtsantrag verfolgen wir die Absicht, wichtige Grundlagen für die konkrete Umsetzung dieses Zieles zu erhalten und damit auch ein Signal für mehr Schutz und Hilfe zugunsten der Opfer von Straftaten zu setzen.

Kern dieser Initiative ist die Gründung einer Stiftung Opferschutz, die auf vergleichbare Weise in einigen anderen Bundesländern bereits erfolgreich arbeitet. Opferschutz setzt Normen und Regeln voraus, die helfen, Straftaten zu vermeiden. Dort, wo dies nicht gelingt, helfen sie die Opfer möglichst effektiv zu schützen. Auch auf Bundesebene hat es in den vergangenen Jahren in diesem Bereich deutliche Fortschritte gegeben. Stichworte dazu sind das Opferschutzgesetz, das Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, das Jugendschutzgesetz und die Stärkung des Opferanwalts. Kein Gesetz verändert allerdings von allein die Situation der Opfer von Straftaten. Hinzukommen muss die praktische Hilfe. Wir benötigen dabei noch mehr als bisher ein opferorientiertes Bewusstsein in der öffent

lichen Diskussion. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich Opfer lediglich als Objekt und als Beweismittel zur Überführung des Täters im Strafverfahren sehen. Anschließend bleibt der Betroffene mit seinen Sorgen und Ängsten oft sich selbst überlassen. In einer solchen Situation ist der Staat zum Handeln aufgerufen, um im Strafverfahren auch die Menschenwürde des Opfers in den Vordergrund zu stellen.

Vielfach sind Organisationen wie der Weiße Ring und andere Einrichtungen die einzigen Anlaufstellen, die konkrete Hilfen anbieten. Seit einigen Jahren haben Politik, Strafrechtspflege und Rechtswissenschaft damit begonnen, dem Opfer einer Straftat - insbesondere bei Gewaltdelikten - auch im Strafverfahren verstärkte Aufmerksamkeit zu widmen. So haben der Gesetzgeber und die verschiedenen politischen Ebenen mittlerweile Reformen und Programme entwickelt und umgesetzt, um die rechtliche Situation von Opfern in Strafverfahren zu verbessern, um die gesellschaftliche und institutionelle Sensibilisierung für die Belange von Opfern zu intensivieren und um auch in ihrem Interesse präventiv tätig zu werden.

Die Fortentwicklung der gesetzlichen Rahmenbedingungen hat zu einer stetigen und umfassenden Verbesserung der Situation von Opfern in Strafverfahren geführt. Dabei wurden viele Anliegen von Opferschutzverbänden aufgegriffen. In diesem Zusammenhang gilt es, den ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Weißen Ringes und der anderen Opferschutzeinrichtungen in unserem Land zu danken. Neben unzähligen Stunden für die Beratung und Betreuung von Kriminalitätsopfern wurden bisher in Deutschland allein vom Weißen Ring fast 100 Millionen € für materielle Leistungen zur Verfügung gestellt.

Finanzielle Unterstützung, auch die des Staats aufgrund des Opferentschädigungsgesetzes, ist zwar wichtig, um die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Schäden auszugleichen, die von Gewalttaten herrühren. Aber wir wissen auch, dass Geld allein keine Wunden heilen kann. Opfer benötigen in diesen schwierigen Momenten ihres Lebens vor allen Dingen menschliche Zuwendung, Begleitung und Wärme.

(Beifall des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])

Dies ist etwas, was der Staat nicht leisten kann.

Opferschutz und Opferhilfe haben aber auch eine materielle Seite. Vieles wird dabei vom Opferentschädigungsgesetz abgedeckt, vor allem soweit es

(Minister Uwe Döring)

um gesundheitliche Folgen der Tat geht. Nicht selten verursachen Gewalttaten aber auch hohe Sachund Vermögensschäden, für die keine Versicherung eintritt. Häufig kann zudem der Täter nicht belangt werden, oder er erweist sich als zahlungsunfähig.

Die Lücken des Opferentschädigungsgesetzes könnten durch die Leistungen einer Stiftung geschlossen werden. Dazu gehören finanzielle Hilfen in den Fällen, in denen das Gesetz keinen Anspruch beinhaltet oder der Täter nicht zahlungsfähig ist.

Eine zentrale Opferstiftung, gegebenenfalls ergänzt durch private Zustiftungen, kann die Grundlage für die Maßnahmen zum Schutz, zur Hilfe und zur Betreuung von Opfern bilden. Durch eine derartige Stiftung soll gewährleistet werden, dass Verbrechensopfer in akuten Notlagen auch über die bisher vorhandenen Möglichkeiten hinaus schnell und unbürokratisch materielle Unterstützung erfahren können. Die gemeinnützige Stiftung sollte eng mit den bestehenden Opferschutzorganisationen wie zum Beispiel dem Weißen Ring zusammenarbeiten.

In den Fachausschüssen sollten wir nach der bestmöglichen Lösung suchen und auf der Grundlage der bereits existierenden Stiftungen in anderen Bundesländern - Herr Minister Döring hat das ausgeführt - eine entsprechende Stiftungssatzung erarbeiten. Auch wenn bereits erhebliche Fortschritte gemacht wurden, dürfen wir nicht nachlassen, die Situation der Opfer von Straftaten weiter zu verbessern.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass sich im Bereich des Opferschutzes in den letzten Jahren vieles zum Positiven verbessert hat. Es bleibt aber zugleich Aufgabe und Herausforderung, weitere Verbesserungen zu erreichen, um den Menschen, die Opfer von Gewalt und Kriminalität geworden sind, in Zukunft noch mehr Schutz und Unterstützung zukommen zu lassen.

Ich beantrage Überweisung an den Innen- und Rechtsausschuss.

(Beifall)

Ich danke Herrn Abgeordneten Lehnert und erteile für die SPD-Fraktion der Frau Abgeordneten Anna Schlosser-Keichel das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Normalerweise spreche ich von dieser Stelle aus eher über Strafvollzug, über eine Klientel also, die keine große Lobby in unserer Gesellschaft hat und für die ich mich gern einsetze. Ich weiß aber, dass den Opfern von Kriminalität möglicherweise noch weniger Aufmerksamkeit und Verständnis entgegengebracht wird als Straftätern.

Der Gesetzgeber hat in den letzten Jahren viel getan, um die Situation von Kriminalitätsopfern zu verbessern, sie zu entschädigen, in Prozessen zu begleiten, die Opfer insgesamt zu stärken. Eine Vielzahl von Hilfsorganisationen sind dabei unentbehrliche Partner. Sie helfen den Opfern mit Rat und Tat, vor allem auch dadurch, dass sie das Bewusstsein der Öffentlichkeit schärfen, für die bleibende Erschütterung und Belastung, die die Opfer noch lange nach der Tat mit sich tragen. Sie helfen auch mit finanzieller Unterstützung, wenn vom Täter keine Wiedergutmachung zu erwarten ist und wenn die institutionellen Hilfen, etwa durch das Opferentschädigungsgesetz, nicht greifen.

Minister Döring hat angekündigt, dass er die Opferhilfe durch die Einrichtung einer Landesopferschutzstiftung weiter stärken will, und hat im Innen- und Rechtsausschuss erste Eckpunkte vorgelegt. Wir haben nun im Vorfeld der Haushaltsberatungen weitere Informationen abgefragt und erhalten. Vielen Dank, Herr Minister. Wir hatten einige Zahlen erbeten, die im mündlichen Vortrag sicher nicht abzuliefern waren. Wenn der Bericht in den Ausschuss geht, wäre es schön, wenn wir die Zahlen dort erhalten würden.

Die Stiftung muss eine Kapitalausstattung von 1,5 Millionen € erreichen, um überhaupt handlungsfähig zu sein. Sie soll insbesondere aus dem Aufkommen von Geldauflagen und Vermögensabschöpfungen gespeist werden, unter anderem also aus Gewinnen, die mit Frauenhandel, Zwangsprostitution und so weiter gemacht und schließlich beschlagnahmt worden sind.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Nicht nur das!)

- Unter anderem, habe ich gesagt. - Gelder, die heute in den allgemeinen Landeshaushalt fließen. Sie sollen so künftig wenigstens zu einem Teil direkt den Opfern, die von den kriminellen Geschäftemachern ausgebeutet worden sind, zugute kommen. Das entspricht im Übrigen den Forderungen der Hilfsorganisationen und auch der Praxis in einigen anderen Bundesländern.

(Peter Lehnert)

Meine Fraktion unterstützt dieses Vorhaben. Wir hoffen, dass die Bedenken, die es in der Vergangenheit hinsichtlich der zweckgebundenen Verwendung dieser „Strafgelder“ gegeben hat, ausgeräumt werden können und dass es dem Minister gelingt, im Entwurf zum Doppelhaushalt 2009/2010 für die Stiftung einen tragfähigen Grundstock zu schaffen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will gern eingestehen, dass wir in der Vergangenheit gegenüber der Idee einer Opferschutzstiftung eher skeptisch eingestellt waren. Wir hatten die Befürchtung, dass sich so eine Stiftung als Konkurrenz zu den schon jetzt im Opferschutz und in der Opferhilfe aktiven Institutionen entwickeln könnte. Konkurrenz, was die Landesförderung angeht, aber auch als Konkurrenz beim Einwerben von privaten Spenden oder Strafgeldern.

Unsere Befürchtungen sind insofern in den Hintergrund getreten, als uns verschiedene Organisationen, zuletzt die Landesarbeitsgemeinschaft der Frauenfachberatungsstellen und Notrufe in der Innen- und Rechtsausschusssitzung, versichert haben, dass sie eine Opferschutzstiftung nicht als Konkurrenz sehen, sondern als sinnvolle Ergänzung ihrer Arbeit und als Möglichkeit für zusätzliche, unbürokratische, flexible Hilfen für ihre Klientel.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Ich habe Sie nicht verstanden. - Aber auch mit Einschränkungen, zum Beispiel nur, wenn die Zusammenarbeit funktioniert. Das ist auch unser Anliegen. Deshalb freuen wir uns, hoffen und erwarten, dass - wie der Minister berichtet hat - nicht nur jetzt in der Vorbereitungsphase, sondern auch in der Umsetzung, also im Kuratorium oder im Stiftungsrat, diese Organisationen mit ihrer Kompetenz und Erfahrung beteiligt werden.

(Beifall bei der SPD und des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Wir erwarten, dass das breite Spektrum der jetzt tätigen Einrichtungen mit einbezogen wird, natürlich der Weiße Ring, den wir außerordentlich hoch schätzen und dem wir von dieser Stelle für seine Arbeit danken,

(Beifall des Abgeordneten Günter Neugebau- er [SPD])

aber auch Institutionen, die sich auf besondere Arbeitsschwerpunkte der Opferhilfe - häusliche Gewalt, Zwangsprostitution, Menschen mit Migrationshintergrund - spezialisiert haben. Auch die müssen gleichberechtigt beteiligt werden.

Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden die weitere Vorbereitung der neuen Stiftung mit großem Interesse positiv begleiten.

(Beifall)

Ich danke der Frau Abgeordneten Anna SchlosserKeichel und erteile für die FDP-Fraktion dem Fraktionsvorsitzenden, Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki, das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur sozialen Strafrechtspflege gehört heute auch das Einbringen der Opferinteressen. Das ist gut so, und das ist keineswegs selbstverständlich. Erst in den letzten 20 Jahren hat sich der Fokus im Bereich von Straftaten verstärkt auch auf die Opfer gerichtet. Lange, viel zu lange war das Straf- und Strafprozessrecht ganz überwiegend täterbezogen, war das Opfer nahezu ohne eigene Rechtspersönlichkeit, im Strafverfahren eher Objekt als Subjekt. Mittlerweile hat der Gesetzgeber jedoch die Notwendigkeit eines opferorientierten Strafrechts mit einer Vielzahl von Opferschutzgesetzen zum Ausdruck gebracht und auch mit einer Vielzahl von Beteiligungsmöglichkeiten im Strafverfahren im Rahmen der Nebenklage.

Wenn die Landesregierung in diesem Zusammenhang nunmehr vorhat, die Opferhilfe im Land durch eine mit Landesmitteln ausgestattete Institution zu stärken und den Opferschutz in Schleswig-Holstein dadurch maßgeblich zu forcieren, so kann das sicherlich auch ein geeigneter Beitrag sein - ich betone „kann“, Frau Schlosser-Keichel. Mir ist bewusst, dass ich mit dieser Formulierung zwangsläufig Wasser in den Wein der bisher laut gewordenen Begeisterung über eine neu einzurichtende Landesopferschutzstiftung gieße, aber ich halte das für erforderlich, weil ich überzeugt bin, dass wir noch dringender als eine neue Stiftung Opferhilfe in Schleswig-Holstein eine Landesopferschutz-Strategie in unserem Land brauchen.

Ich habe grundsätzlich nichts gegen eine Stiftung. Die lange erfolgreiche und durchweg sinnvolle Arbeit der Stiftung Straffälligenhilfe ist ein eindrucksvoller Beleg dafür, was im Bereich von Straftaten auf diese Weise Positives geleistet werden kann - in diesem Fall aufseiten der Täter. Natürlich liegt es da nahe, entsprechend auch eine Stiftung für die Opfer realisieren zu wollen.

(Anna Schlosser-Keichel)

Allerdings müssen wir dabei Zweierlei berücksichtigen und im Auge behalten. Da sind zum einen die vielen bereits bestehenden und bewährten Opferhilfsorganisationen. Sie leisten schon heute eine erfolgreiche Arbeit insbesondere zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und Frauen, im Zeugenbegleitprogramm oder auch bei den Gerichten - die Liste ist lang. Will man diese erfolgreiche Arbeit nicht infrage stellen, darf eine neue Landesopferschutzstiftung keineswegs in Konkurrenz - Sie haben es gesagt - zu diesen verschiedenen Hilfsorganisationen treten. Die Stiftung darf ihnen keine Aufgaben wegnehmen.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hier müssen wir sehr sorgfältig aufpassen, weil wir genau wissen, wie sich Einrichtungen verselbstständigen und immer mehr Aufgaben an sich nehmen, wenn sie erst einmal bestehen.

Sie darf ihnen aber auch finanziell nicht das Wasser abgraben. Bereits heute wird den verschiedenen Hilfsorganisationen eine nicht unerhebliche Fördersumme zur Verfügung gestellt, damit sie ihren Aufgaben gerecht werden können - übrigens auch und gerade im Bereich der Geldbußen, Auflagen oder der Strafbefehle und sonstiger Geldstrafen.

Es ist kaum anzunehmen, dass diese Förderungssumme angesichts unseres Landeshaushaltes insgesamt größer wird, nur weil eine neue Stiftung entsteht. Hier werden wir ganz genau prüfen müssen, wie sich die Maßnahmen auswirken.

Zweitens müssen wir uns nach der langen - wie gesagt zu langen - Zeit der Opfernichtbeachtung, der Opfervernachlässigung im Umgang mit dem Verbrechen auch davor hüten, genau ins Gegenteil zu verfallen, indem wir die Opferhilfe überproportional überhöhen.

Leider - und das will ich sagen - gibt es diese Tendenz bereits. Professor Ostendorf hat sie in seinem Vortrag zur Gerichtshilfe eindrucksvoll beschrieben. Danach fühlt sich heute jeder mehr denn je nicht nur als potenzielles Opfer, sondern schon gegenwärtig als Opfer. Folge: Aus dem Opfermitleid wird Selbstmitleid. Soziologen sprechen von einer gesellschaftlichen Opferfiktion.

Dass daraus - das heißt, mit der vorweggenommenen Opferrolle -, auch vorweggenommene Strafbedürfnisse erwachsen, erscheint konsequent. Da niemand tatsächlich Opfer werden will, entsteht aus dem Streben nach null Risiko die Nulltoleranz.

Wie sie sich die äußern kann, hat die Landesregierung erst mit der letzten Novellierung des Jugendstrafvollzugsgesetzes eindrucksvoll bewiesen. Nur ist leider alles, was in Richtung Verwahrstrafvollzug geht - Herr Minister, ich habe Ihnen das schon einmal gesagt -, aus meiner Sicht kontraproduktiv;

(Beifall der Abgeordneten Anke Spooren- donk [SSW])