Protokoll der Sitzung vom 29.05.2008

Ein anderes Problem müssen die Handwerksbetriebe aber selber lösen. In der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage wird erwähnt, dass viele Handwerksbetriebe im nördlichen Landesteil darüber klagen, dass ihnen die dänischen Konkurrenten die Facharbeiter wegnehmen. Die Ursache soll laut Bericht im dänischen Wirtschaftsaufschwung liegen, der dazu führt, dass die dänischen Handwerksunternehmen viel höhere Löhne zahlen können.

Nun ist es natürlich richtig, dass in Dänemark wegen der niedrigen Arbeitslosenquote von sensationellen 2 % händeringend nach Arbeitskräften gesucht wird, und da sind gut ausgebildete Facharbeiter aus Deutschland natürlich herzlich willkommen. Aber zum einen darf man in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass auch die deutschen Handwerksbetriebe im Grenzland durch Aufträge massiv vom dänischen Aufschwung profitieren. Zum anderen leben wir nun einmal in einer Marktwirtschaft und da ist es doch ganz legitim, dass sich deutsche Facharbeiter um gut bezahlte Arbeitsplätze wenige Kilometer nördlich der Grenze bemühen. Warum sollen nicht auch einmal Arbeitnehmer von den offenen Grenzen für Waren und Kapital profitieren? Das ist ja nicht so oft der Fall.

Aber man täuscht sich meiner Meinung nach auch, wenn man glaubt, dass es nur die Löhne sind, die die Handwerker nach Dänemark gehen lassen. Denn neben dem Lohn spielen ebenfalls auch die guten Weiterbildungsmöglichkeiten und das konstruktive Klima am Arbeitsplatz eine große Rolle. Daher müssen die Handwerksbetriebe in Schleswig-Holstein an diesen weichen Standortfaktoren arbeiten, um die guten Arbeitskräfte im Landesteil zu halten. Das bezieht sich nicht nur auf Dänemark, sondern natürlich auch auf andere Regionen.

Ein anderer Punkt, der für viele Handwerksbetriebe überlebenswichtig ist, ist die Beibehaltung des Tariftreuegesetzes in Schleswig-Holstein. Auch wenn laut Antwort auf die Große Anfrage nur circa 1 % des Umsatzes durch öffentliche Aufträge des Landes erzielt wird, darf man nicht vergessen, dass gerade viele Kommunen im nördlichen Landesteil aber auch darüber hinaus - das Tariftreuegesetz freiwillig anwenden.

(Beifall des Abgeordneten Bernd Schröder [SPD])

Daher vergeben die Kommunen ebenfalls viele Aufträge, die nur von tariftreuen Handwerksbetrieben gewonnen werden können - und das sind vornehmlich unsere eigenen. Der Umfang dieser Aufträge ist leider nicht bekannt, aber wenn man bedenkt, wie vehement sich beispielsweise die Hauptverbände der Bauwirtschaft in Schleswig-Holstein für das Tariftreuegesetz eingesetzt haben, müssen schon große Summen auch in den Kommunen zusammenkommen. Die Bauwirtschaft weiß, wie wichtig dieses Gesetz für den Umsatz und die Beschäftigung hier im Lande ist. Unser Land ist bei der Einführung dieses Gesetzes mit gutem Beispiel vorangegangen, als es darum ging, dem regionalen Mittelstand eine faire Chance auf öffentliche Aufträge zu sichern.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Um so enttäuschender ist es daher für den SSW, dass sich die Landesregierung im Bundesrat am letzten Freitag bei der Abstimmung über einen rheinland-pfälzischen Antrag zum Erhalt der Tariftreue in Deutschland und in Europa enthalten hat.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört, hört!)

Es ist eine Sache, dass der Europäische Gerichtshof mit seinem merkwürdigen Urteil diese Errungenschaft zurücknehmen will.

(Zuruf des Abgeordneten Hans-Jörn Arp [CDU])

- Viel schlimmer, lieber Kollege Arp, ist es aber, dass die Große Koalition mit ihrer selbst gewählten Kastration in dieser Frage dem regionalen Arbeitsmarkt und auch der regionalen Wirtschaft in Schleswig-Holstein schadet.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich frage mich daher, was eigentlich die Handwerksbetriebe in Schleswig-Holstein dazu sagen,

(Lars Harms)

dass ihre angeblich natürliche Interessenvertretung, die CDU, diese Initiative zur Rettung der Tariftreuegesetze im Bundesrat verhindert hat.

(Zuruf des Abgeordneten Hans-Jörn Arp [CDU])

- Lieber Kollege Arp, und ich frage mich darüber hinaus - das wird Sie freuen -, warum die SPD permanent vom Mindestlohn redet und im Kommunalwahlkamp mit der Tariftreue plakatiert, aber dann den Schwanz einzieht, wenn es darauf ankommt, diese Errungenschaft zu verteidigen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Und mit welchem Erfolg haben Sie das getan? Ganz großartig! Stegner verhöhnt das Projekt! - Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieses Abstimmungsverhalten der Großen Koalition ist auf jeden Fall ein Schlag für die regionale Wirtschaft und für das Handwerk in SchleswigHolstein, und es bleibt die entscheidende Frage auch an die Landesregierung, wie wir verhindern, dass das Tariftreuegesetz wegen des EuGH-Urteils untergraben wird. Hier müssen wir endlich alle in die Puschen kommen, sonst sehe ich große Probleme für die heimische Wirtschaft und das Handwerk voraus. Hier können wir Einfluss nehmen, und das sollten Sie von der Großen Koalition sich zu Herzen nehmen und endlich im Sinne der Tariftreue handeln, lieber Kollege Callsen, und nicht weiter die Hände in den Schoß legen. Es wäre wirklich wichtig für das Handwerk, dass wir das Tariftreuegesetz und die Chancengleichheit für unsere Unternehmen retten, das ist auch Ihre Aufgabe.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)

Herr Kollege Harms, bei jedem Ausdruck sollten wir uns bitte einer parlamentarischen Sprache befleißigen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: In einem Landwirt- schaftsbericht ginge das!)

Ich erteile hiermit zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung Herrn Abgeordneten Dr. Höppner das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich hier auf eine Aussage des Kollegen Dr. Garg zum Probelauf der zentralen Abschlussprüfungsarbeiten in den Realschulen und

den Hauptschulen im Fach Mathematik beziehen. In diesem Zusammenhang hatte er der Landesregierung bildungspolitisches Versagen vorgeworfen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist zutref- fend!)

Nun ist der liebe Kollege Dr. Klug als bildungspolitischer Sprecher der FDP in den Reihen der Realschullehrer ein gern gesehener Gast. Er ist schon fast ständiger Redakteur des Verbandsorgans des VDR, zumindest werden seine Redebeiträge kontinuierlich dort abgedruckt.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wenn Ihre besser wären, würde Ihnen das auch passieren!)

Es ist kein Geheimnis, lieber Kollege Dr. Klug, dass Sie den Realschulen beste Zeugnisse ausstellen. Ich möchte Ihnen hier auch beipflichten. Wenn ich an die letzte PISA-Studie denke, in der das erste Mal der Kompetenzbereich Mathematik mit untersucht worden ist, dann haben die Realschulen Schleswig-Holsteins dort einen Kompetenzwert von 534 erreicht. Um es einmal anders zu sagen: Der Durchschnitt der Kompetenzwerte in der OECD liegt bei 500. Die Realschulen SchleswigHolsteins liegen damit in der bundesinternen Rankingliste ganz kurz hinter dem Land Baden-Württemberg an dritter Stelle. 534 ist auch noch hoch verglichen mit dem, was in anderen Bundesländern ist - die haben zum Teil Kompetenzwerte, die um 70 Punkte tiefer liegen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Warum wollen Sie die eigentlich abschaffen?)

Ich denke schon, dass man den Realschulen dieses gute Zeugnis ausstellen muss. Man kann sicher im Rahmen des Probelaufs die Aufgabenstellung kritisieren, denn in den anderen beiden Fachbereichen Deutsch und Englisch sind die Ergebnisse des Probelaufs für die Hauptschulen und die Realschulen ausgesprochen positiv, denn die Arbeiten sind überwiegend befriedigend und besser ausgefallen. Das muss man sehr deutlich sagen.

Liebe Kollegen von der FDP, ich glaube, Sie haben irgendwo ein Problem, wenn Sie, Herr Kollege Dr. Klug, auf der einen Seite den Schulen beste Zeugnisse ausstellen und auf der anderen Seite der Landesregierung, die für diese Schulen Verantwortung trägt, gleichermaßen schlechte Zeugnisse erteilen oder bildungspolitisches Versagen vorwerfen. Ich sehe hier ein bisschen das Problem der Glaubwürdigkeit in den Aussagen der FDP.

(Lars Harms)

Dr. Höppner, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder eine Endfrage des Kollegen Dr. Klug?

Herr Präsident, ja.

Lieber Kollege Höppner, sehen Sie nicht eher das Glaubwürdigkeitsproblem auf Ihrer Seite, wenn Sie das, was Sie eben dargelegt haben, dem gegenüberstellen, was Frau Erdsiek-Rave, die zuständige Ministerin, kommentierend zu den Ergebnissen des Probelaufs gesagt hat, nämlich dass nach ihrer Feststellung ein doch erheblicher Teil der Schüler im Bereich Mathematik hinter den bundesweiten Bildungsstandards in Schleswig-Holstein zurückbleibe? Das hat sie erklärt, das stand in der Zeitung.

(Zuruf: Nein!)

- Das will ich gar nicht bestreiten. Aber verehrter Herr Kollege, Sie wissen auch - und Sie schauen auch gern in andere Bundesländer -, dass wenn man erstmalig zentrale Abschlussprüfungen einführen will und Probeläufe macht, man teilweise ein Problem hat, nämlich im Hinblick auf die Aufgabenstellungen, die man den Schulen gibt. Wir kennen so etwas. Das haben wir vor sieben Jahren im Hinblick auf Probeläufe und zentrale Abschlussarbeiten im Bereich der Mathematik im Bundesland Thüringen diskutiert, die dort ausgesprochen schlecht ausgefallen sind. Das hat sich nach einer gewissen Zeit so eingependelt, sodass jetzt auch das Bundesland Thüringen im Kompetenzbereich Mathematik der Gymnasien ausgesprochen gut abschneidet.

(Beifall der Abgeordneten Peter Eichstädt [SPD] und Jutta Schümann [SPD])

Zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir über das Thema Handwerk reden, müssen wir uns fragen: Was ist der strukturelle Unterschied? Wir haben ja ein Problem. In den letzten Jahren sind 20 % der Handwerksbetriebe und

damit 20 % der dort angesiedelten Arbeitsplätze verloren gegangen. Wenn wir das ändern wollen, dann hilft keine weiße Salbe, sondern wir müssen dem strukturell entgegenwirken.

Entscheidend ist der Unterschied zwischen Handwerk und Industrie. Zum einen: Handwerksbetriebe sind kleine Betriebe, und dort wird - zweitens qualitativ hochwertige Arbeit geleistet. In der Regel handelt es sich bei dem, was das Handwerk leistet, um Qualitätsarbeit. Deswegen nimmt man kleinere Betriebe und zahlt die höheren Preise, weil man weiß, was man davon hat. Das gilt gerade für Privatkunden; das gilt jedoch auch für Firmen.

Wenn wir etwas ändern wollen, müssen wir überlegen, wie wir dem Handwerk strukturelle Vorteile verschaffen können und ob wir das überhaupt wollen. Ich glaube, es lohnt sich, dies zu tun, und zwar aus folgendem Grund: Handwerk ist lokale Wirtschaft; es ist gerade auf dem Land lokale Wirtschaft. Wenn wir angesichts der steigenden Ölpreise Öl oder Kohle ersetzen wollen, weil wir das Geld hierfür nicht gern an die Ölscheiche im Ausland geben und es auch nicht nach Amerika geben wollen, und wenn wir statt dessen regenerative Energien und Wärmedämmung vor Ort, in unseren Häusern verstärkt einführen wollen, dann schaffen wir damit Arbeit vor Ort, anstatt das Geld hierfür ins Ausland zu verschieben. Wir substituieren also das Geld, das wir für Öl ausgeben, durch Geld, das wir für Arbeit in unserem eigenen Land ausgeben. Deswegen glaube ich, dass es ökonomisch und volkswirtschaftlich sinnvoll ist, wenn wir dem Handwerk strukturelle Vorteile verschaffen.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Wenn wir das wollen, müssen wir uns fragen: Wie geht das? Der Kollege Harms hat bereits einen Punkt angesprochen, nämlich die Frage, ob die steuerliche Anrechenbarkeit von Handwerksrechnungen tatsächlich nicht noch einmal zum Thema gemacht werden sollte. Obwohl ich eigentlich gegen sämtliche Steuerkürzungen bin, halte ich das für einen Punkt, der durchaus diskutiert werden muss. Viel besser ist jedoch das, was jetzt Peer Steinbrück in Berlin angesprochen hat. Das fand ich ausgesprochen gut, und wir alle kennen es, wenn wir nach Dänemark schauen. Wir sehen den Unterschied: In Dänemark ist das Sozialversicherungssystem steuerfinanziert. Ein dänischer Maurer bekommt beim gleichen Bruttoeinkommen 25 % mehr Einkommen auf die Hand, und zwar deshalb, weil er anders als sein deutscher Kollege nicht in die Sozialversicherung einzahlen muss und

weil das Sozialversicherungssystem anders finanziert ist.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wer soll das denn bezahlen? Wer soll die erhöhte Steuerlast tra- gen?)

Das bedeutet: Wenn wir es schaffen würden, unsere Sozialsysteme stärker steuerlich zu finanzieren, um dadurch tatsächlich zu einer Senkung der Lohnnebenkosten zu kommen, dann würden wir gerade den Betrieben nützen, die arbeitsintensiv sind.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)