Es ist erst wenige Tage her, dass der Bundesrat den EU-Vertrag von Lissabon gebilligt hat, leider ohne die Stimme Berlins, weil der Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit mehr Angst vor einer rot-roten Regierungskrise als den Mut hatte, sich deutlich für Europa auszusprechen. Honi soit qui mal y pense - ein Schuft, der Böses dabei denkt.
Wir sind aber alles in allem in Sachen Europa auf einem guten Weg. Das Ende der langen Krise, die in der Europäischen Union nach dem Scheitern der Referenden in Frankreich und in den Niederlanden begonnen hatte, ist nun greifbar nah. Dies alles vollzieht sich relativ geräuschlos, denn der Feuereifer, für Europa mit Begeisterung einzutreten, scheint in weiten Teilen der Gesellschaft verflogen zu sein. Europa ist heute weitgehend für die Menschen eine Selbstverständlichkeit. Je größer es geworden ist, desto mehr ist die Gemeinschaft herbeiverhandelt und herbeigeregelt worden. Dies schürt verbreitet eine desinteressierte, in Teilen sogar mittlerweile abwehrende Haltung. Aber wir brauchen dieses Ja zu Europa, ein Ja zu einer funktionierenden, funktionsfähigen Gemeinschaft, die in der Lage ist, wieder größere Akzeptanz bei den Bürgern zu erreichen. Umso mehr ist es aber unsere Aufgabe gerade hier im Landtag, für die Europaidee stetig weiter zu werben und auch darüber zu informieren, was die europäische Integration für unser Land bedeutet. Der Europabericht 2008 der Landesregierung, für dessen Erarbeitung ich allen Beteiligten an dieser Stelle danken möchte, bietet dazu eine gute Gelegenheit.
Zu einem bereits bekannten, aber nach wie vor aktuellen Themenschwerpunkt der Europapolitik in Schleswig-Holstein gehört sicherlich das Ziel einer besseren Rechtsetzung. Dahinter verbergen sich die bekannten Themen von Abbau der Bürokratie auch auf Landesebene ein proklamiertes Ziel -, von Abbau unnötiger Regelungsdichte, von erleichtertem Umgang mit Verwaltungsregelungen. Dahinter verbirgt sich aber auch die Strategie zu verbesserter Wettbewerbsfähigkeit, denn die genannten Vereinfachungsmaßnahmen, die angestrebt werden - gerade auch in Brüssel -, sollen insbesondere zu Wachstum und zur Schaffung von Arbeitsplätzen und damit zum Wohl der Bürger und der Unternehmen in der Europäische Union beitragen.
In Schleswig-Holstein steht dabei vor allem die Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie im Vordergrund. Der Bericht thematisiert dies auf Seite 50. Mit dieser Richtlinie werden die Genehmigungsverfahren für Dienstleistungen europaweit vereinfacht, und zwar so weit vereinfacht, dass es für die Antragsteller nur noch einen einheitlichen Ansprechpartner gibt, von dem die antragstellenden Bürgerinnen und Bürger der EU innerhalb einer angemessenen Frist alle notwendigen Genehmigungen erhalten. Auch in Schleswig-Holstein soll das so sein, und das soll auch über das Internet möglich werden; so ist es jedenfalls vorgesehen. Der Zeitpunkt, zu dem diese EU-Dienstleistungsrichtlinie umgesetzt sein muss, nämlich Ende 2009, rückt immer näher. Es bleibt zu hoffen, dass die Vorarbeiten, die in Schleswig-Holstein auf Landesebene im Bereich der Landesregierung dazu bislang auf den Weg gebracht worden sind, letzten Endes auch zum Erfolg führen.
Der aktuelle Bund-Länder-Musterentwurf zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften zur Umsetzung dieser EU-Richtlinie verheißt allerdings nichts Gutes. Wir brauchen aber eine überschaubare und vereinfachte Form der Rechtsetzung und Verwaltung, wenn wir die Europamüdigkeit - die auch im Bericht der Landesregierung anklingt - überwinden und dazu beitragen wollen, dass sich wieder mehr Akzeptanz für die europäische Integration bei den Bürgern entwickelt.
Meine Damen und Herren, in einer Reihe von Punkten spricht der Bericht wichtige Themen an, die wir in der Ausschussberatung im Detail noch behandeln können. Der weite Komplex der Ostseezusammenarbeit wird Gegenstand eines eigenen Ostseeberichts sein, deshalb habe ich mich an dieser Stelle nicht zu dieser Thematik geäußert.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Klug. - Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nun Herr Abgeordneter Detlef Matthiessen.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir danken der Landesregierung und insbesondere Minister Döring für den umfassenden und interessanten Bericht. Wir haben an einigen Stellen
Dinge zu ergänzen und zu verbessern, so etwa die Einschätzung des Lissabon-Vertrags. Dieser Vertrag ist aus unserer Sicht der Auftakt für weitere Reformen in Richtung eines ökologischen und sozialen Europa. Es handelt sich jedoch nicht um ein abgeschlossenes Werk. Hier gibt es noch viel zu tun. Wichtig ist uns zum Beispiel, dass EURATOM abgeschafft wird - vielleicht bis auf den Aufgabenbereich der Überwachung radioaktiver Stoffe in Europa, bei denen wir nach wie vor der Ansicht sind, dass deren Besitz und Verbleib in Europa auf europäischer Ebene kontrolliert werden muss.
Zur Klimapolitik, Herr Minister Döring, vielleicht noch eine Anmerkung: Wir haben auf Bundesebene einen Parteitagsbeschluss, in dem wir uns dafür einsetzen, dass in Europa die elektrischen Netze massiv ausgebaut werden sollten, allerdings mit Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung. Dabei handelt es sich um das sogenannte Supergrid, das notwendig ist, um regenerative Energiepotenziale zu erschließen, und zwar an den Standorten, wo es besonders lohnend ist, diese zu produzieren, sowohl in Bezug auf die Kosten als auch auf die Menge.
Das, meine Damen und Herren, ist eine wesentliche Strategie, um in Zukunft Europa regenerativ versorgen zu können.
Die Wissenschaftler, die sich mit diesen Szenarien beschäftigt haben, kommen dabei auch in ökonomischer Hinsicht zu hochinteressanten Ergebnissen. Ich nenne Studien, die etwa eineinhalb Jahre alt sind und zu dem Ergebnis kommen, dass wir Europa dann zu 100 % mit regenerativer Energie versorgen könnten, und zwar zu einem Preis von 5,5 ct für Erzeugung und Transport. Das ist ein Preisszenario, das durch Energieproduktion aus fossilen Brennstoffen und aus Atomkraft absehbar nicht erreicht werden kann. Insbesondere gilt dies, wenn diese Energie aus neu zu bauenden Anlagen generiert werden soll.
Meine Damen und Herren, es wurde schon gesagt, dass wir aufgrund dessen, dass wir andere Tagesordnungspunkte vorgezogen haben, die Zeit schon etwas überschritten haben. Viele Kollegen haben bereits auf Dinge hingewiesen, die ich hier vielleicht mit schöneren Worten wiedergeben könnte, jedoch im Inhalt nicht weit davon abweichen würde. Ich komme daher zum Schluss. Ich danke für den Bericht, und ich danke auch der Frau Präsidentin.
Ich danke Herrn Abgeordneten Matthiessen. - Das Wort für den SSW hat nun die Abgeordnete und Fraktionsvorsitzende Anke Spoorendonk.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt „sonne und solche“ Berichte. Der Europabericht ist aber immer lesenswert. Herr Minister, Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danken wir auch für diesen Bericht.
Am letzten Freitag hat der Bundesrat dem EU-Reformvertrag zugestimmt. Damit ist der deutsche Ratifizierungsprozess für den Vertrag von Lissabon fast abgeschlossen - nur fast, weil ja zwei Bundestagsabgeordnete, nämlich Diether Dehm von der Partei Die Linke und Peter Gauweiler von der CSU, gegen diesen Vertrag vor dem Bundesverfassungsgericht klagen wollen. Allerdings ist es zweifelhaft, ob sie Erfolg haben werden. Denn schon bei der viel weiter gehenden EU-Verfassung, die vor drei Jahren beschlossen wurde und am Ende durch die Volksabstimmungen in Frankreich und Holland scheiterte, sind entsprechende Klagen vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen worden.
Außer in Irland wird es in keinem Land Volksabstimmungen über den neuen EU-Reformvertrag geben. Auch nördlich der Grenze sind sich die Regierung und die sozialdemokratische Opposition darüber einig, dass dieser Vertrag nicht durch eine Volksabstimmung beschlossen werden soll.
Das ist bedauerlich. Der SSW hält jedenfalls immer noch Volksabstimmungen bei wesentlichen Änderungen der EU-Rahmenbedingungen für unabdingbar, um die Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern für Brüsseler Entscheidungen zu verbessern.
Sollte das traditionell EU-freundliche Irland zustimmen, wird dieser neue EU-Vertrag wohl ohne Probleme bis 2009 in allen Ländern ratifiziert werden können. Aus dem Europabericht 2008 geht aber hervor, dass damit die Probleme der EU bei Weitem nicht gelöst sind. Im Gegenteil: Der Bericht der Landesregierung zeigt einige der Probleme auf, die sich vielleicht mit den neuen Rahmenbedingungen abmildern lassen, aber dennoch nicht grundlegend geändert werden.
Denn es ist eine Tatsache, dass es - das klang vorhin bereits an - in der EU mit 27 Mitgliedsländern nicht einfacher wird, effiziente und transparente Entscheidungen zum Wohl der Menschen in Europa zu treffen. Zu unterschiedlich sind die Erwartungen und Herangehensweisen der einzelnen Mitgliedsländer. Der Trend scheint laut Europabericht dahin zu gehen, dass die Durchsetzung nationaler ökonomischer Interessen immer öfter den Gemeinwohlinteressen vorgezogen wird.
Bei allen berechtigten Forderungen, die auch der Landtag immer an die gerechte Verteilung der Mittel aus EU-Investitionsprogrammen stellt, ist dies aber grundsätzlich keine gute Entwicklung. Die Zusammenarbeit in der Europäischen Union sollte zwar nicht zentralistisch oder bürokratisch geregelt sein, aber ein Mindestmaß an gemeinsamen europäischen Entscheidungen bei den wichtigen Aufgaben muss schon vorhanden sein, sonst wird sich die EU in absehbarer Zeit selbst überleben.
Anders formuliert: Wenn wir vermeiden wollen, dass in einer EU mit 27 Mitgliedstaaten neue nationalistische Töne aufkommen - ich rufe in Erinnerung, wie in Polen vor der letzten Parlamentswahl diskutiert wurde -, wenn es nicht dazu kommen soll, dass die EU immer als Bösewicht für nationale Probleme dargestellt wird, dann müssen wir auch daran denken, dass weiterhin für mehr Akzeptanz gesorgt wird und dass Entscheidungsprozesse wirklich transparent sind.
Insbesondere bei den aus meiner Sicht entscheidenden Herausforderungen an ein soziales Europa sieht der SSW große Probleme auf uns zukommen. Wenn der Europäische Gerichtshof im Namen des freien Binnenmarkts das niedersächsische Tariftreuegesetz kippt, dann müssen wir aufpassen. Man kann nicht auf der einen Seite von einem sozialen Europa reden und auf der anderen Seite soziale Errungenschaften wegen des EU-Rechts abbauen. So schafft man vor Ort kein Vertrauen in die Brüsseler Politik.
Richtig ist natürlich auch, dass, wie der Kollege Fischer bereits angesprochen hat, Flexicurity aus zwei Wörtern besteht, nämlich aus Flexibility und Security. Man kann hier keine Rosinenpickerei betreiben.
Diese Beispiele zeigen für den SSW wieder einmal, dass alle vernünftigen Kräfte sich gemeinsam für ein soziales Europa einsetzen müssen. Daher würden wir uns schon freuen, und wir wünschen es uns, dass sich die Landesregierung nicht nur in Berlin,
sondern auch bei ihren europäischen Partnern auch im Ausschuss der Regionen - für entsprechende Änderungen der EU-Bestimmungen einsetzt. Das Tariftreuegesetz muss erhalten bleiben. Wenn es nicht anders geht, dann muss man eben darauf hinwirken, dass das EU-Recht geändert wird.
Die Landesregierung will sich in Zukunft verstärkt der frühzeitigen Beobachtung und Bewertung von Planungen der EU-Kommission widmen. Dies ist, denke ich, auch notwendig. Auch der Landtag muss sich ja verstärkt mit Subsidiaritätskontrolle befassen. Das heißt, wir müssen sehen, wie wir unseren Einfluss rechtzeitig geltend machen können, wie wir also in die Entscheidungsprozesse eingreifen können.
Ich will jetzt nicht auf weitere Themen eingehen, denn ich sehe, dass meine Redezeit abgelaufen ist. Folgende Stichworte möchte ich noch kurz nennen: Aktionsplan für integrierte Meerespolitik - dazu haben wir ja in den vergangenen Landtagsdebatten immer wieder etwas gesagt. Ich glaube, dass das auch weiterhin im Ausschuss ein Thema sein wird und sein muss. Da ist Schleswig-Holstein auf einem guten Weg. Auch die Zusammenarbeit im Ostseeraum ist für Schleswig-Holstein weiterhin ein wichtiges Thema und gehört aus Sicht des SSW zu den Kernbereichen der Landtagsarbeit. Aber auch das werden wir im Ausschuss miteinander besprechen können.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, den Bericht Drucksache 16/1983 dem Europaausschuss zur abschließenden Beratung zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.
Ich darf dem Hohem Hause geschäftsleitend mitteilen, dass Tagesordnungspunkt 46 - Bericht des Unabhängigen Landeszentrums für den Datenschutz 2008 - einvernehmlich auf Juni verschoben worden ist.
Für die Landesregierung hat der Herr Innenminister Lothar Hay das Wort. Der Regierung steht eine Redezeit von zehn Minuten zur Verfügung, allen übrigen fünf Minuten.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bekämpfung des Extremismus bleibt eine dauerhafte Aufgabe der freiheitlichen Demokratie. Dies macht der Verfassungsschutzbericht 2007 deutlich.
Im Rechtsextremismus haben sich im vergangenen Jahr auffällige Veränderungen vollzogen. Die NPD hat sich bundesweit zur größten Organisation mit den meisten Mitgliedern im Rechtsextremismus entwickelt. Neonationalsozialisten und der NPDLandesverband Schleswig-Holstein sind miteinander verschmolzen. Besonders hervorzuheben ist: Der Anteil des als aktionistisch zu bezeichnenden Personenpotenzials hat sich seit Mitte der 90er-Jahre bei einer etwa gleich hohen Gesamtzahl in etwa verdreifacht und liegt nunmehr bei drei Viertel.
Diese Kräfteverschiebung erfordert unsere besondere Wachsamkeit. So war auch bei den Demonstrationen am 1. Mai in Hamburg nicht nur die erwartete hohe Gewaltbereitschaft im linken Spektrum, sondern auch das Agieren autonomer Nationalisten, „schwarzer Block“ von Neonazis im rechten Spektrum zu registrieren. Dies stellte in Teilen eine neue Qualität in der gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen Links und Rechts bis hin zu Gewaltexzessen dar.
Mit ihrem Bundesparteitag am vergangenen Wochenende wurde die extremistische Ausrichtung der NPD wieder einmal mehr als deutlich. Mit Jürgen Rieger aus Hamburg ist ein Vertreter des militanten, offenen neonazistischen Flügels nunmehr stellvertretender Bundesvorsitzender der NPD.