Protokoll der Sitzung vom 18.06.2008

Zu den kartellrechtlichen Auseinandersetzungen hier ist ein sehr merkwürdiges Bild zu beobachten. Hunderttausende Anbieter stehen den fünf bis sieben abnehmenden Händen, die 90 % des Marktes beherrschen, gegenüber. Diese sollen offenbar vor den bösen Bauern geschützt werden. Das gemahnt mich an die Situation, die wir auch in der Energiewirtschaft beobachten müssen.

Milchbäuerinnen und Milchbauern arbeiten hart, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. Der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Bauernverbandes sagt: „Haut euch nicht die Köpfe ein!“ Der muss da offenbar zum Frieden beitragen. In Wirklichkeit ist es so: Einige haben mitgestreikt, andere nicht. Die Streikquote lag in Schleswig-Holstein etwa bei 70 %. Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter hat hier erfolgreich Blockaden und Lieferboykotts durchgeführt. Diese Aktionen sind von allen Bauern - ob streikende oder nicht - solidarisch mitgetragen worden. Das ist die Wahrheit hier im Haus. Die Motivation des Bauernverbandes für diese Friedensappelle sind vermutlich eher von der Sorge um die Existenzberechtigung des eigenen Berufsvertretungsverbandes getragen als von Sorge um Frieden im Land.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Verbraucher, die Kirche, Umweltverbände und breite Schichten der Bevölkerung tragen dies mit. Der Bauernverband ist für den Wegfall der Quote. Der letzte Herbst hat allerdings gezeigt, dass auch kleine Mengen im Promillebereich den Markt beeinflussen. Dort haben kleinste Mengen im Weltmarkt und im europäischen Markt zu einer Auszahlungsquote von 45 % geführt.

Es sind hier verschiedentlich ethische Aspekte genannt worden: das Wegkippen der Milch, was eine notwendige Konsequenz eines Lieferboykotts ist. Frau Kollegin, wenn Sie fordern, dass die Bauern die Milch an die Kindergärten geben, ist das schön, aber wie wollen Sie das denn praktisch mit 3000 l Milch bewerkstelligen? Sollen die das mit der Hand dort hinbringen? Das ist doch absurd!

Ist etwa die Lage der hart arbeitenden Bauern keine ethische Dimension hier in diesem Hause?

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Milchwirtschaft ist für Schleswig-Holstein und für die Landwirtschaft von überragender Bedeutung. Es betrifft sowohl die Wertschöpfung als auch die Zahl der landwirtschaftlichen Arbeitsplät

ze. In kurzen Zahlen: Es gibt etwa 6.000 melkende Betriebe in Schleswig-Holstein, das sind etwa 350.000 Milchkühe bei durchschnittlich um die 70 Milchkühe pro Betrieb. Wir haben eine Pachtquote von 20 bis 30 % in Schleswig-Holstein, und das ist beträchtlich und überdurchschnittlich. Auch dem müssen wir in dieser Diskussion Rechung tragen.

Wir Grüne fordern dagegen ein preissensitives, flexibles Milchmanagement, wir brauchen eine modifizierte Quotenregelung, die sich am Preis beziehungsweise an der Nachfrage orientiert. Dieses System sollte um eine nach Liefermengen gestaltete Preisgestaltung ergänzt werden mit dem Ziel, kleinere Betriebe im Wettbewerb zu stärken.

Würden wir den Weg über den Wegfall der Quote weiter beschreiten, haben Bergbauern im Berchtesgadener Land in Bayern keine Chance, dann haben die auf unserem natürlichen Grünland keine Chance. Das ist auch ein volkswirtschaftliches Ziel, in der Fläche die Milchproduktion als Kultur erhaltendes Gut zu halten.

(Zurufe)

Der Verweis auf die EU trägt nicht durch. Der Umrechnungsfaktor von Liter zu Kilogramm sollte von 1,02 auf 1,03 geändert werden. Das würde etwa 1 % der Marktmenge bewegen. Das ist zwischen den Marktpartnern möglich, sollte aber von der Politik auch unterstützt werden.

Herr Kollege Matthiessen, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. - Eine Saldierung der Unterlieferung zu den überlieferten Mengen ist möglich und sollte durch die Politik sofort umgesetzt werden. Ich zitiere den Kollegen Ehlers. Er hat gesagt, in der Zielrichtung sind wir uns mit dem Obmann von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bundestag einig. Er fordert, Angebot und Nachfrage auf einen Nenner zu bringen. Das hat er bei seinem 60. Geburtstag hier gesagt, das ist noch nicht so lange her, da war er aber offensichtlich in der Opposition.

Herr Kollege Matthiessen!

(Detlef Matthiessen)

In der Regierung redet man anders. Auch das ist eine Schande für Ihr Verständnis von Vertretung Ihrer Bauern.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe)

Für die Abgeordneten des SSW erteile ich Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Allem, was vorher gesagt wurde, kann man natürlich zustimmen.

(Zurufe: Nein!)

- Allem vielleicht nicht. - Aber die Dimension des Ganzen ist eine andere. Wenn man sich einmal anschaut, wie unsere Landwirtschaft aufgebaut ist, dann erkennt man, dass wir es nur mit Subventionen, Erstattungen, Investitionsmaßnahmen, Beihilfemaßnahmen und einem Quotensystem zu tun haben. Das kommt einer Komplettsteuerung durch den Staat gleich. Planwirtschaft! Das ist das Grundübel in der Landwirtschaft.

Diejenigen, die jetzt demonstriert haben, können nicht mehr auf den Markt reagieren, weil sie in jeder Hinsicht staatlich gesteuert sind. Es gilt, dieses System erst einmal abzuschaffen. Nur so kann man den Milchbauern helfen. Das von uns aufgebaute System hat dazu geführt, dass es eine Überproduktion an Milch gibt. Dies führt automatisch zu sinkenden Preisen, weil es nun einmal nicht nur die EU, sondern auch einen Weltmarkt gibt, der marktwirtschaftlichen Prinzipien unterliegt. Marktwirtschaft und Planwirtschaft prallen also aufeinander. Dass dies nicht funktioniert, wissen wir alle. Die Planwirtschaft muss bei uns abgeschafft werden. Dann wird es vielleicht auch wieder möglich sein, genügend Geld mit seiner Milch zu verdienen.

Wir müssen aber ehrlich sein: Wenn der Markt zur Geltung kommt, dann wirkt er auch bereinigend. Das heißt, dass einige Landwirte unter die Räder kommen werden. Wenn man das nicht will, muss man vonseiten des Staates handeln und die Bauern mit einem staatlichen Mindesteinkommen absichern. Ich glaube aber, dass das keiner will. Vielmehr müssen wir versuchen, das planwirtschaftliche System abzubauen. Aufgrund des gestiegenen

Dollarkurses sind für unseren Hochpreismarkt die Exportmöglichkeiten weggebrochen, sodass es für unsere Bauern keine Ausweichmöglichkeit mehr gibt. Die verzweifelte Lage der Landwirte kann man sich gut vorstellen. Sie bekommen vom Staat nicht mehr das, was sie brauchen. Sie können es aber auch nicht am Markt verdienen. Die Hilflosigkeit der Bauern wurde bei den Demonstrationen deutlich.

Auf nationaler Ebene gibt es zudem einen Markteinfluss der fünf großen Lebensmittelketten, die ein Oligopol bilden. Zudem gibt es Meiereien, die sich jetzt glücklicherweise immer stärker zusammenschließen, um entsprechende Marktmacht auszuüben. Es gibt auch diesbezüglich eine Tendenz, dass zwei große Oligopole entstehen, die die Preise miteinander abstimmen werden. Das wird ganz automatisch so laufen. Wir werden in der Bundesrepublik aber nicht zu einem vernünftigen Milchpreis kommen, sondern immer nur den Schrei nach staatlicher Hilfe hören, solange der Staat so massiv eingreift, wie er es momentan tut. Der Staat setzt derzeit nicht nur grobe Rahmenbedingungen, sondern greift massiv in den Markt ein.

Den aktuellen Vorschlag des stellvertretenden Bauernverbandschefs, einen Fonds zum Aufkauf von Milch zu gründen, halte ich nicht für die richtige Lösung. Die Folge wären Milchseen, die es in der EU schon einmal gab. Damals hat man erkannt, dass dies nicht der richtige Weg ist. Ich glaube, dass wir - wie in anderen Wirtschaftsbereichen auch - davon wegkommen müssen, dass der Staat alles im Detail regelt. Das wird nicht glücken. Der Staat ist lediglich dazu da, um Rahmenbedingungen zu setzen, innerhalb derer sich die soziale Marktwirtschaft entwickeln kann. Das wird die Landwirtschaft voranbringen.

Wenn wir als Staat etwas für die Landwirtschaft tun wollen, dann müssen wir - wie die Kollegin Rodust das schon gesagt hat - mehr an Qualität als an Quantität denken. Wir müssen die Direktvermarktung und eine nachhaltige Produktion unterstützen. Auch das Marketing, das die Verbände für die Milchwirtschaft betreiben, müssen wir unterstützen. Schließlich müssen wir Agrarumweltmaßnahmen finanzieren. Dann, Kollege Matthiessen, ist zum Beispiel auch unseren Hallig-Bauern geholfen.

(Beifall des Abgeordneten Detlef Matthies- sen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das ist die Aufgabe des Staates. Aus allem anderem hat er sich herauszuhalten. Wenn wir uns daran halten, tun wir etwas Gutes für die Landwirtschaft.

(Beifall beim SSW)

Für die Landesregierung erteile ich dem Minister für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume, Herrn Dr. Christian von Boetticher, das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Milch hat es nicht nur auf die Titelseiten geschafft, sondern auch in das Bewusstsein der Verbraucherinnen und Verbraucher. Das begrüße ich. Ich begrüße zudem, dass wir heute Gelegenheit haben, darüber zu diskutieren.

Ich will jetzt nicht die gesamte Geschichte des Milchstreiks wiederholen; dazu ist genug gesagt worden. Die Ursachen für den niedrigen Milchpreis waren - das ist auch schon gesagt worden - die Ausdehnung der Erzeugung, die Rückläufigkeit der Nachfrage, ein schwächelnder Weltmarkt und ein sehr starker Euro. Ich kann den Lieferungsstreik daher durchaus verstehen. Mein Verständnis hört allerdings dort auf, wo die Verpflichtungen aus Milchlieferverträgen anderer berührt werden, wo Proteste nicht nur auf eigene Kasse stattfinden, sondern auch auf Kasse anderer. Ich bitte Sie, Herr Matthiessen, diese Tatsache zur Kenntnis zu nehmen. Eine lafontainsche Zahlenindoktrination dergestalt, dass man irgendwelche Zahlen in den Raum wirft, ohne sie belegen zu können, hilft da überhaupt nicht weiter.

Tatsächlich haben sich gerade einmal 30 % der Milchbauern in Schleswig-Holstein an den Milchlieferungsstreiks beteiligt. 6 bis 7 Millionen kg Milch sind verloren gegangen. Das sind gerade einmal 15 % der Gesamtmenge. Das ist die Realität. Das ist nachweisbar und belegbar. In SchleswigHolstein hat sich die Mehrheit der Milchbauern an den Streiks gerade nicht beteiligt. Wenn ohnehin jeder gestreikt hätte, wäre die Blockade der Meiereien auch sinnlos gewesen.

Es ist unredlich, dass der Bundesvorstand des BDM sich jetzt zurücklehnt und sagt, dass er mit den regionalen Streiks nichts zu tun gehabt hätte. Ich finde es nicht redlich, die Bauern in eine solche Auseinandersetzung zu schicken und anschließend die Hände hochzuhalten, die Bauern jetzt mit eventuellen Regressforderungen allein zu lassen. Nach zehn Tagen war der Streik beendet. Während ich auf der Agrarministerkonferenz mit der Bundesspitze des BDM gesprochen habe, hat der Ministerpräsident

die Verhandlungspartner dankenswerterweise an einen Tisch gebracht. Darauf kommt es entscheidend an. Politik kann keine Preise machen. Sie kann die Beteiligten nur an einen Tisch bringen. Die Preise werden zwischen den Marktbeteiligten gemacht.

Es gab nun eine Erhöhung des Frischmilchpreises von 7 bis 10 ct je Liter. Das betrifft aber gerade einmal 10 % der Erzeuger in Schleswig-Holstein, weil der Frischmilchmarkt nur ein ganz kleiner Markt ist. Am Ende kommt leider doch viel weniger bei den Bauern an als erhofft. Eine überschlägige Rechnung hat inzwischen ergeben, dass der Schaden aufgrund der Nichtlieferungen 7 Millionen € beträgt. Den Schaden aufgrund der Blockade - ohne den Produktionsausfall - beziffert man auf 2 Millionen €. Es sind also erhebliche Schäden entstanden. Deshalb glaube ich nicht, dass es gut ist, wenn ein Bauer gegen einen anderen Bauern die Hand erhebt. Ich bin froh, dass Bauernverband und BDM am Ende gemeinsam für höhere Preise gekämpft haben. Der Bauernverband hat das dadurch zum Ausdruck gebracht, dass auf seine Initiative hin vor EDEKA selbst gestreikt wurde. Das habe ich für sinnvoll gehalten, weil sich an der Stelle die Verursacher des Preisdrucks befinden.

Ich will etwas zur programmatischen Grundausrichtung sagen. Der BDM schlägt jetzt ein Modell vor, nach dem eine dauerhafte Quotenregulierung durch die Europäische Union erfolgen soll. Ich habe heute mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, dass die Grünen sich dieses Modell zu eigen machen. Dieses Modell kann nicht funktionieren, weil es bisher noch niemand geschafft hat, sich der WTO und der fortschreitenden Liberalisierung in den Weg zu stellen. Das ist ein völliger Irrweg, der am Ende nicht funktionieren wird. Wenn die Quote 2015 dann doch wegfällt, sind alle diejenigen, die sich nicht vorbereitet haben, denen man vorgegaukelt hat, man könnte dauerhaft behütet unter einer Glocke leben, die Dummen. Der Glaube an ein solches System wird bestraft werden.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Nur eine marktgerechte Lösung kann helfen. Wir müssen uns jetzt für die Zeit nach dem Wegfall der Milchquote fit machen. Wir brauchen bessere Meiereistrukturen. Das ist aber ein Stück weit Sache der Landwirtschaft, die in dieser Hinsicht genossenschaftlich organisiert ist. Im Übrigen haben wir schon eine ganze Menge auf den Weg gebracht. Ich selber habe zusammen mit meinen Kollegen durchgesetzt, dass es nur noch zwei große Übertra

(Lars Harms)

gungsbezirke für die Milchquote gibt; früher waren es über 30. Das hat zu einer hohen Milchquote für die Erzeuger in Schleswig-Holstein geführt. Wir haben eine Quote von weit über 20 Millionen kg zukaufen können. Schleswig-Holstein ist also Profiteuer dieser Entwicklung.

Herr Matthiessen, in Bezug auf diese Fragen hat wahrscheinlich nur Gregor Gysi mehr Wendungen hingelegt als Sie.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist eine Be- leidigung!)

Ich will Ihnen ein Zitat vorhalten. Sie sind den Kollegen Ehlers eben in einer üblen Art und Weise angegangen. Wissen Sie, was Klaus Müller damals geantwortet hat, als Claus Ehlers darauf verwiesen hat, dass die Milchquote, wenn, dann sehr sacht auslaufen muss? Er hat gesagt - ich zitiere aus dem Stenografischen Bericht über die 115. Sitzung des Landtages vom 26. Mai 2004, Seite 8984 -:

„Lieber Claus Ehlers, gerade du müsstest doch wissen, was 20 Jahre Mengenregulierung und Mengenreduzierung bewirkt haben, ein ausgesprochen zweifelhafter Erfolg. Ich kenne kaum einen Landwirt, der unter vier Augen oder in einer ehrlichen Stunde mit den Milchquoten zufrieden ist, der nicht sagen würde: Hier hat die Politik die Landwirtschaft auf einen Irrweg geführt. …

Die Richtung wird … hin zu einem Weg gehen, dass wir in zehn, 15 Jahren erleben werden, dass die Milchquoten entweder entwertet oder abgeschafft sind.“

(Beifall bei CDU, SPD, FDP und SSW)

Klaus Müller von den Grünen, genau an dieser Stelle!