Protokoll der Sitzung vom 12.11.2008

- Aber selbstverständlich, lieber Kollege Baasch, ist mir das bewusst. Genau aus diesem Grund - ich hätte die Frage anders gestellt, aber Sie kriegen jetzt eine Antwort auf die Frage, die Sie gestellt haben - wurde diese Beratungspluralität, die ich Ihnen gerade zugegebenerweise etwas nervig vorgelesen habe, weil man das ein bisschen schnell machen muss, geschaffen.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

- Ach, Herr Stegner, wissen Sie, Ihre Zwischenrufe waren auch schon mal intelligenter. Aber ich kann verstehen, dass Sie im Moment nicht auf der Höhe Ihres kreativen Schaffens sind.

(Heiterkeit bei FDP und CDU)

Herr Baasch, wir haben Beratungsmöglichkeiten sowohl für den ambulanten Bereich als auch für den stationären Bereich. Selbstverständlich sollen diese Beratungsmöglichkeiten auch dazu dienen, Pflegebedürftigen die genau passgerechte Form einer Versorgung zukommen zu lassen. Ich sage ja

mit Absicht: Vor dem Hintergrund sollten wir Sozialpolitiker ernsthaft noch einmal eine Diskussion darüber führen, ob es nicht möglich ist, mehr Geld bei den Pflegebedürftigen ankommen zu lassen.

(Jutta Schümann [SPD]: Was gibt es denn da für Konzepte?)

- Frau Kollegin Schümann, zum Beispiel wäre ich schon glücklich, wenn wir dadurch den Tagessatz für Demenzkranke, auch wenn es nur wenig ist, erhöhen könnten, wenn wir ihn auch nur ein wenig erhöhen könnten. Vor dem Hintergrund -

(Zuruf von der SPD: Jetzt mal Butter bei die Fische!)

- Wie, Butter bei die Fische? Da haben Sie sich in der letzten Ausschusssitzung verweigert. Sie wollen unbedingt - ich habe noch 37 Sekunden, Frau Präsidentin - eine neue Struktur schaffen. Ich will, dass die Pflegebedürftigen mehr Geld bekommen.

(Beifall bei der FDP)

Meine Hauptkritik an dem Gesetzentwurf ist nicht, dass er handwerklich nicht umzusetzen ist, sondern meine Hauptkritik ist, dass hier den Menschen etwas vorgemacht wird, dass Hoffnungen geweckt wurden, die überhaupt nicht erfüllt werden können, auch nicht mit diesem Gesetzentwurf.

(Beifall bei der FDP)

Ich merke schon: Wir werden fröhliche Ausschussberatungen in vielen Bereichen haben. Insofern bedanke ich mich auch für die fröhlichen Zwischenrufe.

(Beifall bei der FDP)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg und erteile das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Frau Abgeordneten Angelika Birk.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Selbstbestimmung ist der Titel des Gesetzes. Auch ich finde, dass er nicht in allen Fragen eingelöst ist. Aber anders als der Kollege Garg finde ich den Anspruch, diesen Selbstbestimmungstitel mit Leben zu füllen, absolut berechtigt und überfällig.

(Beifall)

(Dr. Heiner Garg)

Ich muss sagen: Ich habe mich wirklich sehr gewundert über Ihren Beitrag, weil Sie sonst zur Altenpflege sehr engagiert sprechen. Aber hier haben Sie gesagt: Schuster, bleib bei deinem Leisten und schmink dir alle Ansprüche auf Selbstbestimmung ab. Das kann doch nicht das letzte Wort sein.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Haben Sie nicht zu- gehört?)

Kommen wir zur Sache: Obwohl Schleswig-Holstein schon 42.000 Pflegeheimplätze hat, denen nur 36.000 Nachfragen von Pflegebedürftigen für solche Plätze gegenüberstehen, wird das vorliegende Gesetz allein - in dem Punkt muss ich natürlich der Kritik Recht geben - den weiteren Aufbau einer Blase an Pflegeheimimmobilien nicht stoppen. Hierzu hat die Ministerin aber weitere Gesetze angekündigt, und hier ist natürlich auch der Bundesgesetzgeber gefragt.

Nur ein Beispiel: Die HSH Nordbank hat eine Tochter namens Real Estate. Gerade ist es der Stadt Segeberg mit Mühe gelungen, in dem Kreis, in dem es die meisten Pflegeheimplätze in diesem Land gibt, zu verhindern, dass eine weitere Pflegeheimeinrichtung entsteht, die nicht gebraucht wird. Sehr offensiv und sehr aggressiv hat die HSH Nordbank Real Estate angekündigt; sie wolle 500 Millionen in Norddeutschland investieren, um Pflegeheimplätze zu bauen. In Bad Segeberg hat sie ihr großspuriges Auftreten unterstrichen, indem sie auch noch den eigentlichen Betreiber dieser Einrichtung geheim gehalten hat. Dies alles hat zu Unmut im Stadtparlament geführt. Ich kann nur sagen: Glücklicherweise wurde das Vorhaben abgelehnt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Zu diesem Problem brauchen wir das angekündigte Pflegeinfrastrukturgesetz. Hier brauchen wir noch andere Maßgaben des Bundes, damit so etwas nicht mehr vorkommt.

Aber kommen wir jetzt zu dem, was in diesem Gesetz geregelt wird. Die Stärkung der Verbraucherund Menschenrechte der Pflegebedürftigen und der Menschen mit betreuungsbedürftigen Behinderungen ist zentraler Auftrag des vorliegenden Gesetzes. Nicht jede Behinderung ist betreuungsbedürftig, aber es gibt solche, bei denen eine alltägliche Unterstützung notwendig ist. Die Verbraucher sollen gegenüber den Dienstleistern und gegenüber den Kostenträgern gestärkt werden. Es ist in dem Gesetz eine widersprüchliche Logik enthalten. Einerseits wird von dem Einzelnen ausgegangen. Diesen Ansatz, ein Gesetz vom einzelnen Menschen

her zu definieren und zu formulieren, begrüße ich sehr. Aber an anderen Stellen ist wieder die traditionelle Gliederung des alten Heimrechts übernommen worden, und es wird von der Einrichtung her gedacht. Diese beiden grundsätzlich verschiedenen Perspektiven kollidieren natürlich genau an der Stelle, an der es um neue Wohn- und Pflegeformen geht.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Da müssen wir noch einmal gemeinsam gucken, wie man das vernünftig neu ordnen kann. Es ist ja tatsächlich ein neues gesetzgeberisches Vorhaben. Es gibt keine Blaupause, die man abkupfern könnte. Insofern sind wir da auch als Parlament gefordert, bei dieser Vorlage des Ministeriums, die eine gute Arbeitsgrundlage ist - so weit möchte ich an dieser Stelle das Gesetz durchaus verteidigen -,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

die aber noch nicht fertig ist, weiter kreativ tätig zu werden. Ich möchte das an einigen Beispielen deutlich machen.

Die finanzielle Mitsprache der Betroffenen, wenn es um das Entgelt für die Pflegeleistungen geht, ist an keiner Stelle geregelt. Im Landesausschuss, in dem Kostenträger und Dienstleister zusammensitzen, sitzt zum Beispiel weder der Behindertenbeauftragte noch der Verbraucherschutz oder sonst eine Gruppierung, die sagt: Ich trete jetzt für die zu Pflegenden oder die Menschen mit Behinderung ein und vertrete ihre Rechte.

Auf der anderen Seite, wenn es um die einzelne Einrichtung geht, ist zwar geregelt, dass der Heimbeirat oder auch Angehörige Einblick in die finanziellen Unterlagen haben, aber auch an dieser Stelle könnte man sich sehr viel mehr vorstellen. Auch das Thema Veröffentlichung ist aus meiner Sicht nicht gut geregelt. Die Veröffentlichung der Qualität von Pflegeeinrichtungen und Pflegediensten wird in dem § 18 einem Landesgremium von Pflegeverbänden und Kostenträgern übertragen. Dort soll geregelt werden, was veröffentlicht wird und wie die Einrichtungsqualität in einer Veröffentlichung dokumentiert wird. Ich hätte mir schon gewünscht, dass das Gesetz selber mehr Anhaltspunkte enthält, anstatt es in ein Gremium zu verlagern. Denn Kosten und Qualität stehen hier in einer Beziehung. Nur dann, wenn zu beiden Aussagen gemacht werden, gibt es in ein Gremium wirklich Verbraucherschutz.

(Angelika Birk)

In dem Fall, in dem die Heimbeiräte weder aus Angehörigen noch aus Betroffenen, also Menschen mit Behinderung oder zu Pflegende, zusammengesetzt sind, weil zum Beispiel eine Einrichtung gerade erst neu gegründet wurde, oder weil es offensichtlich sehr viel Kritik gegeben hat oder die Menschen dort nicht in der Lage sind, ihre Angelegenheiten zu regeln, wird ein Heimbeirat von der Behörde - so heißt es im Gesetz - im Benehmen mit der Heimleitung eingesetzt. „Im Benehmen mit der Heimleitung“ heißt schon, dass die Behörde den Aufschlag macht. Dennoch kann man sich bei einer solchen Formulierung vorstellen, dass das, was man unter einer unabhängigen Vertretung der Betroffenen versteht, nicht gewährleistet ist. Außerdem ist nicht klar geregelt, in welchen Fällen und für wie lange ein solcher eingesetzter Heimbeirat tätig werden kann.

Das sind Details, bei denen man genau schauen muss, wie die Regeln einer Institution und die Rechte der Individuen besser in Übereinstimmung gebracht werden können, als das hier der Fall ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir möchten an dieser Stelle darauf eingehen, was wir uns an Mitbestimmung, an Selbstbestimmung vorstellen. Warum ist zum Beispiel nicht ganz deutlich geregelt - insofern widerspreche ich dem Herrn Kollegen Garg vehement -, dass Menschen ein Recht auf eine unabhängige Beratung durch eine Pflegeberatungsstelle haben

(Beifall der Abg. Jutta Schümann [SPD] - Jutta Schümann [SPD]: Frau Kollegin, Sie haben es auch verstanden und er nicht!)

und dass sie auch das Recht darauf haben, dass das, was die Pflegekassen dabei zu leisten haben, bestimmten Kriterien genügt? Ich weiß, dass wir uns hier an einer Schnittstelle zu Bundesgesetzen befinden.

Frau Abgeordnete, erlauben Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Garg?

Nein. Das brauche ich jetzt nicht. Wir können uns gern im Ausschuss vertieft darüber unterhalten.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Wir unterhalten uns gleich!)

Ich möchte nun zunächst die Position meiner Fraktion darstellen.

Mit den Pflegeberatungsstellen, mit den Pflegestützpunkten haben wir eine schwierige Konstruktion, weil die Pflegekassen in das Case-Management, in diese Beratungsstellen neu eingebunden werden. Zu Recht besteht Kritik, dass damit die Unabhängigkeit infrage steht. Wenn wir jetzt eine solche Konstruktion wagen, hätte ich mir auf der anderen Seite gewünscht, dass an dieser Stelle in dem Gesetz deutlicher Bezug auf die Rechte genommen wird, die die Ratsuchenden einer solchen Einrichtung gegenüber haben.

Kommen wir zu den neuen Wohnformen! Diese wurden im Vorfeld des Gesetzes, sei es von Behinderten, sei es von Menschen mit Pflegebedarf, mit großen Erwartungen begleitet. Hier muss ganz deutlich unterschieden werden: Es gibt zwei verschiedene Arten. Entweder sie tun sich zusammen und gründen eine Wohngemeinschaft. Solange kein Betreuungsbedarf besteht, hat darin keine Behörde etwas zu suchen. In dem Moment aber, in dem sie betreuungs- oder pflegebedürftig sind, müssen sie diese Gründung anzeigen. Das ist natürlich schon ein erster Verwaltungsakt. Offenbar geht der Gesetzgeber - hier das Ministerium - bisher davon aus, dass die meisten Wohngemeinschaften doch von einer Art Träger gegründet werden. Insofern befinden sich viele Regelungen in diesem Gesetz, die diese Wohngemeinschaften doch wieder sehr nah an ein Heim rücken.

An dieser Stelle müssen wir genau hinschauen. Ich weiß, dass natürlich auch das beste Konzept einer Wohngemeinschaft missbraucht werden kann. Insofern müssen wir zusehen, dass es Regelungen gibt, die Geschäftemachern das Handwerk legen. Dennoch ist mir die Vorstellung, dass die Wohngemeinschaften vor allem doch wieder nur ein neues Geschäftsfeld für Pflegedienste oder Heimbetreiber sind, nicht sehr sympathisch. Ich muss an dieser Stelle sagen: Ich würde mir wünschen, dass die Rechte von Wohngemeinschaften, die nicht von kommerziell Interessierten betrieben werden sollen, noch besser beschrieben und definiert werden und dass es Rahmenbedingungen gibt, damit diese Wohngemeinschaften tatsächlich entstehen.

Das Gesetz ermöglicht also endlich einen Schritt auf eine alltäglich größere Vielfalt an Pflegewohnformen, aber die verschiedenen Aspekte von mehr Selbstbestimmung sind nicht konsequent durchgehalten. Insofern ist das Gesetz dem Anspruch auf eine humane Pflege, wie er laut unserer Landesverfassung besteht, noch nicht in allen Formen gerecht geworden. Das sollte uns aber Ansporn sein, dieses Gesetz gemeinsam in den Punkten, in denen

(Angelika Birk)

es noch verbesserungsbedürftig ist, zu verändern und es nicht in Grund und Boden zu reden, wie dies gerade der Kollege Garg getan hat.

Eines darf ich aber sagen: Das Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Januar 2009 halte ich, so wünschenswert es ist, dass dieses Gesetz bald in Kraft tritt, für utopisch, es sei denn, wir nehmen all das, was wir gerade über Beratung gesagt haben, nicht ernst. Ich möchte eine vernünftige Anhörung haben, ich möchte mich auch mit den einzelnen Anzuhörenden unterhalten können und nicht nur Schriftstücke entgegennehmen. Angesichts der Weihnachtstage brauchen wir dafür wahrscheinlich ein bisschen länger.