Eines darf ich aber sagen: Das Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Januar 2009 halte ich, so wünschenswert es ist, dass dieses Gesetz bald in Kraft tritt, für utopisch, es sei denn, wir nehmen all das, was wir gerade über Beratung gesagt haben, nicht ernst. Ich möchte eine vernünftige Anhörung haben, ich möchte mich auch mit den einzelnen Anzuhörenden unterhalten können und nicht nur Schriftstücke entgegennehmen. Angesichts der Weihnachtstage brauchen wir dafür wahrscheinlich ein bisschen länger.
Begrüßen Sie mit mir auf der Tribüne Mitglieder der Jungen Union Schleswig-Holstein sowie den Beauftragten für Menschen mit Behinderung, Herrn Dr. Ulrich Hase, der gerade erfahren hat, dass der Tagesordnungspunkt, zu dem er erschienen ist, nicht mehr aufgerufen wird. Es tut mir leid, aber so verläuft manchmal ein Debattentag. - Herzlich willkommen!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Viele Jahrzehnte lang gaben Menschen mit dem Einzug ins Pflegeheim ihre Rechte preis. Sie wurden als Betreuungsfälle definiert und in innerbetriebliche Abläufe eingepasst. Individuellen Wünschen und Vorlieben wurde selten entsprochen.
Das Heimgesetz wollte 1974 diese Missstände abschaffen, den Bewohnern mehr Rechte einräumen und die Vertragsbeziehungen zwischen Trägern, Kostenträgern und Bewohnern transparenter machen. Seitdem gab es viele Änderungen, die die Bemühungen widerspiegelten, in dem Dreieck zwischen Bewohner, Personal und Heimfinanzierung gerechte Ausgleiche zu schaffen. Das Heimgesetz hat sich dabei allmählich von einem reinen Kontrollgesetz zu einem Koordinierungsgesetz gewandelt, das aber immer noch deutliche Lücken hatte
und sich von seiner institutionellen Sichtweise, bei der zunächst die Interessen der Institution und erst dann die der Bewohner befriedigt werden, nicht zu lösen vermochte.
Das alles ist jetzt Geschichte. Jetzt fällt den Ländern die Gesetzgebungskompetenz zu. Das ist ein Neuanfang und eine Chance, die nicht oft gewährt wird.
Der SSW begrüßt die Länderkompetenz im Heimrecht. Das ist eindeutig ein Schritt nach vorn, weil die regionalen Besonderheiten am besten vor Ort geregelt werden können. Es ist eben nicht so, dass alle Einrichtungen und ihre Umgebung gleich sind. Der SSW hat aber gleichzeitig davor gewarnt, mit der Übernahme der Länderkompetenz Standardverschlechterungen zu akzeptieren, die beispielsweise die Zahl qualifizierter Pflegekräfte reduzieren. Wir sollten die neuen Regelungsmöglichkeiten für die Verbesserung der Situation der Bewohnerinnen und Bewohner nutzen. Dazu verpflichtet uns bereits die Landesverfassung.
Ich habe bei dem vorliegenden Gesetzentwurf den Eindruck, dass genau das auch der Hintergrund ist beziehungsweise, dass die Landesregierung dies auch wirklich beachtet hat.
Das neue Pflegegesetzbuch soll in Teilen die rechtliche Grundlage für Heime in Schleswig-Holstein sein. Der Zweck des ersten von drei Gesetzen ist die Verwirklichung der Rechte von Erwachsenen, die stationär oder teilstationär in Einrichtungen untergebracht sind. Nichts anderes als Erwachsene mit eigenen Rechten sind nämlich Pflegebedürftige oder Menschen mit Behinderung, die dauerhaft oder vorübergehend in Institutionen leben. Das Gesetz ermahnt uns in aller Deutlichkeit, keinesfalls die Person hinter ihrer Behinderung oder Beeinträchtigung verschwinden zu lassen. „Der Mensch kommt zuerst!“ Das war das Motto von Menschen, die sich nicht mehr als unmündige Empfänger gut gemeinter Fürsorge verstanden und behandelt wissen wollten, sondern als Menschen. Die Grundlage ist das Recht auf Selbstbestimmung, angefangen bei der Auswahl aus verschiedenen Speisen, bis hin zu Entscheidungen der individuellen Lebensplanung.
Damit kann das Pflegegesetzbuch, das uns heute vorliegt, ein Meilenstein in der Pflegepolitik sein. Dahinter sollten wir niemals mehr zurückgehen.
Wie andere Gesetze auch sollte das neue Pflegegesetzbuch klar, transparent und verbindlich sein. Bezüglich der Klarheit bringt das neue Gesetz viele Fortschritte. Juristische Formulierungen wurden in eine klare Sprache übersetzt, zum Beispiel bei der Definition, was ein Heim überhaupt ist. Das begrüßt der SSW ausdrücklich als Beitrag zu einer besseren Zugänglichkeit des Gesetzes für Laien. Dies ist besonders wichtig, weil man als Betroffener durchaus zum Beispiel auf die Unterstützung Angehöriger angewiesen sein kann und weil diese die Rechtsgrundlagen jetzt besser verstehen können. Das hört sich zunächst trivial an, ist aber im konkreten Vollzug außerordentlich wichtig, und dies trägt gerade auch zur Transparenz bei, die wir alle immer eingefordert haben.
In puncto Verbindlichkeit bedeutet das Gesetz ebenfalls einen Fortschritt. Der Staat wird verbindlich zur Umsetzung des Verfassungsauftrags verpflichtet. Er sollte diesen Auftrag mit möglichst konkreten Regelungen in Verordnungen umsetzen, die noch kommen müssen, um deutlich zu machen, dass es ihm ernst ist. Das Gesetz regelt naturgemäß nur das, wozu es aufgrund des Grades der Abhängigkeit der Betroffenen keine Alternative gibt.
In den Einzelregelungen ist der Wunsch nach Verbesserungen zu erkennen. Eindeutig bekennt sich das Land beispielsweise zu seiner Verpflichtung, die neutralen Pflegeberatungsstellen zu finanzieren. Schleswig-Holstein hat damit in Sachen Pflege genau das erreicht, was in Sachen Drogenberatung, Familienberatung und Schuldnerberatung noch aussteht.
Das Krisentelefon hat sich ebenfalls mit nahezu 300 Anrufen im Jahr 2007 bewährt. Es ist gut, dass diese Einrichtung auf eine solide Basis gestellt wird, auch wenn im Gesetz bisher nicht eindeutig ein Finanzierungsträger genannt wird.
Zwei Regelungen sollten wir dagegen nach unserer Auffassung ändern. Die erste betrifft den Kern der Mitbestimmung. In § 16 fehlen Fragen der Entgeltgestaltung im Katalog der Mitwirkungsbereiche. Im Heimgesetz heißt es in § 7, die Erhöhung des Entgelts bedürfe außerdem der Zustimmung der Bewohnerin oder des Bewohners.
Der SSW fordert die Übernahme genau dieser Regelung auch für Schleswig-Holstein, weil das echte Mit- und Selbstbestimmung ist.
Die zweite Regelung betrifft die Angehörigenmitbestimmung. Immer wieder beklagen Angehörige, dass die Heimmitwirkungsverordnung einen Angehörigen- oder Betreuerbeirat nicht verpflichtend geregelt hat.
Das Pflegegesetzbuch nimmt hier keine materielle Verbesserung vor, sondern formuliert die Beteiligung von Angehörigen als Soll-Vorschrift. Der SSW hat in diesem Bereich erheblichen Beratungsbedarf, der unter anderem durch die Möglichkeit ausgelöst wird, dass - nachdem sich seit Jahresbeginn die Menschen mit Behinderung Leistungen zur Teilhabe selber einkaufen können - sie auf Beratung externer Menschen angewiesen sein können und es eigentlich nicht angehen kann, dass diese nicht auch entsprechend mitwirken können. Deswegen meinen wir, dass wir noch einmal nachdenken sollten, ob eine entsprechende Mitwirkung möglich sein kann und - wenn ja - wie wir sie entsprechend im Gesetz formulieren.
Allerdings muss auch ich als Vertreter des SSW sagen, dass bei aller Kritik das neue Pflegegesetz jetzt schon in die richtige Richtung weist und den sich wandelnden Ansprüchen in unserer Gesellschaft Rechnung trägt. Auch das ist wieder eine Weiterentwicklung des bisherigen Heimgesetzes. Ich muss wirklich sagen, dass es okay ist, wie es gemacht wird.
Wir sollten in den Beratungen auch gucken, ob wir das schon umsetzen, was im Gesetz steht, indem wir - zum Beispiel - nicht nur Heimbeiräte zu den Anhörungen einladen, sondern dass sich auch die Mitwirkungsorgane der Betroffenen selbst äußern können. Wir sollten Betroffene einladen, die von sich aus sagen können, was sie noch für wünschenswert erachten. Ich glaube, dass die Menschen, die in diesen Heimeinrichtungen untergebracht sind, wirklich am besten wissen und selbst auch uns gegenüber - formulieren, was sie wollen. Ich glaube, das sollte für uns die Richtschnur dafür sein, wie wir das Gesetz weiter gestalten.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Lars Harms und erteile das Wort nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin Birk, ich wollte das so nicht stehenlassen. Sie haben eingefordert, dass nun endlich - so Ihre Worte - Pflegebedürftige und ihre Angehörigen eine unabhängige und qualifizierte Beratung bekommen sollen. Wenn Sie den Katalog, den ich Ihnen vorhin aufgezählt habe, im Kopf haben
- nein, Herr Stegner, ich lese ihn nicht noch einmal vor, ich habe aber noch etwas für Sie vorbereitet und dann sagen, dass all dies - inklusive § 7 des Landespflegegesetzes, trägerunabhängige Beratungsstellen - das noch nicht garantiert, dann will ich Ihnen sagen, was ich Ihnen bisher vorenthalten habe. Es gibt weitere Angebote, und zwar das Pflegenottelefon von den Trägern von Pflegeeinrichtungen, von der Alzheimergesellschaft Schleswig-Holstein, des Landesseniorenrates, der Seniorenbeiräte, der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein, des Vereins Patientenombudsmann/frau, der Sozialverbände und die örtlichen Beratungsangebote im Bereich zahlreicher Selbsthilfegruppen. Frau Birk, wenn Sie ernsthaft vor dem Hintergrund - wir können uns über vieles noch unterhalten - behaupten oder glauben machen wollen, dass es bis jetzt keine qualifizierte und umfassende Beratung für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen in Schleswig-Holstein gibt, dann, glaube ich, habe nicht ich nicht verstanden, sondern dann haben Sie in den letzten zehn Jahren etwas nicht mitbekommen.
Einen weiteren Wortbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung wird nunmehr Frau Abgeordnete Jutta Schümann leisten.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Trägerunabhängige Beratungsstellen haben wir deshalb eingerichtet, um Anlaufstellen in einem Kreis zu schaffen, in dem sich Betroffene oder Angehörige über Beratungsangebote, Versorgungsangebote und Infrastrukturangebote informieren können, um passgenau und individuell für sich auszuloten, was man tun muss und was man in Anspruch nehmen kann, um sich in der persönlichen Situation Hilfe zu organisieren oder zu prüfen, ob man in ein
Pflegeheim umziehen muss oder zu Hause wohnen bleiben kann. Das Ergebnis dieser Beratungsarbeit ist evaluiert worden - sehr sinnvoll, sehr vernünftig - und hat gezeigt, dass genau diese Beratung über das gesamte Spektrum - auch Informationen über Pflegestrukturen - dafür gesorgt hat, dass sehr viele Menschen gar nicht in ein Pflegeheim umziehen mussten, sondern dadurch in die Lage versetzt worden sind, passgenau für sich Hilfen zu organisieren. Natürlich brauchen sie dafür unterschiedliche Anlaufstellen, natürlich müssen sie sich in der Pflegeversicherung oder in der Krankenversicherung schlaumachen. Das macht diese Beratungseinrichtungen doch nicht überflüssig, sondern es muss gebündelt und an einer Stelle sinnvoll zusammengetragen werden.
Herr Kollege Garg, es klingt immer ganz schön, wenn Sie sagen, Sie wollen die ganze Beratung nicht, und das Geld soll bei den Menschen ankommen.
- Das haben Sie hier eben gesagt, und das ist einfach falsch. Es ist kein Leistungsgesetz, um das es hier geht.
Es geht um ein Gesetz, in dem wir die Strukturen neu organisieren, und die wollen wir vernünftig für die Menschen organisieren. Wir wollen vernünftige Strukturen und Prozesse organisieren. Das Leistungsgesetz in diesem Zusammenhang ist das Pflegeversicherungsgesetz.
Das leistet. Wenn wir über eine verbesserte finanzielle Ausstattung von Pflegebedürftigen sprechen wollen,
Frau Kollegin Schümann, würden Sie mir recht geben, dass ein Teil der beschlossenen Beitragserhöhung zum SGB XI genau zum Aufbau der von Ihnen gerade proklamierten Infrastrukturen verwendet werden muss, damit also auch zum Aufbau neuer, zusätzlicher Beratungsstrukturen?
- Nicht neuer zusätzlicher Beratungsstrukturen! Das Ziel ist - wenn Sie sich einmal das Konzept von Pflegestützpunkten bundesweit angucken -, mit einem solchen Beratungsangebot bisherige Leistungen zu bündeln und dieses sinnvoll zusammenzutragen, und das brauchen wir in unserem Land. Das haben wir nachgewiesen!