Protokoll der Sitzung vom 12.11.2008

Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Garg. - Das Wort für den SSW im Landtag hat nun Herr Abgeordneter Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der massiven Ausweitung und Verschärfung der Sicherheitsgesetze auf Bundes- und Landesebene sind die zuständigen Innenminister bis an den Rand des verfassungsrechtlich Erlaubten gegangen und haben dies aus Sicht des SSW in manchen Fällen überschritten. Gerade die Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die der Kollege Matthiessen zitiert hat, bestätigen dies.

Um die entsprechenden Gesetze durchzubringen, wurden Terrorszenarien aufgeführt und Sicherheitsrisiken dargestellt, die es nahezu unmöglich machten, gegen diese Verschärfungen zu argumentieren. Welche Blüten dies alles getrieben hat, wissen wir. Hier wurde alles Mögliche und Unmögliche getan, um die innere Sicherheit weitgehend herzustellen. So war es zumindest vonseiten der Befürworter zu vernehmen. Der SSW hat die Ausweitungen und Verschärfungen dieser Gesetze sehr kritisch begleitet. Wir können also feststellen, dass im Namen der inneren Sicherheit vieles Merkwürdige bei uns im Land getan wurde, um die Bevölkerung vor kriminellen und insbesondere vor terroristischen Anschlägen zu schützen.

Ein Thema, das wie eine heilige Kuh unantastbar geblieben ist, sind die Atomkraftwerke und die Gefahr, die von ihnen im Fall eines terroristischen Anschlags ausgeht. Bereits im März 2004 hat sich der Schleswig-Holsteinische Landtag mit der Sicherheit von Atomkraftwerken im Zusammenhang mit terroristischen Anschlägen beschäftigt. Insbesondere ging es hierbei um das AKW Brunsbüttel. Diese Diskussion wurde seinerzeit vom Präsidenten des Strahlenschutzamtes, Herrn König, angefacht, der festgestellt hat, dass die älteren Meiler der Republik einem Terrorangriff mit Passagierflugzeugen nicht standhalten können, und dies gilt auch für das AKW Brunsbüttel. Denn Wissenschaft und Technik waren während der Errichtungsphase des AKW Brunsbüttel nicht in der Lage, die notwendige Vorsorge im Falle eines Flugzeugabsturzes zu treffen.

Die Landesregierung wies damals darauf hin, dass die schleswig-holsteinischen AKWs in einer Zeit gebaut wurden, als terroristische Angriffe mit Passagierflugzeugen noch völlig undenkbar waren, und

(Dr. Heiner Garg)

sie bestätigte seinerzeit die Äußerungen des Präsidenten des Strahlenschutzamtes, dass Brunsbüttel gegen einen Terrorangriff mit Passagierflugzeugen nicht geschützt sei, weil Wissenschaft und Technik während der Errichtungsphase des AKW Brunsbüttel nicht in der Lage waren, die notwendige Vorsorge für den Fall eines Flugzeugabsturzes zu treffen.

(Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! - Unruhe)

Dies ist eine klare Aussage, an der es nichts herumzudeuteln gibt. Wir wissen also längst, dass das AKW Brunsbüttel und weitere Atommeiler in der Bundesrepublik nicht ausreichend gegen terroristische Angriffe geschützt sind und aus Sicherheitsgründen stillgelegt gehören.

Nun wurde diese Tatsache mit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts neu untermauert. Dies geht auch aus der Begründung des Antrags der Grünen hervor. Damit haben die Atomaufsichtsbehörden der Länder die Möglichkeit, bei allen Atomanlagen, die nicht ausreichend gesichert sind, nachträgliche Auflagen anzuordnen oder die Betriebsgenehmigung zu widerrufen. Bund und Länder müssen in dieser Sache kooperieren, und Ziel muss die unverzügliche Abschaltung der unsicheren Atommeiler sein. Schließlich gilt auch für diese die Begründung der terroristischen Bedrohung, die auch für all die Sicherheitsgesetze galt. Denn gerade die AKWs waren Bestandteil des Szenarios, das dazu führte, dass die Gesetze verschärft wurden. Sollten Bund und Länder nicht in der Lage sein, dies schnellstens auf den Weg zu bringen, darf Schleswig-Holstein dies nicht als Entschuldigung nutzen und in dieser Sache nichts tun. Wenn vom Bund nichts kommt, dann müssen wir eben selbst aktiv werden und veranlassen, was in unseren Kräften steht.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Daher sollten wir alles daransetzen, insbesondere die älteren AKWs früher vom Netz zu nehmen, um zumindest dieses Gefahrenpotenzial zu minimieren. Aber letztlich gewährt nur das Abschalten aller AKWs endgültige Sicherheit.

Die Ausweitung und Verschärfung der Sicherheitsgesetze kann uns letztlich niemals vor terroristischen Anschlägen schützen. Das wissen auch die Befürworter dieser Maßnahmen. Aber im Gegensatz dazu können wir für die Bevölkerung eine hundertprozentige Sicherheit im Zusammenhang mit Atommeilern erreichen, indem wir endlich den kon

sequenten Schritt vollziehen und die Meiler endgültig vom Netz nehmen. Darum müssen wir endlich mit den Meilern anfangen, von denen das höchste Gefahrenpotenzial ausgeht. Für Schleswig-Holstein bedeutet dies, das AKW Brunsbüttel jetzt sofort dichtzumachen.

(Beifall beim SSW)

Ich danke Herrn Abgeordneten Lars Harms. - Das Wort für die Landesregierung hat Frau Ministerin Dr. Gitta Trauernicht.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die schrecklichen Bilder von Terrorangriffen in den letzten Jahren haben in der Bevölkerung große Sorgen vor den Folgen eines solchen Angriffs auf Kernkraftwerke wachsen lassen. Dafür habe ich vollstes Verständnis, zumal am 11. September 2001 der Terror eine vorher nicht für möglich gehaltene Dimension an Skrupellosigkeit erreicht hat. Daher haben sich Parlamente in Bund und Land wiederholt mit der Frage des Schutzes der Bevölkerung beziehungsweise der Schützbarkeit von Kernkraftwerken befasst, haben Fachausschüsse und Expertenkommissionen Bewertungen von Risiken und Möglichkeiten zur Gefahrenabwehr vorgenommen.

Ergebnis all dieser Beratungen ist, dass es in einer modernen Industriegesellschaft keinen umfassenden, absoluten Schutz gegen alle terroristisch denkbaren Fälle geben kann. Das gilt auch für Kernkraftwerke.

Der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nimmt nun das in einem Rechtsstreit zum atomaren Standortzwischenlager Brunsbüttel ergangene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. April 2008 zum Anlass, die Landesregierung zum Widerruf der Betriebsgenehmigung des Kernkraftwerks Brunsbüttel aufzufordern und vom Bund einheitliche Maßstäbe für die Schadensvorsorge gegen Terrorangriffe auf Atomkraftwerke zu verlangen.

Die Analyse des Sozialministeriums der Bundesverwaltungsgerichtsentscheidung wie auch des Rechtsgutachtens von EUROSOLAR führt allerdings zu dem Ergebnis, dass die von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gezogene Schlussfolgerung hinsichtlich des Betriebsgenehmigungswiderrufes ein

(Lars Harms)

im Ergebnis nicht haltbarer Schnellschuss wäre. In dem gerichtlichen Verfahren ging es um die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Schleswig vom 31. Januar 2007, mit der Dritten das individuelle Recht abgesprochen worden war, gerichtlich Schutzansprüche auf bestimmte Schutzvorkehrungen gegen Terroranschläge geltend zu machen. Das Bundesverwaltungsgericht stellte demgegenüber fest, dass sich Dritte in einem gerichtlichen Verfahren auch darauf berufen können, dass bei einem Kernkraftwerk der erforderliche Schutz gegen terroristische Bedrohungen nicht gegeben sei. Es stellt außerdem fest, dass über das Maß des erforderlichen Schutzes Genehmigungsbehörden in eigener, gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Verantwortung zu entscheiden haben, und die Beurteilung der Situation durch die Genehmigungsbehörde auf einer ausreichenden Datenbasis beruhen muss und - das ist jetzt ganz wichtig - dem Stand von Wissenschaft und Technik zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung Rechnung tragen muss. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Abwehr terroristischer Gefahren vorrangig eine staatliche Aufgabe sei, aber - das ist in dieser Form neu - auch der Betreiber gefordert sei, den bestmöglich erforderlichen Schutz zu gewährleisten.

Für den konkreten Rechtsstreit um das Zwischenlager lässt das Bundesverwaltungsgericht nicht erkennen, dass es Anhaltspunkte dafür hat, die Behörde sei ihrer Verantwortung für die Risikoermittlung und -bewertung nicht gerecht geworden. Für das Kernkraftwerk Brunsbüttel ergibt sich aus den allgemeinen Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes nicht, dass ein Widerruf der Betriebsgenehmigung rechtssicher erfolgen könnte. Dabei ist berücksichtigt, dass nach Einschätzung des zuständigen Bundesinnenministeriums ein terroristischer Flugzeugabsturz auf kerntechnische Anlagen in Deutschland - ich zitiere, weil ich weiß, dass der Begriff Widerstand auslösen könnte; aber es ist der gewählte Begriff „zurzeit außerhalb des Wahrscheinlichen“ liegt. Berücksichtigt ist auch, dass die administrativen und technischen Sicherheitsmaßnahmen im internationalen Luftverkehr erheblich verschärft worden sind - nicht mit Unterstützung von jedem hier in diesem Saal. Es wurde ein Luftsicherheitsgesetz erlassen, Abfangjäger als Alarmrotteneinsatz bereitgestellt, ein nationales Lage- und Führungszentrum eingerichtet, in dem Luftwaffe, Bundesgrenzschutz und Flugsicherung zusammenarbeiten, um Gefahren aus der Luft abzuwehren.

Unabhängig von diesen Aktivitäten der staatlichen Vorsorgemaßnahmen auf dieser Ebene ist die Thematik auch ständig Gegenstand der Erörterung

in den einschlägigen Gremien des Bundesumweltministeriums. Aktuell haben gerade gestern Experten des Bundesumweltministeriums wie der Länder auf der Basis aktuell vorliegender weiterer Sachenverständigengutachten darüber beraten, ob die von den Betreibern beantragten Tarnschutzmaßnahmen ein Beitrag zu Verringerung der Trefferwahrscheinlichkeit leisten und damit Teil eines gestaffelten und miteinander verzahnten Systems unterschiedlicher Schutzmaßnahmen der Betreiber und des Staates sein können.

(Zuruf des Abgeordneten Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Ich habe nie einen Zweifel daran gelassen, dass mein Haus das Thema Vernebelung skeptisch und kritisch sieht.

Aufzulösen ist das Problem aber nicht durch eine Einzelentscheidung einer einzelnen Landesbehörde, sondern durch bisher nicht existente einheitliche Maßstäbe auf Bundesebene, die den Stand von Wissenschaft und Technik, den das Gericht als Grundlage der Burteilung verlangt, feststellen. Von daher ist dies vor allen Dingen auf Bundesebene voranzubringen. Das haben Sie mit Ihrem Antrag auch zum Ausdruck gebracht.

Lassen Sie mich noch kurz darauf hinweisen, dass die Tatsache - das ist vor allen Dingen für die Grünen wichtig -, dass insbesondere ältere Anlagen einen schwächeren Schutz gegen terroristische Bedrohungen bieten als jüngere, den Verhandlungspartnern bei der Verabschiedung des Atomkonsens ebenso wie dem Bundesgesetzgeber bei der nachfolgenden Atomgesetznovelle bekannt war. In Kenntnis dessen wurden damals unter maßgeblicher Beteiligung und mit Zustimmung der Grünen auch älteren Anlagen wie Isar I, Philippsburg I und Brunsbüttel eine Restlaufzeit zugestanden.

Der Atomkonsens und die ihn umsetzende Atomgesetznovelle aus dem Jahre 2002 bieten die Möglichkeit, Strommengen älterer Anlagen auf jüngere zu übertragen. Dahinter steht der Gedanke, dass jüngere Atomkraftwerke grundsätzlich ein sicherheitstechnisches Grundkonzept mit höheren Sicherheitsreserven besitzen. Vor diesem Hintergrund würde ich es nachhaltig begrüßen, wenn der VattenfallKonzern diese Chance nutzte und das Kernkraftwerk Brunsbüttel vorzeitig stilllegte.

(Beifall bei SPD und SSW)

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

Ich danke der Frau Ministerin. - Das Wort zu einem Kurzbeitrag hat nun der Herr Abgeordnete Detlef Matthiessen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Immer diese Pro- filierung für Landesparteitage! Das ist doch grausam!)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen. Ich will kurz auf die Reden eingehen.

(Klaus Klinckhamer [CDU]: Das tut doch nicht nötig!)

Herr Dr. Garg, zu Folgendem: Hier ist sicherlich ein Zwischenlager beklagt worden. Genehmigungsbehörde ist das Bundesamt für Strahlenschutz. Nichtsdestotrotz muss man - - Wenn Sie mir Ihre Aufmerksamkeit schenken wollten, sonst gehe ich auf die Ministerin ein, ich rede gerade zu Ihrem Beitrag, Herr Kollege.

Erstens ist die Übertragbarkeit von einem Zwischenlager auf die Gesamtanlage zu überprüfen. Die sehe ich als gegeben an.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist klar! - Dr. Heiner Garg [FDP]: Wie kommen Sie dar- auf?)

- Ich habe nur gesagt, dass das Urteil vom 10. April 2008 ein neues Licht auf die Bewertung von Terrorgefahren wirft, keineswegs aber, dass es die Haupt- oder gar Alleinbegründung meines Antrages liefert.

Zweitens. Die möglichen Schadensersatzforderungen, die im Fall einer solchen Verfügung auf das Land zukommen könnten, haben Sie erwähnt. Die Ministerin hat in ihrem Beitrag auf § 7 AtG, nämlich der Strommengenübertragung auf weitere AKW, hingewiesen. Das relativiert Schadenersatzansprüche des Betreibers ganz erheblich, aus unserer Sicht nämlich auf null.

Bundeswehreinsätze habe ich nicht verlangt. Ich sehe sie genauso kritisch wie offenbar die FDPFraktion in toto.

Ich habe auch keine Horrorszenarien genannt - bis auf das Ereignis des 11. September. Das hat sich aber ereignet; das ist kein Szenario. Ich habe in diesem Kreis bewusst darauf verzichtet, bestimmte Szenarien anzusprechen. Ich hoffe, dass wir in der Ausschussbefassung, vielleicht unter Ausschluss

der Öffentlichkeit, darauf zu sprechen kommen. Als Technikfreak fallen mir noch einige andere Szenarien ein, die nicht so weit hergeholt sind, die auch große Gefährdungspotentiale haben.

Lars Harms hat das Entscheidende gesagt. Wenn die Situation im Moment tatsächlich so ist, dass es Terrorgefahren gibt und wir sie neu bewerten müssen, wir diese möglichen Gefahren aber nicht abwehren können, dann stehen die Landesregierung und die Reaktorsicherheitsbehörde in der Pflicht, tatsächlich Maßnahmen zu ergreifen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wir haben auch Meteoritengefahren!)

Ein ewiges Zuwarten und ein ewiges Beobachten von Untätigkeit auf Bundesebene befreit Sie, Frau Ministerin, nicht von einem konsequenten Handeln.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Lars Harms [SSW])

Ich lese aus dem Gesetz nicht die Möglichkeit eines vorübergehenden Entzugs der Betriebserlaubnis. Das wäre sonst vielleicht naheliegend.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Soll die Ministerin die Brennstäbe selber verbuddeln, oder was soll sie machen?)

Ein Abwarten, ob auf Bundesebene entsprechende Maßnahmen ergriffen werden -