Protokoll der Sitzung vom 12.11.2008

Der Grundsatz muss lauten: Von guter Arbeit muss der Mensch auch leben können und nicht ergänzende Hilfe beantragen müssen. Für die Menschen sind nicht die Bruttoeinkommen von Bedeutung, sondern das, was unter dem Strich bleibt. Wenn wir den Verbraucherindex mit berücksichtigen, bleibt die bittere Erkenntnis, dass die Realeinkommen von 1996 bis 2005 nicht gestiegen sind. Da ist es auch kein Trost, dass die Anzahl der Einkommensmillionäre über die Jahre hinweg ebenfalls nicht gestiegen ist.

Der Minister hat es erwähnt: Keinen Überblick haben wir über die Vermögensentwicklung. Durch die Abschaffung der Vermögensteuer gibt es keine Daten mehr. Ein Schelm, meine Damen und Herren, wer Böses dabei denkt!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Deutlich wird hingegen die existierende Armut. Fast jedes sechste Kind unter 15 Jahren lebt in Schleswig-Holstein von Transferleistungen. Die positive Beschäftigungsentwicklung hat hier keine Veränderung zum Besseren gebracht. Die Arbeitslosenstatistik sieht zwar besser aus, aber einige Menschen fallen jetzt aus der Statistik heraus,- wirtschaftlich geht es ihnen damit nicht besser.

Deshalb bedarf es weiterer Schritte. Die nach wie vor zu hohen Lohnnebenkosten müssen gesenkt werden, und auch im Steuerrecht muss nachgebessert werden. Denn die heimliche beziehungsweise kalte Progression im Einkommensteuertarif, die in diesem Bericht sehr deutlich aufgezeigt wird, betrifft insbesondere Steuerpflichtige mit geringem Einkommen, während hohe Einkommen kaum davon betroffen sind.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Erklären Sie ein- mal, was „kalte Progression“ ist!)

- Herr Garg, ich werde mich doch nicht auf dieses dumme Niveau herunterbegeben, angeblich qualifizierte Fragen von Ihnen zu beantworten.

(Beifall des Abg. Dr. Ralf Stegner [SPD] - Dr. Heiner Garg [FDP]: Das ist aber politisch unkorrekt!)

Das Kindergeld ist eine weitere Baustelle. Während Hilde und Otto Normalverbraucher 154 € für das Kind erhalten, spart der Millionär 217 € pro Kind an Steuern, weil er einen Anspruch auf die steuerliche Freistellung des Existenzminimums hat. Der Bericht hat die Zahl genannt, der Minister auch: 12 Milliarden € müssten wir aufbringen, um alle Familien gleichzustellen, damit diejenigen, die wenig verdienen, und diejenigen, die von Steuern freigestellt sind, die gleiche Unterstützung vom Staat haben.

Natürlich werden viele von Ihnen sagen, es sei überhaupt nicht möglich, 12 Milliarden € hierfür bereitzustellen, und Sie werden es auch nicht akzeptieren, wenn ich Ihnen ein Beispiel dafür nenne, wie man das machen könnte. Ich will die Zahl trotzdem nennen. Wir haben uns vorhin mit dem Thema befasst: Die Hans-Böckler-Stiftung hat ausgerechnet, was eine Börsenumsatzsteuer bringen würde, und kommt zu dem Ergebnis, dass es selbst bei einem Mini-Steuersatz von einem Zehntel Prozent 35 Milliarden € im Jahr wären.

(Vizepräsidentin Frauke Tengler)

Meine Damen und Herren, ich finde, dass wir auch solche Vergleiche immer wieder ziehen müssen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Es ist schreiend ungerecht, dass es auf der einen Seite große Entlastungen und auf der anderen Seite nur geringere Entlastungen gibt.

Aber auch in Schleswig-Holstein selbst besteht Handlungsbedarf. Die deutliche Verlangsamung beim Beschäftigungsaufbau in Schleswig-Holstein ist bedenklich. Mit einem Zuwachs von nur 1,8 % in den vergangenen zwölf Jahren sind wir auf dem letzten Platz unter den westdeutschen Ländern gelandet.

(Johannes Callsen [CDU]: Wer war da ver- antwortlich?)

Meine Damen und Herren, der Bericht gibt uns viele Möglichkeiten, im Ausschuss darüber zu diskutieren. Ich freue mich auf die Debatte.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich danke der Abgeordneten Monika Heinold. Ich möchte gern klarstellen, dass das Adjektiv „dumm“ an sich politisch korrekt ist.

(Zurufe von der FDP)

Das Substantiv „Niveau“ übrigens auch.

Das Wort für die CDU-Fraktion erhält Herr Abgeordneter Peter Sönnichsen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Man darf auch Stre- ber sagen! - Wolfgang Kubicki [FDP]: Oder aufgeblasener Wichtigtuer!)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich den sehr umfangreichen und sehr sachlichen Bericht der Landesregierung, für den ich im Namen meiner Fraktion sehr danke, einmal in Bezug zu den vermuteten Zielen der Fragestellung bringe, in denen für mich doch die gängigen Klischees von Arm und Reich sehr deutlich werden, so bin ich der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ebenso für den Berichtsantrag dankbar.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Wir auch! - Heiter- keit und Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Denn dieser Bericht begegnet mancher weitverbreiteter Fehleinschätzung. Die ganz wesentlichen Punkte sind durch meine beiden Vorredner schon genannt worden. Da kann ich ein bisschen abkürzen. Aber ich will drei Themenbereiche ansprechen.

Da ist die Frage nach dem Anteil geringfügig entlohnter Tätigkeiten an der Gesamtzahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter. Liebe Kollegin Heinold, es ist richtig: Der Anteil stieg zunächst bis 2004 nicht unerheblich kontinuierlich, er ist dann 2005 und 2006 konstant geblieben, um dann im Jahr 2007 sogar leicht zu sinken. Jetzt ist hier wieder die Frage, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Da sind unsere Einschätzungen, was diese Entwicklung betrifft, sehr unterschiedlich.

Dieser Trend widerlegt die häufig zu hörende Behauptung, dass es immer mehr Menschen gibt, die einer Arbeit nachgehen und trotzdem arm sind. Diese Mitbürger gibt es sicherlich, aber von einem ungebremsten Wachstum ihrer Zahl kann keine Rede sein.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Und ich füge an dieser Stelle auch einmal ganz bewusst hinzu, dass die Frage materieller Armut nicht immer nur ein Problem der Einnahmenseite ist. Auch das gehört in diese Diskussion mit hinein.

Der zweite Bereich, den ich aus dem Bericht der Landesregierung herausgreifen möchte, betrifft ebenfalls hier schon angesprochen - die Einkommensentwicklung bei Arbeitnehmern und Selbständigen. Ich will die Zahlen noch einmal sagen. Zwischen 1996 und 2005 sind die Einkommen der Beschäftigten immerhin - ich runde einmal ab von 30.300 € auf 32.500 € gestiegen, die der Selbständigen hingegen im gleichen Zeitraum von etwa 57.500 € auf 50.700 € zurückgegangen. Mir schein es wichtig, auch darauf in dieser Debatte einmal ganz deutlich hinzuweisen, weil bisweilen das Bild vom Arbeitgeber gezeichnet wird, der in Saus und Braus lebt, während der Arbeitnehmer von der Hand in den Mund existieren muss. Dieses Bild - das ist anhand des Berichts klar geworden ist nachweislich falsch.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich will in diesem Zusammenhang dann auch noch einmal ergänzen: Seit 1998, besonders aber seit 2001, liegen die Einkommen jeweils immer deutlicher über den Steigerungen der Verbraucherpreise. Auch das ist eine Tabelle, die wir uns hier ganz besonders ansehen sollten.

(Monika Heinold)

Der dritte Punkt betrifft die Entwicklung der Zahl der Einkommensmillionäre. Es ist ausgeführt worden: Nur in drei Jahren des zehnjährigen Zeitraumes lagen wir im oberen Bereich der 1.500, in den übrigen Jahren eher im Bereich 1.000 Personen, 2003 sogar darunter. So wie die These nicht stimmt, dass die Armen immer ärmer werden, so stimmt das Gegenstück zu dieser Behauptung ebenfalls nicht.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Es kann sein, dass die Reichen einfach das Land verlas- sen!)

Selbstverständlich zeigt der Bericht auch Handlungsbedarf auf. Auch der Punkt ist hier angesprochen worden, weil er besonders augenfällig ist. Das ist die Passage über das Problem der kalten Progression. Hierzu möchte ich einmal den vorliegen Text mit Genehmigung der Präsidentin kurz zitieren:

„Im Ergebnis sind … insbesondere Steuerpflichtige mit geringem zu versteuernden Einkommen in hohem Maße von den Konsequenzen der kalten Progression betroffen.“

Hier ist also wirklich ein überproportionaler Anstieg der individuellen Steuerbelastung festzustellen.

Was können wir aus dieser Erkenntnis lernen? Der Staat muss an dieser Stelle seine Hausaufgaben hinsichtlich einer gerechteren Einkommensverteilung - zumindest bei der Ausgestaltung des Steuerrechts - noch machen. Die Realisierung von flacheren und faireren Tarifen verbunden mit der Streichung von Ausnahmetatbeständen bleibt eine politische Herkulesaufgabe für die kommenden Jahre. Gerade für die Menschen mit geringem Einkommen ist das sehr wichtig. Arbeiten wir daran, dies in der politischen Debatte besser als in der Vergangenheit zu vermitteln. Dem Antrag auf Ausschussüberweisung schließe ich mich an. Ich freue mich auf die weitere Beratung.

(Beifall bei der CDU)

Ich danke Herrn Abgeordneten Peter Sönnichsen und möchte mit Ihnen zusammen auf der Tribüne Mitglieder der coop Kiel sowie der Jungen Union Rendsburg-Eckernförde sehr herzlich begrüßen.

(Beifall)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Birgit Herdejürgen.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Stell das mal rich- tig, Birgit!)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht zeigt tatsächlich eine ganze Reihe von Entwicklungslinien auf. Mein Dank geht auch an das Ministerium und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Allerdings enthält sich der Bericht auch der Interpretation, was Ursachen betrifft. Das war allerdings auch nicht abgefragt. Insofern ist die Beantwortung vonseiten des Ministeriums durchaus völlig in Ordnung.

Nichtsdestotrotz ist natürlich eine Interpretation der Ergebnisse wichtig für die politische Bewertung. Es ist auch interessant im Hinblick darauf, was weitere Maßnahmen angeht, die in unseren Möglichkeiten liegen. Das Spannende liegt also in dem, was der Bericht nicht enthält.

Umgekehrt ist natürlich dieser Bericht für jede Debatte, die wir in den letzten Monaten geführt haben und die wir auch in der Zukunft sicherlich führen werden, eine Voraussetzung. Insofern denke ich, dass wir das möglicherweise noch in den unterschiedlichsten Ausschüssen weiterbehandeln werden.

Was die Einkommensentwicklung angeht, hat es 1998 bis 1999 einen Einschnitt gegeben. Die Entwicklung in Schleswig-Holstein ist weniger positiv als im Bundesdurchschnitt, wobei hier nicht zwischen den alten und den neuen Bundesländern differenziert wird. Insofern spielt natürlich der Aufholprozess der neuen Bundesländer in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle, ebenso wie die Möglichkeiten der ökonomischen Entwicklungen, die sich nach Wende für einzelne Regionen in günstigerer geografischer Lage als SchleswigHolstein ergeben haben.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Völliger Quatsch!)

Insgesamt ist es immer schon so gewesen - das ist auch nach wie vor so -, dass Schleswig-Holstein im Vergleich zu westlichen Bundesländern, was das Einkommensniveau angeht, unter dem Durchschnitt liegt. Daran hat sich nichts verändert. Allerdings wäre tatsächlich für eine weitere Diskussion der Vergleich zu den westlichen Bundesländern entscheidender. Was die Hintergründe angeht, müsste man tatsächlich umfangreiche Wirtschaftsstruktur, Struktur der Arbeit, Qualität der Arbeit und Bil