Eine letzte Anmerkung: Der erste Spiegelstrich des Koalitionsantrags fordert die Einführung von Ausbildungsmodulen zur pädagogischen Diagnostik und die Förderung besonderer intellektueller Begabungen im Rahmen der Erzieherausbildung sowie der Lehrerbildung. Das ist ein richtiger Ansatzpunkt. Die Verwirklichung setzt jedoch voraus, dass die Ausbildungseinrichtungen über das entsprechende Fachpersonal verfügen. Wir brauchen an den Lehrerbildungsuniversitäten Kiel und Flensburg beispielsweise Professuren für Hochbegabtenpädagogik. So könnte dies Teil der Lehrerbildung sein.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Buder, Sie haben die Zahl genannt, dass jeder 50. hochbegabt ist. Das heißt, Sie gehen davon aus, dass ein so kleiner Prozentsatz der Bevölkerung unter dem Stichwort Hochbegabung zu finden ist. Andere Angaben sprechen von 2 bis 5 % der Bevölkerung. Wir müssten also auch in diesem Landtag Hochbegabte haben. Ich überlasse es Ihrer Fantasie, darüber zu grübeln, wer unter uns Abgeordneten unter diese Kategorie fällt.
Spaß beiseite. Nach wie vor ist es so, dass es sich die meisten nicht vorstellen können, dass fast in jeder Schulklasse Kinder mit Hochbegabungen zu finden sind. Eltern, die sich trauen, dieses Thema anzusprechen, haben eine ähnlich hohe Hürde zu überwinden wie Eltern, die beispielsweise feststellen, dass ihr Kind ein Handicap hat. Das Thema Scham ist bei den Fragen: Wer ist wer, und wer kann was? noch längst nicht überwunden. Als wir die große Anfrage der CDU zur Hochbegabung hier im Landtag diskutierten, haben wir deshalb mehrere Forderungen aufgestellt.
Erstens. Hochbegabung muss frühzeitig in Kitas und Schulen erkannt werden. Die Diagnosefähigkeit von Lehr- und Erziehungskräften ist zu stärken. Dem trägt der Antrag der Koalition Rechnung. Das begrüßen wir.
Die Eltern hochbegabter Kinder haben sich im Anhörungsverfahren des Bildungsausschusses vor allem darüber beklagt, dass sie nicht ernst genommen werden. So viel zum Thema Scham, was ich eben ausführte.
Selbst Ergebnisse von Intelligenztests, die nach anerkannten Methoden durchgeführt werden, werden von Schulen und Kitas durchaus ignoriert. Noch schwieriger ist es jedoch mit einseitigen Begabungen - ich betone: besonders mit einseitigen Begabungen -, die sich nicht ohne Weiteres mit herkömmlichen Testverfahren feststellen lassen. Der Antrag der Koalition ist zu diesem Problem sehr allgemein formuliert. Er fordert Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung - das begrüßen wir -, aber er sagt zu der ganzen Frage der Anerkennung wenig. Also hier müssen wir noch einmal gucken, ob wir zur Umsetzung einer größeren Transparenz und
Unsere zweite Forderung damals in der Debatte war, Schülerinnen und Schüler als Individuen wahrzunehmen und binnendifferenzierten Unterricht anzubieten. Dieser Forderung stellen sich zwar offiziell alle Gemeinschaftsschulen, faktisch bedarf es aber noch einer sehr großen, jahrelangen, landesweiten Fortbildungsoffensive, um dieses Ziel tatsächlich zu erreichen. Dies gilt umso mehr für die anderen Schularten, in denen allen Sonntagsreden zum Trotz individuelle Förderung als Unterrichtsprinzip noch längst nicht auf der Agenda steht.
Drittens haben wir in der damaligen Debatte dafür plädiert, Ressourcen in ein breit gefächertes und verlässliches Netzwerk in allen Regionen des Landes zur Förderung Hochbegabter zu investieren, anstatt in ein Internat oder eine zentrale Schule. Angesichts der Größenordnungen, die ich gerade genannt habe, ist es nicht möglich, allein auch nur 2 % aller Schülerinnen und Schüler in einem Internat zusammenzufassen. Das leuchtet sofort ein. Es ist allerdings bei einer solchen Größenordnung möglich, ein Netzwerk zu installieren.
Im gesamten Programm des Antrags finden wir natürlich - wie das oft bei solchen Anträgen ist - keine Zahlen. Wie viel wird also in eine solche Struktur tatsächlich investiert? Darüber dürften wir uns bei den Haushaltsberatungen noch einmal unterhalten. Die FDP hat hierzu einen Vorschlag vorgelegt.
Ich möchte an diese Stelle auch deutlich sagen: Die Enrichment-Programme erwecken bisher den Eindruck, sie seien ein Sahnehäubchen, im Wesentlichen von der Wirtschaft und durch Elternbeiträge finanziert. Dass heißt, es sieht so aus, als ob Hochbegabung und Elite im Sinne von Bildungs- und Wirtschaftselite sozusagen in einen Topf geworfen werden. Dem möchten wir ganz deutlich widersprechen. Wir glauben, dass sich sehr viele Hochbegabte auch gerade unter denjenigen finden, die bisher überhaupt nicht in den Genuss einer Eliteförderung gekommen sind. Deshalb fordern wir: Dieses Netzwerk, das in dem Antrag der Großen Koalition formuliert ist, gehört zum regulären Schulprogramm. Hieran werden wir die Umsetzung des Antrags messen.
Letzter Punkt, ich komme zum Schluss: Wir haben außerdem gefordert, die Schulartempfehlung abzuschaffen, um damit auch denjenigen das Entdecktwerden zu ermöglichen, die bisher in Hauptschulen und in Realschulen ganz weit davon ent
fernt sind, als Hochbegabte angesprochen zu werden. Aber zu dieser großen Entscheidung, die Schulartempfehlung abzuschaffen, ist die Große Koalition trotz ihrer Größe leider nicht in der Lage.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage der CDU-Fraktion zur Hochbegabtenförderung liegt nur ein halbes Jahr zurück. Hier und heute kann es somit nicht darum gehen, eine neue Grundsatzdiskussion zu führen. Den vorliegenden Antrag der regierungstragenden Fraktionen versteht der SSW daher als eine Antwort auf die Frage, wie die Aussagen der Antwort auf die Große Anfrage politisch umgesetzt werden können.
Er spiegelt wider, was unserer Meinung nach die zentrale Frage ist, wie nämlich die individuelle Förderung von Kindern zu gestalten ist, damit sie auch diejenigen Kinder umfasst, die eine besondere Begabung haben. Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher sollen mit anderen Worten lernen, die richtige pädagogische Diagnose zu stellen. Man will auch, dass Programme für zusätzliche Förderangebote erarbeitet werden und dass Aufklärungsarbeit stattfindet.
Der SSW kann sich ohne Weiteres dem Antrag anschließen, zumal er unterstreicht, dass die öffentliche Schule eine Schule für alle Kinder ist. Je besser Lehrer auf den einzelnen Schüler eingehen können, desto mehr profitieren auch alle Schülerinnen und Schüler davon. Dabei ist für uns entscheidend, dass wir mit der Einführung der Gemeinschaftsschule diesem Ziel einen wesentlichen Schritt näher gerückt sind. Die andere Seite der Medaille sieht aber weiterhin so aus, dass die Gemeinschaftsschule diese Aufgabe nur meistern kann, wenn auch für eine vernünftige Personal- und Sachausstattung gesorgt wird. Dass auch die Lehrerausbildung entsprechend geändert werden muss, füge ich in diesem Zusammenhang nur am Rande hinzu.
Wir haben bei der Anhörung zu diesem Thema, die noch nicht so lange her ist, festgestellt, dass das eigentlich keine ideologische Diskussion ist, sondern es geht darum, dass es bestimmte Kinder gibt, die in einer festen Institution besser angesprochen werden können. Die muss man nicht unbedingt in Schleswig-Holstein einrichten, wenn es sie auch in
andern Bundesländern gibt, aber es gibt eben dieses Klientel. Und es gibt die breite Masse der Hochbegabten, die im Rahmen des allgemeinen Schulalltages durchaus angesprochen werden können, die entweder eine vollständige Hochbegabung oder auch nur eine teilweise, sektorale Hochbegabung haben.
Da glauben wir als SSW, dass gerade die Einrichtung der neuen Schulformen, die wir jetzt in Schleswig-Holstein geschaffen haben, die Chance bieten - wenn die Lehrer entsprechend ausgebildet werden -, dass diese Kinder und Jugendliche ihrer Begabung entsprechend angesprochen und gefördert werden können. Das muss der grundsätzliche Weg sein. Ich glaube, wenn die Lehrer entsprechend ausgebildet sind, stellt sich auch nicht mehr so sehr die Frage der Anerkennung dieser Hochbegabung, dass man die Diagnose hat und sie ein bestimmtes Level überschreiten müssen, sondern dann ist das allgemeine Wissen vor Ort vorhanden und sind Lehrer in der Lage, auch ohne eine formelle Anerkennung die Schülerinnen und Schüler so zu unterrichten, wie es für sie adäquat ist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Abgangszeugnis von Thomas Mann - dieses Abgangszeugnis kann man sich im Lübecker Buddenbrookhaus anschauen - steht im Fach Deutsch die Note „befriedigend“. Insgesamt ist das Zeugnis eher durchschnittlich. Ich weiß nun nicht, ob Thomas Mann aus heutiger Sicht die Kriterien eines Hochbegabten überhaupt erfüllen würde - vermutlich nicht. Für uns mag das ein bisschen belustigend sein, es zeigt aber auch, dass es wichtig ist, die besondern Begabungen eines Menschen richtig einzuschätzen, sich nicht auf IQ-bezogene Einordnungen und dergleichen zu fixieren, sondern wirklich die besondern Begabungen eines jeden Menschen einzuschätzen, ihn darin zu bestärken und zu entwickeln
Diesen Weg müssen wir generell bei der Förderung von Schülerinnen und Schülern verfolgen. Das schlägt sich ganz deutlich und insbesondere in der Förderung von Kindern mit besonderen Begabungen nieder.
Der vorgelegte Antrag schließt daran nahtlos an und erlaubt deshalb eine qualitative Vertiefung der bestehenden Ansätze sowie auch Neues. Vieles davon ist im Detail hier im März vorgestellt worden. Darauf muss ich nicht näher eingehen. Ich muss auch nicht auf die Projekte eingehen. Ich möchte aber in Klammern sagen, Herr Dr. Klug: Natürlich wäre es mir auch lieber, wenn wir alles kostenlos anbieten könnten, auch die Juniorakademie im Sommer, für die ebenfalls ein Beitrag gezahlt werden muss. Aber jeder Schüler, der dies nicht leisten kann, wird unterstützt und muss entweder gar nichts oder nur einen reduzierten Beitrag zahlen.
Trotzdem bleibt das Ziel richtig. Es bleibt immer noch viel zu tun im Bildungsbereich. Wir reden schon den ganzen Tag darüber, wo überall mehr Geld investiert werden muss.
- Ja, im Bildungsbereich, jedes Thema heute ist ein Bildungsthema. Das ist klar. Nur, wir müssen uns in manchen Bereichen auch damit behelfen, und ich bin froh darüber -
Ich bin ja froh darüber, dass beispielsweise die Sparkassenstiftungen, die nicht nur im Kulturbereich, sondern auch im Bildungsbereich viel Segensreiches und Gutes tun, und auch die örtliche Wirtschaft und Stiftungen dabei sind und uns in diesen Projekten unterstützen.
Ich will mich jetzt eher in der Kürze der Zeit auf die strukturellen Fragen konzentrieren. Sie scheinen mir allemal auch wichtiger als einzelne Projekte zu sein. In der Lehrerbildung ist es so, dass die
Standards der KMK seit 2004 einen Schwerpunkt auf die Diagnostik von Begabungen legen. Dazu gehört auch die Vermittlung von Kenntnissen über Förder- und Beratungsmöglichkeiten. In ihrem Kerncurriculum hat die CAU dies für sich für die Lehrerbildung verbindlich gemacht. Es gibt keine Professur für Hochbegabtenförderung. Ich wüsste nicht, dass es die bundesweit irgendwo gibt. Ich lasse mich aber gern darüber belehren. Gerade in diesem Bereich geht es um Schnittstellen von Entwicklungspsychologie, Didaktik, Methodik der Fächer, Diagnostik und so weiter.
Es ist darüber hinaus vorgesehen - das ist hier schon gesagt worden -, dass in der zweiten Phase der Lehrerbildung ein entsprechendes Pflichtmodul eingerichtet wird. Auch die Erzieherinnen und Erzieher erwerben in ihrer Ausbildung schon jetzt Kompetenzen, um besondere Begabungen von Kindern vor der Schulzeit zu erkennen.
Die Entwicklung von entwicklungspsychologischen Erkenntnissen, das Lernen diagnostischer Methoden, das muss in Zukunft wirklich im Mittelpunkt stehen. Es gehört nach dem Kita-Gesetz - auch das will ich sagen - zum Auftrag der Kindertagesstätten, die Kinder mit Blick auf besondere Begabungen zu fördern. Diese Ausrichtung muss sich in den Schulen fortsetzen. Die bewusste Konsequenz daraus muss sein, dass wir aufhören, die Kinder mit verschiedenen Etiketten zu versehen, sondern sie in jeder Hinsicht in ihrer Einzigartigkeit wahrnehmen.
Es überrascht mich gar nicht, seitdem wir den Fokus auf die individuelle Förderung aller Kinder gelegt haben, dass die Begabtenförderung an den Schulen immer mehr zum Thema wird. Zusammen mit dem IQSH arbeiten wir kontinuierlich daran, den Zusammenhang von Methodenlernen, von binnendifferenzierendem Arbeiten, von alternativen Leistungsnachweisen in die Schulen zu tragen. Das ist nämlich die Basis für einen begabungsfördernden Unterricht. In den Fortbildungen kann man erleben, dass das auf sehr viel Resonanz stößt.
Auf die besonderen Förderangebote will ich nur noch einmal hinweisen. Das ist hier schon gesagt worden.
Alles in allem: Dieser Antrag ist gut geeignet, um die bisherige Linie für die Förderung von besonderen Begabungen weiterzuentwickeln. Das schließt nicht aus, dass immer wieder gesonderte Angebote gemacht, gesonderte Kurse angeboten, Stipendien vergeben, Juniorakademien veranstaltet werden. Letztere würde ich sehr gern noch ausweiten. Aber
auch das können wir nicht aus eigener Kraft. Da brauchen wir Unterstützung. Das kostet nämlich sehr viel Geld. Der Verein „Bildung und Begabung“ tut hier etwas. Die Nordmetall-Stiftung tut etwas. Dafür sind wir sehr dankbar. Ich fordere alle, die in diesem Bereich etwas voranbringen wollen, auf, uns mit Stiftungen und mit Sponsoring zu unterstützen. Ich finde, in manchen Bereichen müssen wir neben dem Bildungssystem des Staates auch die Mitverantwortung der Wirtschaft und derjenigen, die dies in dieser Gesellschaft könnten, einfordern.
Entscheidend für mich ist, dass es gerade in einem Flächenland wie Schleswig-Holstein möglich sein muss, flächendeckend im ganzen Land zu arbeiten und jedes Kind zu erreichen, das diese besondere Förderung braucht. Lassen Sie uns daran in Zukunft weiterarbeiten.