Protokoll der Sitzung vom 13.11.2008

(Beifall bei SPD, CDU und SSW)

Weitere Wortmeldungen liegen uns nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, über die Drucksache 16/2301 direkt abzustimmen. Wer in der Sache abstimmen und zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Damit ist einstimmig so beschlossen worden.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 31 auf:

Bericht zum Schleswig-Holsteinischen Integrationskonzept und zum Nationalen Integrationsplan

Bericht der Landesregierung Drucksache 16/2188

Ich erteile für den zeitlich verhinderten Innenminister Lothar Hay das Wort der Ministerin für Bildung und Frauen, Frau Ute Erdsiek-Rave. - Frau Ministerin, Sie haben das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Schleswig-Holstein hat als eines der ersten Länder bereits 2002 ein Integrationskonzept beschlossen, Herr Abgeordneter Kubicki. Sie gucken mich so ungläubig an. Das wurde 2006 durch die vom Innenministerium vorgelegten Leitlinien zur Ausgestaltung der Integrationspolitik ergänzt und 2007

mit dem Länderbeitrag zum Nationalen Integrationsplan aktualisiert. In diesem Nationalen Integrationsplan haben Bund, Länder und die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände Selbstverpflichtung vereinbart. Auch hier also: Alle Ebenen wirken zusammen und müssen auch zusammenwirken.

Die schleswig-holsteinische Integrationspolitik hat damit einen klaren Rahmen: Integrationskonzept, Leitlinien, Länderbeitrag. Das ist unser Rahmen; das ist die Grundlage, auf der wir Integrationspolitik machen.

Ende September haben die Integrationsministerinnen und -minister der Länder einen länderübergreifenden Umsetzungsbericht zum Nationalen Integrationsplan verabschiedet. Sie haben dies Anfang dieses Monats auf dem Dritten Integrationsgipfel, der in Berlin stattfand, beraten. Schleswig-Holstein hat in allen Handlungsfeldern des Länderbeitrags zum Nationalen Integrationsplan sehr gute Praxisbeispiele vorzuweisen. Dies zeigt auch der vorgelegte Bericht sehr deutlich.

Ich will nur einige wenige der eingeleiteten strukturellen Veränderungen benennen, etwa Maßnahmen zur Entwicklung sozial benachteiligter Stadtteile, das Programm „Soziale Stadt“, Maßnahmen zur durchgängigen Deutschförderung von den Kitas, durch das integrative Sprachkonzept und die geplante neue Ausbildungs- und Prüfungsordnung für den Vorbereitungsdienst der Lehrkräfte.

Ab 2009 gehört Deutsch als Zweitsprache zum Pflichtkanon in der Ausbildung aller Lehrkräfte. Sie können in diesem Plan auch Hinweise auf das Handlungskonzept „Schule und Arbeitswelt“ lesen. Das ist ein Beitrag, um die Zahl der Schüler ohne Hauptschulabschluss deutlich zu verringern und die Schulabgänger auf die Anforderungen in den Betrieben vorzubereiten. Das ist insbesondere für junge Menschen aus Zuwandererfamilien eine ganz wichtige Unterstützung. Denn ihr Anteil bei den 20- bis 30-Jährigen, die keinen beruflichen Bildungsabschluss haben, ist mehr als doppelt so hoch im Vergleich zu den Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund. Das ist ein Zustand, dem wir uns auch im Hinblick auf das, was wir vorhin diskutiert haben - Fachkräftemangel, die Lücke zwischen demografischer Entwicklung und Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften, die sich auftut - überhaupt nicht mehr erlauben können.

Um die Chancen von Migranten auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen, kümmern sich auch die Migrantenorganisationen selbst. Ich will das hier ausdrück

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

lich sagen, weil es manchmal so klingt, als sei das eine einseitige Geschichte, als würde nur der Staat fördern, und die Migrantenorganisationen würden gar nichts tun. Ich habe zweimal an dem Migrationsgipfel teilgenommen. Ich habe sehr positive, sehr konstruktive, sehr aufgeschlossene Vertreter der Migrantenorganisationen erlebt. Ich denke, es ist ein sehr positives Zeichen, dass von ihnen zunehmend gefordert wird, dass auch Anstrengungen aus der Gruppe der Migranten selbst kommen, dass man sich kümmert und eigene Konzepte entwickelt und zusammenarbeitet.

(Beifall bei SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Noch einmal: Um die Chancen von Migranten auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen, kümmern sich die türkische Gemeinde und die HK in Kiel gezielt darum, Ausbildungsplätze in solchen Betrieben zu akquirieren, in denen der Chef selbst einen Migrationshintergrund hat. Außerdem helfen Berater gezielt Menschen mit Migrationshintergrund, die eine gewerbliche Existenz gründen sollen. Ich habe aber auch schon Stimmen gelesen und gehört, gerade von Vertretern der Migrantenorganisationen, die sagen: Wir wollen nicht eine reine Migrantenstruktur haben. Türkische Ausbildungsbetriebe bilden junge Türken aus, und das wird zur Regel. Vielmehr soll es zur Regel werden, dass alle Betriebe junge Türken ausbilden. Umgekehrt sollen türkische Betriebe auch einen Jugendlichen ausbilden, der keinen Migrationshintergrund hat. Erst dann wäre ein integratives Ziel erreicht.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Beispiele zeigen: Schleswig-Holstein stellt sich diesem Thema auf vielen Ebenen. Verfrühter Optimismus wäre allerdings fehl am Platz. Man darf nicht schönfärben. Deutschland hat noch viel Nachholbedarf. Das Thema Integration ist und wird auch zukünftig eine dauerhafte Aufgabe und eine besondere Herausforderung bleiben. Vor diesem Hintergrund haben die zuständigen Minister verabredet, eng und kontinuierlich zusammenzuarbeiten. Ein entsprechender Beschluss zur Verstetigung ihrer Zusammenarbeit in Form einer besonderen Integrationsministerkonferenz war ein wichtiger Schritt.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen: Schleswig-Holstein wird die Umsetzung der Selbstverpflichtung der Länder im Nationalen Integrationsplan nicht nur ernst nehmen, sondern wirklich weiter voranbringen und erwartet

dies allerdings auch von den anderen Akteuren des Nationalen Integrationsplans.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Frau Abgeordnete Angelika Birk.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im April 1968, also vor 40 Jahren, wurde Martin Luther King von einem fanatischen Anhänger der Segregation ermordet. „I have a dream“, hatte King den Amerikanern zugerufen. „Ich habe den Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der man sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilen wird.“ 40 Jahre später, nach Kämpfen der Black Panther, den folgenden Positiv-Action-Staatsprogrammen für Schwarze, schließlich trotz oder gerade wegen der Bush-Regierung, zieht ein afroamerikanischer Präsident in das Weiße Haus. Dies zeigt, wie folgenreich Integrationspolitik sein kann.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

„Yes, we can“, ursprünglich Weckruf der Diskriminierten, wurde zum Hoffnungssymbol der ganzen USA und weit darüber hinaus.

Kommen wir ins kleine Schleswig-Holstein! Am 18. Juli 2008 hatte die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Antrag gestellt - er wurde hier auch beschlossen -, dass die Landesregierung in einem Bericht über die bisherige Umsetzung der Integrationskonzepte des Landes und des Nationalen Integrationsplan informiert. Ich muss nun, Frau Erdsiek-Rave, leider Wasser in den Wein Ihres Berichts gießen. Herausgekommen ist nämlich ein Sammelsurium ohne inhaltliche Verknüpfung nacheinander aufgelisteter Fördermaßnahmen, einerseits solcher Fördermaßnahmen nur für Migrantinnen und Migranten, andererseits sozialpolitischer Landesprogramme, die sich an alle Bürgerinnen und Bürger richten. Mit der Formulierung, man wolle die große Zahl von mittelbar integrationsfördernder Maßnahmen nicht ausblenden, die gerade Menschen mit Migrationshintergrund zugutekommen, suggeriert der Bericht durch die Nennung einer Vielzahl allgemein sozialer und Städtebauprogramme tollkühn, dass die Landesregierung in fast allen

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

Ressorts für Migrantinnen und Migranten arbeitet. Das halte ich wirklich für tollkühn.

Der Bericht greift dabei auf ein Raster zurück, welches für einen länderübergreifenden ersten Bericht zur Umsetzung der Selbstverpflichtungen der Länder im Nationalen Integrationsplan für Herbst 2008 erarbeitet wurde. Deshalb hat diese - wie der Bericht selber schreibt - stichwortartige Darstellung den Stand vom 17. Juli 2008, also ein Datum vor unserer Antragstellung hier im Landtag.

Die einzelnen Maßnahmen des vorliegenden Berichts sind jedoch keinem operativen Gesamtkonzept zugeordnet, an welchem man einen Fortschritt feststellen könnte. Welche Integrationsziele sollen mit welchem Aufwand in welcher Zeit erreicht werden? Auf welche Ressourcen unter Migrantinnen und Migranten und Einheimischen will die Landesregierung dabei aufbauen? Und ab wann gelten Ziele als erreicht?

Hierzu gibt es keine operationalisierbaren Angaben und Zahlen oder wenigstens plausible Einschätzungen, und dies, obwohl schon seit 2002, wie die Ministerin ausgeführt hat, an diesem Thema konsequent gearbeitet wird. Erst recht fehlen Zahlen darüber, wie die Umsetzung dieser Ziele finanziert ist. Stattdessen eine ungeordnete Auflistung kleiner Projekte für Migrantinnen und Migranten und großer Maßnahmen, bei denen aber nicht klar ist, inwieweit sie den Status und die Integration von Migrantinnen und Migranten tatsächlich positiv beeinflussen.

Integration darf nicht verwechselt werden mit Assimilation. Zum Gelingen gehört ein Klima von Toleranz, Akzeptanz und gegenseitiger Wertschätzung. Integration ist keine Einbahnstraße. Es fehlen aber in dem Bericht weitgehend Ausführungen darüber, wie denn unsere Behörden und andere wichtige Mitspieler bei der Integration auf der einheimischen Seite auf dieses Integrationsthema vorbereitet und dafür sensibilisiert werden. Das ist aber die wichtige Seite, mit der wir es zu tun haben als diejenigen, die hier schon immer leben. Wir müssen auch Integration lernen.

Der Bericht ist also aus unserer Sicht in seiner vorgelegten Fassung inakzeptabel. Die im Berichtsantrag von uns gestellten Fragen wurden nicht beantwortet. Wir stellen sie hiermit erneut. Offensichtlich ist das Engagement der Landesregierung bei Migration und Integration seit der Koalition deutlich weniger geworden, oder es wird zumindest nicht gut dokumentiert.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dies ist umso bedauerlicher, als die Landesregierung in den vergangenen Legislaturperioden gemeinsam mit gesellschaftlichen Organisationen ein Integrationskonzept erarbeitet hatte, worauf die Ministerin ja eingegangen ist. Es war das ausdrückliche Ziel, dieses Konzept fortzuschreiben.

Wir brauchen ein Integrationsmonitoring unter Beteilung der Migrantenorganistionen. Wir brauchen hierzu Daten, aber wir brauchen natürlich auch Verabredungen und gemeinsame Gremien, die Zielvereinbarungen abschließen, und wir brauchen eine Evaluation, um den Erfolg zu überprüfen.

Wir müssen alle zusammen Integration aktiv leben; da stimme ich mit der Ministerin wieder überein. Es darf nicht das „Wir und die anderen“ geben. Wir, das heißt, wir alle! Doch von einem solchen „Yes, we can!“ ist die Landesregierung noch 40 Jahre entfernt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der CDU erteile ich Herrn Abgeordneten Wilfried Wengler das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

„Schleswig-Holstein soll auch in Zukunft ein offenes und gastfreundliches Land bleiben. Die ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger sind eine Bereicherung für unsere Gesellschaft. …

Ihre Integration ist nicht nur eine Notwendigkeit, sondern auch eine politische Chance und Ziel unseres politischen Handelns.“

(Beifall bei CDU und SPD)

Vielen Dank, meine Damen und Herren, aber dies sind nicht meine Worte, obwohl sie doch hochaktuell klingen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das habe ich mir schon gedacht!)

Sie sind der Beginn einer Rede des Abgeordneten Klaus Schlie, die er am 30. Mai 2001 zum CDUAntrag „Integration“ vor diesem Haus gehalten hat. Die CDU forderte darin die damalige Regierung auf, dem Landtag ein Konzept für eine erfolgreiche Integration der dauerhaft und rechtmäßig in Schleswig-Holstein lebenden Ausländerinnen und Ausländer mit folgenden Eckpunkten vorzulegen: Sprachkompetenz, Schule und Bildung, islamischer Reli

(Angelika Birk)

gionsunterricht in deutscher Sprache, Ausbildung und Arbeit, Landes- und kommunale Verwaltung, Sicherheit und Polizei sowie Vereine, Kultur und Religion. Im Jahr 2002 verabschiedete dann - wie schon erwähnt - die Landesregierung das schleswig-holsteinische Integrationskonzept.

Mehr als sechs Jahre später freue ich mich daher, dass wir heute einen umfassenden Bericht diskutieren - für den ich dem Innenminister und seinem Mitarbeiterstab ausdrücklich danke –, der über die Umsetzungsergebnisse des schleswig-holsteinischen Integrationskonzepts und des Nationalen Integrationsplans Auskunft gibt.