„Durch den Umgang mit Fremden, so hat uns mancher Philosoph gesagt, entscheidet sich erst, wie human, wie zivilisiert eine Gesellschaft ist.“
Ich möchte hier für mich persönlich hinzufügen: Ich kann es nicht ertragen, ich kann es nicht aushalten, dass ein Mensch, der bei uns Schutz sucht, egal, ob er aus einem sogenannten sicheren Drittland oder woher auch immer einreist, einfach abgeschoben wird.
Menschen, die vor Hunger, Krieg, Leid, Verfolgung fliehen oder die aus ökonomischen oder sozialen Gründen fliehen, brauchen Hilfe und Solidarität. Dies gilt insbesondere für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Welches Leid haben diese Jugendlichen zu ertragen: Verlust von Familienangehörigen, von Bezugspersonen, physische und psychische Gewalt in den Herkunftsländern. Und dann nach einer längeren ungewissen Odyssee erwartet sie hier ein bürokratisches System, auch bei uns in Schleswig-Holstein, welches sie oftmals als Störenfriede ansieht. Allein 2008 sind 96 minderjährige Flüchtlinge in Schleswig-Holstein in Obhut genommen worden, eine Zahl, die in meinen
Schleswig-Holstein ist Transitland für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Viele sind eigentlich auf dem Weg nach Skandinavien, wo sich manchmal auch schon Familienangehörige befinden. Zunehmend werden solche Jugendlichen von der Bundespolizei wegen der fehlenden Grenzübertrittspapiere in den Zügen, auf Fähren oder auf den Autobahnen aufgegriffen und den örtlich zuständigen Jugendämtern zur Inobhutnahme gemeldet. Den Jugendämtern aber stehen zur Unterbringung dieser Jugendlichen nur die jeweiligen Kinder- und Jugendnotaufnahmeeinrichtungen der Kreise zur Verfügung. Die jedoch sind personell - Stichwort fehlende Dolmetscher - nicht auf diese besondere Gruppe und deren sehr spezifische Bedürfnisstruktur und auch Motivation vorbereitet.
Der bisherige Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zeigt deutlich: Wir brauchen eine Clearingstelle, die eine altersgerechte und spezifische Betreuung bieten kann. Es muss dabei auch darum gehen, Menschen Zukunftschancen zu eröffnen. Gemeinsam mit den Jugendlichen könnten in einer Clearingstelle Zielsetzung und Strategien erarbeitet werden, die es den Jugendlichen ermöglichen, Entscheidungen mit größtmöglicher Selbstständigkeit zu treffen. Wir wünschen uns, dass ein freier Träger, zum Beispiel Lifeline, mit der Arbeit hier in Schleswig-Holstein beauftragt wird.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Einrichtung einer Clearingstelle für unbegleitete Flüchtlinge ist keine Frage der Ideologie, es ist eine Frage der Menschlichkeit. In vielen Bundesländern, unter anderem auch in Bayern, gibt es solche Clearingstellen. Deshalb appelliere ich auch an die Abgeordneten von CDU und FDP, dem jetzt gemeinsamen Antrag der Oppositionsfraktionen doch noch zuzustimmen. Wenn es denn in den Ausschuss geht, dann bitten wir dort mindestens um eine wohlwollende Prüfung.
Der Konflikt zwischen jugendrechtlichen und ausländerrechtlichen Bestimmungen muss endlich gelöst werden, und zwar eindeutig im Sinne der jugendrechtlichen Gesetzesbestimmungen.
Der letzte Satz: Eine nicht jugendgerechte Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, zum Beispiel in der Scholz-Kaserne in Neumünster - das ist immer wieder vorgekommen -, darf es nicht mehr geben. Geben Sie sich einen Ruck!
Für die CDU-Fraktion erteile ich dem Kollegen Hans-Jörn Arp das Wort. - Herr Kollege Arp, Sie haben das Wort!
- Dann möchte ich gern hören, wer für die CDUFraktion sprechen soll. - Entschuldigung, Frau Damerow!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich übernehme das jetzt für meinen Kollegen HansJörn Arp.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Inobhutnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge war von Herbst 2007 bis Januar 2009 mehrfach Thema im Innen- und Rechtsausschuss und im Landtag. Herr Schippels, wir haben hier frühzeitig die Bedeutung dieses Themas und auch den Handlungsbedarf erkannt. Auf Grundlage eines Berichts des damaligen Innenministers nach einer schriftlichen Anhörung und auf Empfehlung des Jugendhilfeausschusses beschloss der Landtag, keine zentrale Clearingstelle einzurichten. Jedoch sollte den Kreisen und kreisfreien Städten empfohlen werden, mit Unterstützung des Landesjugendamtes eine einheitliche Verfahrensweise in diesem Bereich zu entwickeln. Es wird interessant sein zu hören, wie weit hier das Sozialministerium gekommen ist.
Die Einzelheiten der damaligen Debatte sind in den entsprechenden Plenar- und Ausschussprotokollen nachzulesen. Ich denke, die Betroffenen, die sich vorbereitet haben, haben das auch gelesen. Dass CDU und FDP darüber hinausgehenden Handlungsbedarf sehen, können Sie dem Koalitionsantrag der regierungstragenden Fraktionen entnehmen. Da der letzte Bericht der Landesregierung mittlerweile über zwei Jahre alt ist, halten wir es für geboten, zunächst einmal einen aktuellen Bericht der Landesregierung zu erhalten. Vor allen Dingen müssen die örtlichen Träger der Jugendhilfe, die hier zuständig sind, unbedingt mit einbezogen werden.
Da wir, die CDU-Fraktion und die FDP-Fraktion, diesen Bericht in unserem heutigen Antrag fordern, halte ich es an der Stelle nicht für sehr sinnvoll, schon zu diskutieren, bevor wir die Ergebnisse dieses Berichtes kennen. Ich hätte mir also gewünscht, dass wir dieses Thema in der nächsten Plenarsitzung ausführlich diskutieren. Heute sind bestenfalls
allgemeine Absichtserklärungen möglich, philosophische Betrachtungen, aber wahre Handlungsempfehlungen werden wir heute nicht diskutieren können.
Deshalb, verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns auf den Bericht warten. Dann werden wir hier erneut debattieren, dann auf belastbarer Grundlage, und dann werden wir hoffentlich zu einem guten Ergebnis kommen. Das halte ich für seriös, und das haben vor allen Dingen die betroffenen Kinder und Jugendlichen so verdient.
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In diesem gemeinsamen Antrag der Oppositionsfraktionen geht es um eine zentrale Anlaufstelle für minderjährige Flüchtlinge. Zurzeit ist es so, dass es in Schleswig-Holstein kein einheitliches Konzept gibt. Seit Oktober 2005 ist das Jugendamt durch die Regelung des § 42 SGB VIII berechtigt und auch verpflichtet, einen unbegleiteten Flüchtling in seine Obhut zu nehmen. Hierbei ist nicht relevant, ob der unbegleitete minderjährige Jugendliche Deutschland beziehungsweise Schleswig-Holstein „nur” als Transitland durchläuft oder nicht. Die Rechtslage ist hier eindeutig. Die 16- und 17-jährigen minderjährigen Flüchtlinge haben einen Anspruch auf eine vorläufige Schutzgewährung.
Die zuständigen Jugendämter haben neben der Inobhutnahme des Jugendlichen einem umfangreichen Katalog von Handlungsanweisungen Folge zu leisten, wie zum Beispiel: Primärzuständigkeit für die Erstunterbringung, Erstversorgung, eine jugendgerechte Betreuung nach den Jugendhilfestandards, Informierung der Ausländerbehörde, geltende ausländerrechtliche Bestimmungen mit den jugendrechtlichen Bestimmungen in Einklang bringen ich möchte gerne wissen, was daran so lustig ist, Herr Integrationsbeauftragter -, die Entscheidung für oder gegen einen Asylantrag aus humanitären Gründen gemäß Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes oder Rückkehr zur Familie ins Herkunftsland und ob entsprechend der Dublin-II-Verordnung eine Familienzusammenführung im Drittland möglich ist, ob Schiebung oder Abschiebung erforderlich ist, und, und, und.
Nun ist zu prüfen, ob es nicht vielleicht sinnvoll wäre, eine zentrale Anlaufstelle für minderjährige Flüchtlinge einzurichten, um den Bedürfnissen gerecht zu werden, wo durch besonders ausgebildete Fachkräfte die nötige Infrastruktur vorgehalten wird und die Jugendlichen eine bedarfsgerechte Versorgung erhalten könnten.
Da es sich hier um ein sehr komplexes Verfahren handelt und es noch weiteren Informationsbedarf gibt, möchte ich den Antrag an den Ausschuss überweisen lassen, um dort im weiteren Verfahren die Ausführungen der Betroffenen und des Landesbeauftragten für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen in die Entscheidungsfindung mit einbeziehen zu können.
Meine Damen und Herren, Punkt 4.3.6 des Erlasses des Innenministers vom 25. Februar 2008 über die Durchführung der Abschiebehaft sieht vor, dass bei Jugendlichen, die das 16., aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, ein Haftantrag nur dann gestellt werden soll, wenn die Haft für die Sicherung der Abschiebung unabdingbar erscheint. Die Ausländerbehörden müssen daher vorab in Abstimmung mit dem zuständigen Jugendamt klären, ob eine anderweitige Unterbringung im Sinne des § 42 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII möglich und geeignet ist. Trotzdem ist es in den vergangenen Jahren in Einzelfällen immer wieder vorgekommen, dass Jugendliche in Abschiebehaft gekommen sind.
Ich muss auch darauf hinweisen, dass die Anordnung von Abschiebehaft nach Punkt 4.3.4 dieses Erlasses auch gegen Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren zulässig ist, wenn diese als „unumgänglich“ angesehen wird. Wir sind uns hoffentlich alle darüber einig, dass wir alles tun wollen, um jugendlichen Flüchtlingen die Unterbringung in Abschiebehaft zu ersparen. Es dient auch nicht gerade dem Ansehen unseres Landes, wenn wir den hier lebenden Kindern und Jugendlichen den größtmöglichen Schutz des Staates vor Vernachlässigung, Misshandlung und Traumatisierung bieten wollen, bei den jugendlichen Flüchtlingen aber einen anderen Maßstab anlegen.
Der Vorschlag zur Einrichtung einer Clearingstelle ist nach Auffassung meiner Fraktion der effektivste Weg, dies zu verhindern und den Betroffenen wirksam zu helfen. Wir sind auch dazu verpflichtet, die Verantwortlichen vor Ort mit diesem Problem nicht alleinzulassen. Hier ist auch zu begrüßen, dass sich die Koalitionsfraktionen mit ihrem Berichtsantrag dem Thema nähern wollen. Die von der Landesre
gierung angeforderten Informationen dürfte diese aber bereits im Wesentlichen in dem Bericht „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ vom 25. September 2007 vorgelegt haben, der wiederum Gegenstand umfänglicher Beratungen im Innen- und Rechtsausschuss der letzten Wahlperiode war. Wir haben daher kein Informations-, sondern ein Handlungsdefizit und sollten uns nicht mit unnötigen Berichtsanforderungen aufhalten, sondern handeln.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktion DIE LINKE beantragte in ihrem ursprünglichen Antrag, Clearingstellen für junge Flüchtlingsopfer quasi sofort einzurichten. CDU und FDP haben hingegen vereinbart, die Einrichtung einer Clearingstelle für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zunächst zu prüfen. Das macht auch Sinn. Wir machen keine Schnellschüsse, sondern wir schauen uns zunächst den Status quo an, bevor eine fundierte Entscheidung getroffen werden kann.
- Nun murmeln Sie nicht schon wieder. Ich glaube, dieses Mal treffe ich auf mehr Zustimmung als vorhin. Ich erkenne an, dass der jetzt vorliegende gemeinsame Antrag der Oppositionsparteien nicht mehr von ungenauen Rechtsbegriffen strotzt, wie es der vorherige alleinige Antrag der LINKEN noch getan hat. Ich freue mich, dass nun offensichtlich ein Kenner der Materie den Antrag formuliert hat. Dennoch kann dieser Antrag die Zustimmung von CDU und FDP zu diesem Zeitpunkt und in dieser Fassung noch nicht finden. Gleichwohl - und das kann ich für die FDP-Fraktion sicher und mit Nachdruck sagen - teilen wir das Anliegen des Antrags und sind auch grundsätzlich der Auffassung, dass ein Clearingverfahren für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge geregelt sein muss.
Es wäre in unserem Sinne, wenn am Ende der Prüfung durch die Landesregierung die Einrichtung einer Clearingstelle stünde, in welcher Organisationsstruktur auch immer.
Der letzte umfassende Bericht der Landesregierung zu diesem Thema entstammt dem Jahr 2007. Darin legte der Innenminister umfassend dar, wie der damalige Stand war. Es zeigte sich, dass nur ein Teil aller Kreise und kreisfreien Städte in der Lage war, statistisch verwertbare Angaben zu Anzahl und Status unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge zu machen. Insbesondere bei den Inobhutnahmen gab es nur Zahlen bis 2005. Der Beauftrage für Flüchtlingsfragen bezeichnete den Bericht damals als unzureichend und die Datenlage als dürftig. Der Bericht gab auszugsweise den seinerzeitigen Diskussionsstand zum Thema Clearingstelle an und auch eine bestimmte Tendenz in der Entwicklung von Fallzahlen und den verschiedenen Verfahrensweisen auf Kreisebene. Er ist aber aufgrund seines Alters nicht wirklich geeignet, aktuell eine ausreichende Entscheidungsgrundlage zu bieten.
Um heute dazu eine zielführende und für die Betroffenen sinnvolle Diskussion führen zu können, hätte ich es befürwortet, wenn wir diesen Tagesordnungspunkt vertagt hätten, bis ein neuer Bericht der Landesregierung vorliegt, den CDU und FDP im Rahmen eines Änderungsantrags heute beantragen. Unser Änderungsantrag zielt darauf ab, kurzfristig aktuelle Zahlen und einen Überblick über den Sachstand in Kreisen und kreisfreien Städten zu erhalten, mit denen wir in die Lage versetzt werden, eine fundierte Diskussion zu führen.
Um nicht missverstanden zu werden: FDP und CDU ist durchaus bewusst, dass dieses Thema auch unabhängig von Fallzahlen einer eingehenden Befassung und Beratung, aber auch einer zeitnahen Entscheidung bedarf. Das Schicksal gerade minderjähriger Flüchtlinge, die ohne Familie oder andere Kontaktpersonen in Schleswig-Holstein aufgegriffen werden, kann und darf uns nicht egal sein. Wir wissen alle, dass es diese Flüchtlinge gibt. Doch wie viele sind es aktuell? Wie verteilen sie sich auf das Land Schleswig-Holstein? Wie werden sich die Fallzahlen zukünftig entwickeln? Wie wird bisher durch die örtlichen Träger der Jugendhilfe mit diesen Flüchtlingen umgegangen? Ohne Antworten auf diese und weitere Fragen können wir uns doch nicht ernsthaft in der Lage sehen, schon heute nur eine Richtung vorzugeben, wie sie der Antrag der Oppositionsparteien enthält.
Ihre Fraktionen haben sich bereits darauf festgelegt, dass es eine - dann ja wohl zentrale - Clearingstelle geben soll. Die Linken hatten ursprünglich noch die Einrichtung mehrerer Clearingstellen gefordert. Wer von uns kennt heute den Bedarf wirklich? Wer
von uns kann sagen, was mehr Sinn macht: Eine zentrale oder eine dezentrale Clearingstelle? Zentrale oder dezentrale Unterbringung der betroffenen Flüchtlinge? Eine ganz entscheidende Frage ist: Wer trägt die Kosten dieser Einrichtung? Die Kreise, das Land oder alle gemeinsam? Der Vormundschaftsverein im Flüchtlingsrat „Lifeline“ trägt zum Beispiel vor, dass das Clearingverfahren ein sehr komplexes Verfahren sei, das ein Netzwerk benötige, in dem verschiedene Behörden und Fachkräfte kooperativ zusammenarbeiten. Auch mit solchen Vorschlägen müssen wir uns beschäftigen, bevor wir uns endgültig festlegen.
Meine Damen und Herren, ohne belastbare Zahlen und aktuelle Fakten können wir keine seriöse Antwort darauf finden. Ich empfehle, zunächst die mit unserem Berichtsantrag angeforderten Zahlen, Sachstände und weiteren Informationen abzuwarten und dann zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen.
Meine Damen und Herren, ich möchte darum bitten, den Plenarsaal weniger für bilaterale Debatten zu nutzen. Es ist sehr unruhig. Ich erteile nun der Frau Abgeordneten Luise Amtsberg für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.