Protokoll der Sitzung vom 25.02.2010

(Serpil Midyatli)

stizminister sich bereits öffentlich und auch eindeutig zu diesem Thema zu Wort gemeldet hat.

(Beifall bei FDP und CDU)

Wir wollen, bevor wir eine Entscheidung treffen, gern darüber informiert werden, welche Ergebnisse die Arbeitsgruppe „Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit attraktiv gestalten“ zeitigt, die unter der Federführung Schleswig-Holsteins zusammenkommt. Da die Gruppe schon Mitte März tagt, scheint es uns ratsam, den dortigen Diskussionsstand mit in unsere Überlegungen einzubeziehen.

Auch wenn eine deutsche Staatsbürgerschaft pro Bürger vielleicht wünschenswert erscheinen mag, dürfen wir die Augen nicht vor der Realität verschließen. Die freiwillige Entscheidung für die deutsche Staatsbürgerschaft kann sachdienlicher sein als die aus welchem Beweggrund auch immer unter dem Druck der Frist erfolgte Wahl. Wer sich bewusst für die deutsche Staatsbürgerschaft entscheidet, wird vermutlich eher integriert sein.

Uns ist aber auch bewusst, dass in manchen Fällen das haben wir schon gehört - aus rechtlichen Gründen die Aufgabe der anderen Staatsbürgerschaft gar nicht möglich oder ratsam ist. Damit sind etliche Fälle der doppelten Staatsbürgerschaft bereits jetzt Realität und bei den Optionsfällen nicht vermeidbar. Wenn der deutsche Staat in diesen Fällen aber die doppelte Staatsbürgerschaft hinnehmen muss, müssen wir uns fragen: Kann der deutsche Staat es auch in anderen Fällen ertragen, wenn die Doppelstaatsbürgerschaft weiterhin bestehen bliebe?

Mein geschätzter Kollege Wolfgang Kubicki formulierte es im Februar 2008 in einer Diskussion aus gleichem Anlass wie folgt:

„Es ist wichtig, deutlich zu machen, dass das Leben bunt ist, dass sich Identität nicht nur auf Schwarz und Weiß reduzieren lässt.“

Vor diesem Hintergrund erwarte ich eine lebhafte Diskussion nach Vorliegen des Berichtes, aber auch über die Anträge von den Grünen und der SPD im Ausschuss. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Berichtsantrag.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich der Frau Abgeordneten Ellen Streitbörger das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um die Ungleichbehandlung bei dem geltenden Staatsbürgerschaftsgesetz zu verdeutlichen, möchte ich Sie bitten, sich folgende Situation vorzustellen. Drei Jugendliche mit Migrationshintergrund, die in Deutschland geboren sind, besuchen in einer Schule die gleiche Jahrgangsstufe. Alle drei werden volljährig. Jetzt geht es um die Wahl der Staatsbürgerschaft. Die Eltern des ersten Jugendlichen stammen aus Ecuador und aus Deutschland. Der Jugendliche behält die doppelte Staatsbürgerschaft und hat auch keine weiteren Probleme. Die Eltern des zweiten Jugendlichen stammen aus dem Nicht-EU-Land Schweiz. Der Jugendliche bekommt die doppelte Staatsangehörigkeit und hat keine weiteren Probleme. Die Eltern des dritten Jugendlichen stammen aus dem Nicht-EU-Land Türkei. Laut geltendem deutschen Recht bekommt dieser Jugendliche Post vom deutschen Staat und wird aufgefordert, sich zwischen der deutschen und der türkischen Staatsangehörigkeit zu entscheiden.

Krampfhaft hält unser Gesetzgeber an einem noch aus der Kaiserzeit stammenden Rechtsprinzip fest, mit dem Deutschland weltweit allein dasteht. Völlig unnötig leisten wir uns einen enormen bürokratischen Aufwand, auf den alle Staaten um uns herum ohne Probleme verzichten können.

(Beifall bei der LINKEN)

Am Ende setzen auch die deutschen Behörden dieses Rechtsprinzip aus dem Jahre 1913 gar nicht konsequent um, wie das Statistische Bundesamt Mitte Juni des vergangenen Jahres mitteilte. Von insgesamt 14.000 EU-Bürgern - ich vereinfache meine Ausführungen bei den Zahlen jetzt etwas wurden im vergangenen Jahr 13.000 unter Hinnahme der Mehrstaatlichkeit eingebürgert. Das entspricht einem Anteil von 96 %. Bei Personen aus sogenannten EWR-Staaten wie zum Beispiel der Schweiz betrug die Einbürgerungsquote unter Hinnahme der Mehrstaatlichkeit 95 %.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das waren aber relativ wenig!)

- Die Quote betrug aber 95 %.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wie viel wären das bei drei Fällen?)

Bei Bürgern aus europäischen Ländern betrug die Quote 51 %, bei Afrikanern 62 %, bei Amerikanern 74 %, bei Asiaten 62 % und bei Bürgern aus Australien und Ozeanien 87 %.

(Gerrit Koch)

Was die praktische Anwendung angeht, so sind von § 29 des Staatsangehörigkeitsgesetzes in den meisten Fällen unsere türkischstämmigen Mitbürger betroffen. Bei dem von den deutschen Behörden angewandten Optionszwang handelt es sich faktisch um eine Diskriminierungsklausel für Bürger mit türkischem Migrationshintergrund. Der Optionszwang ist ein Anachronismus aus den Zeiten der Nationalstaaten. Er ist diskriminierend, weil er nur in einem kleinen Teil des Staatsbürgerschaftsrechts Anwendung findet. Seine Anwendung ist außerdem unklug, weil so die dringend notwendige Integration von Migrantinnen und Migranten behindert wird. Seine Abschaffung bringt viele Vorteile und keinen erkennbaren Nachteil. Sie ist längst überfällig.

(Beifall bei der LINKEN, SSW sowie verein- zelt bei CDU und SPD)

Jetzt hat Frau Abgeordnete Silke Hinrichsen für die Fraktion des SSW das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich müssten wir in Schleswig-Holstein am besten wissen, dass der Pass nichts über die Gesinnung und die Loyalität eines Menschen aussagt. Es gibt hier nämlich viele Menschen, die sich zur dänischen Nationalität bekennen; trotzdem stellt niemand von ihnen ihre Loyalität zum deutschen Staat in Frage.

(Zuruf von der FDP: Na, na!)

- Bisher war das so. Heute scheint das anders zu sein. Dann werde ich das hier gern berücksichtigen. - Unsere minderheitenpolitischen Erfahrungen stehen im Kontrast zum Staatsangehörigkeitsrecht, das auf die Exklusivität der deutschen Staatsbürgerschaft pocht. Es beruht immer noch auf dem veralteten Bild, dass Nationalität etwas Einzigartiges ist und dass jede andere Nationalität im Gegensatz zur deutschen steht. Dabei müssten oder könnten alle in diesem Saal wissen, dass das Leben sehr viel bunter ist.

Wenn Sie junge Menschen in den Minderheiten im deutsch-dänischen Grenzland nach ihrer Zugehörigkeit fragen, fällt die Antwort häufig so aus: Ich habe zwar den einen oder den anderen Pass, aber eigentlich bin ich eine Mischung aus beidem. - Dies hat nichts mit einer gespaltenen Persönlichkeit zu tun. Eine doppelte Staatsbürgerschaft oder län

derübergreifende Gesinnung ist kein Problem, sondern eine Bereicherung. Identität und Gefühle lassen sich, wie der Kollege vorher schon sagte, als er Herrn Kubicki zitierte, eben nicht auf Schwarz oder Weiß reduzieren.

Die rot-grüne Bundesregierung hat in ihrer Regierungszeit versucht, eine Lösung für die Menschen zu finden, die seit Jahrzehnten in Deutschland wohnen, arbeiten und Steuern zahlen, aber aufgrund ihres Passes keine politischen Teilhabechancen haben. Wir erinnern uns sicherlich noch an die Weltuntergangsdebatte, die von konservativer Seite seinerzeit losgetreten wurde, als es um die Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland ging. Der Kompromiss war, dass in § 4 Abs. 3 des Staatsangehörigkeitsgesetzes die Möglichkeit geboten wurde, bei Geburt in Deutschland die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben, wenn ein Elternteil, obwohl er einen anderen Pass hat, seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt. Diese Kinder können auch zwei Pässe haben, müssen sich aber aufgrund des sogenannten Optionszwangs spätestens zum 18. Geburtstag von einer der beiden Staatsangehörigkeiten trennen.

Nun sind die ersten Jugendlichen mit zwei Pässen vom Optionszwang betroffen, und die Zahl wird in den nächsten Jahren weiter steigen. Dabei wird immer deutlicher, dass der Zwang, sich von einem der Pässe verabschieden zu müssen, die Betroffenen häufig in eine unlösbare Konfliktsituation bringt. Sie müssen sich nicht nur offiziell gegen einen Teil ihrer persönlichen Identität entscheiden, sie kommen auch familiär oftmals in eine dramatische Situation, wenn sie sich für die eine und damit gegen eine andere Staatsbürgerschaft entscheiden müssen.

Zu den persönlichen und sozialen Konsequenzen kommen auch noch handfeste rechtliche und finanzielle hinzu. Mit der Abwahl des deutschen Passes müssen sie auf das Wahlrecht in Deutschland verzichten. Die Abwahl des anderen Passes kann zum Beispiel dazu führen, dass sie ihre erbrechtlichen Ansprüche in dem anderen Land aufgeben müssen. Einige Staaten machen die Entlassung aus ihrer Staatsangehörigkeit von derart unzumutbaren Bedingungen abhängig, dass immer mehr deutsche Gerichte diese rechtlichen Nachteile als unverhältnismäßig anerkennen. Sie verpflichten die Bundesländer, Betroffene einzubürgern, ohne dass die zweite Staatsangehörigkeit aufgegeben werden muss. So hat das Stuttgarter Verwaltungsgericht vor Kurzem das Land Baden-Württemberg verpflichtet, eine 14-Jährige einzubürgern und ihre Mehrstaat

(Ellen Streitbörger)

lichkeit in Kauf zu nehmen. Das Urteil ist rechtskräftig.

Der Staat zwingt Jugendliche, die hier geboren und hier aufgewachsen sind, sich für oder gegen eine Zugehörigkeit zu Deutschland zu entscheiden. Das ist vollkommen absurd und hat absolut nichts mehr mit Integration zu tun.

(Beifall beim SSW sowie vereinzelt bei SPD und der LINKEN)

Deshalb begrüßen wir ausdrücklich, dass der Justizminister im Januar angekündigt hat, sich in der Integrationsministerkonferenz für die Abschaffung des Optionsmodells im Staatsbürgerschaftsrecht einzusetzen.

(Vereinzelter Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Wirklichkeit hat längst gezeigt, dass die Loyalität zu Deutschland nicht unter einem zweiten Pass leidet. Die doppelte Staatsbürgerschaft erleichtert im Gegenteil Menschen, die von Kindheit an zwei Pässe haben, die Identifikation mit diesem Land. Deshalb fordert der SSW ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht, das allen Kindern von Deutschen und allen in Deutschland geborenen Kindern mit der Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft verleiht. Die breite Mehrheit in unserer Gesellschaft hat sich innerhalb des letzten Jahrzehnts zur Erkenntnis durchgerungen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Jetzt ist es Zeit, den konsequenten zweiten Schritt zu tun und die Mehrstaatlichkeit ausdrücklich anzuerkennen.

Wir stimmen aus diesen Gründen dem vorgelegten Änderungsantrag der SPD zu, weil er eine schnelle Umsetzung ermöglicht. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch gern darauf hinweisen, dass wir schon viele Menschen in diesem Land haben, die die doppelte Staatsangehörigkeit haben, die nicht vom Optionszwang betroffen waren, sondern zu Zeiten geboren wurden, als man gerade am Staatsangehörigkeitsrecht Veränderungen vorgenommen hatte. Diese Menschen leben weiterhin sehr gut mit diesen beiden Pässen, und ich habe noch nicht gehört, dass es dort irgendwelche Probleme gegeben hat. Warum können wir es nicht weiterhin so halten, dass wir diese Mehrstaatlichkeit einfach zulassen?

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Für die Landesregierung hat jetzt der Minister für Justiz, Gleichstellung und Integration, Herr Emil Schmalfuß, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, heute zu Ihnen über dieses Thema sprechen zu können. Dieses Thema liegt mir sehr am Herzen, da gibt es keinen Unterschied zwischen der Privatperson und dem Minister für Justiz, Gleichstellung und Integration.

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

So habe ich mich bereits zum Thema Optionspflicht positioniert. Ich hoffe, damit eine Diskussion angestoßen zu haben, die möglichst sachlich und ideologiefrei geführt wird.

Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg wird dabei die Integrationsministerkonferenz am 19. März 2010 in Düsseldorf darstellen. Diese Konferenz wird sich im nächsten Monat neben anderen Fragen vor allem mit der Frage beschäftigen, wie sich der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft attraktiver gestalten lässt. Dazu wird eine länderoffene Arbeitsgruppe - übrigens unter der Federführung Schleswig-Holsteins - einen Bericht vorlegen, der neben einer Bestandsaufnahme auch eine Analyse zu dieser Fragestellung beinhalten wird.

Ohne dem Ergebnis dieser Konferenz vorweggreifen zu wollen: Wir werden auch die sogenannte Optionspflicht auf den Prüfstand stellen müssen. Wie wir heute bereits gehört haben, war die Optionspflicht im Staatsangehörigkeitsrecht bei der Reform im Jahr 2000 ein Kompromiss, um das Geburtsortsprinzip einzuführen.

Die Folgen dieses Kompromisses bekommen wir nun zunehmend zu spüren. Denn die ersten Betroffenen sind inzwischen volljährige junge Menschen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, werden zwischen ihrem 18. und 23. Lebensjahr vor die Wahl gestellt. Wollen sie Deutsche bleiben, müssen sie die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern abgeben, wollen sie die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern behalten, sind sie nicht länger Deutsche. So ist zurzeit der Grundsatz.

Dies bedeutet nicht nur technische Schwierigkeiten, sondern es bedeutet auch, wir tragen Streit in die Familien, Streit, weil die Eltern aus nachvollziehbaren Gründen eine gemeinsame Staatsbürgerschaft

(Silke Hinrichsen)

als Band zwischen ihren Kindern, sich selbst und zu ihrer Heimat verstehen.

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN, SSW und des Ab- geordneten Peter Lehnert [CDU])