Protokoll der Sitzung vom 18.03.2010

(Beifall)

Meine Damen und Herren, zur aktuellen Entwicklung: Gewalttäter nehmen schwerste Verletzungen oder sogar den Tod von Beamten billigend in Kauf. Erst gestern - auch das wurde gesagt - wurde in Rheinland-Pfalz ein Polizeibeamter erschossen. Die Gewerkschaft der Polizei spricht von einer „neuen Stufe der Gewalt“. Aber ich denke, so weit müssen wir gar nicht blicken. Auch in Schleswig-Holstein ist die Welt schon lange nicht mehr heil. Erst am vergangenen Samstag kam es bei einer Massenschlägerei in Wedel zu massiven Übergriffen auf die einschreitenden Polizeibeamten. Und Sie haben neulich in der Presse lesen können, dass bei einer Verkehrskontrolle ein 15-jähriges Mädchen einen Polizeibeamten mit Fußtritten ins Gesicht schwer verletzt hat. Selbst bei Routineeinsätzen wie Familienstreitigkeiten oder Ruhestörungen müssen Polizeibeamte heutzutage damit rechnen, tätlich angegriffen zu werden.

Meine Damen und Herren, wir kommen angesichts dieser besorgniserregenden Entwicklung auch hier im Parlament nicht um die Frage herum: Wer will denn angesichts solcher Entwicklungen überhaupt noch Polizist werden? Wer soll es werden? Welche Qualität bekommen wir noch, welche müssen wir fordern? Ich sage Ihnen auch aus alter beruflicher Erfahrung: Nicht wenige Eltern sagen, unter diesen Voraussetzungen wollen wir unser Kind nicht in die Ausbildung bei der Landespolizei schicken. Der polizeiliche Nachwuchs - ich glaube, das muss die Überzeugung von uns allen sein - muss aus der Mitte der Bevölkerung kommen. Dort ist er richtig platziert.

(Beifall)

Ich erlaube mir zu ergänzen, ohne zu dramatisieren: Wir wollen keine Abenteurer bei der Landespolizei!

Meine Damen und Herren, 2008 wurden nach einem Bericht des Innenministeriums 44 Polizeibeamte verletzt, 2009 bereits 108 Beamte, also mehr als doppelt so viele, mehrere davon schwer. Diese veröffentlichten Zahlen sind sowohl erschreckend

als auch alarmierend. Wir dürfen sie nicht nur zur Kenntnis nehmen, sie müssen uns zum Handeln und zum Beistand herausfordern.

Im besonderen Fokus - darauf will ich doch ein paar Sätze mehr verwenden - des polizeilichen Gegenüber stehen Uniformträger. Vorbei sind die Zeiten, meine Damen und Herren, in denen die Uniform den Polizeibeamten in seiner Amtsausübung schützte und ihm Autorität verlieh. Angriffe auf Uniformträger nehmen zu, und auch der sogenannte Dorfgendarm ist davon nicht mehr ausgenommen, denn auch im ländlichen Raum gehen Respekt und Akzeptanz zunehmend verloren.

Es ist also festzustellen, dass die Uniform zunehmend ihren Träger gefährdet, weil sie den Polizeibeamten erkennbar macht und dem gewaltbereiten polizeilichen Gegenüber die Möglichkeit zur Zielerkennung gibt. Ausdrücklich möchte ich in diesem Zusammenhang auch die geschlossenen Einheiten der Bereitschaftspolizei erwähnen, die als besondere Uniformträger vielfach extrem als Prügelknaben für ein Kräftemessen mit dem Staat herhalten müssen. Am 27. März 2010 - Herr Kalinka hat es schon gesagt - ist in Lübeck wieder Schlimmes zu befürchten.

Meine Damen und Herren, ich denke, wir sind uns hier im Hohen Haus einig, dass die Entwicklung von Gewalt gegen Polizeibeamte nicht länger hingenommen werden darf. Deswegen begrüßt die FDP-Fraktion ausdrücklich das Bekenntnis des Innenministers, wenn er betont, dass Angriffe auf Polizeibeamte nicht tatenlos hingenommen werden dürfen. Dem Innenminister muss auch Dank gesagt werden, dass sich Schleswig-Holstein an einer Studie Gewalt gegen Polizei des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen beteiligt. Von dieser Studie erwarten wir wesentliche Erkenntnisse über Erscheinungsformen von Gewalt gegen Polizeibeamte. Wir begrüßen darüber hinaus, dass mit der Kriminalstatistik im nächsten Jahr nun hinsichtlich der Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte eine differenzierte Erfassung erfolgen soll.

Meine Damen und Herren, nun etwas Löbliches; ich glaube, das gereicht auch unserem Innenminister zur Ehre: Bei den Nachsorgemaßnahmen war und ist Schleswig-Holstein bundesweit Vorreiter. Es besteht für Polizistinnen und Polizisten nach belastenden Einsätzen das Angebot auf psychologische Betreuung durch geschulte Beamte. Bei längerfristigen seelischen Reaktionen werden betroffene Beamte zur weitergehenden Beratung an den psychologischen Dienst vermittelt.

(Jens-Uwe Dankert)

Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion sieht in der Schaffung eines neuen Straftatbestandes und einer damit einhergehenden Strafverschärfung keine zielführende Lösung.

(Beifall bei FDP und CDU)

Wir meinen, dass die heutigen Strafnormen ausreichen, um Gewalttäter konsequent zu bestrafen. Hier kann die Justiz helfen und durch konsequente Anwendung der geltenden Rechtsnormen ein deutliches Signal setzen. Mit einem neuen Straftatbestand ist die gesellschaftliche Herausforderung nach unserer Auffassung aber nicht lösbar. Damit wird nur das Symptom bekämpft, nicht aber die Ursache. Was wir stattdessen brauchen, ist eine Antwort auf die Frage, wie die für den Staat handelnde Polizei ihre Legitimation und Achtung wiedererlangt. An dieser Diskussion wird sich die FDP-Fraktion engagiert und verantwortungsbewusst beteiligen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Herr Abgeordnete Thorsten Fürter das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Schlie, Sie haben an den schlimmen Vorfall gestern in Rheinland-Pfalz erinnert. Wir können uns Ihren Worten aus Sicht der Grünen, was dies angeht, nur anschließen.

Gewalt, ob gegen Polizeibeamte oder gegen andere Menschen, ist nicht zu tolerieren. Dabei ist es gleich schlimm, wenn Gewalt gegen Polizisten vom alkoholisierten Flegel oder vom theoriegetränkten Ideologen verübt wird. Deswegen begrüßen wir diese Debatte.

Wer Gewalt gegen Polizeibeamte bekämpfen will, darf sich nicht nur die Statistik ansehen, sondern muss auch nach den Ursachen fragen. Dabei geht es nicht nur um die schlagzeilenträchtige Gewalt zum Beispiel am Rande eines Fußballspiels oder während riskanter Demonstrationen. Viel häufiger kommt es vor, dass es bei alltäglichen Einsätzen zu Gewalt kommt, nachts vor Clubs und Kneipen, bei Routinekontrollen. Es ist dann vor allem die Gewalt von jungen Männern, jungen Männern, die keine Perspektive haben, oft von Aufstiegschancen abgehängt, Bildungsverlierer in der Schule, Mangel an Ausbildungsplätzen, daraus resultierendes Herumlungern, Alkoholkonsum und eben auch Gewaltbereitschaft.

Die Auswirkungen spüren die Polizeibeamten, aber ebenso - wenn auch weniger offenkundig - das ganze Gesellschaftssystem. Wir Politiker sind es, die die Rahmenbedingungen für Bildung und Wirtschaft schaffen. Aber wenn ich ganz ehrlich sein soll, es wäre zu einfach, der Regierung oder der Politik allein diese Aufgabe zuzuweisen, die ja in Wahrheit eine Reintegration ungeheuren Ausmaßes ist. Diese Reintegration erreichen wir leider nicht durch Steuersenkungen. Wir erreichen sie, indem wir möglichst alle Menschen in die Lage versetzen, dass sie in einer offenen Gesellschaft bestehen können.

Die Polizeibeamten begreifen sich in SchleswigHolstein schon längst als bürgerfreundliche Beamte in Uniform. Dieses positive Image der Polizei ist extrem wertvoll. Einige wenige Menschen hält das leider nicht von Übergriffen auf die Polizei ab. Das können und werden wir nicht gutheißen. Deshalb steht für uns außer Frage: Jede Straftat muss verfolgt und, wenn die Schuld erwiesen ist, auch bestraft werden.

Es sollte uns aber niemand vorgaukeln, wir bräuchten dazu neue, schärfere Gesetze. Wer mit einer Bierflasche nach einem Polizisten wirft und diesen verletzt, kann hart bestraft werden. Laut Gesetz ist das eine gefährliche Körperverletzung. Zehn Jahre Haft kann dafür verhängt werden. Auch der Versuch ist strafbar.

Herr Minister Schlie, auch Sie haben sich die Forderung nach neuen Gesetzen in Presseveröffentlichungen zu eigen gemacht. Ich bin gespannt auf die Bundesratsinitiative aus Ihrem Haus. Ich glaube, sie wird nicht kommen. Das liegt nicht daran, dass sich die FDP zurzeit noch kritisch äußert, wie sie das getan hat. Es liegt daran, dass der Schutz der körperlichen Integrität im Strafgesetzbuch umfassend ist. Ein Sonderschutz für Polizeibeamte, das klingt erstmal nach Aktivität und Feuerwerk. Wer ins aktuell gültige Gesetz schaut, sieht aber, dass die Vorschläge eher ein Wunderkerzchen sind. Sie sind schlicht und einfach nicht erforderlich.

Ja, Gewalt gegen Polizisten muss konsequent verfolgt werden. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Aber zu glauben, die Ursache der Gewalt ließe sich mit einem Herumschrauben am Strafgesetz lösen, ist entweder naiv oder populistisch.

Und nun doch noch ein kurzer Blick auf ein paar Daten. Zum exorbitanten Anstieg der Gewalt gegen Polizeibeamte: Das Zahlenmaterial gibt ihn, worüber ich sehr froh bin, nicht her. So antwortete die Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der Partei

(Jens-Uwe Dankert)

DIE LINKE, dass zwar die Zahl der Widerstandshandlungen von 2007 auf 2008 gestiegen ist. Gleichzeitig ist die Zahl der Körperverletzungen im gleichen Zeitraum aber um 81 % zurückgegangen. In 2009 sind die Widerstandshandlungen konstant geblieben. Die Anzeigen wegen Körperverletzung lagen 2009 unter dem Wert von 2006.

Ja, jede Tat ist eine zu viel. Da gibt es nichts zu verharmlosen. Dem stimme ich zu. Es ist gut, dass CDU und FDP das Problem erkannt haben und hier im Landtag mit uns über diese Frage diskutieren. Lassen Sie uns jetzt gemeinsam nach Lösungen suchen, die auch wirklich etwas bringen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Für die Fraktion DIE LINKE hat der Herr Abgeordnete Heinz-Werner Jezewski das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es vorweg zu sagen: Jede Gewalttat, speziell jede Gewalttat, die sich gegen einen Menschen richtet, ist eine Gewalttat zu viel.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen alles tun, um Gewalttaten gegen Polizistinnen und Polizisten zu verhindern, so wie wir auch alles tun müssen, um Gewalttaten gegen andere Menschen zu verhindern.

Nun sind wir dabei aber auch auf einem guten Weg. Wie mir der Innenminister in seiner Antwort auf meine Kleine Anfrage vom 16. Dezember 2009 mitteilte, hat die Anzahl der Gewalttaten gegen Polizistinnen und Polizisten zwischen dem Jahr 2004 beziehungsweise 2005 und dem Jahr 2008 um beinahe 25 % abgenommen, von nämlich 954 Gewalttaten im Jahr 2004 beziehungsweise 963 Gewalttaten im Jahr 2005 auf nur noch 757 Gewalttaten im Jahr 2008. Dass dabei der Trend der Abnahme solcher Gewalttaten von 2005 bis 2006 - in diesem Zeitraum gab es nämlich einen Rückgang um sogar fast die Hälfte - nicht angehalten hat, ist schade, aber wohl auch Einzelentwicklungen in diesem Jahr zuzuschreiben.

Dass es jetzt vereinzelt Menschen gibt, die die enorm gesunkenen Zahlen von 2006 als Datengrundlage der ganzen Entwicklung nehmen wollen, ist meines Erachtens nicht einmal der Diskussionskultur dieses Hauses angemessen.

Vermeintlich valide Aussagen über Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten ohne jegliche Datenbasis zu treffen, ist aber leichtfertig und polemisch und sorgt dafür, dass das letzte bisschen Vertrauen auch noch verspielt wird. Ich zitiere aus der Vorbemerkung der Landesregierung im vorliegenden Bericht:

„Belastbare Statistiken beziehungsweise Erhebungen über Gewalttätigkeiten gegenüber Polizeieinsatzkräften liegen derzeit weder in Schleswig-Holstein noch in den anderen Ländern oder beim Bund vor. Daher kann nicht eindeutig identifiziert werden, ob es sich - verstärkt durch die mediale Berichterstattung - um eine eher subjektiv vermutete Zunahme handelt, oder ob tatsächlich objektiv eine signifikante Steigerung zu verzeichnen ist.“

Das heißt also, die Basis unserer Diskussion hier ist die totale Unwissenheit über die wirkliche Situation. Auf dieser Basis dann Aussagen zu treffen wie - ich zitiere erneut aus dem Bericht -:

„Ursächlich für die Entwicklung könnte ein Wertewandel in Teilen der Gesellschaft, einhergehend mit einem grundsätzlichen Akzeptanzverlust der Polizei, sein. Die Bereitschaft, Konflikte mit Gewalt lösen zu wollen, nimmt zu und macht auch vor Polizeibeamtinnen und -beamten nicht halt.“

Ich will nicht ausschließen, dass diese Aussage richtig ist. Aber ich möchte sie gern mit wissenschaftlich untermauertem Datenmaterial unterfüttert haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Ganze ohne Datenmaterial zu tun, ist meines Erachtens nicht nur unverantwortlich, sondern deutlich unterhalb des Niveaus der Boulevard-Berichterstattung. Wir begrüßen ausdrücklich den in dem Bericht ansatzweise erkennbaren Versuch, gesamtgesellschaftliche Entwicklungen zu betrachten, wenn es um die Ursachen von Gewalt geht. Wir begrüßen auch den berichteten Ansatz, durch die Schulung von Beamtinnen und Beamten in Deeskalationsstrategien diesen Werkzeuge und Methoden an die Hand zu geben, Gewalt vorzubeugen. Was wir vehement ablehnen, ist der Versuch, mit pseudowissenschaftlichem Datenmaterial eine Krisensituation herbeizureden, um so dem Staat vermehrt Repressionsmittel zu verschaffen.

Ein Letztes noch, bevor ich zum persönlichen Abschluss komme. Wie jemand auf die Idee kommen

(Thorsten Fürter)

kann, dass man der Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten begegnen könne, indem man diese mit neuen Schlagstöcken, sogenannten Einsatzmehrzweckstöcken, und neuen Dienstpistolen ausrüstet, habe ich auch nach langem Nachsinnen über diesen Teil des Berichts nicht ergründen können. Wer glaubt, dass Gewalttäter aus Angst vor der Polizei friedlich werden, der sollte sich einmal mit Konfliktforschung beschäftigen. Dann wird er es schnell besser wissen.

Wir sollten also an dieser Stelle die Diskussion beenden und erst dann wieder aufnehmen, wenn uns belastbares Datenmaterial vorliegt, was zum Glück bald der Fall sein wird. Solange brauchen wir aber nicht zu warten, bis wir die Diskussion über die Werte in unserer Gesellschaft führen, die sicherlich auch etwas mit Gewaltbereitschaft zu tun haben. Schon lange ist nämlich bekannt, dass sie Gewaltbereitschaft in Gesellschaften mit dem Grad der sozialen Ungleichheit korreliert. Das wird eine Diskussion, die DIE LINKE gerne führen möchte.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Fraktion des SSW hat nun die Frau Abgeordnete Silke Hinrichsen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erst einmal möchte der Landesregierung für den vorliegenden Bericht danken. Er gibt aus meiner Sicht den sehr umfassenden Einblick in die Problematik der Gewalt gegen Polizeibeamte. So wird nicht nur das Fehlen der belastbaren Statistiken in diesem Bereich angesprochen, sondern auch deutlich, dass dieses Thema ernst genommen wird und es vielfältige Maßnahmen gibt, damit die Beamten zukünftig weniger Gewalt erfahren.

Die Gewalt gegen Polizeibeamte war auch bereits Thema im Innen- und Rechtsausschuss im Rahmen der Erörterungen zu der letzten Tagung der Innenministerkonferenz. Da waren auch einige meiner Vorredner anwesend. Es wurde deutlich, dass zwar die Zahl der strafbaren Widerstandshandlungen und Körperverletzungen im Laufe der letzten Jahre zurückgegangen ist, sich aber dafür die Gewaltbereitschaft und die Qualität der Übergriffe gegen Polizeibeamte verändert haben.