Protokoll der Sitzung vom 07.07.2010

Entscheiden kann sich allerdings nur, wer Alternativen hat. Das ist der Kern des Problems. Die freiberufliche Geburtshilfe ist in ihrer Substanz gefährdet. Wir steuern auf das bittere Ende der freien Hebammen zu. Die Gebühren, die eine freie Hebamme für ihre Dienstleistungen bekommt, sind mager. Sie erhält für eine Hausgeburt 652 €, ab 1. Juli diesen Jahres 752 €. Eine normale Klinikgeburt kostet die Krankenkasse 2.405 €. Für potenzielle Risiken muss die freiberufliche Hebamme - anders

als in der Klinik - allein geradestehen. Deshalb ist für sie eine Haftpflichtversicherung unverzichtbar. Die Haftpflichtgebühren - das haben wir gerade eben gehört - werden deutlich steigen.

Liebe Kollegin Klahn, 500 der bundesweit 4.000 Hebammen, die Geburten begleiten, haben ihren Rückzug aus der ambulanten Versorgung angekündigt. Die Hebammenvergütung wird nur um 100 € pro Geburt erhöht. Das hat die Schiedsstelle inzwischen entschieden. Das ist auch gut, es wird aber nicht ausreichen. Wir müssen eine Lösung finden. Ich freue mich über die Signale, die von der Kollegin Sassen aus der CDU gekommen sind.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Ich freue mich sehr über diese Signale. Denn es darf jetzt keinen Parteienstreit oder ein Zuständigkeits- und Kompetenzgerangel geben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Schleswig-Holstein gehen die Kinder aus, und diejenigen, die ihnen auf die Welt helfen, werden im Stich gelassen. Das dürfen wir nicht zulassen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Das würde bedeuten, dass Frauen zukünftig nicht mehr die freie Wahl über die Art der Geburt ihres Kindes haben. Ohne freiberufliche Hebammen wird es keine Belegentbindung, keine ambulante Entbindung in Geburtshäusern und keine Hausgeburt mehr geben. Was bleibt, ist die klassische Klinikentbindung. - Nicht von allen gewünscht und auch noch teurer. Damit würde unwiederbringlich ein Stück der jahrhundertealten Kultur und Kompetenz der Hebammen verlorengehen. Wir Grüne wollen, dass die freie Hebammentätigkeit erhalten bleibt.

Der Petitionsausschuss des Bundestags sieht in Bezug auf freie Hebammen keinen Handlungsbedarf. Das ist kurzsichtig. Der Vertreter des Bundesgesundheitsministeriums zeigte sich im Anhörungsverfahren nicht ausreichend informiert. Das ist eine Blamage für die FDP.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Die Bundesregierung konnte auf Anfragen der grünen Bundestagsfraktion in den Jahren 2006 und 2009 zum Angebot und zur Einkommenssituation von Hebammen wenig sagen. Der aktuelle Bundestagsantrag meiner Fraktion zur Situation der Hebammen schlummert im Ausschuss.

(Anita Klahn)

So geht es nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen, und ich sage es noch einmal ganz ausdrücklich: Wir alle auch nicht.

Wir Grünen fordern mehr Einsatz für den Erhalt der Hebammenarbeit. Wir freuen uns ganz ausdrücklich über den Antrag, den die SPD hier eingebracht hat. Ja, die freie Geburtshilfe muss erhalten bleiben. Ja, wir wollen sie flächendeckend in SchleswigHolstein erhalten. Und ja, wir sind der Meinung, dass Hebammen eine angemessene, eine höhere Vergütung erhalten müssen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Allen Schwangeren müssen die gleichen Leistungen offenstehen, unabhängig davon, ob sie gesetzlich oder privat krankenversichert sind.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Gerade der letzte Punkt ist uns Grünen sehr wichtig.

Was die Zukunft der Hebammenarbeit angeht, hoffe ich, dass wir in der weiteren Beratung im Sozialausschuss eine gute Lösung finden werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich das Wort der Frau Abgeordneten Ranka Prante.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir kämpfen in der Bundesrepublik Deutschland mit Geburtenarmut. Dies stellt unsere Gesellschaft vor verschiedene gravierende Probleme. Diese Probleme sind unter anderem im Pflegebereich, im Bildungswesen bis hin zur Rentenversicherung zu spüren. Alte Strukturen geraten durch signifikante Verschiebungen der Alterspyramide ins Wanken. In dieser Zeit den Berufsstand der freiberuflichen Hebammen die Unterstützung zu verweigern und damit schon die Geburt eines Menschen als Nebensache zu deklarieren, ist der denkbar schlechteste Weg, um der Lösung der Probleme näherzukommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Geburt eines Kindes ist etwas Besonderes. Das wissen wir alle. Auch die Tatsache, dass die Petiti

on der Hebammen binnen der Drei-Wochen-Mitzeichnungsfrist über 83.000 Mitzeichnungen im Internet und weitere 1.000 postalisch eingegangene Unterschriften erreicht hat, spricht für die Wichtigkeit dieses Themas.

(Beifall bei der LINKEN)

Sehr viele Frauen wollen die Geburt ihres Kindes auch als genau das erleben, nicht als etwas Medizinisch-Steriles. Sie wollen die freie Wahl haben, unter welchen Umständen ihr Kind sicher das Licht der Welt erblickt.

Diese Sicherheit und Wahlfreiheit ist nun gefährdet. Freiberufliche Hebammen müssen künftig circa 4.000 € jährlich für Berufshaftpflichtversicherungen aufbringen, dies bei einem Durchschnittseinkommen von circa 1.180 € monatlich für eine in Vollzeit arbeitende Geburtshelferin, die Tag und Nacht in Rufbereitschaft lebt. Es handelt sich dabei übrigens um eine Steigerung von 203 %. Der Grund für die Prämienanhebung ist nicht etwa die Häufung von Schadensfällen, also einer möglicherweise unzureichenden Arbeit der Hebammen. Nein, die Arbeit der Hebammen ist gut. Die Versicherungen begründen die Anhebung damit, dass die Kosten für lebenslange Pflege und Schadenersatz bei einem möglichen Schadensfall - einem möglichen Schadensfall! - so immens gestiegen sind. Das heißt für uns im Klartext, freiberufliche Hebammen baden gerade die völlig verfehlte Gesundheitspolitik der Bundesregierung aus, und das darf nicht sein.

(Beifall bei der LINKEN und SPD)

Wir fordern deshalb einen unabhängig verwalteten gemeinsamen Haftungsfonds für alle Heilberufe, der das Risiko von Behandlungsfehlern auffängt. Zudem müssen Art und Umfang der Vergütung von Hebammenhilfe verbindlich festgelegt werden. Die Politik muss auf allen Ebenen dafür sorgen, dass nicht immer mehr Hebammen gezwungen werden, ihren Beruf aufzugeben. Herr Garg, auch von uns noch einmal: Hier ist Ihr Engagement gefragt!

(Beifall bei der LINKEN und SPD)

Für die Fraktion des SSW erteile ich das Wort dem Herrn Abgeordneten Flemming Meyer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich denke, kaum einer kann ernsthaft ein Interesse daran haben, die Möglichkeit, Ge

(Dr. Marret Bohn)

burten auch weiterhin wohnortnah und von freiberuflichen Hebammen begleiten zu lassen, zu verhindern. Auch die Tatsache, dass hier aktuell Handlungsbedarf besteht, dürfte jedem von uns klar sein. Die Rahmenbedingungen für die Arbeit freiberuflicher Hebammen haben sich in den vergangenen Jahren leider immer weiter verschlechtert. Auch dies ist hinlänglich bekannt.

Auch die Hauptursache für dieses Problem dürfte allen hier Anwesenden klar sein. Denn durch eine wahre Explosion der Versicherungsprämien werden die freiberuflichen Hebammen mittelfristig ihre Dienste nicht mehr aufrechterhalten können. Und der erneute Anstieg der Haftpflichtprämien Anfang dieses Monats wird trotz der gerade beschlossenen Kompensationsregelung der Schiedsstelle dazu führen, dass weitere freiberufliche Hebammen die Geburtshilfe aufgeben müssen. Es ist sehr bedauerlich, dass bisher so wenig geschehen ist, um die Bedingungen zu verbessern. Allein schon aus diesem Grund müssen wir die bestehenden Möglichkeiten, hier gegenzusteuern, unbedingt zügig nutzen.

Die Bedeutung der von den Hebammen geleisteten Arbeit kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. In vielen Fällen übernehmen sie im Rahmen ihrer Hausbesuche die komplette Mütterberatung. Daher ist ihre Arbeit eine wichtige Säule der ambulanten Versorgung, und sie helfen durch ihre Dienste vor Ort, eine Menge Geld zu sparen. Dass sie die Gebühren für die Geburten fast vollständig für die Versicherungsprämien aufbringen müssen, ist ganz einfach nicht länger hinnehmbar und zeugt letztlich nicht gerade von einer großen Wertschätzung für diesen Berufsstand.

(Beifall bei SSW und der LINKEN)

Den im Antrag gestellten Forderungen an die Landesregierung, geeignete Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen zu erarbeiten, schließt sich der SSW daher ausdrücklich an. Darüber hinaus halten wir es für dringend erforderlich, dass diese auch zeitnah vorgelegt und vor allem auch umgesetzt werden. Denn gerade in ländlichen Gebieten, so zum Beispiel auf den nordfriesischen Inseln, kann die Versorgung schon heute nicht mehr aufrechterhalten werden. Die alternative Geburt im Krankenhaus scheint vielen werdenden Müttern aber allein aufgrund der schlechten personellen Besetzung in den Kreissälen wenig attraktiv zu sein. Da eine Hebamme hier im Regelfall für die gleichzeitige Betreuung mehrerer Frauen zuständig ist, scheint die sichere Geburt in Ruhe und Würde kaum noch möglich zu sein. Durch den Wegfall der wohnortnahen Versorgung kann also auch die

Wahlfreiheit des Geburtsortes nicht mehr sichergestellt werden, und diese ist für viele Mütter aber von sehr großer Bedeutung.

Wesentliche Punkte zur Verbesserung hat der Deutsche HebammenVerband in seiner Petition zur Hebammenhilfe genannt: Auf der einen Seite sind Sofortmaßnahmen wie die Anhebung der Vergütung von Hebammenleistungen nötig, um ihre geburtshilfliche Tätigkeit auch in naher Zukunft zu erhalten. Zum anderen müssen tiefgreifende strukturelle und gesetzliche Änderungen erfolgen, um auch weiterhin eine verlässliche geburtshilfliche Betreuung garantieren zu können. Hier muss vor allem die längst überfällige Überführung des Anspruchs auf Hebammenleistungen in das Sozialgesetzbuch erfolgen. Darauf muss die Landesregierung im Bundesrat hinwirken.

An der Notwendigkeit, politisch zu handeln, ändert auch das gerade erzielte Ergebnis des Schiedsverfahrens zur Vergütung und Abrechnung der Hebammen nichts. Denn wie wir alle wissen, ist die Zahl der freiberuflichen Hebammen schon heute zu niedrig, um wirklich jeder werdenden Mutter eine echte Wahlfreiheit bezüglich des Geburtsorts bieten zu können.

Wie auch im Antrag der Kollegen von der SPD erwähnt, ist die Gesellschaft aber auf eine hohe Zahl von qualifizierten Geburten angewiesen. Ich möchte deshalb noch einmal klarstellen, dass dies auch in Zukunft weiterhin durch freiberuflich arbeitende Hebammen möglich bleiben muss. Denn nur durch die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Arbeit freiberuflicher Hebammen lässt sich die fachlich qualifizierte Betreuung vor und nach der Geburt erhalten. Die Entwicklung des Kaiserschnitts als Regelversorgung muss verhindert werden.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Bevor ich der Landesregierung das Wort erteile, weise ich darauf hin, dass unmittelbar zu Beginn des Eintritts in die Mittagspause der Europaausschuss tagt, der ursprünglich auf 13 Uhr angesetzt war, und zwar im Raum 139.

Jetzt erteile ich für die Landesregierung das Wort dem Minister für Arbeit, Soziales und Gesundheit, Herrn Dr. Heiner Garg.

(Flemming Meyer)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nur zur Klarstellung, ich lächle die Kollegin Redmann an.

(Heiterkeit)

Gestatten Sie mir zwei Vorbemerkungen. Erstens zum Kollegen Meyer: Ich gehe davon aus, Sie wollten nicht dafür plädieren, dass der Kaiserschnitt als Regelleistung aus dem GKV-Katalog herausgenommen wird. Ich habe Sie mit Sicherheit anders verstanden.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Axel Bern- stein [CDU] - Zuruf des Abgeordneten Flem- ming Meyer [SSW])