Protokoll der Sitzung vom 09.07.2010

Inwieweit dies wirklich gelungen ist, mögen Sie selber beurteilen. Dazu ist sicherlich ein Anhaltspunkt die Wahlbeteiligung von Jugendlichen, aber auch nur einer; allerdings auch nicht nur bezogen auf eine Stadt wie Karlsruhe. Da müssen Sie schon die Statistiken insgesamt betrachten.

Natürlich ist an dieser Stelle die Frage des Kollegen Kubicki völlig berechtigt: Wieso denn 16? Wenn

die Sozialisation, die hier von der Kollegin Hinrichsen dargestellt worden ist, schon mit 14 Jahren abgeschlossen ist, was ich absolut bezweifele, dann ist es doch völlig willkürlich, dass die Grenze auf 16 gesetzt wird. Das mögen Sie ja als falsch empfinden, die Landesregierung hält es nach wie vor für richtig, auch im Interesse der Jugendlichen, dass es einen Zusammenhang zwischen Pflichten und Rechten gibt.

Die Herabsetzung der Altersgrenze für das Wahlrecht bei Landtagswahlen hat natürlich eine ganz andere Bedeutung - das wissen wir ja auch - als die Angelegenheiten des örtlichen Bereichs. Die Auswirkungen auf die politische Willensbildung des Volkes auf Landesebene sind ungleich größer. Eingeschlossen sind zum Beispiel auch das Stimmrecht bei Volksentscheidungen sowie die Beteiligung an Volksinitiativen und Volksbegehren auf Landesebene. Letztlich ist das Wahlalter ja auch entscheidend für die Mitwirkung bei der Aufstellung von Bewerberinnen und Bewerbern für die Landtagswahl. Deswegen gibt es natürlich - darauf hatte der Kollege Koch ja zu Recht hingewiesen - auch einen Zusammenhang zwischen dem aktiven und dem passiven Wahlrecht, und natürlich gibt es auch einen Zusammenhang zwischen dem vollständigen Wahlrecht und der Volljährigkeit. Wir werden sicherlich, denke ich jedenfalls, Frau Kollegin Spoorendonk, das Alter in den Parlamenten nicht deswegen herabsetzen, weil wir das aktive Wahlrecht auf 16 Jahre heruntersetzen. Wir haben ja heute schon die Möglichkeit, auch 18-Jährige an der Willensbildung in Parlamenten zu beteiligen.

In allen Ländern, mit Ausnahme des Stadtstaates Bremen, gilt hinsichtlich des aktiven Wahlalters bei Landtagswahlen nach wie vor die Altersgrenze von 16 Jahren. Daran wird deutlich, dass die Bindung des Wahlrechts an die Volljährigkeit nach wie vor richtig und konsequent ist. Dies ist auch die Überzeugung der Landesregierung.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für einen Dreiminutenbeitrag erteile ich der Frau Abgeordneten Silke Hinrichsen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielen Dank für Ihre Meinung, Herr Schlie. Es ist tatsächlich richtig, dass die Shell-Studie darauf hinweist, dass diese Entwicklung für zwischen 14- und 18-Jährige häufig abgeschlossen ist. Für bedeutsa

(Minister Klaus Schlie)

mer halte ich es, dass das Hauptargument, dass sie kompetent und reif genug sind, nicht unbedingt greift.

In einem kurzen Nebensatz habe ich es vorhin bereits erwähnt: Auch Erwachsene müssen keinen Reifetest ablegen, bevor sie wählen gehen. Für mich liegt eine Chance darin, dass diejenigen, die auf kommunaler Ebene bereits wählen können, auch bei Landtagswahlen mitreden. Das haben die Kolleginnen und Kollegen vorhin gesagt. Bei den Diskussionen, die wir mit Schülerinnen und Schülern führen, ist es wichtig, dass man ihnen nicht nur das Mitrederecht gibt, sondern auch die Stimme.

Die verfassungsrechtlichen Bedenken sollten wir jedoch im Ausschuss besprechen. Das können wir gern machen. Das schlage ich auch vor. Ich halte es jedoch für schwierig zu beurteilen, ob jemand dazu in der Lage ist zu wählen. Wenn man von Reife spricht, stellt sich die Frage, von welcher Reife die Rede ist.

Das führt umgekehrt nicht dazu, dass man ab einem bestimmten Alter plötzlich nicht mehr wählen darf. Ich weise darauf hin, weil auch meine Eltern ältere Menschen sind. Ich erlaube es mir, über Kinderund Jugendlichenwahlrecht zu sprechen, obwohl ich keine eigenen Kinder habe. Ich kenne aber Jugendliche.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Wir haben in vielen Bereichen gerade für ältere Menschen Grenzen eingeführt, die beispielsweise festlegen, bis wann sie Schöffe sein dürfen und Ähnliches. Ich würde ungern eine Diskussion darüber führen wollen, ob man von einem Thema etwas versteht oder nicht versteht. Ich erinnere nur an die Diskussion über Dataport und Ähnliches.

(Zuruf)

- Nein, das haben Sie nicht gesagt.

Ich würde gern hierzu eine Umfrage machen. Ich behaupte, Bebauungspläne und Flächennutzungspläne sind auch sehr schwierig zu verstehen. Dies gilt auch für das Budgetrecht einer Gemeinde. Bitte denken Sie daran.

Sie sollen gern reden und mit uns reden. Geben wir ihnen doch das Wahlrecht. Die weiteren verfassungsrechtlichen Bedenken, die auch ich ohne Weiteres erkennen kann, sollten wir im Ausschuss diskutieren. Dabei wissen wir derzeit noch nicht, wohin die Reise geht. Die Herabsetzung auf das 18. Lebensjahr bei Bundestagswahlen war vorhin

kein Argument. Das war damals auch nicht von der Volljährigkeit abhängig.

(Beifall bei SSW und SPD)

Das Wort zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich der Frau Kollegin Anke Erdmann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schlie, ich muss Ihre Argumentation noch einmal aufgreifen, nur jemand, der Erfahrungen mit Jugendlichen habe, könne sich ein fundiertes Urteil bilden. Das halte ich für schwierig.

(Zuruf des Abgeordneten Klaus Schlie [CDU])

- Ich bin froh, wenn Sie das nicht so gemeint haben. Mehrere Leute scheinen das hier aber so verstanden zu haben. Das würde bedeuten: Nur jemand, der Lehrer ist, könnte Bildungsminister werden. Nur jemand, der verheiratet ist, könnte Gleichstellungsminister werden. Das ist also ein völlig absurdes Argument.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich möchte noch einmal an das anknüpfen, was Herr Habersaat gesagt hat. Dabei ging es um politische Reife in ganz vielen Bereichen. Ich mache parteiübergreifend politische Bildungsarbeit. Bei Schülerseminaren erlebe ich ein argumentatives Niveau, von dem sich viele aus diesem Parlament eine Scheibe abschneiden könnten. Dabei will ich mich selbst gar nicht ausnehmen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Mit welcher Ernsthaftigkeit und mit welchem Respekt vor der anderen Meinung dort argumentiert wird, das zieht einem die Schuhe aus. Viele, die danach auf der Tribüne in einem Parlament sitzen, sind einigermaßen geschockt.

Ich möchte mich positiv auf Herrn Kubicki beziehen, weil es nicht um die Frage geht, wer der allerbeste Demokrat ist. Sowohl 16 als auch 18 ist ein gegriffenes Alter. Dies ist immer willkürlich, und es gibt individuelle Unterschiede. Deshalb wünsche ich mir einen anderen Ton in der Debatte, weil es sich hierbei um eine zentrale Frage handelt. Die Frage ist, wie es gelingen kann, mehr Demokratie zu wagen.

(Silke Hinrichsen)

Wir meinen, dass das Wahlalter von 16 ein Baustein ist, damit mehr Demokratie gelingen kann. Analog zur Diskussion über die Haushaltsstrukturkommission würde ich sagen: Wenn Sie meinen, das sei nicht der geeignete Weg, um Politikverdrossenheit entgegenzuwirken und um mehr Beteiligung zu ermöglichen, dann sagen Sie doch einmal, was Ihrer Meinung nach ein solcher Baustein wäre.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich bin zwar nicht Mitglied des Innen- und Rechtsausschusses. Ich wünsche mir aber eine Debatte, die von gegenseitigem Respekt gekennzeichnet ist. Wir müssen uns überlegen, wie man eine solche gegriffene Altersgrenze gut begründen kann. Dabei geht es nicht darum, wer der allerbeste Demokrat ist; denn das lässt sich an einer Zahl meines Erachtens nicht messen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das Wort für einen weiteren Dreiminutenbeitrag hat Herr Abgeordneter Heinz-Werner Jezewski.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schlie, dass Sie als Mitglied der CDUFraktion das erzählen, was Sie gerade erzählt haben, das kann ich nachvollziehen. Dabei sind wir einiges an Sachunkenntnis gewöhnt. Dass Sie aber als Minister das so tun, erschreckt mich. Jetzt frage ich mich, ob Sie das bewusst machen oder ob Sie nicht wissen, dass jede Altersgrenze eine willkürliche Altersgrenze ist.

Man könnte auch fragen, warum man denn mit 18 wählen darf, aber nicht erst mit 20, mit 24 oder mit 40 Jahren; denn erst mit 40 Jahren ist man wirklich reif, weil man dann nämlich Bundespräsident werden kann. Somit ist also jede Altersgrenze willkürlich. Dies gilt auch für die Erlaubnis, Auto zu fahren, oder für die Erlaubnis, Rauschmittel zu konsumieren, oder für die Erlaubnis, zu heiraten. So funktioniert es also nicht.

Wenn ich eine willkürliche Altersgrenze infrage stelle, dann stelle ich das Wahlrecht allgemein infrage. Dann muss ich nämlich wirklich die Reife des Menschen prüfen. Ich muss prüfen, ab wann er wählen darf. Wie aber prüft man das? Wenn ein Mensch einen IQ von 100, von 95 oder von 89 hat? Auch das wird völlig willkürlich sein.

Das sind Grundprinzipien, die wir akzeptieren müssen. Wir müssen akzeptieren, dass es Altersgrenzen gibt. Wir müssen auch akzeptieren, dass in einer sich wandelnden Gesellschaft auch die Altersgrenzen sich wandeln. Dahin müssen wir kommen. Wir dürfen aber nicht mit einer derart hirnrissigen Argumentation arbeiten.

(Beifall bei der LINKEN)

Für einen weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich Herrn Abgeordneten Klaus Schlie das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich als Abgeordneter zu Wort gemeldet, weil ich Bezug nehmen möchte auf die Diskussion, die wir im Jahr 1997 im Innen- und Rechtsausschuss geführt haben. Außerdem möchte ich noch einmal Stellung nehmen zu der Bemerkung, die ich über Professor Hurrelmann gemacht habe.

Professor Hurrelmann hat damals die These vertreten, dass es überhaupt keiner Altersgrenze bedarf, um das Wahlalter festzulegen. Wir haben eine sehr intensive Debatte mit ihm, aber auch untereinander darüber geführt, ob es nicht richig oder sogar notwendig ist - - Sie haben recht, jede Festlegung einer Grenze ist die Festlegung einer Grenze. Unser demokratisches System lebt übrigens davon, dass wir eine gewisse Ordnung durch Gesetze und ein Rechtssystem schaffen, das immer auch eine Begrenzung in bestimmten Bereichen vorsieht. Das ist dieser Demokratie innewohnend. Darüber können wir uns aber auch noch einmal gesondert unterhalten.

Wir haben auf jeden Fall mit Professor Hurrelmann über diese Frage gesprochen. Dabei habe ich mir erlaubt, ihn zu fragen, ob es neben seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die er aus Befragungen und statistischen Erhebungen abzuleiten meinte, auch eigene Erfahrungen mit Kindern gebe, deren Entwicklungsstadium er sozusagen täglich beobachtet habe. Diese Frage hat er verneint.

In dieser Diskussion und auch sonst habe ich niemandem die Kompetenz abgesprochen, über diese Frage zu reden, der beispielsweise keine eigenen Kinder hat oder in andere Formen bestimmter Lebenssituationen involviert ist, um als Parlamentarier oder als Bürger darüber zu urteilen. Das ist überhaupt nicht der Punkt.

(Anke Erdmann)

(Zuruf)

Aber wenn es darum geht - hören Sie doch einmal zu, dann begreifen Sie das auch -, als Wissenschaftler uns als Parlamentarier erzählen zu wollen, nach welchen Kriterien wir entscheiden sollten, und er uns damals meinte darstellen zu wollen, es gebe überhaupt keine Notwendigkeit, irgendeine Altersgrenze im Wahlrecht einzuziehen, dann ist ja wohl die Frage erlaubt, ob er eigene Erfahrungen hat, die ihm deutlich machen, was er Kindern antäte, wenn er ihnen eine solche Last aufbürden würde. Ich meinte jetzt die Kinder, mir geht es nicht um die Jugendlichen.

Auch aus meiner Sicht als Abgeordneter möchte ich Ihnen noch einmal deutlich sagen: Wir führen eine sehr ernsthafte Diskussion auch über Rechte und Pflichten von Kindern und Jugendlichen miteinander. Ich halte diese Diskussion insgesamt für notwendig, auch was politische Partizipation angeht. Sie ist absolut notwendig und auch richtig; wir müssen sie auch verstärken. Ich greife da das auf, was die Kollegin Hinrichsen oder die Kollegin Spoorendonk gesagt hat. Ja, aufgrund der demografischen Entwicklung in unserer Gesellschaft, wird es noch notwendiger sein, dass wir in den Parlamenten darauf achten, dass insbesondere die Rechte und die Anliegen von Jugendlichen noch stärker berücksichtigt werden, weil die Gesellschaft insgesamt älter wird.

Herr Abgeordneter -