Protokoll der Sitzung vom 08.09.2010

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Herr Kollege Habeck, auch Sie sollten vielleicht anerkennen, dass drei Viertel des sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetzes auf Beschlusslagen der Großen Koalition von Schwarz und Rot zurückzuführen sind. Es war Peer Steinbrück -

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Noch einmal: Ich habe großes Verständnis dafür, dass Ihnen das nicht gefällt, weil die Demonstrationen auf der Straße Ihnen besser gefallen hätten, aber es ist nun einmal so.

(Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist nicht logisch, was Sie sa- gen, das gefällt mir nicht! - Zuruf des Abge- ordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

- Meine Großmutter hat mit Sicherheit mehr Verständnis von den Problemen als Sie, Herr Kollege Dr. Stegner.

(Beifall bei der FDP)

Ich weiß, dass viele Menschen in und um Lübeck von der Ankündigung einer ansonsten notwendigen Reduzierung der Medizinerausbildungsplätze betroffen waren, und ich hatte und habe Verständnis für ihren Protest. Aber diese Koalition hat sich vorgenommen, keine Versprechungen zu machen, die sie nicht halten kann, und Sachverhalte erst dann zu etatisieren, wenn sie feststehen. Hierzu sind wir im Übrigen auch gesetzlich verpflichtet. Es ist bedauerlich, aber es war unabänderlich, da wir nicht die einzigen Akteure auf dem Spielfeld waren, dass die avisierte Zusage des Bundes zur Mitfinanzierung im Wissenschaftsbereich verbindlich erst nach dem Stichtag erfolgte, an dem die Haushaltsstrukturkommission ihre Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung für die Jahre 2010 bis 2020 präsentieren musste.

Ich sage dies auch für die schleswig-holsteinische Öffentlichkeit: Wir bemühen uns auch noch in anderen Bereichen, wie zum Beispiel im Bereich der Hochschule in Flensburg, um Lösungen, die den Bestand sichern, ohne das finanzielle Einsparpotenzial für den Landeshaushalt zu gefährden. Peter Harry Carstensen und ich haben immer wieder gesagt, es ist wie ein Haus mit vielen Steinen darin. Wer einen Stein herausnehmen will, der muss einen anderen hineinpacken. Der Herr Kollege von Boetticher hat dies auch gesagt. Wir haben nie gesagt, dass kein Stein herausgenommen wird.

(Beifall bei der FDP)

Unser Ziel ist eindeutig. Wir wollen SchleswigHolstein aus seinem Tief führen, in dem es nach einer Vielzahl von Vergleichsdaten steckt. Die Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit lassen sich nicht mehr rückgängig machen, aber sie zeigen eine verfehlte Politik. Ich bin sicher, dass die Menschen sich daran erinnern werden und denjenigen, die hierfür jedenfalls auch Verantwortung tragen, keine neue Verantwortung übertragen werden. Diese Koalition hat die Zeichen der Zeit erkannt. Wir haben innerhalb eines Jahres bewiesen, dass Reformen für uns nicht nur Lippenbekenntnisse sind. Wir steuern um, wir werden den hinterlassenen Schuldenberg zurückführen und uns gleichzeitig mit den geringeren Mitteln auf folgende vier Punkte konzentrieren:

An der inneren Sicherheit wird nicht gespart. Polizei und Justiz werden ihre Arbeit uneingeschränkt weiter erfüllen. Der Beförderungsstau wird in einer

(Wolfgang Kubicki)

überschaubaren Zeitspanne aufgelöst werden. Ich bedauere persönlich zutiefst, dass ich die Anhebung der Altersgrenze für Polizeivollzugsbedienstete, auch wenn dort Milderungen vorgesehen sind, nicht habe vermeiden können.

Mit uns in Regierungsverantwortung wird es kein Zurück und kein Rütteln an wichtigen Infrastrukturprojekten geben. Wir bekennen uns zum konsequenten Weiterbau der A 20, wir unterstützen den Ausbau der B 404 zur A 21, und wir werden nicht von der festen Fehmarnbelt-Querung abrücken.

Wir werden den Bildungsminister weiter tatkräftig beim Umbau des Bildungssystems unterstützen. Der Mangel an Geld bedeutet in diesem Bereich keinen Stillstand. Genauso wenig bedeutet ein Überfluss an Geld exzellente Ergebnisse. Herr Kollege Stegner, warum Sie da lachen, warum Sie nach diesen 21 Jahren hundsmiserabler sozialdemokratischer Bildungspolitik so lachen, weiß ich nicht. Das Lachen wird Ihnen aber mit Sicherheit noch vergehen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Berlin hat pro Kopf der Bevölkerung die höchsten Bildungsausgaben, aber nicht die besten Ergebnisse. Das rot-grün regierte Nordrhein-Westfalen ist gerade dabei - das empfehle ich den Grünen auch in diesem Landtag -, die bildungspolitischen Vorstellungen der Koalitionsfraktionen, die sich im Schulgesetzentwurf wiederfinden, zu übernehmen.

(Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist echt Quatsch!)

- Es ist überhaupt nicht echt Quatsch. Ich habe mir das angeguckt, und ich habe mir auch die Redebeiträge Ihrer Kollegen vor Ort kommen lassen. Ich kann Sie Ihnen gern gesammelt übermitteln. Darin steht, Schleswig-Holstein sei ein Vorbild bei der Frage der Zulassung von G8 und G9 an Gymnasien. Schleswig-Holstein sei ein Vorbild!

(Beifall bei FDP und CDU)

Besonders jenen, die auf das finnische Bildungssystem verweisen, empfehle ich einen Blick auf die Jugendarbeitslosigkeit in Finnland, die mit 21,4 % mehr als doppelt so hoch ist wie die in Deutschland. Ganz so einfach sind Vergleiche eben doch nicht.

Kaum ein Thema ist so wichtig für die zukünftige Entwicklung unserer Gesellschaft wie das Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Eine schrumpfende Gesellschaft kann angesichts der demografischen Entwicklung nicht auf das Potenzial

gut ausgebildeter Frauen verzichten, nur weil sie keine Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder haben. Frauen dürfen nicht vor die Entscheidung Familie oder Beruf gestellt werden, sondern sie müssen die Möglichkeit haben, sich für Familie und Beruf entscheiden zu können. Auch hier haben die Vorgängerregierungen wirklich wenig vorzuzeigen. An diese Bilanz wird man auch noch einmal erinnern können.

Die Probleme der Mütter, Frau Fritzen, waren oft nachrangig. Während Mecklenburg-Vorpommern eine Kita-Betreuungsquote bei den unter Dreijährigen von 49,5 % aufweist und Hamburg immerhin noch eine Quote von 22,2 % erreicht, liegt Schleswig-Holstein auf dem viertletzten Platz mit einer Quote von 14,3 % - ein Erfolg sozialdemokratischer Kindergartenbetreuungspolitik!

Diese Punkte müssen und werden wir verbessern. Deshalb sind wir angetreten. Daran soll man uns messen. Allerdings muss jedem klar sein, dass man mit der Hinterlassenschaft der Vergangenheit, diesem gigantischen Schuldenberg und seinen finanzpolitischen Herausforderungen, nicht alles gleichzeitig erreichen kann. Das wäre die Quadratur des Kreises.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir gönnen den versammelten Oppositionsfraktionen das derzeitige Umfragehoch. Das betrifft ja weniger die Linken, und die Sozialdemokraten eigentlich auch weniger. Ich rate Ihnen, es noch ein wenig zu genießen. Kosten Sie die Flut der Sympathie noch ein wenig aus. Jeder Norddeutsche weiß, nach der Flut kommt auch wieder die Ebbe. Sie werden sich schon früh genug auf dem Trockenen der politischen Realität wiederfinden. Die Koalition aus CDU und FDP wird in der Zeit bis zum Ende dieser Wahlperiode notwendige Entscheidungen zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes treffen. Wir werden handeln. Wir leiten heute den Prozess ein, die Finanzlage des Landes wieder zu verbessern. Wir werden die Zeit nutzen, um die Menschen von der Notwendigkeit unserer Maßnahmen zu überzeugen. Ich bin mir sicher, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Schleswig-Holsteins auch bei der nächsten Wahl CDU und FDP zur Erneuerung unseres Landes begleiten werden.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nun das Wort der Fraktionsvorsitzende Dr. Robert Habeck.

(Wolfgang Kubicki)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bei allem, was der Kollege von Boetticher sieht, Herr Kubicki, das sehe ich nicht. Ich sehe nicht, Herr von Boetticher, was Sie sehen. Sie sehen etwas, was wir nicht sehen. Ich sehe Demos vor dem Landeshaus. Ich sehe ein angerichtetes Schulchaos. Und ich sehe vor allem Fraktionen, die mauern und das Verfassungsgerichtsurteil nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Gott sei Dank hat der Bildungsminister Sie nicht gesehen. Er war nämlich bei Ihrer Rede abwesend. Alles das, was Sie gesagt haben, würden wir sehr gern sehen, aber Herr Klug macht genau das Gegenteil von dem, was Sie hier beschworen haben. Ihre Rede sollten Sie einmal aufschreiben und ihm vorlegen. Dann kann er sie nicht nur sehen, sondern nachlesen.

Sehr geehrte Damen und Herren, der Finanzplan des Landes Schleswig-Holstein ist aufschlussreich, hat schöne Grafiken, geht, wie wir gefordert haben, über 20 Jahre. Für die Arbeit und die Arbeitsgrundlage danke ich ausdrücklich. Er könnte - da gebe ich Herrn Kubicki recht, der ja für seine Verhältnisse eine sehr gute Rede gehalten hat, eine besonnene Rede; das war in dieser Debatte heute nicht immer so, leider; ich komme darauf gleich zurück - so etwas sein wie eine Analyse des Haushaltes, so etwas wie ein Konsens immerhin über die Zahlen und die Notwendigkeiten. Das düstere Bild, das der Finanzminister gemalt hat, teile ich. So sieht es aus. Doch all das würde bedeuten, dass man auch ehrlich ausspricht, was die Zahlen denn eigentlich sagen. Da endet das Lob; denn transparent waren die Ausführungen zu der Bedeutung der Zahlen nicht. Diesen Schritt, Herr Finanzminister, der Bevölkerung wirklich reinen Wein einzuschenken, haben Sie leider nicht gemacht, weder in Ihren schriftlichen Ausführungen, der Pressemitteilung oder dem Finanzplan noch in Ihrer Rede heute. Das bedauere ich. Nach der Rede heute und nach der Polemik in der Debatte, glaube ich, dass Sie sich selbst nicht reinen Wein einschenken und vermutlich glauben, was Sie uns heute erzählt haben. Aber die Lage ist weitaus vertrackter. Sie sollten sich das selbst auch eingestehen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir kommen mit Schuldzuweisungen in Richtung Vergangenheit nicht weiter. Die Rückwärtsgewandtheit und das Zeigen auf andere Länder - das ist ja wiederum die Spezialität von Herrn Kubicki, immer wenn man sich in der Diskussion verheddert, sagt man, aber im Bundesland XY machen

doch die Grünen und die SPD und die Linken irgendetwas anderes - hilft wirklich nicht weiter. Ich sehe auch nicht, wo das logisch an diese Debatte anknüpft. Wir waren da schon mal weiter. Bei Worten wie „jämmerlich“, „Blödsinn“, „charakterlos“ für die Vergangenheit sollten Sie sehen, was dann daraus folgt. Ich finde eigentlich, das ist ein falscher Einstieg in diese Debatte. Hart in der Sache können wir sein, aber hart mit der Vergangenheit sollten wir nicht sein.

(Zuruf von Minister Rainer Wiegard)

- Herr Wiegard, wenn Sie wollen, dann zähle ich noch einmal von Stoltenberg bis zu der MövenpickGesetzgebung auf, was Sie alles beschlossen haben. Sie machen sich lustig und sagen, wir sollten zur Volkshochschule gehen und Rechnen lernen, und stellen sich hier hin und sprechen von den Sünden der letzten 20 Jahre. Herr Wiegard, von diesen 20 Jahren waren Sie fünf Jahre Finanzminister. Das sind 25 % Verantwortung. Wenn Sie so rechnen und sich dann hier hinzustellen und voller Pathos sagen: „Sie können alle nicht rechnen“, dann wundert mich gar nichts.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, LINKEN und SSW)

25 % der Verantwortung ist doch Ihre! Sie sind doch nicht erst seit gestern im Amt. Wenn ich mich dagegen verwahre zu sagen: „Lassen Sie uns aufhören, über rot-grüne oder schwarze Schuld oder über die Schuld der Großen Koalition zu reden“, und Sie lachen so hämisch, dann können Sie sich doch nicht hinstellen und sagen, die FDP sei seit einem Jahr im Amt: „Wir haben die Arbeitslosigkeit zurückgeschraubt, nur die Staatsverschuldung konnten wir nicht zurückschrauben“.

Herr Dr. Habeck, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wiegard?

Gerne. Allerdings, Herr Wiegard, es kommt noch schlimmer. Sie sollten sich Ihre Fragen vielleicht noch aufheben.

(Rainer Wiegard [CDU]: Das habe ich jetzt akustisch nicht verstanden!)

- Das war die Mahnung, sich nicht nur mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Bei der Analyse der Gegenwart bin ich weitaus schärfer.

Dann stelle ich meine Frage auch zu einem Einstieg. Weil Sie eben meine Amtszeit angesprochen haben, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich von 2005 bis 2008 jeden zusätzlich eingenommenen Steuer-Euro für die Senkung des Fehlbetrages verwendet habe und nicht für neue Aufgaben?

Ich habe mir die Zahlen der Vergangenheit angeguckt, Herr Wiegard. Sie hatten in den Jahren 2007 folgende 8 bis 10 % Steuerwachstum. Ich sehe nicht, dass sich das in der Haushaltskonsolidierung niedergeschlagen hätte. Die Antwort ist: Nein, ich bin nicht bereit, das zur Kenntnis zu nehmen. In den fetten Jahren wurde nicht ausreichend gespart.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Rainer Wiegard [CDU]: Großartig! - Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Das ist ja wohl ein Hohn!)

Stattdessen gebe ich noch einmal, wie ich das schon öfter getan habe - Herr Kubicki, vielleicht nehmen Sie das auch einmal zur Kenntnis und drehen nicht immer das Argument um -, zu: Es war ein Fehler, dass die rot-grüne Regierung in dem Maße Steuern gesenkt hat. Es war deswegen ein Fehler, weil Steuersenkungen nicht im gleichen Maße zu konjunkturellen Effekten führen, wie die abgesenkten Steuern den Staatshaushalt aus dem Lot gebracht haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das liegt daran: Der Fehler ist begangen worden, weil nicht gesehen worden ist, dass sich in den letzten zehn, 20 Jahren die gesellschaftlichen Grundlagen von Finanzpolitik grundsätzlich verändert haben und damit auch die Leitsätze der Volkswirtschaft, die damals noch bestimmend waren. So passen sie jedenfalls nicht mehr eins zu eins. Schulden sind dadurch nicht mehr ein finanzielles oder operatives Problem, sie sind ein ethisches. Auch das hatten wir bei der Einführung der Schuldenbremse. Der Spruch von den ersten grünen Wahlplakaten, dass wir die Erde nur von unseren Kindern geborgt haben, gilt für die Verschuldung der öffentlichen Haushalte allemal. Wir leben auf Pump; das hat Herr Wiegard ausgeführt. Das bedeutet, dass wir unsere Schulden irgendwann zurückzahlen müssen. Solange wir eine wachsende Gesellschaft waren, eine mit mehr Jungen als Alten, als Europa noch die dynamische Wirtschaftsregion war, als die deutsche

Bevölkerung wuchs und wir mit der Wirtschaft, in einem noch höheren Maße als die der Nachbarn, da war diese Wette auf die Zukunft, was die Staatsverschuldung faktisch ist, riskant, aber eingehbar. Man konnte statistisch nachweisen, dass sie aufgehen kann. Diese Möglichkeit, unsere Schulden zu bezahlen, war da, aber sie ist nicht genutzt worden.

Diese Möglichkeit hat eine schrumpfende Gesellschaft so nicht mehr. Wir sehen das an den Pensionslasten. Wir sehen das daran, dass der Stellenabbau, der faktisch ein Einstellungsstopp ist, dazu führt, dass eine ganze Generation nicht in den öffentlichen Dienst kommen wird, eine ganze Generation mit all ihren Kompetenzen, ihrem Nutzungsverhalten der modernen Medien. Wäre der Staat ein Unternehmen, kein Mensch würde eine solche Konsolidierungsstrategie wählen. Aber uns zwingt die blanke Not dazu.