Protokoll der Sitzung vom 08.09.2010

Diese Möglichkeit hat eine schrumpfende Gesellschaft so nicht mehr. Wir sehen das an den Pensionslasten. Wir sehen das daran, dass der Stellenabbau, der faktisch ein Einstellungsstopp ist, dazu führt, dass eine ganze Generation nicht in den öffentlichen Dienst kommen wird, eine ganze Generation mit all ihren Kompetenzen, ihrem Nutzungsverhalten der modernen Medien. Wäre der Staat ein Unternehmen, kein Mensch würde eine solche Konsolidierungsstrategie wählen. Aber uns zwingt die blanke Not dazu.

Umso wichtiger ist es, wenn wir schon den Staatsapparat nicht jung und modern halten können, wenigstens die Gesellschaft jung und modern zu machen. Deshalb wird das Haushaltsrecht das Königsrecht des Parlaments genannt, weil an seiner ethischen Frage viele Politikfelder gemessen werden können. Wenn wir weniger werden, brauchen wir zum Beispiel Zuwanderung. Welche Schritte aber hat die Landesregierung unternommen, um Schleswig-Holstein Heimat für viele neue Bürgerinnen und Bürger werden zu lassen? Wenn unsere Volkswirtschaft schrumpft, brauchen wir neue Produkte; wir brauchen Forschung und Innovation. Deshalb brauchen wir größere und bessere Universitäten, statt einen Studienplatzabbau vorzunehmen. Wir brauchen bessere Bildung. Viel mehr Menschen brauchen einen höheren Schulabschluss. Was aber macht die Landesregierung? Sie „rasiert“ - Herr von Boetticher, das hätten Sie sagen müssen - den alternativen Weg zum Abitur.

(Zuruf von der CDU: Das stimmt doch gar nicht!)

Was die von Ihnen so bezeichnete „demografische Rendite“ angeht, nämlich die Annahme, dass Bildung in Zukunft weniger kosten werde, wenn es weniger Schülerinnen und Schüler gebe, ist auch eine solche Denkweise aus der alten Zeit. Denn wenn wir weniger Menschen ausbilden, diese Menschen jedoch dieselbe oder sogar eine höhere Leistung bringen sollen, dann brauchen wir doch logischerweise sogar mehr Mittel für deren Bildung. Insofern kann man sagen: Wenn man nur noch halb so viele Schülerinnen und Schüler hat, muss man eigentlich doppelt so viel ausgeben, damit das Bildungskapital konstant bleibt.

(Dr. Robert Habeck)

Das aber bedeutet: Wir brauchen mehr Mittel für Bildung. Da kommen die Zahlen her, die wir damals in unserem Entwurf eingestellt haben. Eine zukunftsgerichtete Gesellschaft braucht mehr und bessere Mittel für die Bildung. Wir können es uns eben nicht mehr leisten, die Kinder in den Schulen zu gesellschaftlichen Verlierern zu machen. Damit muss jetzt einmal Schluss sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU: Starke Worte!)

Sehr geehrte Damen und Herren, Schleswig-Holstein hat ideale Voraussetzungen dafür, das erste Bundesland zu werden, das vollständig durch erneuerbare Energien versorgt wird, das ein Windstrom-, ein Elektromobilitätsnetz aufbauen kann. Mit viel Tamtam hat die Landesregierung ihre Offshore-Strategie für Schleswig-Holstein vorgestellt. Ja, die Offshore-Windenergie ist ein wichtiger Baustein für eine komplette Energieversorgung aus erneuerbaren Energien. Aber wo spiegelt sich im Haushalt die Offshore-Strategie wider? Statt eine lauwarme Haltung in der Atomfrage zu vertreten und neue Kohlekraftwerke zu planen, hätte dieser Haushalt die Weichenstellung für eine energetische Clusterpolitik für erneuerbare Energien vornehmen können.

(Werner Kalinka [CDU]: Siehe eure Kohle- förderung in NRW!)

So haben Sie keinen Plan und keine Idee, wohin sich die Dinge entwickeln sollen. Die pure Vision „I have a dream“ in ferner Zukunft ist das Einzige, was Sie vorweisen können. Sie sind jedoch bereits seit einem Jahr in der Regierung, und hier im Haushalt hätte sich die politische Schwerpunktbildung niederschlagen sollen. Ihr Haushalt beinhaltet jedoch keine politische Schwerpunktsetzung.

Vor allem hat Herr Wiegard - jetzt komme ich zu den Zahlen - nicht den Mumm, ehrlich zu sein. Ich finde, es ist keine Schande - Herr Kubicki und Herr von Boetticher, wir haben auch nie gesagt, dass Sie härter sparen sollen - zuzugeben, dass die Rechnung nicht aufgeht. Das ist keine Schande.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist auch keine Schande zu sagen: „Die Lage ist weitaus dramatischer, als dass ich sie lösen könnte.“ Es ist jedoch eine Schande, so zu tun, als hätten Sie alles im Griff. Die Zahlen sagen etwas anderes. Dieser Finanzplan, Ihre eigene Analyse, sagt, dass sich das Land Schleswig-Holstein nur konsolidieren kann, wenn es massive Hilfe aus Berlin gibt.

(Zuruf von Minister Rainer Wiegard)

Das jedoch heißt im Klartext: Massive Steuererhöhungen.

Liebe Kollegen von der SPD, lieber Herr Stegner, Finanzminister Wiegard hat Ihre Forderung von vor vierzehn Tagen nach höheren Steuern längst eingeplant. Er gibt es aber nicht zu. Das ist der eigentliche Skandal. All dieses Pathos stimmt mit den Zahlen nicht überein. Statt sich hier in Positur zu werfen und zu sagen: „Die Enkel, die Enkel“, wäre Demut angesagt, Demut vor den Zahlen.

Meine Damen und Herren, als wir Anfang des Jahres unsere eigene Analyse zu Möglichkeiten und Unmöglichkeiten bezüglich der Sanierung des Haushalts vorgestellt haben, habe ich meine Pressekonferenz mit den Worten beendet - Journalisten hatten nachgefragt: „Was ist die Conclusio?“ -: Die erste Conclusio - so sagte ich es damals - ist, dass ich von der CDU und der FDP hören will: „Wir brauchen höhere Steuern. Anders ist der Landeshaushalt nicht zu sanieren.“

Meine Damen und Herren, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können: Dieser Tag ist heute gekommen. Es steht so schwarz auf weiß in Ihrem Haushaltsentwurf. Sie trauen sich aber nicht, es auch auszusprechen. Herr Wiegard, Sie sagen, ich würde Ihnen immer wieder das richtige Stichwort zuwerfen. Als ich aber fragte, wie das denn gehen solle, haben Sie nicht geantwortet. Sie haben das Stichwort nicht aufgenommen. Sie ziehen sich auf den Standpunkt -

(Minister Rainer Wiegard: Sie haben nicht zugehört!)

- Ich habe sehr wohl zugehört. Ich zitiere Ihre Aussagen heute und im Finanzausschuss -

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Es ist nicht unglaublich, Herr Kubicki, sondern das ist schwarz auf weiß zu lesen. Sie haben ja noch den ganzen Tag Zeit nachzuweisen, wo der angebliche Fehler in der Rechnung ist.

Ich zitiere aus der Mittelfristigen Finanzplanung:

„Landeseigene Besteuerungsmöglichkeiten und die Beseitigung von Ausnahmetatbeständen, insbesondere im Umsatz- und Einkommenssteuerrecht, sollen voll ausgeschöpft werden.“

Das ist der „Schönsprech“ von CDU und FDP für das „schlimme“ Wort Steuererhöhung.

(Dr. Robert Habeck)

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt beim SSW)

Denn dieses Ausschöpfen -

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU])

- Herr von Boetticher, hören Sie mir bitte noch zwei Minuten zu. Danach sagen Sie mir bitte, wo der Rechenfehler ist. Dieses Ausschöpfen des Steuerrechts hat laut Mittelfristiger Finanzplanung ein Volumen von 1,2 Milliarden € bis 2020.

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Falsch gerechnet!)

Es sind 1,2 Milliarden €. So steht es auf Seite 32 in Ihrer Tabelle. Wenn wir die Angaben in Ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage, die wir zu der Frage gestellt haben, wie hoch die Steuerausfälle im Bund waren, hochrechnen, bedeutet das, dass die Steuereinnahmen auf Bundesebene um 70 Milliarden € ansteigen müssten. Dies wäre nötig, um Mehreinnahmen von 1,2 Milliarden € in SchleswigHolstein zu haben. Das nennen Sie dann Schließen von Steuerschlupflöchern oder Abschaffen von Ausnahmetatbeständen.

Wir haben gerade gehört, dass das Abschrumpfen des Mittelstandsbauchs 30 Milliarden € kosten würde. Das würde bedeuten, dass die Einnahmen aus der Einkommensteuer um 75 % steigen müssten. Herr Wiegard, wenn Sie 70 Milliarden € ansetzen, wie hoch ist denn dann nach Ihrer Rechnung die Einkommensteuer? Das ist mit der Formulierung „Abschaffung von Ausnahmetatbeständen“ wirklich verniedlicht dargestellt.

Herr Abgeordneter Dr. Habeck, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Selbstverständlich.

Herr Kollege Dr. Habeck, ist Ihnen zur Kenntnis gelangt, dass die Koalition in Berlin vereinbart hat, im Bereich der Mehrwertsteuer die Ausnahmetatbestände drastisch zu reduzieren, und dass sich daraus erhebliche Einnahmeverbesserungen auch für die Länder ergeben werden?

Zweitens: Ist Ihnen vielleicht aufgefallen, dass im Finanzplan bis 2020 die Konsolidierungshilfe des Bundes in Höhe von 80 Millionen € jährlich, insgesamt also von 800 Millionen €, noch nicht aufgenommen ist? Diese kann auch noch zur Rückführung der Verbindlichkeiten verwandt werden.

(Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Widerspruch bei CDU und FDP)

Drei Antworten, Herr Kubicki. Erstens - verzeihen Sie mir - habe ich bis jetzt viel von Schwarz-Gelb in Berlin gehört, aber nur wenig davon gesehen, was daraus folgte. Meistens wurde das nicht umgesetzt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens kenne ich keine Zahl - das gebe ich zu; vielleicht kennen Sie ja die Zahlen; dann können Sie sich hier noch einmal hinstellen und mir diese Zahlen als Frage verkleidet mitteilen -, die relevant erklären könnte, wie hoch die Ländereinnahmen für Schleswig-Holstein aus der Abschaffung der Ausnahmetatbestände sind. Ich bezweifele, dass dies 1,2 Milliarden € sind. Das bezweifele ich.

Drittens, Herr Kubicki, sind die Ausnahmetatbestände - die 400 Millionen, die Herr Wiegard ansprach -, die im Zeitraum zwischen 2008 und 2010 kommen,

(Zuruf von der CDU: Das stimmt doch schon längst nicht mehr!)

nur bis 2012 eingeplant. Ab 2012 tut Herr Wiegard so, als würde die Schuldenbremse im Umfang von 1,2 Milliarden € voll weiterlaufen. Faktisch aber rechnet er nur mit 800 Millionen €. Insofern lautet die Antwort auf Ihre zweite Frage: Ich habe es zur Kenntnis genommen, aber es ist ein buchhalterischer Trick.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Herr Kubicki, wir haben hier heute doch die Landtagsdebatte. Wir haben das am Montag fairerweise in einer Pressekonferenz und in Form einer Pressemitteilung deutlich gemacht. Sie hätten sich doch vorbereiten können. Sie können es doch hier und heute erklären und müssen nicht immer sagen: „Ja, das machen wir dann im Ausschuss.“ Im Ausschuss gehen wir die Einzelpläne durch. Sie können sich doch hier jetzt hinstellen und den Grund dafür nennen, warum es nicht 1,2 Milliarden sind. Legen Sie doch bitte Seite 32 Ihrer Mittelfristigen Finanzplanung zugrunde und machen es!

(Dr. Robert Habeck)

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Unruhe)

- Also, nur um einmal die Größenordnung der Ausnahmetatbestände deutlich zu machen - wir haben die Berechnungen zur Einkommensteuer ja schon gehört -: Würde man eine Vermögensteuer einführen - das wäre natürlich „Teufelszeug“ -, hätte man etwa ein Steuerplus von 30 Milliarden €. Würde man die Mehrwertsteuer über alles erhöhen, hätte man pro Punkt 8 Milliarden € Mehreinnahmen. Bei 3 % Mehrwertsteuerplus - das ist ja die „böse Merkel-Steuer“ - und einer Vermögensbesteuerung ginge auch dann die Rechnung noch immer nicht auf. Es fehlten noch immer 16 Milliarden € im Bund, damit das Land Schleswig-Holstein von der Berechnung von Herrn Wiegard ausgehen kann.

Schieben Sie es also nicht auf die lange Bank. Hier und heute ist der Tag. Verraten Sie uns, wie Ihre Rechnung aufgeht, und sagen Sie, woher das Geld kommen soll!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)