Protokoll der Sitzung vom 09.09.2010

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege von Boetticher, ich fand es sehr interessant, dass von dem Vorschlag Ihres Fraktionskollegen, des Parlamentspräsidenten, zu einvernehmlichen Lösungen zu kommen, in Ihrer Rede nicht viel übrig geblieben ist. Im Prinzip haben Sie hier und heute den Wahlkampf eröffnet.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD - Zurufe von der FDP)

Die Entscheidung des Landesverfassungsgerichts war ein politisches Erdbeben in Schleswig-Holstein. Ich kann Ihnen sagen: Wenn Schleswig dafür gesorgt hat, dass hier im Landtag nie wieder eine Regierung ohne Mehrheit auf der Bank sitzt, dann war das ein guter Tag für die Demokratie in Schleswig-Holstein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN)

Sie wissen jetzt, dass es ein Fehler war, nicht mit uns gemeinsam rechtzeitig das verfassungswidrige und undemokratische Wahlrecht zu reformieren.

Der CDU/FDP-Antrag spricht von einer vollen Legitimität des Landtags, die durch das Landesverfassungsgericht bestätigt worden sei. Ich weiß nicht, woher Sie das haben. Im Urteil des Verfassungsgerichts steht es jedenfalls nicht. Darin ist von einem „vorübergehenden Bestandsschutz“ die Rede. Das klingt ein bisschen wie Artenschutz. - Die schwarz-gelbe Regierung als bedrohte Spezies.

(Heiterkeit bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD - Zuruf des Abgeordneten Wolf- gang Kubicki [FDP])

Wir Grüne kämpfen eigentlich gern für vom Aussterben bedrohte Arten. Aber eines kann ich Ihnen zurufen: Für Ihren Bestand kämpfen wir nicht!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN - Zuruf des Abgeord- neten Wolfgang Kubicki [FDP])

Wir können mit der Neuwahl nicht bis zum September 2012 warten, auch wenn das Verfassungsgericht die Fristen aus Respekt vor dem Landtag großzügig bemessen hat. Die Menschen im Land wollen schnell eine klar legitimierte Regierung, Kreisvorsitzende der FDP fordern schnelle Neuwahlen, CDU-Abgeordnete aus dem Landtag finden, der Wahlkampf habe begonnen; sogar der Einzelhandel will Neuwahlen im Jahr 2011.

(Christopher Vogt [FDP]: Oh!)

Bisher haben Sie nur gegen die Mehrheit im Volk regiert. Jetzt regieren Sie auch noch gegen Ihre eigene Basis.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD - Zurufe der Abgeordneten Wolf- gang Kubicki [FDP] und Ursula Sassen [CDU])

Die Menschen in Schleswig-Holstein wollen etwas ganz anderes. Sie wollen, dass schnell gewählt wird, damit beherzte Schritte gegen Klima- und Schuldenkrise ergriffen werden können, damit wieder Ruhe einkehrt an den Schulen und Universitäten. Ihre Taktiererei um den Wahltermin - möglichst der letzte Tag der vom Gericht gesetzten Frist - ist durchschaubar und erbärmlich.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN - Zuruf des Abgeord- neten Wolfgang Kubicki [FDP])

Hier ein bisschen Richterschelte, da ein bisschen Aufblasen von Problemen, die keine sind. Damit wollen Sie sich bis 2012 durchmogeln?

Es kann so einfach sein. Das Verfassungsgericht hat ausdrücklich auf den Gesetzentwurf der Grünen verwiesen, der sich bereits in der Parlamentsbefassung befindet. Die Anhörung dazu hat schon stattgefunden. Obwohl der Ausschussvorsitzende, Kollege Rother, ausdrücklich nachgefragt hat, hatte kein Experte Bedenken gegen die Verfassungsgemäßheit unseres Vorschlags, auch der ehemalige CDU-Abgeordnete und Verfassungsrichter a. D., Hans Hugo Klein, hat ihm seinen verfassungsrechtlichen Segen erteilt.

Das Gericht hat den Gesetzgeber verpflichtet, unverzüglich ein neues, verfassungskonformes Wahlgesetz zu verabschieden. Das können wir schaffen. Dafür sollten wir die November-Sitzung des Landtags reservieren.

(Zurufe der Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP] und Ursula Sassen [CDU])

In Richtung meiner lieben Kolleginnen und Kollegen aus der SPD sage ich: Mit einer Rückkehr zum Wahlrecht der 70er-Jahre ist das natürlich nicht möglich.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von der SPD: 90er-Jahre! - Christo- pher Vogt [FDP]: 50er-Jahre!)

- Auch nicht mit dem Wahlrecht der 90er-Jahre. Das Schneiden von Wahlkreisen muss tatsächlich

neu erfolgen. Herr Kubicki, da haben Sie recht. Das ist klug gerechnet. Wenn es weniger Wahlkreise gibt, müssen die Wahlkreise neu geschnitten werden. Das stimmt. Aber streuen Sie doch den Menschen keinen Sand in die Augen. Es ist ja nicht so, dass bei der Landeswahlleitung jetzt nur den ganzen Tag lang Kaffee getrunken wird. Wie sich eine Verringerung der Anzahl der Wahlkreise auf den Zuschnitt auswirkt, daran wurde und wird dort natürlich schon gearbeitet. Es kann also alles ganz schnell gehen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

In Wahrheit ist es einzig und allein Ihre schiere Panik davor, den Wählerinnen und Wählern in Schleswig-Holstein ins Gesicht zu sehen, die Sie von Neuwahlen 2011 abhält. Die Tube Pattex liegt auf dem Tisch. Es soll auf Zeit gespielt werden. Aber Sie können sich auf Ihren Mandatsstühlen drehen, wie Sie wollen. Die Tube ist aufgebraucht. Bis 2012 hält das nicht mehr.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Sehr geehrter Herr Kollege von Boetticher, Sie haben gestern hier im Landtag Ihre Vision für Schleswig-Holstein dargestellt. Daran war auch aus grüner Sicht nicht alles falsch. Ich sage Ihnen: Wer Ministerpräsident von Schleswig-Holstein werden will, muss vor die Wählerinnen und Wähler treten. Schwarz-Gelb darf jetzt nicht kneifen. Machen Sie den Weg für Neuwahlen frei!

(Anhaltender Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN)

Für die Fraktion DIE LINKE hat nun der Herr Abgeordnete Heinz-Werner Jezewski das Wort.

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich unterbreche jetzt kurz diese Wahlkampfveranstaltung, entschuldige mich jedoch auch gleich dafür; denn ich bin heute Morgen hierhergekommen, weil ich irrtümlich der Ansicht war, es werde eine Plenarsitzung des Schleswig-Holsteinischen Landtags stattfinden.

In dieser Diskussion geht es eigentlich nur vordergründig um einen Wahltermin für die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein. In Wirklichkeit geht

es, glaube ich, um den Respekt, den wir dem höchsten Gericht in diesem Land entgegenbringen. Das ist der Punkt. Auch geht es um den Anstand, mit dem wir mit uns selbst umgehen, und um unser Selbstverständnis als Parlament.

Ich bin mir sicher: Beinahe jede und jeder in diesem Hohen Haus hätte sich ein Urteil gewünscht, das ein klein wenig anders ausgefallen wäre. Ich bin ehrlich: Auch ich hätte mir das gewünscht. Aber vielleicht ist gerade das ein Zeichen dafür, dass das Gericht ein wirklich gutes Urteil gefällt hat.

Ich zitiere mit Erlaubnis der Frau Präsidentin aus dem Urteil:

„Spätestens bis zum 30. September 2012 ist eine Neuwahl herbeizuführen.“

Weiterhin führt das Gericht aus:

„Unter Berücksichtigung der sonstigen erforderlichen Wahlvorbereitungen scheint dem Gericht damit eine insgesamt bis zum 30. September 2012 bemessene Frist als ausreichend, als äußerste Frist aber auch geboten, um den Bestand des auf verfassungswidriger Grundlage gewählten Landtags“

- so steht es im Urteil

„nicht länger als erforderlich andauern zu lassen.“

Wenn darin steht: „spätestens“ und „als äußerste Frist geboten“, so versteht wohl jeder, der es verstehen will, was damit gemeint ist. Sicherlich ist damit nicht gemeint, dass wir uns in Ruhe zurücklehnen und diesen Termin abwarten können. Denn eines sollten wir nicht vergessen, was das Gericht ebenfalls aufgeschrieben hat - Herr Kollege von Boetticher, Sie als qualifizierter Jurist müssten es im Gegensatz zu Ihrem Nachbarn eigentlich wissen -:

„Die festgestellten Verfassungsverstöße führen zu mandatsrelevanten Wahlfehlern.“

Genau das ist der Unterschied zu den letzten Bundestagswahlen. Damals haben die verfassungswidrigen Regelungen des Bundeswahlgesetzes nicht zu mandatsrelevanten Wahlfehlern geführt. Das ist der Unterschied zu diesem Haus, das ist der Unterschied in der Legitimation zwischen diesen beiden Parlamenten.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich weiß nicht, ob sich irgendjemand in diesem Haus wohl dabei fühlt, in einem Parlament zu sitzen, das sich aufgrund einer Wahl konstituiert hat,

(Thorsten Fürter)

die mit mandatsrelevanten Wahlfehlern behaftet war. Ich tue das nicht, nehme aber für mich in Anspruch, dass ich Anstand besitze.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Das Landesverfassungsgericht hat diesem Parlament die volle Handlungsfähigkeit zuerkannt, und das war richtig so, weil wir es sonst mit einer massiven Verfassungskrise zu tun hätten. So aber haben wir es nur mit einer schlechten Landesregierung zu tun. Das können wir überstehen.

Aber diese Notlösung - die einzig mögliche, wenn ich vielen Fachleuten glauben will - jetzt auszunutzen, um die eigenen politischen Vorstellungen durchzusetzen - von persönlichen Interessen will ich hier überhaupt nicht reden -, das hätte schon ein arges Geschmäckle. Ich will hier aber niemandem etwas unterstellen und gehe davon aus, dass alle das Urteil des Landesverfassungsgerichts ernst nehmen und nun mit größtmöglicher Schnelligkeit ein neues Wahlrecht beschließen werden. Darüber aber, was das konkret bedeuten soll, werden wir streiten, und das ist auch gut so.

Ich glaube, dass sich die Fachpolitiker der Fraktionen recht schnell auf Eckpunkte zu diesem Wahlgesetz einigen können. Diese müssten dann aber auf der politischen Ebene diskutiert werden, und das ist ein Vorgang, der mehr Streit mit sich bringen und auch mehr Zeit in Anspruch nehmen wird, und auch das ist richtig so.

Ich denke, dass der Termin zur Verabschiedung des Wahlgesetzes genauso ehrgeizig gesetzt ist, wie der von vorgezogenen Neuwahlen. Wenn wir uns einmal die verschiedenen Interpretationen des Urteils ansehen, wird uns recht schnell klar, welche Aufgabe noch vor uns liegt.