Protokoll der Sitzung vom 07.10.2010

- Ich möchte gern auf die Frage antworten. Ich kann die Befindlichkeit nachvollziehen. Aber wenn wir in der jetzigen Diskussion - eine Ursache dafür ist

(Dr. Ralf Stegner)

heute ja schon häufiger genannt worden - feststellen, dass das Buch von dem viel zitierten Herrn über 80 % der Bevölkerung in Deutschland umtreibt, dann geht es nicht darum, über eine kleine Minderheit zu diskutieren, an die wir vielleicht Erwartungen haben, von der wir vielleicht erwarten, dass sie sich anders verhält, sondern es geht darum, eine Befindlichkeit in der Gesamtbevölkerung wahrzunehmen und für das friedliche Zusammenleben und eine vernünftige gesellschaftliche Entwicklung ernst zu nehmen, dass es unheimlich viele Menschen gibt, die sich an dieser Stelle betroffen fühlen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Wenn wir „Fördern und Fordern“ sagen, dann geht es natürlich darum, dass die Angebote zur Förderung da sein müssen, dass sie stimmen müssen, dass sie auch so angelegt sein müssen, dass sie wahrgenommen werden können. Aber es kann nicht angehen, dass man sich darauf zurückzieht und sagt, es gab in der Vergangenheit nicht ausreichend Fördermöglichkeiten, und deswegen haben wir die Situation, wie wir sie heute haben. Integration ist ja nun auch etwas, was von demjenigen, der nach Deutschland gekommen ist, der in Deutschland lebt und nicht von hier stammt, ausgehen muss. Die Angebote, beispielsweise Sprachkurse zu machen, sind ja keine neue Erfindung, die es erst seit wenigen Jahren gibt. Sie werden jetzt aufgrund der aktuellen Diskussion und Problematik besonders staatlich gefördert, aber es ist ja nun in den vergangenen Jahrzehnten niemand daran gehindert worden, deutsch zu lernen und auch mit seinen Kindern hier deutsch zu sprechen. Das ist ja eine Problematik, die wir jeden Tag wieder erleben.

(Beifall bei CDU und FDP)

Lassen Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Hinrichsen zu?

Herr Dr. Bernstein, könnten Sie bitte die Überschrift über der Aussage, die Sie hinsichtlich der wissenschaftlichen Studien gemacht haben, mit vorlesen und auch den dann auf der unteren Seite befindlichen Satz, mit dem es dann weitergeht? Mein Problem ist: Das war ein bisschen aus dem Zusammenhang genom

men. Es wäre mir sehr recht, wenn die Überschrift hinzukäme.

- Abgesehen davon, dass die Drucksache 17/783 für jeden einsehbar ist, lese ich das gern vor. Die Überschrift lautet:

„Integrationsprobleme bei jungen Aussiedlern und Ausländern“

Der Satz, den Sie im Anschluss noch gern hören möchten, wenn ich das richtig verstanden habe, lautet:

„Mit Blick auf die dargestellten Ursachen wird klar, dass es sich bei der Jugendkriminalität nicht um ein kurzfristig zu behebendes Phänomen handelt.“

Deswegen finde ich es besonders gut, dass die Landesregierung an dieser Stelle einen Schwerpunkt beispielsweise mit der Schaffung einer JugendTaskforce gesetzt hat, die wir in 2010 auf den Weg gebracht haben.

Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich dem Herrn Abgeordneten Ulrich Schippels das Wort.

Meine Damen und Herren, ich habe mich bei der Rede von Herrn Habeck ein bisschen gewundert, dass er Herrn Kubicki so über den grünen Klee gelobt hat. Ich bin ganz glücklich darüber, dass Herr Dr. Stegner das geradegerückt hat. Herr Habeck, wenn Herr Kubicki den Ball flach hält, wie Sie gesagt haben, dann landet der meistens beim politischen Gegner im Unterleib. Das sollten Sie auch berücksichtigen.

Herr Kubicki, Sie haben kritisiert, dass wir die Problematik Rassismus hier in diesem Land überhaupt in den Mund nehmen. Ich meine, wir können das einfach nicht ausblenden. Sie wissen ganz genauso gut wie ich - wir hatten hier ja leider vor nicht langer Zeit auch die DVU im Parlament -, dass es immer noch latent rassistische ausländerfeindliche Einstellungen in der Bevölkerung gibt über 90.000 Menschen haben damals die DVU gewählt. Übrigens gilt das auch für die Wählerinnen und Wähler aller Parteien. Damit müssen wir uns alle auseinandersetzen. Ich höre sehr oft an Infoständen, dass wir eine gute Sozialpolitik machen, aber die Ausländer! Darauf müssen wir uns einstel

(Dr. Axel Bernstein)

len. Deswegen muss das auch angesprochen werden.

Ich möchte an diesem Punkt auch noch einmal sagen: Das hat natürlich auch damit zu tun, wie wir Ausländer definieren. Das hat auch etwas mit unserem Staatsbürgerschaftsrecht zu tun. Ich denke, da sind die Positionen der FDP und der LINKEN gar nicht so weit auseinander. Dann sind wir schon ein Stück weiter, aber noch lange nicht weit genug. Die Definition, wer Deutscher ist, wer nicht Deutscher ist, ist, denke ich, eines der Kernprobleme, die übrigens auch dazu führen, dass sich diejenigen, die nicht die gleichen Rechte haben wie andere, nur weil sie keine deutschen Eltern haben, ausgegrenzt fühlen und schwerer integrieren lassen.

Herr von Boetticher, Sie sind, wie ich finde, mit den Kategorien sehr fahrlässig umgegangen. Emile Durkheim hat schon Ende des 19. Jahrhunderts/Anfang des 20. Jahrhunderts darauf hingewiesen - das bestätigen alle Statistiken -, dass Kriminalität soziale Ursachen hat. Da kommt noch einiges dazu; das möchte ich jetzt auch einmal erwähnen. Haben Sie einmal Ihre Statistik daraufhin hinterfragt, wenn Sie eine andere Unterteilung nehmen, zum Beispiel zwischen Männern und Frauen. Wie viele Männer und wie viele Frauen werden straffällig? Ist das nicht ein viel besserer Indikator, um Kriminalität zu messen? Müssten wir nicht eher an diesem Punkt ansetzen? Es ist die Frage, welche Indikatoren Sie auswählen, um zu entsprechenden Lösungen zu kommen.

In dem Sinne - bei Herrn Kubicki ist es ja ganz gut gelungen -: Integrieren Sie die Männer in diese Gesellschaft, dann gibt es auch weniger Kriminalität.

Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich dem Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich hier ans Rednerpult getreten bin, dann tue ich das im Geiste der Aufklärung und um gleich zu sagen: Das ist meine Leitkultur, die ich habe und die sich aus dem Grundgesetz ableitet.

In allen Bevölkerungsgruppen gibt es Extremisten. Die einen nennen sich Islamisten, die nächsten nennen sich rechtsradikale Nazis, und es gibt bestimmt noch viele Gruppen mehr.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Linksextreme!)

- Auch linksextreme Gruppen gibt es, natürlich, Herr Kubicki. - All das ist verwerflich. Es ist Aufgabe des Staates, diese Bestrebungen zu bekämpfen. Insofern sind wir gar nicht so weit auseinander.

Mir geht es um Folgendes: Wir haben ja gerade etwas aus der Gewaltkriminalitätsstatistik gehört, nämlich 5.500 Deutsche zu knapp 1.000 ausländischen Mitbürgern, also ungefähr 17 %. Meine Vermutung ist, dass das ungefähr der Anteil der ausländischen Mitbürger in diesem Land ist. Das wiederum verleitet mich zu der Aussage: Dann sind Ausländer nicht krimineller als der Durchschnittsdeutsche. Wenn ich mir die Wirtschaftskriminalität ansehe, dann haben wir mit den Menschen mit deutschem Pass das größere Problem. Ich glaube nicht, dass man das so herleiten kann.

Herr Kollege Bernstein, Sie haben gesagt, dass wir die Befindlichkeiten ernst nehmen müssen. Natürlich muss man Befindlichkeiten ernst nehmen. Aber erst einmal muss man das Ganze auf eine sachliche Grundlage stellen, und man darf nicht noch Befindlichkeiten schüren. Das Problem ist, dass wir hier eine veröffentlichte Meinung haben, nach der ein Ausländer grundsätzlich erst einmal ein schlechter Mensch ist und nachweisen muss, dass er gut ist. In der Zeitung steht nie, dass ein Gewaltverbrechen von einem Deutschen ausgeübt wurde, sondern es wird immer auf den ausländischen Hintergrund hingewiesen. Selbst wenn einer einen deutschen Pass hat, steht dort, dass in seiner Familie vor drei Generationen jemand Türke war, weshalb er ganz böse ist. Das müssen wir abstellen. Es ist unsere Aufgabe als Politiker, so zu handeln und genau diese Ressentiments nicht zu bedienen. Mindestens 90 % der ausländischen Mitbürger, egal woher sie kommen, sind gut integriert und wollen in dieser Gesellschaft nach den gleichen Regeln leben wie wir auch. Das müssen wir nach außen tragen.

Herr Kollege Kubicki hat gesagt, wir müssen Probleme auch benennen. Richtig! Ich weiß das aus meiner eigenen Kommune: Wir haben massive Probleme mit Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion und aus der Türkei. Dies hat auch soziale, bildungspolitische und Gründe darin, dass die keine Chancen hatten und wir als Gesellschaft keinen Plan haben, wie wir mit diesen Menschen umgehen. Dann darf man sich nicht wundern, wenn sich Menschen in Grüppchen zurückziehen, wenn sie sich nicht mehr integrieren lassen wollen, weil sie keine Möglichkeiten haben. Das heißt, es ist eine politische Aufgabe, die Bedingungen so zu gestalten, dass diese Menschen eine Chance haben, sich zu in

(Ulrich Schippels)

tegrieren. Wenn man jemandem keine Chance gibt, die Sprache zu lernen, dann darf man sich nicht wundern, wenn er sich zurückzieht. Deswegen ist es nicht nur wichtig, die Probleme zu benennen, sondern auch, die Probleme anzugehen.

Hier komme ich nun zum Bericht des Ministers, der gesagt hat, er wolle einen Aktionsplan machen, also weg vom Reagieren zum Agieren. Das ist der richtige Weg, nämlich zu prüfen: Wo sind die Probleme? Welche Bevölkerungsgruppen - das sind nicht nur Ausländer; es gibt auch deutsche Mitbürger; aber in dieser Integrationsdebatte reden wir ja über ausländische Mitbürger - haben besondere Probleme, und wie können wir diesen Gruppen helfen, diese Probleme zu lösen? Das ist ein Hilfeaspekt, damit sich die Menschen auf diesen Prozess einlassen und integrieren lassen können. Derzeit haben viele Gruppen diese Chancen nicht, und diese Chancen sollten wir ihnen geben.

(Beifall bei SSW und der LINKEN)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Beratung.

Der Antrag Drucksache 17/904 enthält unter Nummer 3 einen Berichtsantrag gegenüber dem Fachausschuss. Ich schlage daher vor, über diese Nummer vorab in der Sache abzustimmen. Wer diesem Berichtsantrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann ist das mehrheitlich so beschlossen worden.

Wir kommen nun zur Abstimmung im Übrigen. Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 17/ 904 Nr. 1 und 2 sowie den Änderungsantrag Drucksache 17/937 federführend dem Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen - Gegenprobe! Stimmenthaltungen? - Das ist mit den Stimmen von CDU und FDP gegen die Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE und SSW abgelehnt worden.

Ich gehe, da Sie den genannten Antrag nicht in den Ausschuss überwiesen haben, davon aus, dass Sie Abstimmung in der Sache haben möchten. Ich schlage Ihnen daher eine alternative Abstimmung vor. Trifft das auf Zustimmung? - Das ist der Fall.

Abweichend von der Geschäftsordnung schlage ich vor, den vorliegenden Antrag Drucksache 17/937 zu einem selbstständigen Antrag zu erklären. - Ich sehe keinen Widerspruch. Wer dem Antrag der

Fraktion der SPD Drucksache 17/937 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer dem Antrag der Fraktionen der CDU und FDP Drucksache 17/904 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich stelle damit fest, dass der Antrag Drucksache 17/ 904 mit den Stimmen der Fraktionen von CDU und FDP angenommen ist. Ich stelle weiter fest, dass damit der Antrag Drucksache 17/937 abgelehnt ist.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 42 auf:

Ostseeaktivitäten der Landesregierung 2009/ 2010 (Ostseebericht 2010)

Bericht der Landesregierung Drucksache 17/643

Bericht und Beschlussempfehlung des Europaausschusses Drucksache 17/887

Ich erteile dem Berichterstatter des Europaausschusses, dem Herrn Abgeordneten Bernd Voss, das Wort.

Der Europaausschuss empfiehlt dem Landtag, den Bericht anzunehmen. Ich denke, es wird jetzt eine Debatte dazu stattfinden.

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Gibt es Wortmeldungen zu dem Bericht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeordneter Niclas Herbst.

(Zuruf: Niclas, los! - Heiterkeit und weitere Zurufe)

- Wir haben uns darauf verständigt, dass wir jetzt Herrn Ministerpräsident Carstensen um den Bericht der Landesregierung bitten.

(Beifall bei CDU, FDP sowie der Abgeord- neten Bernd Heinemann [SPD] und Anette Langner [SPD])