Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Auch ich möchte mich - es ist vor Weihnachten, wir wollen braver werden - für diesen umfangreichen und hilfreichen Bericht aus dem Ministerium bedanken. Wirklich eine Fleißarbeit. Herr Dankert, ich sehe mich fast gezwungen, mich dem Dank an die Polizistinnen und Polizisten anzuschließen. Ich mache das auch gern. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass die Polizistinnen und Polizisten in diesem Land wahrscheinlich viel dankbarer gewesen wären, wenn Sie Ihre Gesetzesänderungen nicht so durchgezogen hätten, wenn die Beamtinnen und Beamten früher in den Ruhestand gehen könnten, als Sie es ihnen zumuten.
Eine genauere Betrachtung der Statistik zeigt, dass Schleswig-Holstein besonders bei Gewalt- und Sexualdelikten über dem Bundesdurchschnitt liegt. Ich finde es empörend - das möchte ich an dieser Stelle gesagt haben -, dass in unserem Land, das heißt nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern in der gesamten Bundesrepublik, Vergewaltiger meistens mit Bewährungsstrafen wegkommen, obwohl sie mit die furchtbarsten Verbrechen verüben, die es nur gibt. Sie werden nur ganz selten ins Gefängnis gesteckt,
kommen fast immer mit einer Bewährungsstrafe davon. Bankräuber dagegen landen - zu Recht - im Knast. Wenn man sich einmal anschaut, was eine Vergewaltigung für die Frauen bedeutet, stellen wir fest, sie zerstört die Zukunft dieser Menschen. Es gibt kaum ein schlimmeres Verbrechen. Wir kämen sicherlich zu einem anderen Bewusstsein in der Bevölkerung, wenn wir vielleicht gemeinsam auf Bundesebene zu einer anderen Rechtsetzung kommen, die die körperliche Unversehrtheit zumindest genauso schützt wie das Eigentum.
Körperverletzungen werden in Schleswig-Holstein besonders häufig verübt. Die Häufigkeitszahlen liegen fast in der Höhe der Zahlen der Stadtstaaten. Das ist in meinen Augen aber kein Grund, in Panik auszubrechen und nach mehr Polizeipräsenz zu schreien, sondern das ist eher ein Grund, endlich sinnvolle, gut überlegte und gut finanzierte Maßnahmen zu beschließen, die das Problem an der Wurzel packen.
Kriminalitätsbekämpfung funktioniert nicht durch Repression, sondern durch Prävention. Unabhängig von den verschiedenen Interpretationen, wie die Zahlen zu deuten sind: Was treibt denn junge Menschen dazu, straffällig zu werden? Was treibt sie dazu, gewalttätig zu werden? Eines ist doch sicher: Menschen kommen nicht als Straftäterin oder Straftäter zur Welt, sie werden dazu gemacht, und zwar auch von der Gesellschaft, in der sie leben.
Herr Dankert, wenn Sie die Worte Sicherheit und Freiheit in den Mund nehmen, möchte ich Ihnen ins Stammbuch schreiben: Ohne soziale Gerechtigkeit gibt es auch keine Sicherheit. Mit mehr sozialer Gerechtigkeit gibt es auch mehr Sicherheit.
Ich bin davon überzeugt, dass Jugendkriminalität so lange bestehen bleibt und die Zahl der Intensivtäter weiter anwächst, wie wir es nicht schaffen, allen Jugendlichen in diesem Land eine Perspektive für ihr Leben zu bieten, wie wir es nicht schaffen, alle Jugendlichen in die Gesellschaft zu integrieren, wie wir es nicht schaffen, Jugendlichen sinnvolle Freizeitbeschäftigungen anzubieten, die sie als Persönlichkeiten stärken und die ihnen Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit vermitteln. Was momentan in der Politik passiert, hat mit sinnvoller Jugendförderung leider nichts zu tun. Die Landesregierung nimmt Projekten und Einrichtungen, die Jugendliche stärken, das Geld weg. 1,3 Millionen € Kürzungen in der Jugendarbeit werden zu zigmal so hohen Folgekosten durch Jugendkriminalität führen.
Wenn Sie wirklich ein Interesse an der Bekämpfung der Jugendkriminalität haben, dann streichen Sie diese Kürzungen wieder. An der einen oder anderen Stelle haben Sie es auch schon selbst gemerkt. Sie wollen jetzt für die Schulsozialarbeit mehr Geld zur Verfügung stellen, zwar nicht ganz so viel, wie wir es gemacht hätten, aber es ist immerhin schon ein Anfang. Das wäre wirkliche Kriminalitätsbekämpfung.
Die Zahl rechtsextremer Gewaltakte steigt seit Jahren - sie haben dazu auch gesprochen - kontinuierlich an.
Das darf nicht so sein. Ich denke, da sind wir uns einig. Uneinig sind wir uns aber offensichtlich darin, wie wir den Rechtsextremismus in diesem Land bekämpfen wollen. Wir denken, dass die Kürzungen - es wurde hier auch schon erwähnt -, die bei den Präventionsprojekten gemacht worden sind, tatsächlich auch zu entsprechenden Folgen führen werden.
Es gab einen Zwischenruf zu sogenannten linksextremistischen Straftaten. Dazu möchte ich auch noch etwas sagen. Im vorliegenden Bericht steht ganz deutlich - ich zitiere -, dass der „Großteil der Straftaten“ - gemeint sind die sogenannten Linksradikalen - „über die Jahre hinweg durch LinksRechts-Konfrontation geprägt ist“. Zumeist geht es dort um die unerträglichen Aufmärsche der Ewiggestrigen - wir werden es im nächsten Jahr wieder in Lübeck erleben. Verhindern wir Rechtsextremismus, so wird auch der - wie ich meine - legitime Widerstand dagegen unnötig. Hören Sie endlich mit Ihrer Politik des Kürzungswahns auf! Geben Sie jenen das Geld, die es brauchen! Geben Sie jenen das Geld, die damit im Sinne des Gemeinwohls sinnvolle Angebote gerade auch für Jugendliche bereitstellen! Geben Sie es den Beratungsstellen, geben Sie es den Trägern der Jugendhilfe, geben Sie es den Vereinen und Verbänden! Gerade junge Menschen brauchen eine Perspektive. Das ist nachhaltige Kriminalitätsbekämpfung.
Frau Präsidentin! Herr Kalinka, vielen Dank. Sie haben ja noch einmal auf die Anhörung, die wir im Innen- und Rechtsausschuss hatten, hingewiesen. Vielleicht ist Ihnen aber bekannt, dass sie nicht zu diesem Sicherheitsbericht, sondern zum Bericht Jugend-Taskforce durchgeführt wurde. Erinnern Sie sich dunkel daran: Das war der erste Teil des Berichts. Es liegt leider noch nicht der vollständige Bericht vor. Wir warten noch auf den zweiten Teil. Herr Kollege Dolgner hat mit Berechnungsbeispielen großartig ausgeführt, was diese Mehrfach- und
Es hat sich tatsächlich herausgestellt, dass man in Lübeck viel schneller Intensivtäter wird als in Kiel. Hintergrund war Folgendes: Aus einem Erlass des LKA 2002 ergibt sich, dass jugendlicher Intensivtäter ist, wer fünf Straftaten im Jahr begeht. Fünfmal beim Schwarzfahren oder beim Ladendiebstahl erwischt, und schon ist man Intensivtäter. Aus Seite 77 des Sicherheitsberichts ergibt sich, dass diese Berechnung und diese Art und Weise der Definition nicht korrekt ist. Das steht auch im Sicherheitsbericht. In Kiel wird schon nach den neuen Erkenntnissen gezählt. Aus dem Grunde gab es in Kiel erheblich weniger Intensivtäter. Ich bin natürlich gespannt, wie viele es in Flensburg, in Nordfriesland oder Husum gibt. Vielleicht haben wir mit Marzipan und ähnlichen Erkenntnissen herausbekommen, ob man dadurch Intensivtäter wird.
Herr Kalinka, was Ihre weitere Statistik angeht, auf Seite 78 wird genau erklärt, warum die Statistiken, was die Intensivtäter angeht, sehr kritisch zu sehen sind. Denn es gibt Statistiken, die alle Kinder und Jugendlichen im Alter von zehn bis 23 Jahren aufnehmen, es gibt Statistiken, die diejenigen im Alter von 14 bis 18 aufnehmen. Darüber sollten wir uns genauer im Ausschuss unterhalten, als das hier im Landtag zu diskutieren.
Die Art und Weise der Berechnung hat der Kollege Dolgner schon vorgenommen. Ich finde es schwierig, solchen Rechenbeispielen zu folgen. Ich weise darauf hin, dass sich auch aus dem Sicherheitsbericht ergibt, dass wir uns darüber unterhalten müssen, wie die Statistiken in Schleswig-Holstein zukünftig gefasst werden und gezählt wird, damit nicht jede Stadt ihre eigene Statistik und ihre eigenen Intensivtäter hat, je nachdem, wie man es gemacht hat.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde es noch einmal versuchen, schließlich sind es nur Grundrechenarten. Als Naturwissen
schaftler muss ich mir auch in anderen Bereichen relativ komplizierte Ausführungen anhören. Deshalb versuche ich noch einmal, Sie alle mitzunehmen, auch von der Argumentation her. Herr Kollege Dankert, ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich in der Opposition bin, oder ich vielleicht nicht für alle verständlich gesprochen habe. Dann bitte ich das zu entschuldigen. Ich bin in meinem Redebeitrag geschlagene drei Minuten auf jugendliche Intensivtäter eingegangen und habe die entsprechenden Zahlen genannt. Wie Sie dann dazu kommen zu behaupten, dass ich zu wenig darauf eingegangen sei - vielleicht habe ich nächstes Mal mehr Zeit.
Vielleicht glauben Sie ja dem Sicherheitsbericht, in dem auf Seite 72 steht, dass sich die Jugendkriminalität - ich kürze das ab, das ist ein relativ langer Satz, den Sie nachlesen können - unterschiedlich entwickelt hat und keineswegs dramatisch ansteigt. In den meisten Bereichen ist sie übrigens rückläufig.
Da muss man schon feststellen - Sie haben sechsfach genommen, das verstärkt mein Argument, es ist 5,7-fach - :Wenn jugendliche Intensivtäter wirklich für zwei Drittel aller Straftaten oder für den Löwenanteil der Straftaten verantwortlich sind und sich im Berichtszeitraum die Zahl verfünffacht haben soll - zwei Drittel aller Straftaten und Verfünffachung beziehungsweise Versechsfachung der Täterzahl -, dann ist es doch vollkommen logisch, dass man in der Statistik auch eine erhebliche Erhöhung der Gesamtstraftaten feststellen müsste. Das müsste mathematisch zu einer Verdreifachung aller Straftaten führen. Ich finde das logisch und einfach nachzuvollziehen. Wenn ich sage, das sind die Hauptverursacher aller Straftaten, und sich die Zahl versechsfacht hat, kann es doch nicht sein, dass die Zahl der Gesamtstraftaten gleich bleibt. Das kann nicht sein.
Ich behaupte ja nicht zu wissen, wo der Fehler liegt. Vielleicht ist die Statistik auf Seite 73 falsch, wo wir von 2004 bis 2009 einen Rückgang um 150 Tatverdächtige haben. Vielleicht müsste da nicht eine zwei, sondern eine sechs vorne stehen, sodass wir 64.000 Tatverdächtige haben. Das könnte sein, ich kann das nicht aufklären.
Zum Thema Statistik und Argumentation mit Statistiken muss ich Ihnen eines sagen, Kollege Fürter: Ich teile Ihre Skepsis, wenn jemand mit Zahlen kommt, auch als jemand, der Zahlen ein bisschen näher ist als viele Juristen. Iudex non calculat. Man muss aufpassen, wenn man Statistik für politische Argumentation benutzt. Das hat Herr Kalinka sanft
getan, das haben Sie, Herr Dankert, ein bisschen stärker getan. Denn mit Statistik ist es wie mit Navigationsgeräten: Das sind tolle technische Hilfen, um sich zu orientieren. Wenn man ihnen aber blind folgt, muss man sich nicht wundern, wenn man einmal im Hafenbecken landet. Das sollten wir mit unseren Diskussionen nicht. Über alles Weitere können wir im Ausschuss sprechen.
(Dr. Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In welchem Hafenbecken haben Sie denn gebadet? - Weitere Zurufe)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Hinrichsen, nach der Statistik, über die wir gesprochen haben, gibt es in Lübeck 270 Intensivtäter. Sie haben gesagt, in Kiel zähle die neue Statistik und gebe es „bessere“ Zahlen. In Lübeck 270, in Kiel nach der anderen Statistik immerhin 90. Das ist eine ganze Menge. Das ist die Statistik, die nur die Kripo-Zahlen umfasst, die also härtere Vergehen und Straftaten beinhaltet und keinen Ladendiebstahl und ähnliche Dinge.
- Frau Kollegin Hinrichsen, es hat doch keinen Sinn, dass Sie die Hand vor Ihren Kopf halten. Das ist schlicht die Aussage, die dort getroffen worden ist.
Die Beamten, die dort waren, haben uns gesagt, dass es einen kleineren Teil gibt, für den sie keinen anderen Weg sähen, als sie wenigstens zeitweilig irgendwo unterbringen zu können. Das ist nicht mehr als das, was dort alles ausgesagt worden ist. Das kann man doch nicht ignorieren, wie Sie es tun. Das kann man einfach nicht tun.
Herr Kollege Dr. Dolgner, ich glaube, auch ein weiterer Dreiminutenbeitrag wird uns nicht weiterhelfen, Ihre Statistik zu verstehen. Ich möchte eines ganz klar sagen: Wie hoch er auch immer ist - ob 80, 100 oder 212, ich weiß es nicht -, es gibt in Schleswig-Holstein einen harten Kern von jugendlichen Intensivtätern. Ich frage mich in dieser Debat
te, ob Sie auch einmal daran gedacht haben, was die Opfer denken mögen, die von diesen jugendlichen Intensivtätern traktiert worden sind? Über diese Wahrheit haben wir uns hier zu unterhalten.