Protokoll der Sitzung vom 28.01.2011

(Heiterkeit bei der FDP)

Das zeigt, wo Sie im Augenblick stehen. Wissen Sie, so blöd sind die Jugendlichen von heute nicht, dass sie nicht unterscheiden können. Sie haben in Ihrer Rede gesagt: Nur wir waren toll; unsere Minister haben das Schönste, Beste und Größte gemacht, und all das, was die anderen machen, ist schlecht und gefährlich.

(Zurufe von der SPD)

Das ist peinlich und zeigt, dass die SPD nicht in der Lage ist, Selbstkritik zu üben.

Wenn man 21 Jahre lang das Bildungsministerium innehatte und man selber diagnostiziert, wie das der Kollege Fraktionsvorsitzende getan hat, dass man bei PISA ganz hinten stand, dann muss man ein bisschen Selbstreflexion an den Tag legen und darüber nachdenken, ob man selbst immer alles richtig gemacht hat.

(Beifall bei CDU und FDP)

Darum ist es für uns auch wichtig, dass wir jetzt im Bildungsbereich eine Qualitätsdebatte führen, eine Debatte über Inhalte, eine Debatte über Lehreraus- und -weiterbildung, wie wir sie wirklich brauchen, und darüber, wie wir zu einem Schulfrieden kommen, von dem ich heute gehört habe, dass Sie ihn nicht mehr wollen, was ich sehr interessant finde.

Ich finde es auch interessant, dass eine Ihrer wichtigen Führungspersönlichkeiten, Herr Albig, bei dem man einmal schauen muss, wo er am Ende landet, mittlerweile offenkundig auch als Kommunaler ganz deutlich erkannt hat, dass man den Menschen

nicht immer nur Versprechungen machen kann, die keiner bezahlt. Er macht heute mit sehr viel Realität deutlich, dass die beitragsfreie Kita eben nicht finanzierbar ist. Vielleicht stellen Sie sich schon einmal darauf ein. Es kann ja sein, dass er künftig Ihr Fraktionsvorsitzender ist.

Ein bisschen mehr Selbstkritik und Realismus wären also angesichts dieser Debatte angebracht gewesen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich nun der Frau Abgeordneten Dr. Marret Bohn von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Schlie ist leider nicht anwesend. - Vielleicht steht er auch irgendwo hinten. - Ich hoffe, das, was ich sagen werde, wird ihm weitergegeben.

Wir haben gerade noch einmal nachgeschaut. Am Mittwoch ist unsere Nummer 1 d) - Erhalt der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in § 47 f - im Innen- und Rechtsausschuss behandelt worden. Das, was wir gerade eben gehört haben, klingt sehr optimistisch. Dann können Sie ja alle dem Antrag zustimmen. Darüber würden wir uns sehr freuen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Das wäre einmal, wie Sie es anmahnen, ein inhaltlicher Konsens, der über die Parteigrenzen hinweg gefunden wurden muss. Vielleicht könnten Sie sich dazu entschließen, gleich auch noch Nummer 1 e) kommunale Gleichstellungsbeauftragte - zuzustimmen.

(Lachen des Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU])

- Schön, dass Sie so viel Humor an den Tag legen. Es wäre schön, wenn Sie dem auch gleich zustimmen könnten. Denn auch insoweit gibt es sehr gute Signale, dass wir uns darüber einig sind, dass es wichtig ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN)

Sehr geehrter Herr von Boetticher, ich finde es interessant, dass Sie einerseits sagen, es sei schön,

(Dr. Christian von Boetticher)

dass wir nicht in den parteipolitischen Reflex verfielen, aber eine Sekunde später tun Sie genau das. Das verwundert mich bei diesem Thema ein wenig.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Mich verwundert auch, dass gesagt wird, die Jugendlichen hätten eine gute Perspektive. Das ist zum großen Teil richtig. Schauen Sie sich die Studie aber auch im Vergleich zu den älteren Studien noch einmal ganz genau an. Hier driftet etwas auseinander, und es wäre sehr klug und sehr vernünftig, würden wir darauf achten.

Wenn wir es irgendwann einmal schaffen, dass Emil aus Klein Königsförde, Ayshe aus Mettenhof und Christian aus Kronshagen bei gleicher Begabung die gleichen Chancen haben, dann haben wir es in Schleswig-Holstein geschafft; vorher nicht.

(Lebhafter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 17/1219 (neu) dem Sozialausschuss zu überweisen sowie den Bericht der Landesregierung, Drucksache 17/1145 dem Sozialausschuss zur abschließenden Beratung zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen. Ich schließe damit diesen Tagesordnungspunkt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 35 auf:

Jährliche Armuts- und Reichtumsberichterstattung als wissenschaftliche Grundlage strategischer Armutsbekämpfung einführen!

Antrag der Fraktion DIE LINKE Drucksache 17/1180 (neu) - 2. Fassung

Änderungsantrag der Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW Drucksache 17/1215 (neu)

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. Damit eröffne ich die Aussprache. Für die Fraktion DIE LINKE hat zunächst Frau Abgeordnete Antje Jansen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Februar 2006 war das Thema Armutsberichterstattung Gegenstand einer interessanten Debatte in diesem Landtag. Einer der Streitpunkte war damals die Diskussion um eine gewisse Inflation von Berichtsanträgen, die nur Geld und Energie verschlingen würden. Ergebnis war, dass kein neuer Armutsbericht erstellt wurde. Stattdessen wollte die damalige Ministerin, Frau Dr. Gitta Trauernicht, das Geld nehmen, um verstärkt ich zitiere - „die Aktivitäten und Arbeitsvorhaben der unterschiedlichen Einrichtungen und Initiativen zu vernetzen, in der Bevölkerung zu verankern und die Prozesse zu steuern“.

Dazu sind, von heute aus gesehen, mehrere Dinge zu sagen. Um mit dem Einfachen zu beginnen: Inzwischen haben wir eine andere Regierung und eine andere Mehrheit im Landtag, die im Dezember 2010 einen Haushalt beschlossen hat, der soziale Netze zerfleddert und den Aktivitäten und Arbeitsvorhaben der unterschiedlichen Einrichtungen und Initiativen den Boden unter den Füßen wegzieht. Allen bisherigen Armutsbekämpfungsstrategien wenn sie denn überhaupt stattgefunden haben - zum Trotz: Die Armut im Land wächst. Die soziale Spaltung der Gesellschaft schreitet munter voran.

Zweitens kennen wir natürlich die Hauptbetroffenen und wissen: Das Armutsrisiko in dieser Gesellschaft ist besonders hoch für Alleinerziehende, für Familien mit drei und mehr Kindern, für Menschen mit Migrationshintergrund und für Langzeitarbeitslose. Ich glaube, es ist auch allen bekannt das haben wir hier oft diskutiert -, dass in den Städten in Schleswig-Holstein, gerade in den kreisfreien Städten, jedes sechste Kind arm ist.

Genau wie die anderen Parteien und Fraktionen in diesem Landtag haben auch wir Vorstellungen und Programme, wie Armut bekämpft werden soll. Dass die sich unterscheiden, zeigt sich wiederum am beschlossenen Haushalt, mit dem eine Politik verfolgt wird, die ein ziemlich präzises Gegenteil von dem umsetzen will, was wir uns vorstellen und fordern.

Was wir vor allem brauchen, ist eine aktive Armutsbekämpfungspolitik.

(Beifall bei der LINKEN)

Damit man dabei möglichst auch sachgerecht an allen politischen Stellschrauben drehen kann, macht es Sinn, möglichst präzise zu wissen, wie die Armut sowie ihre Ursachen und Wirkungen aussehen. Meine Fraktion setzt sich in diesem Zusammenhang für die Einrichtung eines umfassenden

(Dr. Marret Bohn)

Armuts- und Reichtumsberichts in SchleswigHolstein ein. Und wir wollen diesen Bericht nicht nur einmalig, sondern wir wollen ihn kontinuierlich und regelmäßig, alle zwei Jahre.

(Beifall bei der LINKEN)

Er wird dann zwangsläufig auch die Folgen der sozialen Kürzungspolitik dieser Landesregierung abbilden. Wir können uns nun einmal nicht vorstellen, wie die Streichung des beitragsfreien dritten KitaJahres oder die Streichung der Schülerbeförderungskosten dabei helfen sollen, gleiche Bildungschancen für alle zu verwirklichen.

Der letzte Armutsbericht, den die Landesregierung in Schleswig-Holstein vorgelegt hat, stammt aus dem Jahr 1999. Seine Datengrundlage reicht zurück bis zur Einkommens- und Verbrauchsstichprobe von 1993. Die Daten sind heute nicht mehr vergleichbar. Im umfangreichen 3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung findet Schleswig-Holstein gerade einmal Platz in einer Fußnote.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf den Antrag, den hier bis auf uns das gesamte Haus vorgelegt hat, eingehen. Wir hätten es gut gefunden, wenn Sie mit uns darüber gesprochen hätten, vielleicht hätten wir dann einen gemeinsamen Antrag zustande bekommen.

(Ingrid Brand-Hückstädt [FDP]: Das wollen wir gar nicht!)

- Gut, wenn Sie das nicht wollen. Ich sage hier aber einmal, wir sind in diesen Landtag mit einer großen Mehrheit gewählt worden, da können Sie uns nicht einfach so ignorieren.

Unser Bundesland wird damit nicht schlecht behandelt. Der Bericht nimmt einfach nur keine Länderanalysen vor. Daneben gibt es in der Tat eine Vielzahl von Datenquellen, sowohl in der Sozialberichterstattung der amtlichen Statistik als auch in veröffentlichten Untersuchungsergebnissen von Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbänden sowie anderen Vereinen und Initiativen.

Diese Vielfalt ersetzt nicht die Notwendigkeit, in einem regelmäßigen Armutsbericht die Ergebnisse einer systematischen Armutsbeobachtung zusammenzufassen und auszuwerten. Es ging und geht dabei um die Idee der Präventionsarbeit gegen gesellschaftliche Spaltungsprozesse. Inzwischen weiß man, dass der Blick dabei nicht allein auf die Armut zu richten ist, sondern ebenfalls auf die Entwicklung des Reichtums, wenn soziale Ungleichheit bekämpft werden soll. Hier muss man auch betonen: Reichtum nimmt nicht nur hier in Schleswig

Holstein, sondern der Reichtum nimmt in ganz Deutschland zu. Auch das wollen wir einmal aneinander gegenüberstellen. Es muss untersucht werden, welche Ursachen es gibt und welche Bedingungen dazu führen, dass es hier bei uns immer mehr Millionäre gibt. Auch das müsste man einmal diskutieren.