Protokoll der Sitzung vom 23.02.2011

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Silke Hinrichsen [SSW])

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Herrn Abgeordneten Heinz-Werner Jezewski das Wort.

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Kollege Fürter, ich dachte eigentlich immer, die Dialektik wäre aufseiten der Linken; aber das, muss ich sagen, war großes Kino.

Ob „schwach befriedigend“, „voll befriedigend“ oder sogar „fast gut“ - diese eine Note reicht nicht; die Landesregierung bleibt trotzdem sitzen, weil zu viel „ungenügend“ in den anderen Fächern dabei sind. Eines will ich hier aber auf gar keinen Fall infrage stellen. Das ist der gute Wille des Ministeriums und auch des Ministers bei der Erarbeitung dieses Entwurfs. Ich hoffe sehr, dass der alte Spruch „Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg“ auch in diesem Fall richtig ist; denn das Thema der Untersuchungshaft ist innerhalb des allgemein sensiblen Bereichs der Freiheitsentziehung ein besonders sensibler.

Im Jahr 2009 haben nach Angaben des Statistischen Bundesamts bundesweit 28.309 Personen in Untersuchungshaft gesessen. Leider ist über diese vorliegende Statistik nicht zu ermitteln, wie viele davon anschließend nicht verurteilt wurden und somit unschuldig waren. Diese Ermittlung werden wir noch nachholen.

Doch abgesehen davon ist jede und jeder in Untersuchungshaft bis zu seiner oder ihrer Verurteilung als unschuldig anzusehen. Diese Tatsache würdigt das Gesetz ausdrücklich. Wir halten das zwar für selbstverständlich, aber angesichts der Umstände und der bisherigen Rechtsprechung trotzdem für anerkennenswert.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn dieser Gesetzentwurf jetzt noch eine Entschädigung für unschuldig in Untersuchungshaft Sitzende vorsähe, die über jene hinausginge, die nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen, also nach dem Bundesgesetz, gezahlt wird, dann wären wir mit dem Entwurf wesentlich zufriedener. Ich darf noch einmal daran erinnern, dass eindeutig Unschuldige, nämlich jene, die nach der Untersuchungshaft nicht verurteilt werden, bisher 25 € für jeden unschuldig in Haft verbrachten Tag bekommen. Jeder sollte sich einmal für sich überlegen, ob er oder sie denn für 750 € einen Monat unschuldig in Haft sitzen möchte.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Einige von Ihnen schon!)

Das muss man sich überlegen. Hinzu kommt natürlich eine Entschädigung, der Schadenersatz. Das ist auch richtig. Aber es sind 750 € dafür, dass man einen Monat lang in Haft sitzt. Ich weiß nicht. Mir würde es nicht gefallen.

Ein weiterer Kritikpunkt ist für uns die Ausgestaltung der Möglichkeiten, in der Untersuchungshaft zu arbeiten. In den vom Europarat beschlossenen europäischen Gefängnisregeln ist in Punkt 4 eindeutig festgelegt - mit Erlaubnis der Frau Präsidentin zitiere ich dies -:

„Haftbedingungen, welche die Menschenrechte der Gefangenen einschränken, dürfen nicht mit dem Mangel an Ressourcen gerechtfertigt werden.“

Genau mit diesem Mangel an Ressourcen versucht nun aber das Ministerium, die Einschränkungen bei den Arbeitsgelegenheiten und auch andere finanzielle Einschränkungen zu begründen. Ich zitiere aus den Vorbemerkungen des vorliegenden Entwurfs:

(Thorsten Fürter)

„Die Einrichtung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen nur für Untersuchungsgefangene ist mit einem unangemessen hohen finanziellen Aufwand verbunden.“

Damit verbunden ist dann auch gleich noch die Aufhebung der weiter vorn noch ausdrücklich anerkannten Unschuldsvermutung, denn - ich zitiere erneut -:

„Die Untersuchungsgefangenen sollen in Schleswig-Holstein zukünftig differenziert werden nach der Art des Haftgrundes (das heißt Flucht- und Wiederholungsgefahr oder Verdunkelungsgefahr).“

Bei allem Verständnis: Auch wenn ein Richter diese Gefahren sieht, so ist der Mensch, der in Untersuchungshaft sitzt, doch so lange unschuldig, bis ein Gericht ihn rechtskräftig schuldig gesprochen hat. Was, bitte - so lautet meine Nebenfrage als Nicht-Jurist -, soll eigentlich jemand, der unschuldig ist, wiederholen oder verdunkeln?

(Lachen des Abgeordneten Gerrit Koch [FDP])

Für uns steht fest: Wer in Untersuchungshaft kommt, muss die Gelegenheit bekommen, zu arbeiten oder eine Ausbildung zu machen, ohne dabei genauso behandelt zu werden wie ein verurteilter Straftäter.

(Beifall bei der LINKEN)

Dass das Kosten verursacht, ist zwar bedauerlich, aber nicht zu ändern. Ein Grund für eine andere Regelung sind diese Kosten jedoch nicht.

Loben will ich weiterhin den Versuch, für die Untersuchungshaft von Jugendlichen und Heranwachsenden in Schleswig-Holstein eigene Regelungen zu finden. Das ist nicht selbstverständlich, steht aber in einer mittlerweile doch mehr als 20 Jahre alten Tradition in unserem Land, den gesamten Bereich des Strafrechts möglichst liberal - und ich meine liberal nicht parteipolitisch, sondern im positiven Sinne - zu gestalten.

Wir werden hoffentlich im Innen- und Rechtsausschuss ausgiebig über diese und andere Aspekte des Gesetzentwurfs diskutieren und sachkundige Fachleute dazu anhören.

Dazu einen Nebensatz zum Änderungsantrag der Grünen: Ich würde mir wünschen, dass Sie es nach dieser langen Zeit, die Ihre Fraktion schon im Parlament verbringt, endlich schaffen, Änderungsanträge so rechtzeitig einzubringen - wenn sie inhaltlich so qualifiziert sind -, dass man eine Woche

vorher darüber nachdenken kann, oder aber zu sagen: Na gut, so wichtig ist es auch nicht, wir verschieben es noch um eine Woche und diskutieren es dann im Ausschuss. Das hätte ich mir gewünscht.

Leider erlaubt mir die Zeit nicht, auf alle Kritikpunkte am Gesetzentwurf ausführlich einzugehen. Ich teile viele der Punkte, die Herr Kollege Beran gebracht hat, und auch diejenigen, die von den Grünen kommen. Den Kritikpunkt an dem Entwurf der Grünen, den die Kollegin Hückstedt angesprochen hat, teile ich allerdings auch.

Aber die Aufgabe dieser Debatte ist es nicht, die Fachdebatte zu Ende zu führen. Das ist die Aufgabe des Fachausschusses. Ich bin ziemlich sicher, dass wir das erledigen werden.

Über die Vorbemerkungen zu den Haftanstalten in Flensburg und Itzehoe will ich gar nicht viele Worte verlieren. Es ist mir egal, ob hier vergessen wurde, einen Absatz zu streichen - wobei ich mich natürlich schon frage, was für eine Qualität eine Landesregierung besitzt, der so etwas passiert -, oder ob andere Gründe für diesen Absatz ursächlich sind.

Dieses Thema ist nach meiner Ansicht in der morgigen Debatte um politische Führungslosigkeit des Landes ohnehin besser aufgehoben als hier.

(Beifall bei der LINKEN)

Alles in allem hoffe ich aber, dass dieser Gesetzentwurf frei nach dem Motto: „Es ist noch nichts so schlimm herausgekommen, wie es hineingegangen ist“, im Ausschuss die notwendigen Änderungen erfahren wird und freue mich auf die kommenden Debatten dazu.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Fraktion des SSW erteile ich Frau Abgeordneter Silke Hinrichsen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit 2006 wartet Schleswig-Holstein auf ein eigenes Untersuchungshaftvollzugsgesetz. Nachdem der erste Entwurf im Herbst 2009 der Diskontinuität anheimgefallen ist, versuchen wir es heute erneut mit der ersten Lesung eines Entwurfs, der allerdings nur auf den ersten Blick genauso aussieht wie in der letzten Wahlperiode.

(Heinz-Werner Jezewski)

Zum einen steht im Gegensatz zum letzten Entwurf in der Einleitung und der Begründung dieses Gesetzes, dass die Landesregierung im Rahmen der Haushaltskonsolidierungsmaßnahmen beschlossen hat, die JVA Flensburg und Itzehoe aus Gründen der Wirtschaftlichkeit zu schließen. Damit hat sich nach unserer Ansicht die Landesregierung über den Beschluss des Parlaments hinweggesetzt und gibt erneut die Schließung der kleinen JVA bekannt.

(Beifall bei SSW und der LINKEN)

Aus Sicht des SSW kann ich dazu nur sagen, dass wir uns dies - angesichts der sorgfältigen Arbeit und Veränderungen aus dem Justizministerium kaum noch als Versehen vorstellen können. Akribisch sind nämlich sonstige Veränderungen in diesen Gesetzentwurf aufgenommen worden.

Zum anderen trägt der neue Gesetzentwurf einen grundlegend anderen Tenor als der alte. Es geht nämlich nicht mehr um die Schaffung eines fortschrittlichen Untersuchungshaftvollzugsgesetzes, sondern um Einsparungen. In dem vorangegangenen Entwurf gab es Maßnahmen, die das Land etwas kosten, um den Menschen, die in Gefängnissen aufgrund eines Verdachtes und eines besonderem Haftgrundes sitzen, die Möglichkeit zur Weiterentwicklung zu geben oder ihnen bei der Bewältigung ihrer Probleme zu helfen. Davor schreckt jetzt das Land zurück und versucht - wo es nur geht -, die Situation der U-Häftlinge nicht zu verbessern.

Auf die Anpassung der Eckvergütung für die Ausübung einer Arbeit oder Teilnahme an einer Beschäftigungsmaßnahme auf das Niveau der Strafgefangenen wird aus haushalterischen Gründen verzichtet. Genauso wie man im ersten Gesetzentwurf für eine solche Änderung argumentierte, argumentiert man jetzt für das Gegenteil.

Das gleiche Bild sieht man beim Taschengeld. Die einstige Einführung des Taschengeldes ist für bedürftige U-Häftlinge auf ein Darlehen reduziert worden. Im ersten Entwurf war das Taschengeld noch wichtig, um die Entstehung subkultureller Abhängigkeiten zu verhindern. Im zweiten Entwurf wird das Taschengeld ebenfalls aus haushalterischen Gründen nur noch als Darlehen gewährt. Das ist nicht mehr nachvollziehbar. Wie sich die Gewährung von Taschengeld als Darlehen für insolvente U-Häftlinge gestalten soll oder wie sich das Angebot der Schuldnerberatung und die gleichzeitigen Kürzungen in diesem Bereich miteinander vereinbaren lassen - darauf gibt dieser Gesetzentwurf leider keine Antwort. Auch auf die damit verbunde

nen erhöhten Verwaltungskosten wird nicht eingegangen.

Weitere Verschlechterungen für die U-Häftlinge gibt es bei den Besuchszeiten. Zukünftig werden bei zwei Stunden Besuchszeit pro Monat auch die Besuche der Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe und der Bewährungshilfe auf die reguläre Besuchszeit angerechnet. Und - als wäre dies nicht schon schlimm genug, weil damit die Besuchszeiten für Familie und Freunde drastisch reduziert werden - es sollen auch noch Besuche in den Abendstunden und an den Wochenenden nicht mehr stattfinden.

Im gleichen Atemzug wird genannt, dass die JVA in Flensburg und Itzehoe geschlossen werden sollen. Auf Seite 60 des Gesetzentwurfs steht es:

„Bei Inkrafttreten des Gesetzes über den Vollzug der Untersuchungshaft in SchleswigHolstein - spätestens am 1. Januar 2012 werden die JVA Flensburg und JVA Itzehoe jedoch zunächst noch für den Vollzug der Untersuchungshaft zur Verfügung stehen.“

Dieses ist etwas verblüffend, weil ich der Presse entnommen habe, dass es ein Versehen sei, dass es hier noch drinsteht. Aber es lautet dennoch: „spätestens am 1. Januar 2012“. Die Kolleginnen und Kollegen der regierungstragenden Fraktionen hatten den Antrag eingebracht, keine finanzwirksamen Maßnahmen im Jahr 2011 durchzuführen. Dann kann ich das so nicht ganz nachvollziehen.

All dies sind Verschlechterungen, die aus haushalterischen Gründen vollzogen werden. Das alte Gesetz hatte einen Finanzierungsbedarf von 700.000 € pro Jahr. Der Finanzierungsbedarf des jetzt vorliegenden Gesetzes bleibt unklar. Denn Mehrbedarf an Personal wird in Teilen durch die vorhandenen Haushaltsmittel abgedeckt, in Teilen wird nur der Bedarf genannt, aber keine Kosten. Insgesamt steht das Gesetz und die Umsetzung der darin genannten Maßnahmen - vor allem auch die Maßnahmen, die entwicklungsfördernde Hilfestellungen leisten - unter dem Vorbehalt der Haushaltssituation. Was das heißt, wissen wir ja bereits.

Aus Sicht des SSW kann ich daher zu dem vorliegenden Entwurf nur sagen: Wir werden heute zustimmen, weil es die erste Lesung ist. Wie wir uns bei der zweiten Lesung verhalten, werden die Beratungen im Ausschuss ergeben, wo wir hoffentlich erhebliche Verbesserungen erreichen können.

(Beifall beim SSW und der Abgeordneten Antje Jansen [DIE LINKE])

(Silke Hinrichsen)