Protokoll der Sitzung vom 01.07.2011

Vor allen Dingen müssen wir die Kultur der Altersarbeit verbessern. Dazu gehörten für meine Fraktion in erster Linie gute Arbeitsbedingungen, Arbeitsschutzmaßnahmen, Gesunderhaltung von Beschäftigten, Wiedereingliederung und auch eine bessere Vereinbarkeit von Familie, Pflegearbeit und Beruf.

(Beifall der Abgeordneten Antje Jansen [DIE LINKE])

(Christopher Vogt)

Wir brauchen auch insgesamt eine bessere gesellschaftliche Wertschätzungskultur, damit ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anerkennung bekommen, wenn sie ihr Wissen und ihre Erfahrung einbringen.

Ein weiterer Schritt stellt für uns für eine moderne Arbeitsmarktpolitik eine effektivere Vermittlung Älterer aus der Arbeitslosigkeit dar. Gerade ältere Menschen sind überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen. Aktuell liegt die Arbeitslosenquote für 55- bis 65-Jährige in Schleswig-Holstein bei 16,8 %.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Herr Minister, Sie haben es gesagt, es sind gute Arbeitsmarktdaten, aber die positive Entwicklung gilt immer noch nicht für die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Und ältere Menschen sind länger arbeitslos als jüngere Menschen. Im Jahresdurchschnitt 2010 waren 36,5 % der Arbeitslosen über 55 Jahre langzeitarbeitslos. Zusammenfassend lässt sich sagen, im Falle von Arbeitslosigkeit haben ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer signifikant geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt als Jüngere.

Es ist natürlich erfreulich, dass die Beschäftigungsquote der Älteren ab 50 Jahren in Schleswig-Holstein gestiegen ist - von 34,2 % im Jahr 2000 bis auf 42,4 % im Jahr 2009. Das Ziel der EU, die Beschäftigungsquote auf 50 % zu erhöhen, liegt in Reichweite.

Es ist noch viel zu tun auf dem schleswig-holsteinischen Arbeitsmarkt. Viel Zeit haben wir nicht mehr, denn die Gesellschaft altert schneller, als uns lieb ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Frage, wie wir künftig leben wollen und wie wir vor allen Dingen im Alter auch gesund arbeiten können, ist eine zentrale Frage. Das hat etwas mit dem Altersbild zu tun. In Skandinavien sieht das etwas anders aus als in Zentraleuropa. In Frankreich gibt es diesen berühmten Spruch, dass man besser arbeitet, um zu leben, als lebt, um zu arbeiten. Wir haben immer noch viel zu hohe Wochenarbeitszeiten.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN)

Jeder Mensch in seiner Individualität muss von der Gesellschaft akzeptiert werden und möglichst in vollem Umfang teilhaben können. Das nennt man Inklusion. Ich denke, wenn wir das tatsächlich wollen - das ist ja hier im Haus auch ein Fachbegriff,

der seit Langem geprägt wird - und man das unter dem Gesichtspunkt der Inklusion sieht, dann muss eine inklusive Arbeitsmarktgesellschaft die Frage gar nicht stellen, ob ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besser oder schlechter integriert werden, sondern mit der Inklusion sind sie es dann. Ich glaube, wir sind noch weit davon entfernt, von einer inklusiven Gesellschaft zu reden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb ist es richtig zu sagen:

,,Es kommt nicht nur darauf an, wie alt wir werden, sondern wie wir alt werden; es gilt nicht nur, dem Leben Jahre zu geben, sondern den Jahren Leben zu geben.“

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Für die Fraktion des SSW erteile ich dem Herrn Abgeordneten Flemming Meyer das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind nach dem vorliegenden Bericht bei der Weiterbildung unterrepräsentiert. Offenbar denken viele Arbeitgeber, dass sich die Weiterbildung bei den Älteren nicht mehr rechnet. Wer allerdings nicht am Ball bleibt, wird abgehängt. Kein Wunder also, dass 2010 jeder fünfte neue Arbeitslose 50 Jahre oder älter war. Jeder fünfte Arbeitslose ist in Schleswig-Holstein über 55 Jahre alt.

Die Gründe dafür sind ganz offensichtlich. Die Unternehmen mussten sich bislang keine Gedanken über Nachwuchs oder Fachkräfte machen, denn die Auswahl war groß. Ältere Beschäftigte wurden aussortiert und konnten umgehend durch vermeintliche leistungsfähigere, jüngere Beschäftigte ersetzt werden. Dieses Verhalten mutierte in den letzten Jahren regelrecht zu einem Automatismus, sodass das Durchschnittsalter in den Betrieben sank und die Zahl der älteren Arbeitslosen stieg. Diese Entwicklung wurde durch Frühverrentungsmodelle unterstützt und auch seitens der Gewerkschaften über viele Jahrzehnte hinweg mitgetragen. Konsequenterweise bildet Deutschland das Schlusslicht unter seinen europäischen Nachbarn, was die Beschäftigungsquote der über 55-Jährigen betrifft. In Schweden, aber auch in Dänemark, haben Ältere gute Chancen auf eine Vollzeitbeschäftigung im ersten Arbeitsmarkt, in Deutschland nicht.

(Dr. Andreas Tietze)

So geht es allerdings nicht mehr weiter, weil die Zahl der Älteren steigt. Jetzt wird hektisch an verschiedenen Stellschrauben gedreht. So wurde das Renteneintrittsalter erhöht und die Frühverrentung fast unmöglich gemacht. Zwar steigt das Durchschnittsalter in den Betrieben leicht, aber Rentenabschläge machen vielen Älteren das Leben schwer. Auch in der Wirtschaft ändert sich langsam etwas. Man muss in den Personalbüros schmerzhaft lernen, dass man auch mit dem Produktionsfaktor Arbeiter sorgfältiger umgehen muss. Wer seine älteren Beschäftigten von der Weiterbildung ausschließt, verliert nämlich insgesamt als Betrieb den Anschluss und damit wichtige Aufträge. Dumm nur, dass die Unternehmen nicht die einzigen sind, die diese Wettbewerbsnachteile erfahren, sondern dass die Gesamtwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen wird.

Die entsprechenden Klagen der Wirtschaftsverbände haben jetzt auch die Bundesregierung erreicht und zum Handeln veranlasst. Die Bundesregierung überlegt laut einem Artikel im „Spiegel“ ernsthaft, eine Quote für ältere Fachkräfte einzuführen. Danach soll in den Betrieb ab 2020 mindestens jeder zweite Arbeitsplatz von einem älteren Facharbeiter besetzt werden. Auf diese Weise hofft die Bundesregierung, den derzeitigen Braindrain zu stoppen. Beschäftigte sollen nicht mehr nur aufgrund ihres Alters aussortiert werden. Stattdessen sollen ihre Kompetenz und Erfahrung in den Betrieben genutzt werden - und zwar nicht ehrenamtlich beim ,,Senioren Experten Service“, sondern unter knallharten Wettbewerbsbindungen.

Aktuell zeigen Beispiele, dass man mit älteren Beschäftigten sogar regelrecht punkten kann. Es zahlt sich aus, wenn ein Unternehmen auf Ältere setzt. Vielerorts noch gelten die Älteren als defizitär, langsam und weniger belastbar. Dagegen haben aber zum Beispiel die 45+-Märkte des Discounters Netto gezeigt, dass Ältere sogar belastbarer sind. Der Krankenstand in den Filialen, in denen nur 45-Jährige und Ältere arbeiten, liegt unter dem der Filialen mit altersgemischter Belegschaft.

Ich warne allerdings davor, ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer lediglich als stille Reserve zu verstehen. Menschen sind keine Maschinen, die geparkt und reaktiviert werden sollen. Ältere Beschäftigte haben das gleiche Recht auf Qualifizierung und gesunde Arbeitsbedingungen wie jüngere.

Wer einem Bewerber aufgrund seines Lebensalters ablehnt, diskriminiert den Betreffenden. Das ist kein Kavaliersdelikt. Die Beschwerden nehmen zu,

wie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes verzeichnet. Sie empfiehlt Bewerbungsunterlagen ohne Altersangabe, denn sie hat klar nachgewiesen: Je höher das Alter, desto niedriger die Chance auf eine Einladung zum Bewerbungsgespräch.

Altersdiskriminierung ist nicht per Dekret oder Quote beizukommen. Wir sollten daher beginnen, die Altersdiskriminierung als Problem wahrzunehmen. Im vorliegenden Bericht sucht man danach allerdings vergeblich.

(Beifall bei SSW und der LINKEN sowie vereinzelt bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich gehe davon aus, dass Ausschussüberweisung gewollt ist.

(Zurufe: Ja!)

- Danke für die Bestätigung! - Es ist beantragt worden, den Bericht der Landesregierung, Drucksache 17/1427, federführend dem Sozialausschuss und mitberatend dem Wirtschaftsausschuss zur abschließenden Beratung zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen worden.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:

Perspektiven des Wirtschaftsraumes Brunsbüttel

Antrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 17/1596

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Ich stelle fest, das ist nicht der Fall.

Mit dem Antrag wird ein Bericht in dieser Tagung erbeten. Ich lasse zunächst darüber abstimmen, ob der Bericht in dieser Tagung gegeben werden soll. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Dann ist das einstimmig so beschlossen.

Ich erteile für die Landesregierung dem Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr, Herrn Jost de Jager, das Wort.

(Flemming Meyer)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich für die Gelegenheit, einen Bericht über die Entwicklung eines der größten - wenn nicht sogar das größte - zusammenhängenden Industrieareale in Norddeutschland, ein relativ junges Areal, das erst in den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts auf den Weg gebracht worden ist und seitdem auf eine überwiegend erfolgreiche 40-jährige Industriegeschichte in Brunsbüttel zurückblicken kann, abzugeben. Das Land hat diese Entwicklung von Anfang an mit vielen und millionenschweren Förderungen unterstützt. Es gab auch private Investitionen. Der Hinweis auf den ChemCoast-Park Brunsbüttel und das Chemie-Cluster, das sich dort angesiedelt hat, zeigt, in welchem Maße Arbeitsplätze entstanden sind. Wir reden allein in der chemischen Industrie über 12.000 direkte oder indirekte Arbeitsplätze, die dadurch generiert werden.

Das Land hat in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten - ich habe es bereits gesagt - im Rahmen der zur Verfügung stehenden finanziellen Fördermittel dazu beigetragen, den Standort zu sichern. Beispielhaft sei genannt, dass das Land mit 5,1 Millionen € die Modernisierung des YARA-Standorts, der insgesamt ein Investitionsvolumen von 34 Millionen € hatte, unterstützt hat und damit 200 Arbeitsplätze direkt vor Ort sichern konnte.

(Beifall bei CDU und FDP)

Die Investitionsbank hat aktuell der Raffinerie Heide einen namhaften Kreditbetrag zur Verfügung gestellt. Ohne die Mitwirkung des zentralen Förderinstituts des Landes hätte die Finanzierung nicht sichergestellt werden können. Damit ist erneut ein wesentlicher Beitrag zur Verbesserung der wirtschaftlichen und technischen Grundlage für die Wirtschaft an der Westküste geleistet worden, denn die Raffinerie leistet einen sehr wichtigen direkten Versorgungsbeitrag auch für Brunsbüttel selber.

Die Landesregierung ist nach wie vor vom Wirtschaftsstandort Brunsbüttel überzeugt und sieht weiterhin gute Zukunftsperspektiven. Das zeigt auch das Bekenntnis der ansässigen Unternehmen für den Standort selbst. So will nicht nur TOTAL in den nächsten fünf Jahren rund 30 Millionen € am Standort investieren; auch Bayer Material Science wird mit einem Investitionsvolumen von rund 100 Millionen € die Kapazität für ein Schaumstoffvorprodukt, dessen Abkürzung ich mir erspare, erweitert und der Standort zukunftsfähig gemacht werden.

Wir setzen uns für die Unternehmen ein. Die Investitionen im YARA-Werk wären nutzlos, wenn der Immissionshandel ab 2013 YARA zum Beispiel in Brunsbüttel das Genick brechen würde. Deshalb versuchen wir gemeinsam mit dem Bundesumweltministerium, dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Landesumweltministerium, eine tragfähige Lösung zu finden. Die generelle prinzipielle Bereitschaft dazu besteht. Es ist nur in der technischadministrativen Umsetzung nicht so leicht.

Brunsbüttel ist ein wesentlicher Energiestandort in Schleswig-Holstein. Selbstverständlich ist es so, dass die Entscheidung der Bundesregierung, mit einem festen Fahrplan aus der Kernenergie auszusteigen, das definitive Ende des Kernkraftwerks Brunsbüttel bedeutet. Das hat Auswirkungen auf den Standort. Das hat Auswirkungen auf die Mitarbeiter. Auch diese muss man an dieser Stelle einmal nennen und zeigen, dass man sie ernst nimmt.

(Beifall bei CDU und FDP)

Deshalb gehört es dazu, dass man auch neue Perspektiven für den Standort Brunsbüttel aufbaut. Die Landesregierung sieht in der Ansiedlung eines neuen Steinkohlekraftwerks eine solche Perspektive. SWS hat mich jüngst angeschrieben und gesagt, dass auf der Basis der Entscheidung der Bundesregierung die Investition in den Standort wieder aussichtsreicher aussieht, als es zwischendurch einmal gewesen ist. Die Ansiedlung dort befindet sich auf der Zielgeraden. Das Genehmigungsverfahren ist so weit, dass man von einer Teilerrichtungsgenehmigung sprechen kann. Seit Februar 2011 liegt diese vor. Damit ist das Kraftwerk planungsrechtlich zugelassen. Mit weiteren Genehmigungen, die notwendig sind, um mit dem Bau tatsächlich zu beginnen, rechnet das Unternehmen im Laufe dieses Jahres.

Eine weitere Perspektive, die aus dem Bereich Energie für Brunsbüttel erwachsen kann, ist die Erwartung, die es dort gibt, dass man Brunsbüttel zu einem Produktionshafen für den Offshore-Sektor ausbauen kann. Wir wollen mit dem Standort diese Perspektive verfolgen. Deshalb haben wir zusammen mit der SCHRAMM group eine Machbarkeitsstudie auf den Weg gebracht, die nachweist, dass es eine Nische für einen Produktionshafen im Bereich Offshore in Brunsbüttel geben kann. Es gibt eine zweite Machbarkeitsstudie, die die Investitionsvolumina beschreibt, die gegenwärtig noch in einer Größenordnung sind, das sie kaum realisierbar sind.

Wir haben durch Umschichtungen im Zukunftsprogramm Wirtschaft, die möglich geworden sind, weil wir die einzelbetriebliche Investitionsförderung zurückgefahren haben, sichergestellt, dass ein Betrag von mehr als 20 Millionen € an Investitionen für einen solchen Produktionshafen in Brunsbüttel zur Verfügung stehen. Es geht jetzt darum, die Baumaßnahmen so zu dimensionieren, dass dies mit der Unterstützung der Landesregierung auch tatsächlich geleistet werden kann. Das sind überwiegend Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe „Förderung der regionalen Wirtschafsstruktur“. Sie sind bis auf die hälftige Gegenfinanzierung landesmittelneutral und stehen zur Verfügung.

Einen letzten Punkt, den ich nennen möchte, auch wenn ich schon überzogen habe, ist, dass es selbstverständlich eine Diskussion um die Anbindung Brunsbüttels gibt und die Erwartung, dass die B 5 bis Brunsbüttel dreistreifig ausgebaut wird. Wir können gewährleisten, dass es einen ersten Abschnitt in Richtung Wilster gibt. Wir halten es für wünschenswert, den Raum Brunsbüttel anzubinden. Ich sage aber auch, weil man falsche Erwartungen nicht wecken darf, dass die gegenwärtigen Verkehrszahlen nicht dazu führen würden, dass diese Maßnahmen in einem bundesweiten Bedarf ganz vorn steht. Insofern haben wir eine Perspektive, können eine Realisierung aber nicht sofort zusagen.