Protokoll der Sitzung vom 01.07.2011

(Christopher Vogt [FDP]: Es gibt auch im- mer weniger Arbeitslose!)

- Herr Kollege, ich komme darauf noch zu sprechen, aber vielleicht ist es auch in einer Situation, in der weniger Arbeitslose da sind, sinnvoll, gerade die verstärkt zu fördern, damit die auch den Zugang in den Arbeitsmarkt finden.

(Beifall bei SPD und der LINKEN)

Aus dem Bericht der Landesregierung wird deutlich, dass sich die Arbeitsmarktsituation älterer Menschen in Schleswig-Holstein verbessert, was auch durch einen Anstieg der Zahl der Beschäftigten über 50 Jahre belegt wird. Aktuell wird durch die Zahlen aber auch belegt - das ist im Bericht festgehalten -, dass der Zugang an Arbeitslosen aus Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt unter den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ab 50 Jahren in den letzten Jahren gestiegen ist. Der Anteil älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die länger als zwölf Monate arbeitslos im SGB III waren, ist deutlich höher als im Durchschnitt. Nach dem Bericht ist auch die Langzeitarbeitslosigkeit im Bereich des SGB II bei älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern höher als im Durchschnitt aller Langzeitarbeitslosen. Also bleibt festzuhalten: Es gibt keinen Grund zur Entwarnung, und es gibt auch keinen Grund, sich auf Lorbeeren auszuruhen.

(Beifall der Abgeordneten Ellen Streitbörger [DIE LINKE])

Es bleibt die Aufgabe, durch eine aktive Arbeitsmarktpolitik gerade in einer Zeit des konjunkturellen Aufschwungs dafür zu sorgen, möglichst vielen Arbeitslosen und Langzeitarbeitslosen und gerade auch ältere Arbeitslose durch gezielte Förderprogramme und gezielte Unterstützungsleistungen einen Zugang zum ersten Arbeitsmarkt zu verschaffen. Hier zu kürzen, wie es die Bundesregierung mit den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten tut, ist kontraproduktiv und schlicht und ergreifend fahrlässig.

Ich will noch einen Punkt aus dem Bericht der Landesregierung aufgreifen, mit dem die Arbeitgeber aufgefordert werden, stärker in den Gesundheitsschutz und in die Förderung, Weiterbildung und Qualifizierung ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu investieren.

Es ist die Pflicht, gute Arbeitsbedingungen zu schaffen, damit dem Arbeitsmarkt das Fachwissen gerade der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht verloren geht; denn eine entscheiden

de Frage lautet: Was machen wir dagegen, dass Menschen durch Arbeit körperlich oder psychisch kaputtgehen? - Hier bleibt festzuhalten: Die Ursache liegt in den Arbeitsplätzen, die die Arbeitgeber zur Verfügung stellen. Diese nehmen wir nicht in Haftung, weder bei mangelnder Weiterbildung und Qualifizierung noch bei Arbeitsplätzen, die die Menschen krank machen. Das ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei SPD und der LINKEN)

Zusammengefasst bedeutet das: Niedriglöhne, Minijobs, befristete Arbeitsverhältnisse, steter Abbau von Vollzeitarbeitsplätzen und Leiharbeit sind keine Begriffe, die dazu führen, auch in Zeiten des Fachkräftemangels Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die Aufnahme einer Arbeit zu motivieren. Oder noch deutlicher ausgedrückt: Ohne gute Arbeit, ohne Tarifverträge wird sich der Fachkräftemangel auch mit älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht beheben lassen.

(Beifall bei SPD und der LINKEN)

Die Landesregierung hat uns einen Bericht zur Situation von Älteren auf dem Arbeitsmarkt vorgelegt, der mit vielen Zahlen sehr präzise die Entwicklung in diesem Bereich darstellt. Dafür ein Dank. Ein Bericht, der aber nicht auf die aktuellen Kürzungen der arbeitsmarktpolitischen Instrumente durch die Bundesregierung eingeht und der vernachlässigt, welche Chancen gerade jetzt bestehen, wo sich die Arbeitsmarktlage positiv entwickelt und mit einer aktiven Arbeitsmarktpolitik vielen gerade auch älteren - arbeitslosen und langzeitarbeitslosen Menschen geholfen werden könnte, vergibt seine Chancen. So wird kein Beitrag dazu geleistet, ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dauerhaft in den ersten Arbeitsmarkt zurückzubringen.

(Beifall bei SPD und der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in der Debatte fortfahren, begrüßen Sie bitte mit mir Mitglieder des Landfrauenverbandes Bad Schwartau. Seien Sie herzlich willkommen bei uns im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Jetzt erteile ich Herrn Abgeordneten Christopher Vogt das Wort.

(Wolfgang Baasch)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst danke auch ich der Landesregierung und dem Minister für den Bericht. Wir haben derzeit eine insgesamt sehr positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Gestern haben wir die neuen Arbeitsmarktdaten bekommen. Eine Zahl von unter 100.000 Arbeitslosen in Schleswig-Holstein ist das erste Mal seit 16 Jahren erreicht worden. Ich meine, das ist ein großartiger Erfolg.

(Zuruf des Abgeordneten Ulrich Schippels [DIE LINKE])

- Herr Kollege Schippels, das ist nicht nur auf eine Bereinigung der Statistik zurückzuführen, sondern es gibt einfach mehr sozialversicherungspflichtige Jobs in Schleswig-Holstein. Das muss man einfach einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Sie sollten sich die Statistik einmal genau anschauen.

Wir haben insgesamt eine positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Die Situation der Älteren, der Menschen zwischen 50 und 65 Jahren, ist natürlich nach wie vor eine besondere. Sie stellen immer noch eine benachteiligte Gruppe auf dem Arbeitsmarkt dar, wobei der Trend - Herr Kollege Kalinka hat das sehr deutlich angesprochen - auch in diesem Bereich positiv ist.

Die aktuelle Entwicklung kommt den Älteren auf dem Arbeitsmarkt ebenfalls zugute. Die Anzahl von Älteren auf dem schleswig-holsteinischen Arbeitsmarkt nahm in den letzten Jahren deutlich stärker zu als die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs. Die Beschäftigungsquote ist in dieser Altersgruppe deutlich angestiegen. Mittlerweile gehen immerhin rund 42 % - das ist noch nicht besonders viel - der Menschen zwischen 50 und 64 Jahren einer Erwerbstätigkeit nach. Auch der Anteil der Älteren in der Gruppe der Arbeitslosen nahm stärker ab als bei allen anderen Altersgruppen. Das ist sicherlich ein gutes Signal. Im vergangenen Jahr waren rund 51 % der älteren Arbeitslosen weniger als drei Monate arbeitslos gemeldet und nur 6,9 % waren über zwölf Monate ohne Job, also langzeitarbeitslos.

Meine Damen und Herren, es ist zu erwarten - das wurde auch schon angesprochen -, dass die Beschäftigungschancen für Ältere weiter steigen werden und dass die Beschäftigungsquoten zunehmen werden.

Es gibt seit mehreren Jahren schon einen deutlichen Rückgang bei den Altersrenten aus der Arbeitslosigkeit heraus oder nach einer Altersteilzeit. Dieser Trend wird sich wahrscheinlich ebenfalls fortsetzen.

Unsere Unternehmen können angesichts des demografischen Wandels und des zunehmenden Mangels an Fachkräften immer weniger auf den Fachverstand und auf die Berufs- und Lebenserfahrung der Älteren verzichten. Wir brauchen die Älteren auf dem Arbeitsmarkt. Zum Glück erkennen das immer mehr Unternehmen. Gerade die mittelständischen Unternehmen in Schleswig-Holstein erkennen das zunehmend.

Nicht nur vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels sollen die Potenziale der Älteren auf dem Arbeitsmarkt besser genutzt werden. Die Älteren sind heute in der Tat - in dem Bericht wird das angesprochen - vitaler und leistungsfähiger als je zuvor.

Im Bereich der Arbeitsbedingungen und der Gesundheitsprävention, bei den Arbeitszeitmodellen - da stimme ich Herrn Kollegen Baasch völlig zu - und auch bei den Einsatzmöglichkeiten gibt es noch viel Verbesserungspotenzial. Immer mehr Unternehmen im Land erkennen dieses Potenzial. Natürlich kann auch die Politik hier für bessere Rahmenbedingungen sorgen, was sie auch tut.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

- Herr Kollege Baasch, es gibt mehrere Initiativen der Bundesregierung und auch der Landesregierung. Es gibt das Bundesprogramm „Perspektive 50 plus“ zur verbesserten Wiedereingliederung von älteren Langzeitarbeitslosen. Es gibt natürlich auch die eigenen, unterstützenden Maßnahmen der Landesregierung im Rahmen des Zukunftsprogramms Arbeit. Das alles kennen Sie. Insofern können Sie gern die Kürzung auf der Bundesebene kritisieren, aber sie müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass das viel damit zu tun hat, dass es zum Glück weniger Menschen in Arbeitslosigkeit gibt.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

- Herr Kollege, insofern möchte ich die Feststellung betonen, dass es das recht junge Bündnis für Fachkräfte in Schleswig-Holstein gibt. Es ist aus meiner Sicht ganz wichtig, dass die Politik gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit, mit den Unternehmen und auch mit den Gewerkschaften gemeinsam an einem Strang zieht.

Eines sollten wir in diesem Zusammenhang ebenfalls betonen, auch wenn es hier vielleicht etwas komisch wirkt: Es gibt auch das Bündnis für Ausbildung. Ich glaube, dass ist ein ganz wichtiger Punkt. Man sieht auch in dem Bericht der Landesregierung wieder, dass die Älteren auf dem Arbeitsmarkt, die damals keine Ausbildung gemacht haben oder keine machen konnten, heute Probleme haben. Es ist deshalb wichtig, dass wir heute das Bündnis für Ausbildung weiter stärken, damit diese Probleme in Zukunft abnehmen werden.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU - Wolfgang Baasch [SPD]: Die Unter- nehmen in die Pflicht nehmen, Weiterbildung und Qualifizierung zu betreiben!)

- Ja, Herr Kollege Baasch. Wir müssen auch auf die wirtschaftliche Entwicklung in Schleswig-Holstein schauen, ob gute Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft gegeben sind. Das sollte man in diesem Zusammenhang auch nicht außer Acht lassen. Das hat damit auch etwas zu tun.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Ich gebe Ihnen recht, dass ein wichtiger Aspekt sicherlich das Umdenken in den Unternehmen ist. Ich glaube, das findet in vielen Unternehmen in Schleswig-Holstein auch schon statt. Das sehen Sie wahrscheinlich auch so. Viele Mittelständler haben das Problem erkannt, dass man im Bereich von Gesundheitsprävention und bei Arbeitszeitmodellen umdenken muss. Das machen schon sehr viele, es werden immer mehr. Aber die wirtschaftliche Entwicklung in Schleswig-Holstein muss auch weiter gestärkt werden, das werden wir tun.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Andreas Tietze das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne mit einem Zitat des Schriftstellers Robert Musil, einem Zeitgenossen Kafkas:

,,Keine Grenze verlockt mehr zum Schmuggeln als die Altersgrenze.“

Bewerberinnen und Bewerber ab Mitte 40 verschweigen ihr Alter wie eine peinliche Krankheit.

Und stimmt es nicht, dass das Alter auf dem Weg zum neuen Job ein Bremsklotz ist? Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stehen doch häufig unter dem Generalverdacht, ihr Wissen stamme von vorgestern, ihre Gesundheit sei angeschlagen, ihre Gehaltsvorstellungen seien übertrieben. Viele Unternehmen schubsen die „Generation 55 plus“ unter dem Tarnmäntelchen der Frühverrentung vor die Tür.

Die niedrigen Beschäftigungsquoten in Deutschland sind hausgemacht. Eine jahrzehntelange Politik der Frühverrentung hat ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem Arbeitsleben gedrängt, und nun haben wir den Salat. Wegen des demographischen Wandels fehlen in Deutschland bis zu 6,5 Millionen Fachkräfte. Wir brauchen dringend eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt, um dem drohenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Altersdiskriminierung muss raus aus den Köpfen der Personalchefs. Die Fehlentwicklung, ältere Arbeitnehmer aus dem Arbeitsleben herauszudrängen, muss umgekehrt werden. Wir brauchen diese Trendwende vor allen Dingen auch unter dem Gesichtspunkt einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik. Es sind die Unternehmen, die wir hier stärken müssen, die sich einer modernen Arbeitsmarktpolitik öffnen müssen.

Ziel einer modernen Arbeitsmarktpolitik muss es sein, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wirklich bis zum Renteneintrittsalter motiviert, qualifiziert und gesund arbeiten können. Wir brauchen moderne Arbeitsmarktinstrumente. Ich will sie einmal nennen: Flexiblere Lebensarbeitszeitmodelle, experimentierfreudigere Unternehmen, Sabbaticals, gute Work-Life-Balance und vor allen Dingen eine zukunftsorientierte Qualifizierung und lebenslanges Lernen.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Vor allen Dingen müssen wir die Kultur der Altersarbeit verbessern. Dazu gehörten für meine Fraktion in erster Linie gute Arbeitsbedingungen, Arbeitsschutzmaßnahmen, Gesunderhaltung von Beschäftigten, Wiedereingliederung und auch eine bessere Vereinbarkeit von Familie, Pflegearbeit und Beruf.