Protokoll der Sitzung vom 17.11.2011

(Wortmeldung des Abgeordneten Dr. Andre- as Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Ich lasse keine Zwischenfrage zu.

(Wolfgang Baasch [SPD]: Wunderbar! Das machen wir sofort - Tariftreue!)

Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Genau das ist der Punkt. Sie gehen doch mit diesem Thema nicht sachlich um, sondern schüren einzig und allein Emotionen.

Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Tietze?

Nein, ich habe schon gesagt, dass ich sie nicht zulasse.

Mir geht es darum, auch die Situation der Arbeitgeber zu berücksichtigen und nicht ausschließlich die Einführung von Lohnuntergrenzen zu fordern. Ich bin nicht gegen Lohnuntergrenzen, weil ich bei mir im Betrieb das Problem gar nicht habe. Bei mir verdienen die Leute das, was ihnen für die geleistete Arbeit, für die erbrachte Dienstleistung zusteht.

Das musste zur Ehrenrettung der Unternehmer hier im Lande Schleswig-Holstein gesagt werden.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für einen weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich Herrn Abgeordneten Schippels das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann das Hohelied auf die Tarifautonomie ehrlich gesagt nicht mehr hören. Ich kenne die Debatte schon aus dem Jahr 2002, als wir zum ersten Mal das Thema Mindestlohn in die politische Debatte

(Wolfgang Baasch)

einbrachten. Damals haben die Gewerkschaften auch gesagt: Vorsicht, Vorsicht! Tarifautonomie!

Wenn im Rahmen der Tarifautonomie angeblich alles geregelt werden kann, dann brauchen wir doch auch kein Arbeitszeitgesetz. Sämtliche rechtlichen Regelungen, die notwendig sind, um all das, was sich um Arbeit dreht, zu regeln, stellen Sie zur Disposition, wenn Sie behaupten, das würden die Tarifpartner schon regeln. Wenn man das Gegenteil annimmt, wird ein Schuh daraus. Natürlich braucht auch die Tarifautonomie eine gesetzliche Flankierung; sonst landen wir ganz schnell wieder im Manchester-Kapitalismus.

(Beifall des Abgeordneten Björn Thoroe [DIE LINKE] - Christopher Vogt [FDP]: Sie wissen doch gar nicht, was Manchester-Kapi- talismus ist!)

Jetzt ein Blick in Richtung Sozialdemokratie - Herr von Boetticher hat es schon angesprochen; da ist durchaus etwas dran -: Selbstverständlich hat die Arbeitsmarktpolitik von Herrn Schröder - Hartz IV, Agenda 2010 - zu einer Ausweitung des Niedriglohnbereichs geführt. Selbstverständlich gibt es seitdem mehr Druck auf die Arbeitenden beziehungsweise auf diejenigen, die noch Arbeit haben. Sie wissen nämlich, dass es gleich an das Häuschen und das Ersparte geht, wenn es zu Arbeitslosigkeit kommt. Die Möglichkeit der Abfederung über die Arbeitslosenhilfe gibt es nicht mehr.

Herr Baasch, man kann durchaus darüber diskutieren, ob das Nebeneinander von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe sinnvoll war. Wenn die Zusammenlegung erfolgt, dann aber bitte nicht so, dass sie zulasten der Betroffenen geht, sondern so, dass es zu einer Anhebung kommt.

Es ist interessant, was ich vor kurzem von Herrn Hartz - ich bin kein Freund von ihm - gehört habe. Er sagte, damals habe man einen Hartz-IV-Satz von 510 € errechnet, nicht aber diese 300 und ein paar Zerquetschten, die dann letztlich zur Verfügung gestellt wurden.

Hartz IV hat auch dazu geführt, dass wir Ein-EuroJobs bekommen haben. Es gibt entwürdigende Zumutbarkeitsregelungen, die auf die individuelle Qualifikation keine Rücksicht nehmen. Ein Akademiker muss jeden Job annehmen, der zur Verfügung steht; sonst wird er sanktioniert.

(Christopher Vogt [FDP]: Sie sind doch ge- gen die Klassengesellschaft!)

Richten Sie Ihren Blick nach Dänemark; dort geht man einen viel intelligenteren Weg. In Dänemark

wird jemand, der von Arbeitslosigkeit bedroht ist, sofort dazu gebracht, sich weiterzuqualifizieren, und ihm wird auch ein entsprechendes Angebot gemacht.

Ein letztes Wort zu den Statistiken: Ich glaube keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe. Sie wissen genau, wie das mit Statistiken ist. Die über 58-Jährigen und die Jungen werden herausgenommen. Wenn heute 27 % der Beschäftigen in Schleswig-Holstein im Niedriglohnbereich tätig sind, dann ist das wirklich erbärmlich. Deswegen brauchen wir den Mindestlohn - gerade hier in Schleswig-Holstein.

(Beifall bei der LINKEN)

Für einen weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich der Frau Abgeordneten Midyatli das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Magnussen, Sie haben mich dazu veranlasst, mich auch zu Wort zu melden. Ich bin lange selbstständig gewesen und komme aus einer Selbstständigen-Familie. Daher weiß ich ganz genau: Die Unternehmen, über die wir im Moment reden, sind nicht die Familienbetriebe in Schleswig-Holstein, nicht die kleinen und mittelständischen Betriebe. Wir wissen, sie sind hier angesiedelt und haben eine lange Tradition. Wir reden über die Callcenter, die nicht den Lohn zahlen, den die Mitarbeiter eigentlich verdienen, und über den Niedriglohnbereich. Sie wissen, dass es um solche Unternehmen geht.

Herr von Boetticher, Sie haben dargelegt, wie sich nach Ihrer Ansicht der Niedriglohnsektor herausgebildet habe. Sie wissen, dass in Betrieben in Schleswig-Holstein die Stammbelegschaften entlassen wurden, um sie dann wieder einzustellen und niedrigere Löhne zu zahlen. Das können Sie doch nicht leugnen. Sie sind doch auch vor Ort und reden mit den Menschen, mit denen, die in den Betrieben tätig sind.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich weiß, dass Vertreter eines Unternehmens zum Mitarbeiter eines Jobcenters gesagt haben: Diejenigen, die wir entlassen haben, wollen wir nicht wiederhaben, weil sie versucht haben, einen Betriebsrat zu gründen. - Das ist die Realität. Der eigentliche Grund, warum Sie von der CDU beim Thema

(Ulrich Schippels)

Mindestlohn umgeschwenkt sind, liegt darin, dass auch Sie endlich anfangen, die Realität in unserem Land wahrzunehmen. Sie wollen mittlerweile auch mitagieren und nicht immer nur zugucken. Sie wissen, dass wir Mindestlöhne auch deshalb brauchen, um im europäischen Umfeld wettbewerbsfähig zu bleiben. Wir brauchen Mindestlöhne in unserem Land, um Wettbewerb gestalten zu können. Ich finde es erbärmlich, wenn Sie sich hier hinstellen und so tun, als ob wir Familienbetriebe in unserem Land angreifen würden. Das stimmt nicht.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Für einen weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich dem Abgeordneten Olaf Schulze das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Lieber Kollege Magnussen, auch wenn Sie im Moment möglicherweise etwas Besseres zu tun haben und sich vielleicht informieren, wo es welche Löhne gibt - das kann ich nachvollziehen -: Auch Sie haben mich zu diesem Dreiminutenbeitrag herausgefordert, weil Sie gesagt haben, wir sollten uns mit den Handwerkern, mit jenen Unternehmen auseinandersetzen, die gute Löhne zahlen, die Tariflöhne zahlen und auch über Tarif bezahlen. Ich gebe Ihnen recht. Es ist gut, dass die meisten Unternehmen in diesem Land Tariflohn beziehungsweise über Tarif bezahlen. Allerdings frage ich mich dann, warum die CDU nicht schon in der letzten Legislaturperiode beim Tariftreuegesetz gemeinsam mit uns und dem Handwerk für Tariftreue und für gute Löhne gekämpft hat. Damals hat sie es blockiert und sagt jetzt: Tariftreue ist gut.

(Zurufe von der CDU)

Das ist in Ordnung. Allerdings: Wenn Sie sagen, wir sollten uns dafür einsetzen, dass der gleiche Lohn in Ost und West gezahlt wird - das haben Sie ja gerade gesagt,

(Zurufe von der CDU: Genau!)

das bestätigen Sie auch -: Warum schreiben Sie dann in Ihren Antrag, dass die Lohnuntergrenzen, nach Branchen und Regionen differenziert, von einer Kommission ermittelt werden sollen? Warum machen wir das denn nicht auch einheitlich?

(Beifall bei der SPD)

Warum wollen Sie hierbei differenzieren? Genau das, von dem Sie eben gesagt haben, dass es nicht passieren soll, fordern Sie in diesem Antrag. Eigentlich müssten Sie doch unserem Antrag zustimmen. Ich meine, das geht gar nicht anders.

(Beifall bei der SPD)

Herr Thoroe, ich finde es ja gut, dass Sie die Erfinder des Mindestlohns sein wollen. Aber ich muss Ihnen leider sagen: Wenn Sie sich damit ein bisschen auseinandergesetzt hätten, müssten Sie eigentlich die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen und die Tarifpartner und Gewerkschaften loben, die schon in den 90er-Jahren Mindestlohntarifverträge abgeschlossen haben. Am Bau haben wir sie nämlich schon so lange.

(Zurufe von der LINKEN)

Da gab es Mindestlöhne.

(Ulrich Schippels [DIE LINKE]: Nicht den tariflichen Mindestlohn!)

- Er hat von Mindestlöhnen geredet, und wenn man von Mindestlöhnen redet, muss man auch die Mindestlöhne einbeziehen, die allgemeinverbindlich gelten. Dann kann man sich nicht hier hinstellen und sagen, dass man der Erfinder der Mindestlöhne ist. Das muss schon ein bisschen korrekter sein.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von der LIN- KEN)

Nur so viel zu diesem Thema.

Ich freue mich, wie gesagt, wenn die CDU sagt: Wir wollen gemeinsame Löhne für Ost und West, wir wollen gemeinsam mit den Arbeitgebern und Gewerkschaften dafür kämpfen. Da haben Sie uns an Ihrer Seite. Ich hoffe, wir haben Sie auch an unserer Seite.

(Beifall bei SPD und SSW)