Protokoll der Sitzung vom 16.10.2015

Ebenfalls sollte überlegt werden, ob bestehende Angebote besser auf die Bedürfnisse der pflegenden Angehörigen zugeschnitten werden können. Was wir brauchen, ist mehr praktische Hilfe zur Selbsthilfe, um dem größten Wunsch der großen Mehrheit in der Angehörigenpflege zu entsprechen: einen Heimaufenthalt so lange wie möglich zu verhindern oder zu verzögern.

(Beifall vereinzelt CDU und PIRATEN)

Pflege darf nicht die Pflegenden selbst krankmachen. Pflege braucht ein gutes Netzwerk, das auch gern in Anspruch genommen wird. - Herzlichen Dank.

(Beifall CDU und Anita Klahn [FDP] - Hans-Jörn Arp [CDU]: Schöne, gute Rede! - Dr. Heiner Garg [FDP]: Du hast die doch gar nicht gehört!)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Jetzt hat Frau Abgeordnete Birte Pauls für die Fraktion der SPD das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die pflegenden Angehörigen sind der größte Pflegedienst in Deutschland. Ihnen gebührt nicht nur großer Dank, Respekt und Anerkennung für das, was sie meist im Verborgenen tun und tagtäglich leisten, sondern eben auch die bestmögliche Unterstützung und auch die bestmögliche Information.

(Beifall Bernd Heinemann [SPD])

Deshalb ist die Initiative der CDU sehr gut, für unseren Geschmack aber viel zu kurz gesprungen; denn pflegende Angehörige brauchen Fakten, tatkräftige Unterstützung und Beratung und keine Vermehrung von Flyern.

Die meisten Menschen wünschen sich, zu Hause alt zu werden. Das geht oft nur, weil Angehörige sich bereit erklären, genau diese Betreuung zu übernehmen: Versorgung, Organisation, Begleitung und später eben auch die Pflege. Selbstverständlichkeit? - Nein, es ist keine Selbstverständlichkeit. Trotzdem wird es irgendwie erwartet. Wie selbstverständlich wird die Pflege meist von den Frauen, Töchtern und Schwiegertöchtern, übernommen. Wie in den Pflegeberufen auch, ist der pflegende

(Katja Rathje-Hoffmann)

Angehörige eigentlich durchweg weiblich, laut Statistik jedenfalls, obwohl es natürlich auch einzelne Männer gibt, und das will ich hier auch nicht unterschlagen.

Oft genug sind Pflegende in sogenannter Sandwichfunktion, auf der einen Seite die Pflege der älteren Familienmitglieder, auf der anderen Seite noch Kinder. Wenn dann noch ein Beruf dazukommt, ist die Belastung natürlich immens. Diese Frauen sind Managerinnen erster Güte, aber auch Managerinnen brauchen ein gewisses Know-how und holen sich professionelle Unterstützung, wenn es notwendig ist.

(Beifall SPD und Flemming Meyer [SSW])

Der Pflegebedarf ist ein langsamer, sich in Zeit und Intensität steigernder Prozess oder aber plötzlich durch eine Akutsituation entstehend - zum Beispiel Apoplex, Oberschenkelhalsfraktur; wir kennen die Beispiele. Aus reiner Unkenntnis, aber bei maximaler Pflegebereitschaft, kommt es nach einer gewissen Zeit der familiären Pflegetätigkeit sehr oft zu psychischen und physischen Belastungen. Fehlende Abgrenzung, Sorge, etwas verkehrt zu machen, krankheitsbedingte Wesensveränderungen des Pflegebedürftigen, fehlende Privatsphäre, ständige Bereitschaft und Angebundenheit, gestörte Nachtruhe und die Vernachlässigung der eigenen Bedürfnisse können zur Überforderung bis hin zum Burnout-Syndrom führen, Aggressivität an dieser Stelle nicht ausgeschlossen. Falsches Heben und Drehen bei Lageveränderungen können langfristig zu körperlichen Beschwerden führen. Keinem ist mit einem Ausfall der Pflegeperson geholfen.

Deshalb ist es wichtig, dass die Pflegepersonen die passenden Pflegekompetenzen erlernen, dass sie dauerhaft ausreichend Unterstützung erfahren, zum Beispiel durch einen sogenannten Pflegemix, und über Entlastungsmöglichkeiten und finanzielle Ansprüche gut informiert sind.

Eine zentrale Rolle kommt dabei der professionellen Pflege zu. Ambulante Pflegedienste, Krankenhäuser, Krankenkassen und Wohlfahrtsverbände bieten individuelle oder Gruppenschulungen und Informationen an, die Pflegeprofis geben ihr Wissen weiter. Es gibt landesweit Selbsthilfegruppen für den Austausch mit anderen pflegenden Angehörigen. Es gibt Internetforen. In Arztpraxen, Apotheken, Begegnungsstätten liegen Informationen aus.

Aber auch der schönste Flyer kann eine persönliche Beratung nicht ersetzen. Deshalb sind uns die trägerunabhängigen Pflegestützpunkte so wichtig. Sie agieren als Kompass für Angehörige und Pflegebe

dürftige und beraten individuell und sehr kompetent. Zwei Kreise fehlen uns noch auf der Landkarte: Steinburg und Schleswig-Flensburg, bedauerlicherweise, mein eigener Kreis.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Ja, also da würde ich mir mal Gedanken machen! - Wolfgang Baasch [SPD]: Die üblichen Verdächtigen!)

- Genau, Herr Garg. Leider hat da die CDU die Mehrheit. Deswegen fordere ich die Kolleginnen und Kollegen gern noch einmal auf, dort die Initiative für eine gute Beratung zu ergreifen und das umzusetzen.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN - Johannes Callsen [CDU]: Das ist doch euer Landrat!)

Die Menschen werden immer älter. Damit steigt das Risiko, an Demenz zu erkranken. Demenz ist ein schleichender Prozess, der mit einer Wesensveränderung einhergeht und deshalb für Angehörige oft sehr belastend ist. Wenn die Mutter ihre Tochter, wenn der Ehemann die Ehefrau nicht mehr erkennt, dann tut das schon sehr weh, und man muss sehr gut über die Eigenschaften der Erkrankung aufgeklärt sein, um das neue Verhalten nicht persönlich zu nehmen. Deshalb ist in diesem Bereich eine fachliche Aufklärung der Angehörigen auch im frühen Stadium der Erkrankung von großer Bedeutung.

Ein großes Lob möchte ich an dieser Stelle dem Kompetenzzentrum Demenz für genau diese Informationsarbeit aussprechen und nachträglich herzlich zum fünften Geburtstag gratulieren. Wir werden diese wichtige Arbeit weiterhin unterstützen und fördern. Für unseren Demenzplan Schleswig-Holstein ist das Demenzzentrum ein wichtiger Baustein.

Wir haben das Pflegeportal als Internetseite, das PflegeNotTelefon und auch die KIWA, aber es geht natürlich noch mehr. Ich werbe sehr dafür, dass wir die niedrigschwelligen Beratungs- und Hilfsangebote ausbauen, denn nachweislich verzögern diese niedrigschwelligen Angebote Pflegebedürftigkeit.

Der Pflegestützpunkt in Flensburg hat gerade im Rahmen eines INTERREG-Projekts in Zusammenarbeit mit der Universität Århus genau das beschrieben und erarbeitet. In Dänemark ist es so, dass man ab dem 75. Lebensjahr das Angebot einer kostenlosen Beratung in der eigenen Häuslichkeit erhält, um Hilfe-, Pflege- oder Wohnraumanpassungsbedarfe zu ermitteln. Bei uns hingegen herrscht da zum Teil noch eine Servicewüste. Das

(Birte Pauls)

möchte ich gern ändern. Ich finde es ungerecht, dass Menschen ihren berechtigten Ansprüchen hinterherlaufen und zum Teil einklagen müssen. Das kann nicht angehen. Das möchten wir gern ändern.

(Beifall SPD)

Dafür bietet das Pflegestärkungsgesetz die besten Grundlagen. Das wollen wir zum Wohle der Pflegenden und Pflegebedürftigen gemeinsam mit Ihnen gern mit Leben füllen. - Ich bedanke mich herzlich.

(Beifall SPD)

Für die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich der Kollegin Dr. Marret Bohn das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt viele Herausforderungen in diesen Tagen; Pflege gehört dauerhaft dazu. 2011 hatten wir 80.000 Pflegebedürftige in SchleswigHolstein, 2013 waren es schon 90.000, innerhalb von wenigen Jahren werden wir 120.000 Pflegebedürftige haben. Ich wiederhole: 80.000 Pflegebedürftige vor wenigen Jahren, 120.000 kommen in wenigen Jahren auf uns zu.

(Serpil Midyatli [SPD]: Wie können wir das schaffen?)

- Genau das ist die Frage: Wie können wir das schaffen?

Bundesweit werden 30 % der Pflegebedürftigen in Einrichtungen gepflegt, in Schleswig-Holstein sind es 40 %. Insgesamt - das hat die Kollegin Pauls gerade ausgeführt - werden zwei Drittel aller Pflegebedürftigen von ihren Angehörigen gepflegt. Mit diesem Engagement müssen wir alle wertschätzend und sorgfältig umgehen.

Ich frage mich immer wieder: Wer kümmert sich um diejenigen, die die Pflege zu Hause organisieren? Sie können Unterstützung bekommen, sie können Beratung bekommen, aber viele kennen ihre Rechte und die Unterstützungsmöglichkeiten nicht gut oder nicht gut genug.

Genau wie die Kollegin Pauls bin ich eine große Anhängerin von Pflegestützpunkten. Sie wissen, dass im Haushalt immer Geld zur Verfügung gestellt wird für eine Unterstützung vonseiten des Landes. Wir haben vor einigen Jahren zusammen mit der Grünen-Fraktion und der SPD-Fraktion im

Kreistag Rendsburg-Eckernförde - interessanterweise ist die CDU mit dabei gewesen, was ich besonders fand - einen Pflegestützpunkt ins Leben gerufen.

(Hans-Jörn Arp [CDU]: Warum soll sie nicht dabei sein, wenn es vernünftig ist?)

- Ich fand das sehr positiv von den Kolleginnen und Kollegen, lieber Kollege Arp; bei dem Thema waren wir uns einig. - Es gab ein paar Anlaufschwierigkeiten, aber im Laufe der Zeit ist er gut angenommen worden. Rendsburg-Eckernförde hat gezeigt, dass der Bedarf für eine bessere Information, eine bessere Beratung sehr wohl da ist. Ich würde mich sehr freuen, wenn sich auch die Kolleginnen und Kollegen in Schleswig-Flensburg und Steinburg auf den Weg machen würden.

(Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, laut einer im Januar 2011 veröffentlichten Studie der Siemens-Betriebskrankenkasse sind pflegende Angehörige um 19 % kranker als der Durchschnitt der Bevölkerung. Ich finde das nicht erstaunlich bei der dauerhaften körperlichen und seelischen Belastung, die die pflegenden Angehörigen leisten. Sie sind anfälliger für Infekte, für Depressionen, für Burnout. Das alles sind Zeichen dafür, dass sie in einer besonderen Situation extrem gefordert werden und häufig wahrscheinlich überlastet sind durch das, was sie sich vorgenommen haben.

Ich finde es richtig, dass die Kollegin Rathje-Hoffmann darauf aufmerksam macht, dass es Verbesserungsbedarf gibt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die vorliegenden Anträge beschreiben, was alles noch erforderlich ist. Ich denke aber, dass wir mit unserem Antrag etwas konkreter sind bei einem anderen Thema, das ist die Demenz. Wir müssen darauf hinwirken, dass sich unsere Gesellschaft darauf einstellt, dass wir älter, tüdeliger und vergesslicher werden. Deswegen würde ich mich sehr freuen, wenn Sie unserem Antrag zustimmen. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Dr. Heiner Garg das Wort.

(Birte Pauls)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin Bohn, ich werde bestimmt nicht zustimmen, dass Sie älter und tüdeliger werden, aber ich habe verstanden, was Sie uns sagen wollten.

Wie könnte man diese beiden charmanten Anträge ablehnen? Ich finde beide Anträge charmant, sowohl den Antrag, den die Kolleginnen Pauls und Bohn formuliert haben, als auch den, den die Kollegin Rathje-Hoffmann formuliert hat. Frau Kollegin Rathje-Hoffmann, bei Ihrem Antrag habe auch ich mich gefragt, ob eine weitere Broschüre oder ein weiterer Flyer das eigentliche Problem sind und ob in dem Fall der Adressat wirklich richtig ist. Ist an der Stelle die Landesregierung der richtige Adressat? So gern man das als Opposition tut, das machen auch wir.

In der letzten Legislaturperiode wurde etwas sehr Kluges beschlossen, nämlich die Verpflichtung der gesetzlichen Krankenkassen, eine entsprechende Beratung innerhalb von zwei Wochen anzubieten. Sollte das - ich höre das immer wieder - nicht der Fall sein, sollte das nicht immer passieren, müssen wir dem nachgehen. Adressat Ihres Appells, Ihrer Forderung sollte zuallererst der Kostenträger sein, der darüber aufklären muss, was den Versicherten an Leistungen zusteht, und nicht aus falsch verstandener Sparsamkeit mit der Aufklärung sparsam umgehen darf.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man den DRK-Pflegereport richtig liest, ist nicht das große Problem die Unbekanntheit von Tagespflege - die Einrichtungen kennen nämlich rund 95 % - oder von niedrigschwelligen Pflegeangeboten, die ebenfalls zu 95 % bekannt sind. Die Kollegin Pauls hat zum Teil sehr plastisch dargestellt, wie der ambulante Pflegealltag in Deutschland nach wie vor aussieht. Das ist im Übrigen ein Konstruktionsfehler der ersten Geburtsstunde der Pflegeversicherung. Frau Rathje-Hoffmann, das wissen Sie, ich habe das hier schon gelegentlich ausgeführt. Man hat sich nämlich nie am tatsächlichen Pflegebedarf orientiert, sondern immer daran, wie viel Budget zur Verfügung steht und wie wir es verteilen. Wir verlassen uns darauf, dass zwei Drittel der Bevölkerung bis in alle Ewigkeit von ihren Verwandten, das heißt zu über 90 % von Frauen, Töchtern, Müttern, Ehefrauen oder Schwiegermüttern, gepflegt werden.

Lassen wir einmal die Flüchtlingsströme und das, was sich daraus in zehn oder 15 Jahren möglicher