Protokoll der Sitzung vom 19.11.2015

Aber wenn die Franzosen uns morgen bitten würden, dass unsere Tornado-Aufklärungsjäger versuchen sollten, in das irakische oder syrische Gebiet hinein Aufklärung zu betreiben, wären wir in der Lage, das zu tun und würden das wahrscheinlich auch tun und auch tun müssen.

(Angelika Beer [PIRATEN]: Mit Bundes- tagsmandat!)

Zur zweiten Frage der Mandatierung: Selbstverständlich sind wir der Auffassung, Deutschland könnte sich nur im Rahmen eines UN-Mandates an kriegerischen Aktivitäten beteiligen, weil der Rest Beteiligung an einem Angriffskrieg wäre, was von Verfassungs und von Rechts wegen - also auch strafrechtlich - verboten wäre.

Aber ich bin mittlerweile völlig relaxt bei der Frage, ob in der nächsten Woche bereits ein entsprechendes Mandat erteilt wird, nachdem Russland und Frankreich nahezu gleichlautende entsprechende Resolutionen im Weltsicherheitsrat eingebracht haben und ich momentan nicht sehe, dass die Chi

nesen - das wären die Einzigen, die das verhindern könnten

(Zuruf Hans-Jörn Arp [CDU])

in dieser Frage mit Nein stimmen würden.

Die Frage stellt sich für uns momentan erst dann, wenn sie an uns gerichtet wird. Aber gleich zu erklären, dass, egal wer uns fragt, wir sofort Nein sagen, würde dazu führen, dass Sie den EU-Vertrag schlicht und einfach ignorieren können.

(Angelika Beer [PIRATEN]: Sie haben Ja gesagt, bevor Sie gefragt worden sind!)

- Ach, Frau Beer!

Jetzt hat der Abgeordnete Dr. Stegner die Bitte zu einem Statement geäußert. - Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Kollege Kubicki, eigentlich tue ich mich schwer mit der Nachfrage, weil wir gestern vereinbart hatten, die Debatten nicht zu verbinden und ich es eigentlich auch nicht schlau finde, sie zu verbinden.

(Zuruf SPD: Genau!)

Ich respektiere, dass Sie Ihre Auffassung dazu verändert haben. Ich will ausdrücklich sagen, dass ich mitnichten zu denen gehöre, die sagen, man könnte den IS wüten lassen, ohne etwas dagegen zu unternehmen. Aus meiner Sicht wäre das komplett unverantwortlich.

Trotzdem möchte ich Ihre Zuspitzung - nur deswegen habe ich mich hier gemeldet - zu sagen, das sei europafeindlich, wenn man nicht automatisch Ja dazu sagt, sehr in Frage stellen; denn die Frage, wie man das am effektivsten unterbindet, ist eine, über die man sehr wohl sehr unterschiedlicher Meinung sein kann. Dass es unterbunden werden muss, ist fraglos so.

Ich empfand es als einen großen Fortschritt, dass bei der Syrien-Konferenz, die nicht zuletzt durch Frank-Walter Steinmeier mit angeschoben worden ist, unversöhnliche Gegner wie Saudi-Arabien und Iran, aber auch Russland und Amerika erklärt haben, dass sie über einen Waffenstillstand in Syrien und über das Unterbinden von Stellvertreterkriegen, die dort geführt werden, eine gemeinschaftliche Front gegen den IS aufbauen wollen. Zweitens reden wir darüber, dass dem IS

die finanziellen Ressourcen entzogen werden, die allein ihn in die Lage versetzen, sein Netzwerk zu finanzieren.

Es gibt schon eine ganze Menge Möglichkeiten jenseits des Die-Andere-Wange-Hinhaltens, was hier, glaube ich, niemand vertritt. Denn mit Ihrer Beschreibung des IS haben Sie durchaus recht, aber Ihre Antwort finde ich ein bisschen übertrieben, aus einer veränderten eigenen Position zu sagen, das sei nun geradezu europafeindlich. Ich würde mir doch ein bisschen mehr Differenzierung wünschen. Denn das Ringen um den richtigen Weg, Herr Kollege Kubicki, muss man schon in aller Ernsthaftigkeit unternehmen. Ich glaube schon, dass das Militärische immer die letzte Option ist.

Ich habe mir den Artikel 42 Absatz 7 EUVertrag noch einmal angeschaut. Wenn Sie den Text genau lesen - ich will ihn hier nicht vorlesen -

Doch, machen Sie das bitte einmal!

Ich kann ihn gern vorlesen, denn dort steht Folgendes:

„Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Dies lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt.“

Dann folgt noch ein weiterer Satz. Dies zeigt schon, dass ich recht habe mit dem Hinweis, dass es sich um eine differenzierte Fragestellung handelt, über die man entscheiden muss. Ich wäre mit der Totalität des Arguments ein bisschen vorsichtig, das Sie angebracht haben. Um nicht mehr geht es mir.

- Sehr verehrter Kollege Dr. Stegner, vielen Dank für diesen Hinweis. Nach wie vor verpflichtet Artikel 42 EU-Vertrag, wenn durch die Europäische Union festgestellt worden ist - das ist übrigens gerade mit Zustimmung des bundesdeutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier passiert -, dass der entsprechende „Bündnisfall“ Europas eingetreten ist, den Anforderungen des anersuchenden Staates im Rahmen der eigenen Möglichkeiten nachzu

(Wolfgang Kubicki)

kommen. Das heißt nicht mehr, dass der Bündnisfall nicht gegeben ist, sondern nur noch, dass wir noch entscheiden können, wie wir dem im Rahmen der eigenen Möglichkeiten nachkommen. Wenn Sie das nicht tun und wenn die Franzosen sagen, die Deutschen haben Aufklärungskapazitäten, die wir nicht haben und die wir anfordern, und die Deutschen Nein sagen, kann ich Ihnen garantieren: Dann zerbricht Europa. Denn dann macht der Vertrag selbst keinen Sinn mehr. Nicht mehr und nicht weniger wollte ich sagen.

Die Idee, dass wir eine Syrien-Konferenz haben, finde ich ganz toll, dass nämlich die Nachbarstaaten an einen Tisch kommen, die das vorher nicht taten. Aber zu glauben, dass ihre Ergebnisse ohne militärische Gewalt durchzusetzen wären, ist ein bisschen naiv. Ich glaube nicht, das der IS sich damit zufrieden geben wird in der staatlichen Struktur, was er bisher schon nicht macht.

Wenn Sie das also durchsetzen wollen, geht das auch nur mit militärischer Macht oder es geht gar nicht. Nicht mehr und nicht weniger wollte ich sagen. Das löst nicht jedes Problem, aber die Nichtreaktion darauf verschärft die Problemlage. Davor will ich nur warnen.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Nachfrage des Abgeordneten Dr. Stegner?

Bitte schön.

Ich habe auch nicht gesagt, dass das ohne militärische Möglichkeiten geht, aber ich will Ihnen ein Beispiel aus dieser Syrienkonferenz nennen. Da heißt es ja, dass möglicherweise die Russen mit einem Teil der Assad-Truppen, die bisher etwas anderes tun, und die Amerikaner mit dem Teil oppositionsmilitärischer Kräfte, die in Syrien operieren, dass sie dort nicht Bürgerkrieg treiben und weiterhin Fassbomben fliegen und Anderes, sondern dass beide Kräfte - geleitet durch die Amerikaner auf der einen und die Russen auf der anderen Seite - sich darauf konzentrieren, den IS zu bekämpfen. Das könnte zum Beispiel als Er

gebnis einer solchen Syrienkonferenz herauskommen.

Jetzt überschreiten wir weit das, was man im Landtag bereden kann, aber ich will es trotzdem sagen, weil mir die Eindimensionalität ein bisschen viel war,

(Zuruf Christopher Vogt [FDP])

zu sagen, da kommt jetzt sozusagen eine militärische Automatik in die Logik hinein. Dagegen wollte ich mich ein bisschen stellen, weil ich wirklich glaube: Wir Deutschen sollten uns sehr genau überlegen, was wir tun. Dass da Widerstand geleistet werden muss, ist keine Frage, aber ich habe Ihnen ein Beispiel dafür genannt, wie eine militärische Komponente vielleicht auch aussehen könnte, die dann möglicherweise so realisiert werden kann.

Ja, Herr Kollege Dr. Stegner, aber auch Ihre Schilderung, die Sie abgegeben haben, beinhaltet den Begriff „kämpfen“. Das heißt: Es muss irgendwann irgendjemand - an welcher Seite auch immer kämpfen, um diesem IS-Spuk ein Ende zu bereiten.

Ich wäre froh, wenn das die Amerikaner und Russen gemeinsam erledigen würden. Aber so zu tun, als würden wir auf Anfrage sofort sagen können: „Nein, macht ihr das mal“, halte ich mittlerweile im Rahmen der europa- und weltpolitischen Lage für nicht mehr hinnehmbar.

Herr Kollege Dr. Stegner, wir sind doch bereits involviert. Mit Ihrer - nicht persönlich - und der Unterstützung der Union liefern wir deutsche Waffen in dieses Kriegsgebiet an die Peschmerga, übrigens sogar ganz ordentliche. Wir haben dort deutsche Soldaten.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Ich habe mich da- gegen ausgesprochen!)

- Ja, das ist ja in Ordnung, aber Sie können trotzdem doch nicht sagen: Ich war es nicht. - Sie greifen mich jetzt an, und Ihre Partei und Ihre Regierung beschließen die Lieferung von deutschen Waffen an die Peschmerga und die Kampfausbildung der Peschmerga, was nichts anderes ist als eine Beteiligung Deutschlands an diesem Konflikt. Das ist zwar nicht unmittelbar mit Truppen der Fall, aber es ist eine Beteiligung Deutschlands an diesem Konflikt. Machen wir uns doch da nichts vor.

(Wolfgang Kubicki)

Noch einmal: Ich bin der Letzte, der sagt, wir brauchten unbedingt Krieg. Ich sage nur: Der IS braucht eine entsprechende Antwort. Wenn wir so tun, als müssten wir unser Land nur weiter öffnen und dann würde nichts passieren, locken wir geradezu diejenigen an, die die westliche Staatengemeinschaft auseinanderdividieren wollen, weitere Aktivitäten zu unternehmen, anstatt dem entgegenzuwirken. Das ist eine der Maßnahmen.

Ich finde, wenn unsere französischen Freunde - übrigens unter einer sozialistischen Regierung, Herr Kollege Dr. Stegner, und nicht unter einer konservativen beziehungsweise rechten Regierung - sagen: „Wir nehmen die Kriegserklärung des IS jetzt an und reagieren entsprechend“, wären wir die Letzten, die berufen wären, die Franzosen dafür zu schelten.

(Beifall FDP, CDU, SSW und vereinzelt SPD)

Und auch das sage ich: Da haben Sie recht, Herr Kollege Dr. Stegner. Da haben Sie völlig recht. Mit alldem, was Sie sagen, haben Sie völlig recht. Wenn es der Staatengemeinschaft insgesamt gelingt, den Raum zu befrieden, das heißt, in dem Raum die Perspektive eines Lebens zu ermöglichen, wird die Anzahl der Flüchtlinge abnehmen. Wenn die Menschen das Gefühl haben, sie könnten in Sicherheit dort mit einer eigenen Perspektive leben, werden sie in ihrem Heimatland bleiben und nicht gezwungen sein zu fliehen. Auch das muss doch ein Ziel unserer Aktivitäten sein. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit, herzlichen Dank!

(Beifall FDP, CDU und Flemming Meyer [SSW])

Für die Abgeordneten des SSW hat jetzt Herr Abgeordneter Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde jetzt wieder zur Flüchtlingspolitik zurückkommen.

(Beifall Birgit Herdejürgen [SPD] - Zuruf BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Danke!)

Der Ton in der Flüchtlingspolitik wird härter, vor allem vonseiten Berlins. Aber auch in unseren Nachbarländern ändern sich die Positionen und Vorgehensweisen. Der Ruf wird laut, die Aufnahmepolitik zu verschärfen. Dazu muss man aber