Protokoll der Sitzung vom 19.11.2015

Es ist vielleicht vieles noch nicht perfekt, aber auch diese Aufgabe werden Minister Studt und sein Team meistern. Ich danke ihnen sehr dafür. Ich finde, sie leisten in diesen Tagen wirklich Großartiges.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Meine Damen und Herren, Sie sehen, das Land packt an. Die Politik in diesem Land geht pragmatisch an Lösungen heran. Dafür bin ich Ihnen hier im Haus und all den vielen außerhalb dankbar.

Liebe Frau Beer, ein letzter Satz: Ich teile nicht die Position, dass militärische Lösungen richtig sind. Sich hier an dieser Stelle hinzustellen und sich selbst moralisch groß darzustellen, finde ich sehr schwierig. Ich denke, Sie sollten darüber nachdenken, dass Sie früher einmal sehr deutlich andere Positionen vertreten haben. Insofern bin ich ein bisschen erschüttert über das, was Sie hier am Rednerpult loslassen. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Kubicki das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich mich bei den regierungstra

(Eka von Kalben)

genden Fraktionen dafür bedanken, dass ein wesentlicher Teil unserer Anträge von Ihnen mitgetragen worden ist, wenn auch manches mit einer gewissen Differenzierung. Das zeigt mir, dass wir in diesem Haus in Grundfragen mit Ausnahme einiger Ausdifferenzierungen nach wie vor einen tragfähigen Konsens haben. Das ist schon einmal ein Wert an sich; denn das ist nicht in allen Parlamenten so.

Ich bedaure allerdings, dass unser Antrag Keine rechtsfreien Räume schaffen, keine Zustimmung gefunden hat. Ich bedaure dies umso mehr, Frau Midyatli, weil ich finde, dass wir uns auf einer gefährlichen Ebene bewegen, wenn wir heute den „Lübecker Nachrichten“ entnehmen dürfen, dass sich Polizeibeamte darüber beschweren, dass sie mit ihrem Gewissen in Konflikt geraten, weil sie bestimmte Situationen, die sie erleben, nicht mehr entsprechend darstellen können. Die Überschrift lautet „Ist die Statistik geschönt?“ Ebenso wie mich erreichen wohl auch andere von uns Mails von Polizeibeamten unter voller Namensnennung und Mail-Adresse, die von gleichen Problemen berichten und mich dann fragen, wie sie damit umgehen können, ohne eine Dienstrechtsverletzung zu begehen. Wenn meine Antwort dann lautet: „Nehmen Sie einen Anwalt“, dann ist das keine Situation, von der wir sagen können, dass diese auf Dauer tragfähig ist, weil das die innere Struktur der Polizei bei uns anfressen würde, worauf wir reagieren müssen.

(Beifall FDP)

Denn die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, die wir in Schleswig-Holstein haben, leisten ebenso wie andere fast über ihre persönlichen Möglichkeiten hinaus einen Dienst, weshalb Sie, Herr Innenminister, und wir vielleicht darüber nachdenken sollten, die Überstunden, die zurzeit angehäuft werden, auch mit einem Bonus zu belegen, wie dies auf Bundesebene für die Bundespolizei bereits vorgeschlagen worden ist. Ein Engagement von 40 und mehr zusätzlichen Dienstzeiten ist schon etwas, was wir nicht nur mit warmen Worten bedenken sollten, sondern auch mit einer entsprechenden Dotierung.

(Beifall FDP, CDU und Sven Krumbeck [PI- RATEN])

Bevor ich zu den Äußerungen der sehr geschätzten Kollegin Beer komme, möchte ich mich mit dem Antrag beschäftigen, der von der Union eingereicht worden ist, der sich mit der Frage beschäftigt, wie das ehrenamtliche Engagement der Flüchtlingshilfe gestärkt werden kann. Wir haben bereits die Koordinierungsstellen geschaffen. Frau Midyat

li hat darauf hingewiesen. In der Nachschiebeliste für 2016 sind entsprechende finanzielle Dotierungen ausgewiesen.

Ich möchte für meine Fraktion sagen, dass wir dem Änderungsantrag der regierungstragenden Fraktionen sofort zustimmen können, während wir bei dem Antrag der Union einige Probleme haben, weil selbstverständlich zum Beispiel eine Ausweitung des Freiwilligen Sozialen Jahres in diesem Zusammenhang schon deshalb kontraproduktiv ist, weil die Finanzierungslast das Land SchleswigHolstein tragen müsste und nicht der Bund. Wenn wir der Auffassung sind, dass alles das, was mit dem Flüchtlingszustrom zu tun hat, eine nationale Aufgabe ist, dann sollten wir uns darauf beschränken, den Bund in dieser Frage in die Pflicht zu nehmen. Insofern ist der Antrag der regierungstragenden Fraktionen der richtige.

(Beifall FDP)

Was die Stärkung des Ehrenamtes angeht, müssen wir uns bei allen Menschen bedanken, die nun verstärkt in die Bresche springen, die mit ihrer Freizeit und an Wochenenden wirklich Unglaubliches leisten bis hin an ihre physische Leistungsgrenze. Eine Stärkung des Ehrenamtes entbindet den Staat aber nicht von der Verantwortung für seine Aufgaben. Die Aufnahme und Versorgung der Asylbewerber und Flüchtlinge nehmen die Länder als sogenannte eigene Aufgabe wahr. Das ist gesetzlich ausdrücklich so geregelt. Wir sollten uns nicht daran gewöhnen, dass das Ehrenamt dauerhaft die Lücke füllen kann, die der Staat momentan aufreißt. Das ist, wie gesagt, gesetzlich so nicht vorgesehen.

Richtig ist zwar, dass das Land und das Ehrenamt zur Bewältigung der Herausforderungen zusammenwirken müssen. Dazu zählen grundsätzlich auch die Bereitstellung finanzieller Ressourcen sowie Hilfen bei der Organisation und Koordinierung der Arbeit. Aber dem Grunde nach ist es zunächst einmal fraglich, warum das Hauptamt das Ehrenamt koordinieren muss. Das ist eine ganz spannende Frage, zumal ich viele kenne, die sagen: „Gott bewahre uns davor, dass wir jetzt koordiniert werden. Das funktioniert auch nicht. Dass es jetzt funktioniert, hat momentan auch damit zu tun, dass wir nicht vonseiten des Hauptamtes dauernd daran gehindert werden, unser Ehrenamt zu erfüllen.“ Das Land darf sich im Kontext - da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu - bei der Ausführung der hoheitlichen Aufgaben nicht auf die Zivilgesellschaft verlassen.

(Wolfgang Kubicki)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die vielen Hoffnungen und Erwartungen der Flüchtlinge an unser Land dürfen nicht enttäuscht werden. Damit das nicht geschieht, reicht es nicht aus, zu erklären, sie dürften sich auch im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes engagieren. Wir müssen auch den Arbeitsmarkt insgesamt aufnahmefähiger machen.

Bei aller Liebe zu Vitamin B, Frau Midyatli, dieses allein wird nicht ausreichen. Das ist jetzt aber kein Angriff, ich sage ausdrücklich: Das ist wichtig, es wird allein aber nicht ausreichen, weil selbstverständlich immer wieder das persönliche Kennen von Personen und Persönlichkeiten dazu beitragen kann, schneller eine Vermittlung vorzunehmen, als wenn man eine solche Person nicht kennt. Aber es wird wichtiger sein, dass wir den Arbeitsmarkt flexibilisieren, denn ansonsten wird die Integration in den Arbeitsmarkt nicht gelingen.

Dazu gehören nach unserer Auffassung mindestlohnbefreite Praktika für Flüchtlinge für eine Dauer von zwölf Monaten und nicht nur von sechs Monaten, weil in aller Regel auch heute noch das Sprachproblem ganz entscheidend ist. Zudem sollten Flüchtlinge während ihrer gesamten Ausbildung und zwei Jahre nach dem erfolgreichen Abschluss von Abschiebung befreit werden. Das heißt, wir müssen eine Sicherheit schaffen nicht nur für diejenigen, die bei uns sind, sondern auch für die Unternehmen, die in diesem Fall die Ausbildungsleistungen erbringen.

Die Vorrangprüfung für alle Flüchtlinge muss ersatzlos entfallen, und die Zeitarbeit muss für Flüchtlinge geöffnet werden. Vor allem brauchen wir eine Flexibilisierung im Mindestlohnbereich. Anerkannte Flüchtlinge sollten im Hinblick auf die Mindestlohnregelungen als langzeitarbeitslos gelten, da die meisten von ihnen zuvor über einen längeren Zeitraum keiner bezahlten Arbeit nachgehen konnten oder nachgegangen sind. Zudem sollte die Ausnahme vom Mindestlohn für Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten einer neueren Beschäftigung auf zwölf Monate verlängert werden.

Grundbedingung für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt bleibt dabei die Beschleunigung der Anerkennungsverfahren. Wenn die Flüchtlinge heute in Deutschland ankommen und erfahren, dass sie frühestens im August nächsten Jahres ihren Antrag stellen können, dann ist das nicht nur ein Ausweis von mangelnder Integrationsfähigkeit unseres Landes, sondern -

(Zuruf Serpil Midyatli [SPD])

- Das mache ich sofort. Früher haben Sie uns auch immer gesagt, wir seien schuld an dem, was die Union mache.

(Beifall FDP)

Aber unabhängig davon ist es völlig egal, wer daran schuld ist. Wir müssen das Problem bewältigen, weil die Frustration, acht, neun oder gar zehn Monate nichts tun zu dürfen und zu können, weil man bis dahin keinen Antrag hat stellen können, die schlimmste Erfahrung ist, die Menschen machen können, wenn sie in unserem Land ankommen. Denn das ist nicht der Ausweis dafür, dass wir sie integrieren wollen, sondern das ist der Ausweis dafür, dass wir sie auf die lange Bank schieben.

(Beifall FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben lange und intensiv über verschiedene Facetten geredet. Aber, Frau Kollegin Beer, Ihr Beitrag von heute zieht mir wirklich die Schuhe aus. Wie Sie wissen, bin ich ein Vertreter der Meinungsfreiheit. Jeder darf sagen, was er denkt. Aber dass Sie glauben, Deutschland könnte sich im Rahmen der Europäischen Union einer Bitte des Nachbarlandes Frankreich entziehen, geht völlig fehl. Wir sind die Ersten, die den Franzosen bei ihrer Bemühung, mit dem Terror fertig zu werden, die Hand gereicht haben. Wenn Sie glauben, wir könnten uns dem entziehen, dann ist dieser Gedanke, wie ich finde, europafeindlich.

(Beifall FDP und Hans-Jörn Arp [CDU])

Wie wäre es denn umgekehrt? Wer Solidarität von anderen einfordert, muss Solidarität gewähren.

Ich will Ihnen noch einmal erklären, was den IS von allen anderen unterscheidet. Diese Organisation verfügt bereits über staatliche Strukturen. Dort werden Menschen im Rahmen der Armee vereidigt, wie es bei anderen Armeen auch der Fall ist. Es geht nicht darum, dass sich IS an irgendeine Konversation hält, was Kriegsrecht oder anderes angeht, sondern das sind Menschen, staatliche Einrichtungen, die sich zum Ziel gesetzt haben, andere Länder massiv zu bekämpfen, und zwar im Rahmen eines asymmetrischen Krieges.

Herr Fraktionsvorsitzender, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Beer?

(Wolfgang Kubicki)

Sofort. Ich sehe das auch, Herr Präsident. Ich werde gleich darauf zurückkommen. Ich will nur versuchen, das noch einmal zu erklären.

Ich habe niemals gesagt - ich wäre der Letzte, der das tun würde -, dass man mit Bomben oder Bodentruppen oder durch die Vernichtung des IS den Terror insgesamt bekämpfen könnte. Ich sage nur dieses: Wenn die westliche Staatengemeinschaft darauf nicht reagiert, und zwar mit Waffengewalt, dann ist das eine Einladung an die Terroristen aus Syrien und dem Irak, ihre Angriffe auf die westliche Wertegemeinschaft fortzusetzen.

Ihr Vorschlag, den Sie hier eingebracht haben, erinnert mich daran, dass Sie sagen: Wenn bei uns zu Hause eingebrochen wird, dann sind wir selbst schuld daran, dass eingebrochen worden ist. Wir hätten ja Tür und Fenster auflassen können, dann wäre nicht eingebrochen worden.

Verstehen Sie? Sie müssen also bestimmte Aktivitäten bekämpfen. Ich bin sehr froh darüber, dass ich heute Morgen im Gegensatz zu dem, was der Herr Minister heute gesagt hat, hören konnte, dass auch die SPD-Bundestagsfraktion dieser Auffassung ist und dass auch bei den auswärtigen Sprechern der Grünen mittlerweile die Erkenntnis wächst, dass man dieses Problem mit Worten allein nicht bewältigen kann. Selbstverständlich müssen wir Integrationsleistungen erbringen. Aber die Menschen, die aus Belgien oder aus Frankreich diese Terroraktivitäten veranstaltet haben, haben sich nicht mehr als Belgier oder Franzosen verstanden, sondern als Mitglieder des IS. Das ist der Unterschied.

(Beifall FDP und Lars Harms [SSW])

Jetzt, Frau Abgeordnete Beer, dürfen Sie Ihre Zwischenfrage stellen.

In der Reihenfolge Frau Beer und dann Herr Dr. Stegner.

(Heiterkeit)

Ja.

Lieber Herr Kollege Kubicki, würden Sie mir zustimmen, dass der Artikel 42 Absatz 7 EU-Vertrag

nicht automatisch voraussetzt, sich militärisch solidarisch in Europa zu zeigen, sondern beinhaltet, dass die EU-Mitgliedstaaten aufgerufen oder gebeten werden, gemeinsam und solidarisch zu handeln? Es gibt keine Definition, dass dies nur militärisch sein kann. - Das ist die erste Frage.

Würden Sie mir zweitens zustimmen, dass dieser Artikel verbunden ist mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen, die dann nämlich mandatieren müssten. Das ist eine andere Diskussion. Wenn es ein solches Mandat geben sollte, dann hätten wir eine völlig andere Diskussion über die Frage, über welche Art der deutschen militärischen Beteiligung wir reden müssten. Dies sollten wir dann auch tun.

Frau Kollegin Beer, ich stimme Ihnen in dem ersten Teil Ihrer Frage und Ausführung ausdrücklich nicht zu, weil Artikel 42 Absatz 7 EU-Vertrag - der Bündnisfall in der Europäischen Union - alle Länder verpflichtet, entsprechende Anforderungen des anfragenden Staates mit den Möglichkeiten des eigenen Staates zu befriedigen.

Niemand von uns kommt auf die Idee, dass die Bundeswehr momentan mit Bodentruppen in Syrien einmarschieren sollte. Wir haben weder die Kapazitäten noch die Fazilitäten. Das geht überhaupt nicht.

Aber wenn die Franzosen uns morgen bitten würden, dass unsere Tornado-Aufklärungsjäger versuchen sollten, in das irakische oder syrische Gebiet hinein Aufklärung zu betreiben, wären wir in der Lage, das zu tun und würden das wahrscheinlich auch tun und auch tun müssen.