Protokoll der Sitzung vom 09.03.2016

Denn was nicht passieren darf, ist, dass wir am Ende feststellen, Bürgerwille führt dazu, dass unser Oberziel, die Energiewende möglich zu machen, konterkariert wird. Wenn die Addition tausendfachen Neins dazu führte, dass wir die Energiewende stoppen müssten, dann stellten wir unseren Beitrag zu einem der großen deutschen Gesellschaftsprojekte infrage. Um diese Balance hinzubekommen, werden wir uns miteinander bewegen müssen.

Finden wir einen Weg, dann sage ich für die Landesregierung zu: Wenn er sinnvoll, rechtlich praktikabel und nicht offensichtlich rechtswidrig oder angreifbar ist, dann werden wir ihn umsetzen und ihn uns zu eigen machen.

(Beifall PIRATEN)

Die Frage ist, ob der Vorschlag, den wir jetzt vorliegen haben, mit dem Abwägungsgebot und vor allem mit der bundesgesetzlich festgelegten Privilegierung der Windenergie im Einklang steht und ob wir damit schon eine Antwort haben. Der Wissenschaftliche Dienst - das ist schon erwähnt worden - hat sehr deutlich darauf hingewiesen, dass eine Abweichung von dem im Raumordnungsgesetz festgeschriebenen Abwägungsgebot nicht möglich ist. Er hat dies allerdings ausschließlich auf der Basis von harten Tabukriterien geprüft, während sich der PIRATEN-Entwurf den Bürgerwillen als Abwägungskriterium vorstellt.

(Flemming Meyer)

Wir sind unsicher, ob uns das schon hilft. Auch was die kompetenzrechtliche Einordnung angeht, sind wir uns unsicher. Wir haben zwar das Gutachten von Professor Pautsch, der die Frage beantwortet, ob wir als Landesgesetzgeber vom Raumordnungsrecht des Bundes abweichen dürfen. Wir wussten aber auch vorher, dass wir das dürfen. Das zeigt die Gesetzgebung in Bayern, die das Raumordnungsgesetz des Bundes vollständig durch ein eigenes Landesplanungsgesetz ersetzt hat.

Die entscheidende Frage, die wir beantworten müssen, ist: Wie weit reicht die Abweichungskompetenz? Sie wissen, dass die rechtswissenschaftliche Literatur streitet, und der Gutachter der Piratenfraktion - das hat er selbst in den mündlichen Erläuterungen zu seinem Gutachten kundgetan - vertritt eine Minderheitenmeinung. Er hat deutlich gemacht, Gemeinden seien natürlich auch weiterhin an Gesetz und Recht gebunden und müssten die Zielvorgaben und Rahmenbedingungen des Bundes und des Landes bei ihren Gemeindebeschlüssen beachten.

Wir befinden uns immer in dem Dilemma: Wie gehe ich mit der Privilegierung um, die ich im Außenbereich in § 35 Baugesetzbuch festgelegt habe? Griffe ein solcher Gesetzentwurf dies fundamental an? Unterstellen wir einmal, wir hätten diesen Gesetzentwurf, wir stellten dann fest, dass sich die vorgesehene Fläche sehr schnell dramatisch reduzieren würde - wir haben einmal überschlägig nur die Voten genommen, die wir bisher haben -, dann kommen wir fast auf ein halbes Prozent der Landesfläche, die durch die knapp 40 Voten gegen den Ausbau der Windenergie, die wir im Augenblick in Schleswig-Holstein haben, belegt sind.

Wir haben viele Splittersiedlungen, wir haben Einzelhäuser, wir haben in großen Landschaftsteilen Natur- und Artenschutz. Das sind Tatsachen, die nicht verändert werden können. Ich habe also allein wegen der Tabukriterien schon eine extreme Verdichtung der überhaupt nur zur Abwägung zur Verfügung stehenden Landesfläche. Wenn dazu jetzt noch einmal ein halbes Prozent käme, wäre das schon ein sehr spürbarer Eingriff. Und das sind nur die, die es bis heute gibt. Natürlich wäre gar nicht absehbar, was noch an Bürgerentscheiden kommen würde.

Wenn wir dies hochrechnen, stellt sich die Frage: Welche Folge hätte die Gesetzesänderung für die Privilegierung im Außenbereich? Sie haben Recht: Privilegierung im Außenbereich ist kein biblisches Gebot. Im Augenblick aber gilt sie für uns, und wir müssen sie beachten. Sie darf im Ergebnis

nicht nachhaltig ausgehöhlt werden. Welcher Gemeindewille muss beachtet werden? Angenommen, ein Planungsziel von 300 % wird nur dann erreicht, wenn nur eine ablehnende Gemeindeentscheidung berücksichtigt werden kann. Wie erkläre ich den anderen Gemeinden, dass sie Windkraft hinnehmen müssen, wenn ich angesichts vieler Bürgerentscheide nur bei einem sagen kann: „Du bist noch in the range“, und alle anderen hinten runterfallen? Welche Gemeinde ist Härtefall, wie bemesse ich das, wenn gegen den Willen der Gemeinde Windkraft ausgewiesen ist? Was ist mit den Gemeinden, die sich für Windkraft aussprechen, die ich aber im Plan aus anderen Gründen nicht berücksichtige? Warum ist deren Bürgerwille weniger wert als der der ablehnenden Gemeinden?

Alle Probleme, die wir haben, kommen immer aus dem Grundproblem, dass ich ein überörtliches Plankonzept und eine örtliche Willensbildung habe. Es ist schwer - auch intellektuell wirklich schwer -, dies so zu synchronisieren, dass es in einem System vernünftig abwägungsfehlerfrei abgebildet werden kann.

Wir dürfen keine Systemwidrigkeit entwickeln, wie sie im Entwurf der PIRATEN enthalten und noch nicht aufgelöst ist. Was wollen wir? Oberste Prämisse ist, rechtssichere Planung in kürzestmöglicher Zeit sicherstellen. Wir wollen dies mit Ihnen erreichen. Das ist ein sehr hoch gestecktes Ziel. Ob wir in diesem Verfahren, in dem wir uns gerade befinden, auch eine möglichst rechtssichere Änderung des Landesplanungsgesetzes aufnehmen sollten, müssen wir uns in der Tat ganz genau miteinander überlegen. Würden wir nämlich wieder vor dem Verwaltungsgericht scheitern, dann liefen wir unmittelbar in § 35 Baugesetzbuch.

Dann konterkariere ich jede Form von Beteiligung, weil es dann gar keine mehr gibt. Dann habe ich nämlich nur noch die Privilegierung. Dann hätten wir zwar einmal als Politik, als Regierung Mut bewiesen. Die Folge wäre aber, dass ich dann vollkommen freies Spiel habe, ohne dass sich irgendein Bürger an unseren regulären Prozessen, die wir, so glaube ich, in der Tat ganz vorbildlich aufgelegt haben, noch irgendwie beteiligen könnte. Dann wird munter überall im Land gebaut, wo wir eben mit unserer Planung noch eingreifen könnten.

Es ist also gut und richtig, dass wir darüber nachdenken: Wie machen wir das? Wie beteiligen wir die Bürger? Wir haben übrigens, wenn die drei Entwürfe vorliegen, ein komplexes Anhörungsverfahren, in dem wir noch einmal an die Kommunen herangehen und fragen: Wie seht ihr das, was wir

(Ministerpräsident Torsten Albig)

haben? Wie seht ihr die Einschätzung von Tabus? Wie seht ihr die Einschätzung von Abwägungskriterien? Sie können das noch einmal zurückspiegeln. Erst dann geht es in die nächste Beratung bei uns. Auch dort haben wir noch einmal ein breites Beteiligungsverfahren sichergestellt.

Darüber hinaus werden wir aber auch den Vorschlag der PIRATEN zum Anlass nehmen, mit Ihrem Gutachter, aber auch mit anderen in einem Symposium in der ersten Jahreshälfte noch einmal intensiv die Frage „durchzukneten“: Wie kann Bürgerwille und seine Bedeutung im Planungsrecht über das hinaus, was wir schon kennen, Berücksichtigung finden? Möglicherweise sind wir an einer Stufe, an der wir uns einmal über das erheben müssen, was wir tradiert kennen, an der wir einen Schritt gehen müssen, der rechtsfortbildend ist.

Ich möchte das aber in einem solchen Symposium von Pro und Kontra, Befürwortern und Gegnern, noch einmal juristisch, ökonomisch, aber auch psychologisch beleuchtet und erörtert sehen. Ich freue mich auch auf die Beratung des Vorschlags der PIRATEN. Ich danke noch einmal dafür. Er ist ein wichtiger Anstoß und gibt uns viele Impulse. - Vielen Dank dafür und vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Die vereinbarte Redezeit ist um 4 Minuten überzogen worden. Diese 4 Minuten stehen jetzt allen Fraktionen zur Verfügung.

Das Wort hat jetzt der Herr Abgeordnete Dr. Patrick Breyer.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich mich bei unserem Ministerpräsidenten für das Angebot bedanken, parallel zu dem Gesetzgebungsverfahren auch ein Symposium durchzuführen und das Für und Wider der Möglichkeit dessen, was wir hier vorschlagen, zu diskutieren.

Ich möchte noch einmal betonen: Was wir vorschlagen, ist nichts revolutionär Neues, sondern wir wollen das abbilden, was bisher inhaltlich jahrelange Praxis gewesen ist. Wir ändern nichts, sondern wir wollen ein Verfahren rechtlich wieder absichern, das sich über Jahre hinweg bewährt hat. Vergessen wir nicht, dass der Bürgerwille nach der

jetzigen Gesetzeslage und dem jetzigen Urteil genau null wert ist. Er darf juristisch überhaupt nicht einfließen. Nur fachliche Fragen dürfen berücksichtigt werden. Das wollen und dürfen wir ändern.

(Beifall Angelika Beer [PIRATEN] und Uli König [PIRATEN])

Sie haben recht, Herr Ministerpräsident, wir sind daran gebunden, dass wir bundesrechtlich der Windenergienutzung substanziell Raum verschaffen müssen. Genau das tun wir mit unserem Gesetzentwurf, denn er sagt ganz eindeutig, dass der Bürgerwille insoweit zu berücksichtigen ist, als die Ziele der Planung erreicht werden können. In diesen Zielen der Planung ist natürlich auch enthalten, der Windenergie substanziell Raum zu verschaffen.

Deswegen ist der Gesetzentwurf auch rechtssicher. Herr Ministerpräsident, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen: Das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes, das Frau Nicolaisen zitiert hat und das wir in Auftrag gegeben und veranlasst haben, äußert sich nur zu der Frage, ob man den Bürgerwillen zu einem harten Ablehnungskriterium machen kann. Genau das machen wir nicht, sondern wir sagen, es soll zu einem Auswahlkriterium gemacht werden.

Das heißt, wenn wir ein Überangebot an Flächen haben, dann soll vorrangig nach dem Bürgerwillen ausgewählt werden. Der Wissenschaftliche Dienst sagt auch: Die Abwägung ist Verfassungsgebot, aber - nächster Satz - Einschränkungen sind rechtfertigungsbedürftig, also auch rechtfertigungsfähig. Natürlich lässt sich verfassungsrechtlich rechtfertigen, warum wir die freie Abwägung der Behörde einschränken und Vorgaben machen. Das machen wir in anderen Bereichen aus fachlichen Gesichtspunkten auch.

Wir nehmen ja eine Abwägung vor. Als Gesetzgeber sagen wir, dass für uns die Akzeptanz der Windenergienutzung die Voraussetzung für das Gelingen der Energiewende ist und dass diese uns deshalb so wichtig ist, dass sie Vorrang vor fachlichen Fragen hat, soweit sie sich damit in Einklang bringen lässt.

(Vereinzelter Beifall PIRATEN)

Wir können mit diesem Gesetz schon deswegen nicht vor den Verwaltungsgerichten scheitern, weil sie nicht dafür zuständig sind, Gesetze an der Verfassung zu messen. Wir stehen bei den Bürgern im Wort, das einzulösen, was rechtlich möglich ist.

Herr Kollege Matthiessen, dem Bürgerwillen Rechnung zu tragen, heißt, soweit es möglich ist,

(Ministerpräsident Torsten Albig)

die Gemeinden, die sich dagegen aussprechen, auch nicht als Vorrangfläche für die Windenergienutzung vorzusehen. So steht es ganz klar in der Begründung des Gesetzentwurfes. Wir können das gern anders formulieren, wenn Sie das für nötig halten. Wir haben genug Flächen zur Auswahl. Schauen Sie sich die Kartierung an, die veröffentlicht wurde. Nach Abzug der Tabukriterien verbleiben 7 % der Landesfläche. Wir sind uns völlig einig, dass wir diese nicht brauchen, um das Ziel dieser Landesregierung zu erreichen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen gerade von den Grünen: Ist Ihnen bekannt, dass auch „Mehr Demokratie“ sich diese Gesetzesänderung wünscht? Wie hart haben wir dafür gekämpft, dass auf kommunaler Ebene auch die Aufstellung von Bauleitplänen Gegenstand von Bürgerentscheiden werden können? - Deswegen ist es auch unter demokratischen Gesichtspunkten so wichtig, dies auch bei der Ausweisung von Windenergieflächen möglich zu machen.

Ich kann nur davor warnen: Wer keine Rücksicht auf die Bürger nimmt und wie bisher weiterfahren will, der droht, die Energiewende vor die Wand zu fahren.

(Zuruf Beate Raudies [SPD])

Kommen Sie bitte zum Ende.

Ich komme zum Schluss. - Die bundesrechtliche Privilegierung der Windenergie ist nicht in Stein gemeißelt. Die Abstandsregelungen sind nicht in Stein gemeißelt, die EEG-Förderung ist nicht in Stein gemeißelt. Wir dürfen nicht rücksichtslos verfahren, sondern müssen dies mit den Bürgern zusammen tun. Nur so kann die Energiewende gelingen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall PIRATEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf Drucksache 18/3941 an den Umwelt- und Agrarausschuss zu überweisen.

(Zurufe)

- Soll er noch an einen anderen Ausschuss überwiesen werden? - Entschuldigung, ich unterbreche die Abstimmung.

(Zurufe)

- Auch an den Wirtschaftsausschuss? - Wer also auch die mitberatende Überweisung an den Wirtschaftsausschuss beschließen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Das ist einstimmig.

Ich wünsche Ihnen gute Gespräche und einen guten Appetit. Wir sehen uns um 15 Uhr wieder.

Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung 13:03 bis 15:04 Uhr)

Ich eröffne wieder die Sitzung.