Protokoll der Sitzung vom 28.04.2016

Nun ist es in Deutschland aber auch so, dass Satire nicht alles darf, auch wenn das bekannte Tucholsky-Zitat anderes suggeriert. Wer unter dem Deckmantel der Satire Hetze und bloße Beleidigung verbreitet, der kann und wird dafür zur Verantwortung gezogen werden. Dafür haben wir das Strafgesetz und das Zivilrecht für mögliche Klagen. Die Rechtsprechung ist allerdings in der Auslegung dessen, was zu weit geht, sehr großzügig, und wir PIRATEN finden das richtig. Wir begrüßen auch die vergangenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, der Presse- und Meinungsfreiheit weite statt enge Grenzen zu setzen.

(Beifall PIRATEN)

Satire muss ihrem Wesen nach bissig sein, sie muss verletzen dürfen, und sie muss wehtun dürfen, sonst wäre sie keine Satire mehr. Die Entscheidung darüber, wann rechtliche Grenzen überschritten werden, ist bei unseren Gerichten gut aufgehoben. Dass nicht jeder jede Satire gleich bewertet, ist, denke ich, allen hier im Saal klar. Ob der „extra-3“-Beitrag nun Satire, der Böhmermann-Beitrag eine Schmähkritik oder ein Düsseldorfer Rosenmontagswagen eine Beleidigung des polnischen Volkes darstellt, das kommt wohl immer auf den einzelnen Betrachter an und möglicherweise auch darauf, ob man derjenige ist, der darüber lacht, oder derjenige, über den gelacht wird.

Deswegen sollen in Deutschland auch Gerichte darüber entscheiden, ob eine Anklage stattfindet, und nicht das Gutdünken einer Bundesregierung.

(Beifall PIRATEN, Regina Poersch [SPD] und Lars Winter [SPD])

Die absurde Situation, das Einverständnis für ein Ermittlungsverfahren gegen Jan Böhmermann zu erteilen und gleichzeitig die Abschaffung des dafür zuständigen Paragrafen für 2018 anzukündigen, ist peinlich für die Bundesregierung, die offenbar ihre Funktion in diesem Land völlig falsch interpretiert.

(Beifall PIRATEN, Lars Winter [SPD] und Dr. Ekkehard Klug [FDP])

(Vizepräsidentin Marlies Fritzen)

Wir fordern daher die Bundesregierung auf, keinerlei Ermächtigungen mehr für Ermittlungen nach § 103 Strafgesetzbuch zu erteilen und diesen Paragrafen schnellstmöglich zu streichen.

(Beifall PIRATEN und Lars Winter [SPD])

Denn schon der bloße Anschein, dass Ermittlungen im Rahmen der Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit politisch motiviert sein könnten oder durch außenpolitische Klüngelei erfolgen, beschädigt das Vertrauen in unseren Rechtsstaat nachhaltig.

(Beifall PIRATEN und Lars Winter [SPD])

Dem müssen wir uns in diesem Land klar entgegenstellen. Diese Freiheiten sind für uns PIRATEN nicht verhandelbar.

(Beifall PIRATEN und Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir PIRATEN fordern auch die Abschaffung eines weiteren Paragrafen, des § 90 des Strafgesetzbuches. Dieser regelt die Verunglimpfung des Bundespräsidenten und ist ebenso altmodisch und altertümlich wie § 103.

(Beifall PIRATEN)

Auch über Ermittlungen nach diesem Paragrafen entscheiden keine Staatsanwälte, sondern der Bundespräsident höchstselbst. Auch hier finden wir also die abgewandelte Form der Majestätsbeleidigung wieder. Die bisherigen Versuche, dieses Gesetz anzuwenden, endeten für die Bundespräsidenten nicht besonders gut. Bundespräsident Wulff zog damals seine Strafermächtigung zurück. Bereits Bundespräsident Heuss fragte nicht ohne Grund, „wann es staatspolitisch notwendig ist, dass ich mich beleidigt fühle“. Auch unser amtierender Bundespräsident hat sich schon dahin gehend geäußert, dass er eine Lex Gauck nicht brauche.

(Beifall PIRATEN)

Seien wir ehrlich: Beide Paragrafen sind einfach nicht mehr zeitgemäß. Ein Sonderrecht für Staatsoberhäupter, seien es ausländische oder inländische, lehnen wir PIRATEN ab. Denn so steht es in Artikel 3 unserer Verfassung: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Das muss unserer Meinung nach für wirklich jeden gelten, sei er Monarch, Sultan, Präsident, Tenno oder Fabrikarbeiter.

(Beifall PIRATEN)

Ich möchte noch kurz auf die vor einer Woche erschienene „Rangliste der Pressefreiheit“ der „Reporter ohne Grenzen“ eingehen. Deutschland ist um vier Plätze auf Platz 16 gefallen. Lassen Sie uns ge

meinsam dazu beitragen, dieser bedenklichen Entwicklung entgegenzuwirken!

Jetzt noch ein kurzes Wort zu den Änderungsanträgen. Uns fehlt sowohl im Änderungsantrag der FDP als auch im Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen der Wille, den Bundespräsidentenbeleidigungsparagrafen abzuschaffen. Außerdem fehlt uns das eindeutige Bekenntnis zur Presse-, Meinungs- und Kunstfreiheit.

(Beifall PIRATEN)

Ich finde, es sollte möglich sein, dass wir als Landtag zumindest ein Signal nach Berlin und, wenn Erdogan schon so gerne NDR schaut, auch zum Bosporus senden.

(Beifall PIRATEN)

Von daher kann ich nur anbieten, in der Mittagspause noch einmal zu überlegen, einen gemeinsamen Änderungsantrag zu stellen. Ansonsten müssen wir Ihre Änderungsanträge leider ablehnen. Vielen Dank.

(Beifall PIRATEN)

Für die CDU-Fraktion hat nun der Abgeordnete Daniel Günther das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn irgendwo die Redewendung „aus einer Mücke einen Elefanten machen“ passt, dann für diese Debatte, die wir im Moment in Deutschland führen.

(Vereinzelter Beifall CDU)

Wenn Sie einen solchen Antrag einreichen, muss ich fragen: Wer in Deutschland verhandelt denn über Presse- und Kunstfreiheit? Welche ernst zu nehmende Kraft stellt sie in Zweifel? Wer gibt Anlass dazu, dass wir uns darüber unterhalten? - Doch überhaupt niemand. Wir haben Pressefreiheit in Deutschland. Darauf sind wir alle stolz. Aber auch Pressefreiheit hat Grenzen.

Dass wir Pressefreiheit haben, heißt nicht, dass Journalisten Heilige sind und nicht kritisiert werden dürfen. Deswegen finde ich es absolut in Ordnung - wir sind in einem freien Land -, dass wir auch sagen dürfen, wenn Journalisten einmal etwas aus unserer Sicht nicht so Tolles gemacht haben. Natürlich kann man auch in einem Parlament sagen - jeder Mensch in Deutschland kann das sa

(Sven Krumbeck)

gen -: Das, was Herr Böhmermann da als Satire gemacht hat, ist aus meiner Sicht völlig neben der Spur. - Das sage ich für mich persönlich.

(Beifall CDU)

Das darf natürlich auch die deutsche Kanzlerin sagen.

(Martin Habersaat [SPD]: Angela Merkel schon!)

Wenn jemand in diesem Saal allen Ernstes sagt, darüber dürfe die Kanzlerin nichts sagen, entgegne ich: Selbstverständlich darf auch sie sich zu solchen Dingen äußern. Ob das zu jenem Zeitpunkt taktisch klug war, sollten nicht wir in diesem Landtag bewerten.

Deswegen ist ihr da überhaupt kein Vorwurf zu machen. Es gilt das Recht auf freie Meinungsäußerung. Die Kanzlerin darf das. Wir haben das nicht zu bewerten.

Jetzt ist die Frage: Darf man juristisch gegen Satire vorgehen? - Ich sage: Natürlich darf man das. - Ist das taktisch klug? - Nein. Aber mir fällt kaum ein SPD-Bundesvorsitzender ein, der nicht juristisch gegen Satire vorgegangen wäre. Ob das Engholm war, ob Beck, ob Schröder: Alle sind vor Gericht gegangen und haben sich gegen Satire gewehrt.

Das ist auch richtig. Das ist in Deutschland erlaubt. Deswegen ist auch das kein Problem. Natürlich haben sie sich nicht auf den § 103 berufen. Der steht nur anderen zur Verfügung.

Jetzt ist die Frage: Durfte Herr Erdogan sich auf diesen Paragrafen berufen? - Natürlich darf Herr Erdogan das.

Die Bundeskanzlerin hat 2006 in der gleichen Konstellation, als ein Ersuchen der Schweizer Bundespräsidentin gekommen war, selbstverständlich gesagt: Das entscheiden bei uns Gerichte. Die Staatsanwaltschaft soll in diesem Fall ermitteln.

Nun gibt es Menschen, die es bei der Schweizer Bundespräsidentin - weil ihre Einstellung uns in den Kram passt - richtig finden, dass die Kanzlerin sagte, hierüber sollen Gerichte in Deutschland entscheiden, aber nicht bei Herrn Erdogan.

Dazu sage ich: Das geht in Deutschland nicht. Es muss bei beiden gleich entschieden werden. Es darf nicht danach unterschieden werden, ob die Person einem genehm ist oder nicht. Genau das macht unsere Demokratie in Deutschland aus.

(Beifall CDU)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Bemerkung des Herrn Abgeordneten König, bevor Sie fortfahren?

Herr König, bitte.

Sehr geehrter Herr Günther, wäre es nicht die Lösung, diese Entscheidung der Bundesregierung ganz abzuschaffen? Dann würden doch alle gleich behandelt, und es könnte nicht einmal so und einmal anders entschieden werden.