Protokoll der Sitzung vom 16.11.2012

Darüber hinaus habe ich am 7. November 2012 eine Antwort auf eine Kleine Anfrage zur Situation der Lehrerstellen an den Gymnasien bekommen. Aussage dieser Antwort ist: In den nächsten fünf Jahren

(Martin Habersaat)

ist eine Unterversorgung der Gymnasien bis auf einige abgelegene Regionen nicht zu erwarten. Bedarf besteht lediglich in einzelnen Fächern.

Frau Ministerin, der 7. November ist ja noch nicht so furchtbar lange her. Da hätte man doch erwarten können, dass Sie zu den Zahlen der Gymnasien eine entsprechende Aussage machen, zu einer strukturellen Unterversorgung an den Gymnasien.

Ich möchte gern darauf eingehen, was die Regierungsfraktionen in diesem Hause in den letzten Tagen gesagt haben. Sie haben einen Entwurf zum Bildungshaushalt eingebracht. Darin weisen Sie aus, dass Sie 300 Planstellen weniger streichen. Diese 300 Planstellen sind allerdings mitnichten dazu da, die strukturelle Unterrichtsversorgung zu sichern, sondern sie gehen in die Sicherung von Differenzierungsstunden, die ja nichts mit der allgemeinen Unterrichtsversorgung, sondern damit etwas zu tun haben, dass es Mittel on top gibt, um Differenzierung zu leisten. Die anderen 120 Planstellen gehen in die Inklusion. Auch das hat nichts mit der allgemeinen Unterrichtsversorgung zu tun, sondern geht auch on top. Das ist durchaus wünschenswert, das will ich gar nicht abstreiten.

Ich möchte von Ihnen allerdings eine Antwort auf die Frage haben, welche Berechnung Sie bei der Verteilung der 300 Planstellen angestellt haben. Da gehen 199 Planstellen in die Gemeinschaftsschulen - 137 haben wir im Land -, sechs gehen in die Regionalschulen. Regionalschulen und Gemeinschaftsschulen leisten in unserem Land den gleichen Anteil an inklusiver Arbeit.

(Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist ein Märchen!)

- Das ist überhaupt kein Märchen, natürlich ist das so. Gehen Sie doch einmal in die Regionalschulen! Die haben genauso die I-Kinder in den Klassen wie die Gemeinschaftsschulen. Ich rede gar nicht von den Gymnasien.

(Beifall CDU und FDP - Zuruf Anke Erd- mann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

An die 327 Grundschulen, die wir im Land haben, gehen 30 Planstellen. Gerade diese Schulen leisten einen hohen Integrationsanteil. Für die Gymnasien sind es 15 Planstellen. Und unsere 101 Förderzentren im Land, die die inklusive Arbeit leisten, kriegen keine einzige Stelle.

(Zuruf Martin Habersaat [SPD])

Das heißt, es gehen keine Sonderpädagogen an die Schulen, Herr Habersaat.

(Zuruf Martin Habersaat [SPD])

Dann müssen Sie sie bitte auch bei den Förderzentren andocken, weil die Förderzentren die Schulen im Land mit sonderpädagogischen Kräften versorgen.

(Zuruf Marlies Fritzen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Meine Damen und Herren, was wollen die Koalitionsfraktionen mit ihrem Antrag eigentlich bezwecken? Wollen sie aufzeigen, dass ihre Ministerin nicht in der Lage war, im Bericht zur Unterrichtssituation, in Kleinen Anfragen ein strukturelles Defizit aufzuzeigen? Wollen Sie damit sagen, dass sie an der Stelle eine gewisse Unfähigkeit für ihr Amt mitbringt? Oder wollen Sie daraus tatsächlich Honig saugen und entsprechende Anträge zum Haushalt stellen?

Dann hat das, was Sie in den letzten Tagen in diesem Hause gesagt haben, überhaupt keine Wirkung mehr, denn Sie gehen jetzt sehenden Auges in eine Situation hinein, in der trotz alledem nach Ihren eigenen Berechnungen immer noch 500 Planstellen an den Schulen fehlen.

Frau Ministerin, Sie sind gerade draußen gewesen und haben den Grundschulen aus Dithmarschen versprochen, dass sie bestehen bleiben, haben ihnen allerdings auch gleich gesagt, dass Sie nicht bereit seien, dort zusätzliche Planstellen einzurichten. Sie wissen ganz genau: Wenn Sie das nicht tun, haben diese Schulen keine Chance, vor Ort zu bestehen.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU - Zuruf Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Das ist sehenden Auges ein Betrug der Eltern von Schülern an diesen Schulen. - Herzlichen Dank.

(Beifall CDU und FDP)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Anke Erdmann das Wort. - Bis 1 Minute 45 Sekunden können Sie das Blinken ignorieren.

- Okay, wunderbar.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, erst einmal herzlichen Dank für diese mutige Bilanz. Ich sage nicht deshalb herzlichen Dank, weil mir das Ergebnis gefällt - 1.250 Lehrer

(Heike Franzen)

stellen, die fehlen, und 350 Stellen für Erzieherinnen und Erzieher, die fehlen -, aber ich bin froh, dass Sie diese Lücke ansprechen, denn nur, wer Lücken anerkennt, kann auch daran arbeiten, sie zu schließen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Frau Franzen, das, was Sie hier gerade geliefert haben, ist schon der Hammer. Warum ist dieser Bericht, auf den wir uns beziehen, so, wie er ist? - Er ist deshalb so, weil er sich auf das letzte Schuljahr bezieht und weil Sie in Ihrer siebenjährigen Regierung nicht einen Antrag zur Änderung der Erfassung von Unterrichtsausfall gestellt haben. Sie hätten es in der Hand gehabt, die ODIS-Erfassung für dieses Jahr zu verändern. Sie haben es nicht gemacht. Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt: Sie sagen, die Ministerin müsste hier zum Jagen getragen werden. Das ist natürlich völliger Kokolores. Zu der Frage, ob ODIS angepasst wird oder nicht, müssen wir nicht unbedingt Anträge stellen, denn wer den Bericht ganz genau gelesen hat - und Sie sind in Ihrem Lesen sehr gründlich -, der findet auf Seite 3 den kleinen, dezenten, aber aussagekräftigen Satz:

„Nach Infragestellung der Aussagekraft der ODIS-Ergebnisse prüft das Bildungsministerium, inwiefern methodische Veränderungen notwendig und möglich sind.“

Das ist unser Anknüpfungspunkt, dass wir an der Stelle sagen: Da steigen wir ein und geben ein paar Punkte mit auf den Weg, wie wir uns das anders vorstellen.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Franzen?

Ja, gern, wenn es hilft.

Bitte schön.

Frau Erdmann, Sie haben recht, dass sich der Bericht auf das letzte Schuljahr 2011/2012 bezieht. Das ist das Schuljahr, in dem CDU und FDP Regie

rungsverantwortung getragen haben. Nichtsdestotrotz frage ich Sie: Wer hat diesen Bericht erarbeiten lassen? Und wer hat diesen Bericht hier heute vorgelegt und vorgestellt und hat kein strukturelles Defizit ausgewiesen?

Frau Franzen, das ist relativ einfach: Wir haben eine alte, detaillierte Erhebung für das vergangene Schuljahr. Ich habe letztes Jahr im Bildungsausschuss versucht, mit Ihnen und der FDP ins Gespräch zu kommen, damit wir gemeinsam überlegen, inwieweit man eigentlich das, was in diesem Bericht seit Jahren wieder vorgelegt wird und was eine große Lücke hat zu dem, was tatsächlich in den Schulen passiert - das hat auch Herr Dr. Klug als Oppositionspolitiker hier in diesem Hause deutlich vertreten -, weiterentwickeln kann. Ich habe versucht, das Gespräch mit Ihnen und damals Frau Conrad zu führen. Sie haben sich diesem Dialog verweigert, so wie Sie das Wort Dialog offensichtlich als Schimpfwort für uns verwenden.

(Christopher Vogt [FDP]: Da haben wir an- dere Schimpfwörter!)

Sie haben sich diesem Dialog verweigert. Das heißt logischerweise: Wenn eine Ministerin im Juni ein Amt übernimmt, dann kann sie das gar nicht für das dann vergangene Schuljahr verändern. Es war ein weiterer Punkt, dass die Ministerin gebeten werden sollte, erst einmal das strukturelle Defizit vorzulegen. Aber die Ministerin kann nicht selbst sagen, dass sie einen neuen Antrag vorlegt. Deswegen haben wir gesagt: Okay, die Ergebnisse, die auch mit der GEW abgeglichen worden sind, weil es dort eine Berechnung gab, lassen wir hier im Landtag vortragen. Das ist überhaupt kein Punkt, bei dem Sie einen Keil zwischen uns treiben können. Ich finde, es ist relativ kleinlich, was Sie an dieser Stelle gemacht haben. Sie wollen eigentlich nur von dem ablenken, was bisher in der letzten Regierung, aber auch in allen anderen Regierungen möglicherweise nicht offen zutage gefördert worden ist.

Dann muss ich noch zwei Punkte richtigstellen. Die 300 Stellen sind neue Stellen. Das kann man logischerweise auch dem Haushalt entnehmen. Und es sind - das ist der Unterschied - im Bereich der Inklusion keine zusätzlichen Aufgaben, die auf die Schulen zukommen, sondern es wird anerkannt, dass die Schulen teilweise jetzt schon Leistungen erbringen, die wir ihnen nicht in entsprechendem Maße vergütet haben.

(Anke Erdmann)

Ich komme jetzt noch einmal zu dem Bericht der Ministerin. Dass, was wir zu der Frage Unterrichtsversorgung im Parlament immer wieder parteiübergreifend festgestellt haben, ist die Frage, worüber wir in diesem Parlament überhaupt reden. Die Gefahr - darauf habe ich in einer Sitzung vor einem Jahr hingewiesen - ist doch, dass die Schulen denken, dass wir an ihnen total vorbeireden, weil das, was in den Berichten steht, nichts mit dem zu tun hat, was tatsächlich in den Schulen los ist. Das ist doch das Problem, und das ist eben auch eine Lücke, über die wir reden müssen. Frau Franzen, deswegen stellen wir auch die Anträge zum nächsten Tagesordnungspunkt, damit der Bericht nächstes Jahr anders aussieht. Wir tun jedenfalls etwas. Sie haben sieben Jahre lang an der Stelle gar nichts gemacht.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich möchte es an einem Punkt deutlicher machen, wie die alte Regierung damit umgegangen ist. Die GEW hat im März 2011 - Herr Habersaat hat es getan - festgestellt, dass eigentlich 1.488 Stellen als strukturelles Defizit fehlen. Herr Dr. Klug hat mir damals geschrieben - ich hatte ihn damals gebeten, dazu Stellung zu nehmen, und er hat mir das trennscharf zurückgemeldet -, nein, im Schuljahr 2010/2011 betrage die Lücke maximal 197 Stellen, und das sei schon positiv gerechnet. Die Stellen, die Herr Habersaat hier erwähnt hat, waren für zusätzliche Aufgaben und nicht für den normalen Betrieb vorgesehen. Soweit die Auffassung der letzten Landesregierung.

Da hätten Sie sich ein bisschen stärker engagieren können. Deswegen bin ich so stolz darauf, dass Frau Wende heute diesen Bericht so gegeben hat. Denn es ist natürlich politisch ein Wagnis. Das ist auch der Grund dafür, warum Herr Dr. Klug damals andere Zahlen vorgelegt hat und Sie sich auch an ODIS nicht wirklich herangetraut haben. Es ist ein Spagat, auf der einen Seite zu sagen, uns fehlen 1.250 Lehrerstellen und 350 Erzieherstellen, und auf der anderen Seite zu sagen, ja, wir stehen zur Schuldenbremse und können nur nach und nach versuchen, diese Lücke wirklich zu schließen. Das ist ein Spagat, den wir machen und den wir politisch aushalten müssen. Aber dieser Spagat ist nichts im Vergleich zu dem Spagat, den viele Schulen in diesem Land tagtäglich vollbringen müssen und der auch in den Schulen vor Ort immer wieder gelingt.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und Beifall Uli König [PIRATEN])

Er gelingt auch, weil er gelingen muss.

Frau Wende hat dargestellt, welche Maßnahmen jetzt vorangetrieben werden.

Frau Franzen, wenn Sie sich darüber aufregen, dass jetzt den kleinen Schulen so eine Zusage gemacht worden sei: Sie haben damals den Gemeinschaftsschulen drei Differenzierungsstunden und den Regionalschulen zwei Differenzierungsstunden in laufenden pädagogischen Konzepten gestrichen. Ich finde, da müssen Sie sehr vorsichtig mit dem sein, was Sie uns an dieser Stelle vorwerfen. Die gleiche Arbeit mit deutlich weniger Stunden - das haben Sie ohne mit der Wimper zu zucken verlangt.

Wir werden uns dem Bereich strukturelle Lücke in den Schulen nur step by step nähern können. Bei der Neuverschuldung gibt es inzwischen einen Common Sense, dass wir sagen: Wir haben eine sehr hohe Neuverschuldung, wir müssen Einnahmen und Ausgaben in Einklang bringen. Ich glaube, dass es im Bereich der Schulen ähnlich laufen wird. Da werden wir in einen ähnlichen Bereich kommen, dass wir erkennen, dass wir nur nach und nach versuchen können, das, was wir von den Schulen erwarten und was wir ihnen tatsächlich an Stellen geben, in Einklang zu bringen.