Protokoll der Sitzung vom 22.09.2016

der - das ist jetzt wichtig - praktischen Erfahrung basieren, die Frau El Samadoni zusammen mit ihren Mitarbeitern in ihrer Behörde in den vergangenen fast vier Jahren gesammelt hat.

Der Innen- und Rechtsausschuss hat sich mit diesen Vorschlägen intensiv auseinandergesetzt und eine Reihe sach- und fachkundiger Stellungnahmen eingeholt. Nachgerade erwartungsgemäß fielen diese sehr breit gestreut aus. Der Hauptkritiker, Herr Professor Dr. Oetker von der CAU-Kiel, wurde hier schon genannt, der Schleswig-Holsteinische Richterverband und die evangelisch-lutherische Kirche in Deutschland, die allesamt rechtliche Probleme in Deutschland erkennen wollten - wen wundert es?

Nun bin ich, wie Sie alle wissen, kein Jurist. Manchmal bin ich auch wirklich froh, dass ich es nicht bin und mir den gesunden Menschenverstand bewahrt habe. So gab es mir zunächst ziemlich zu denken, dass sich gerade Juristen gegen die vorgeschlagenen Änderungen zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz aussprachen. Sie gaben in ihren Begründungen auch eine volle Breitseite: Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts und sogar das Grundgesetz wurden gegen die Vorschläge ins Feld geführt.

Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, wie es Ihnen dabei geht, aber gerade das hat mich stutzig gemacht. Sollte es tatsächlich so sein, dass all diese Richter und sogar unser Grundgesetz schon grundsätzlich gegen mehr Schutz vor Diskriminierung sein sollten? Denn eins ist klar: Wir sprechen hier noch nicht von konkreten Gesetzestexten, sondern von einer Stoßrichtung, die eine Gesetzesverbesserung haben soll, von der wir wollen, dass die Landesregierung sie im Bundesrat initiiert.

An diesem Punkt meiner Überlegungen ist mir klar geworden: Alle geäußerten Bedenken basieren auf rein theoretischen Erwägungen. Die praktische Essenz der Vorschläge von Frau El Samadoni sind praktische positive Erfahrungen aus den letzten vier Jahren. Hinzu kommt: Alle Verbände, die mit Diskriminierten zu tun hatten oder deren Interessen vertreten, stellen sich hinter den Vorschlag der schleswig-holsteinischen Antidiskriminierungsstelle. Dass es für jedes juristische Gegenargument ein nicht minder überzeugendes Pro-Argument gibt, hat uns wiederum Frau El Samadoni auf die Stellungnahmen der genannten Bedenkenträger gezeigt.

(Beifall PIRATEN, Wolfgang Baasch [SPD] und Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Lassen Sie uns an dieser Stelle nicht eine juristische Detaildebatte führen, wo es um Grundsätzliches geht, um etwas grundsätzlich Wichtiges. Juristische Details können und sollen Juristen später klären, wenn es um die Ausformulierung eines Gesetzes geht. Hier und heute ist eine politische Aussage gefragt, und die muss lauten: Wir brauchen die grundsätzlichen Änderungen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, wie sie im Bericht der Antidiskriminierungsstelle vorgeschlagen sind und es die regierungstragenden Fraktionen als Antrag formuliert haben und zur Entscheidung stellen. - Deshalb unterstützt meine Fraktion Ihren Antrag.

(Beifall PIRATEN, vereinzelt SPD, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat Herr Abgeordneter Flemming Meyer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Gleichbehandeln, aber nicht gleichmachen - das ist in Kürze die Grundlage für einen demokratischen Umgang des Staates mit seinen Bürgerinnen und Bürgern. Das Gleichbehandlungsgesetz soll genau das erreichen. Die Bürgerbeauftragte weist in ihrem anschaulichen Antidiskriminierungsbericht aus dem letzten Jahr allerdings darauf hin, dass es noch erheblichen Steuerungsbedarf gibt. Sie spricht im Vorwort ihres Berichtes von emotionalen Verletzungen, die durch Diskriminierungen ausgelöst werden. Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei Frau El Samadoni nicht nur für den Bericht, sondern auch für diesen Hinweis bedanken.

Im politischen Geschäft kann die menschliche Dimension manchmal aus dem Blick geraten. Dabei sollte sie die Ausrichtung unseres Kompasses bestimmen. Allerdings möchte ich an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass Diskriminierung kein individuelles Problem ist, das jeder oder jede Betroffene für sich aus der Welt schaffen kann.

Diskriminierung ist ein gesellschaftliches Problem, dem man allerdings auf gesetzliche Weise beikommen kann. Deshalb schlagen wir unter anderem ein Verbandsklagerecht vor.

(Wolfgang Dudda)

Wir haben diese Frage sehr ausführlich im Minderheitenrat diskutiert. Da haben gerade der Zentralverband der Sinti und Roma auf ihre Lage hingewiesen. Wenn man sich einmal vorstellt, dass es langsam Kutyme geworden ist, in so manchen Fußballstadien in Deutschland „Zicke-zicke-zack-Zigeunerpack“ zu rufen, dann kann man einmal sehen, wie wichtig das ist, dass auch diese Verbände die Möglichkeit haben, dagegen anzugehen.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Wolfgang Dudda [PIRA- TEN])

Der vorliegende Antrag greift die Erfahrungen aus den Beratungen der Antidiskriminierungsstelle auf und macht Vorschläge für einige gesetzliche Änderungen.

Vorbild ist der Bericht. In der Antidiskriminierungsstelle weiß man nämlich genau, wo der Schuh drückt. Der Bericht zeigt, wie die Antidiskriminierungsstelle Opfer von Diskriminierung entlastet und ihnen wirkungsvoll hilft. Ein Opfer verfügt in der Regel eben nicht über umfangreiches rechtliches Wissen. An dieser Stelle verfügt die Antidiskriminierungsstelle über professionelles Know-how. Damit schaffen wir in gewisser Weise Waffengleichheit. Auf dieser Spur müssen wir bleiben. Viele Opfer wünschen sich nämlich, dass das, was ihnen passiert ist, in Zukunft niemandem anderen mehr so passiert.

Da die Diskriminierungsfälle besonders in den Betrieben zu beklagen sind, schlagen wir vor, dass Betriebs- oder Personalräte und die Gewerkschaften aktiv gegen Diskriminierungen vorgehen. Die Betriebsräte sind eine niedrigschwellige Anlaufstelle für diskriminierte Beschäftigte; auch und gerade, bevor es zu Kündigungen kommt. Die Fälle, die im Bericht geschildert werden, zeigen allerdings, wie passiv die Betriebsräte oftmals sind. Lediglich in einem Fall kam es zur Information des Personalrates. Das ist zu wenig, damit sich diese betriebliche Praxis nachhaltig ändern kann. Wir fordern darum unter anderem, dass sich die Betriebsräte für die Verwirklichung des Gesetzesziels einsetzen. - Jo tak.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Absatz 4 unserer Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Kai Dolgner.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, die Anhörungsunterlagen zeigen, wie wichtig unser Antrag ist. Man muss sie nur richtig lesen können.

(Beifall Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Kommen wir einmal zur Änderung von § 15 AGG. Bisher ist die dortige Regelung: Wenn ich den Job nicht bekommen habe, und ich glaube, in der Auswahl diskriminiert worden zu sein und nicht diskriminiert wurde, ist der Deckel bei drei Monatsgehältern, wenn ich den Job auch diskriminerungsfrei nicht bekommen hätte. Frau Rathje- Hoffmann, es ist wichtig, das zu verstehen. Das heißt also: Ich habe mich für einen Job beworben, kann eine Diskriminierung nachweisen, hätte den aber auch ohne Diskriminierung nicht bekommen.

(Katja Rathje-Hoffmann [CDU]: Genau!)

Es werden auch manchmal Menschen in Bewerbungsverfahren diskriminiert, die aber trotzdem ohne Diskriminierung den Job nicht bekommen hätten. Da gibt es einen Deckel von drei Monaten. Das fassen wir gar nicht an! Aber auch nur die wären diejenigen, die so eine Art Job-Hopping machen könnten. Wir machen etwas anderes. Wir wollen die Menschen besser entschädigen, die den Job bekommen hätten.

(Zuruf Anita Klahn [FDP])

Deshalb können das auch nicht mehrere in einem Bewerbungsverfahren sein, weil nur einer einen Job bekommen kann. Das zeigt schon einmal, dass die Analyse an dem Punkt vollkommen verkehrt ist. Im Augenblick ist die Rechtslage so, dass es für jemanden, der den Job bekommen hätte, ihn aber nicht bekommen hat, weil er diskriminiert worden ist, überhaupt keinen Deckel für Monatsgehälter gibt.

Das können auch zwei oder vier Jahre an Monatsgehältern sein, das kann der Richter völlig frei entscheiden. Die Spruchpraxis war aber leider, dass praktisch kein Urteil über drei Monatsgehälter hinaus gefallen ist, weil das quasi von den Gerichten als geistige Bremse gesehen worden ist. Das ist nicht im Sinne des Gesetzgebers. Das war die Praxis, und diese Fälle gab es zuhauf. Das heißt Ihr Vorwurf, wir würden damit die Bewerbungsverfahren verteuern, kann nicht angehen, denn ich kann das ja abwenden: Ich darf einfach nicht denjenigen diskriminieren, der den Job bekommen hätte.

(Flemming Meyer)

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die möglichen Missbrauchsfälle ändert sich gar nichts.

Frau Klahn, zum Thema Grundgesetz: Die Stellungnahmen im Anhörungsverfahren zeigen gerade, wie notwendig es ist, in § 9 AGG eine Klarstellung vorzunehmen. Professor Oetker und der Richterverband sagen in ihren Stellungnahmen nämlich: Ihr braucht das nicht zu machen, weil § 9 AGG nur den verkündungsnahmen Bereich privilegiert. Frau El Samadoni hat vorher in ihren Stellungnahmen gesagt, dass sich die Kirchen trotzdem, auch im verkündungsfernen Bereich, also bei Jobs in der Essensausgabe und so weiter, auf den § 9 AGG berufen würden; dazu sei eine Klarstellung des Gesetzgebers wichtig. Interessanterweise hat meine eigene Kirche dann in ihre Stellungnahme genau das auch reingeschrieben, dass sie nämlich § 9 AGG auch auf den verkündungsfernen Bereich anwendet. Das ist etwas, was der Richterverband und Professor Oetker für einen Irrtum halten. Wenn es also so ein Missverständnis gibt, dass meine Kirche sagt, sie könne § 9 AGG auch im verkündungsfernen Bereich anwenden, obwohl Richterverband und Professor Oetker das verneinen, dann handelt es sich um ein Missverständnis, das der Gesetzgeber klarstellen muss.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Wortmeldung Anita Klahn [FDP])

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

(Anita Klahn [FDP]: Gut!)

Ich kann das nachher gern noch einmal näher erklären. Einfach einmal die Stellungnahmen hintereinander weg lesen und verstehen. - Danke.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für die Landesregierung hat die Ministerin für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung, Kristin Alheit.

Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Unruhe)

- Klappt doch, wenn man kurz ruhig ist. Danke.

Niemand darf aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechtes, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt werden. In unserer Gesellschaft ist für Diskriminierungen kein Platz und, meine Damen und Herren, darf auch kein Platz sein.

(Vereinzelter Beifall SPD und Beifall Jette Waldinger-Thiering [SSW])

Es ist wichtig, dass das nicht nur in Sonntagsreden beschworen wird, sondern gelebt und auch durchgesetzt wird.

Diese Einsicht ist Ausgangspunkt des Allgemeinen Geleichbehandlungsgesetzes. Es ist seit mittlerweile zehn Jahren in Kraft und entscheidend für die Gleichbehandlung im Arbeitsleben und im Alltag. Insgesamt hat es die Gesellschaft an diesen Stellen wirklich verändert. Ausgeblieben sind hingegen die bei der Einführung beschworenen und befürchteten negativen Auswirkungen und auch die heraufbeschworene Klageflut.

Der Schwerpunkt des Gesetzes liegt auf dem Schutz vor Diskriminierung in Beschäftigung und im Beruf. Hierfür enthält das AGG als ein zentrales Element das arbeitsrechtliche Benachteiligungsverbot. Es definiert aber auch Rechte der Beschäftigten und ihre Ansprüche bei Verstößen gegen dieses Verbot.

Es ist gut und richtig, dass wir die gesetzlichen Regelungen gegen Mobbing und Ungleichbehandlung haben, als Schutz vor Diskriminierung, aber auch, weil ein benachteiligungsfreies Umfeld das Arbeitsklima verbessert und die Motivation der Beschäftigten steigert. Dies liegt im Interesse aller Beteiligten.

Es ist allerdings richtig zu schauen, dass im Alltag und im Arbeitsleben ein tatsächlich wirksamer Benachteiligungsschutz gewährleistet wird, dass Menschen, die von Benachteiligung betroffen sind, tatsächlich zu ihrem Recht kommen. Hier hat eine Evaluation des AGG auf Bundesebene bestehende Lücken aufgezeigt und Verbesserungspotential identifiziert, das die Umsetzung des AGG noch wirkungsvoller macht.

(Dr. Kai Dolgner)

Dies - auch ich möchte darauf Bezug nehmen - hat auch der Tätigkeitsbericht der Antidiskriminierungsstelle des Landes ergeben. Dafür auch von mir meinen ganz herzlichen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)