Protokoll der Sitzung vom 23.09.2016

europäische Länder haben. Deshalb muss ein Weg gefunden werden, der ganz klar abgrenzt zu dem, was mit den Geflüchteten zu uns kommt.

Ich will auch sagen: In der Türkei ist es rechtlich verboten, unter 18-jährig zu heiraten. Es gibt in der Türkei eine Grenze bei 18 Jahren. Unter 18 Jahren darf man in der Türkei nicht heiraten. Was dort aber passiert, ist, dass die religiösen Gründe über die dortigen rechtlichen gestellt werden. In der Türkei ist offenbar - ich kann die Zahl überhaupt nicht glauben - jedes vierte minderjährige Kind versprochen, wird schon als Kind verlobt mit der Folge, dann auch als Kind verheiratet zu werden. Deshalb sage ich, dass diese religiösen Gründe für uns in Deutschland keine Gründe sein dürfen. Da sind wir ganz klar.

Wir in Deutschland selbst haben aber auch Minderjährigenehen. Von 385.000 geschlossenen Ehen im letzten Jahr sind 69 - also eine verschwindend geringe Zahl - minderjährig vollzogen worden, davon überwiegend von minderjährigen Frauen und nur von fünf Männern.

Ich will damit sagen: Natürlich kommen dann auch die Juristen und Experten mit ins Spiel. Das muss man alles bedenken.

Ein Aspekt ist mir an der Stelle auch wichtig: Wenn diese Kinderehen der geflüchteten jungen Mädchen und Frauen hier in Deutschland versagt werden, dann dürfen die daraus folgenden Rechtsfolgen nicht zulasten der Mädchen und Frauen gehen. Ich bitte darum, hier auch der Bund-Länder-Arbeitsgruppe tatkräftig zur Seite zu stehen, damit die Rechtsfolgen daraus nicht auch noch zulasten derer gehen, die schon zwangsverheiratet worden sind. Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Abgeordneter Burkhard Peters das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass Kinder und Minderjährige in die Schule gehören und nicht in die Ehe, das wird hierzulande und auch hier im Haus niemand bestreiten. Ihr Antrag, liebe CDU, ist bestechend schlicht formuliert. Die dahinterstehende Rechtslage ist aber hochkomplex. Inwieweit eine Änderung der Rechtslage allein ausreichend ist, um die Be

troffenen zu schützen, ist im Ausschuss noch zu beraten. Ihr Antrag greift da aus unserer Sicht zu kurz.

Liebe Abgeordnete der CDU, komplexe Lebenslagen lassen sich selten allein per Gesetz auflösen. Wenn das ganze Thema zeittypisch dann noch mit einem islamkritischen Spin unter dem Stichwort Wertedebatte verbunden wird, wird das Ganze politisch problematisch.

(Beifall Angelika Beer [PIRATEN])

Wenige werden wohl bestreiten, dass auch die USA zu unserer westlich-christlichen Wertegemeinschaft gehören. Dann sollte man aber auch zur Kenntnis nehmen, dass in den USA das Mindestalter für Ehen in manchen Bundesstaaten schon bei 12, 13 oder 14 Jahren beginnt.

So richtig Ihr Antrag im Kern ist, die Frühverheiratung ist eine Frage von Bildung, sozialem Standard und auch eine Frage von sicheren Zugangswegen nach Europa. Hüten Sie sich also davor, die Debatte unter dem Thema Wertekontext „Wir gegen die“ zu diskutieren.

Erst am 5. September 2016 hat sich die von Bayern initiierte Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum Thema Kinderehe zum ersten Mal getroffen. Wir haben eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Grünen. Die hat Frau Rathje-Hoffmann schon zitiert. Die Zahlen sind wirklich schlimm und erschütternd. Bundesweit 361 Kinderehen sind registriert, aber es werden sehr viel mehr sein. Das darf nicht sein.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD)

Ob und wie viele Fälle es zurzeit in Schleswig-Holstein gibt, ist nicht bekannt. In letzter Zeit häufen sich Berichte aus den Flüchtlingscamps vor Ort, dass die Verheiratung Minderjähriger stark gestiegen ist. An diesem Punkt sollten wir zuerst ansetzen und die Zahlen eruieren.

Im Inland geschlossene Ehen müssen immer deutschen Formerfordernissen genügen. Rechtlich gesehen ist eine sogenannte Imam-Ehe oder eine in der Kirche geschlossene Ehe ohne standesamtliche Trauung heute schon in aller Regel null und nichtig. Auch hier ist eine Erhellung des Dunkelfeldes notwendig. Inwieweit diese Fallkonstellation in Schleswig-Holstein ein Problem darstellt und inwiefern im besten Fall im Vorhinein Beratungsangebote den Weg in die Ehe verhindern können, das müssen wir genau eruieren. Im Ausland geschlossene Ehen mit Kindern unter 14 Jahren können hier nicht anerkannt werden, ebenso wenig wie Zwangsehen, da es sich dabei bereits um Straftaten

(Simone Lange)

handelt. Ich gehe davon aus, dass das Jugendamt in den jeweiligen Fällen angemessen handelt. Auslandsehen ab 16 Jahren hingegen kann die Anerkennung nicht verwehrt werden, da selbst das deutsche Recht dies im Ausnahmefall vorsieht; wir haben es gehört.

Ich kann Ihrem Antrag nicht entnehmen, ob Sie gleichzeitig eine Heraufsetzung des allgemeinen Ehemündigkeitsalters befürworten, wie es zurzeit in einigen Landesparlamenten diskutiert wird. Ich persönlich halte eine ausnahmslose Ehemündigkeit ab 18 für richtig.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Beifall Serpil Midyatli [SPD] und Lars Harms [SSW])

Bleibt der enge Bereich von Auslandsehen, die zwischen 14- und 16-Jährigen geschlossen wurden und vor Erreichen der Volljährigkeit in Deutschland gelebt werden. Zugang zu Beratung und Bereitstellung eines Amtsvormundes durch das Jugendamt hat in diesen Fällen zweifelsohne oberste Priorität. Zu den rechtlichen Fragen der Anerkennung liegen widersprechende Entscheidungen der Oberlandesgerichte vor. Sie hat wahrscheinlich die Entscheidung des OLG Bamberg motiviert, diese Klarstellung im Gesetz zu beantragen.

Der Bundesgerichtshof hat sich bislang noch nicht dazu geäußert. Insoweit ist gesetzgeberische Hektik zurzeit nicht angezeigt, weil der BGH in absehbarer Zeit eine höchstrichterliche Klärung der streitigen Frage herbeiführen wird. Diese ist dann für alle Familiengerichte praktisch bindend.

Dennoch pressiert das Problem Kinderehen auch in Schleswig-Holstein. Was wir für diejenigen tun können, denen eine Zwangsheirat oder Frühehe droht oder die bereits als Minderjährige verheiratet sind, sollten wir im Innen- und Rechtsausschuss weiter beraten. Neben der Positionierung für die Arbeitsgruppe auf Bundesebene sollten wir uns darüber unterhalten, was wir in Schleswig-Holstein konkret tun können, um Beratungsangebote und Prävention zu stärken. Ich begrüße aus diesem Grunde ausdrücklich den vorliegenden Antrag der FDP, der genau diese Punkte aufnimmt. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Meine Damen und Herren, bitte begrüßen Sie mit mir auf der Tribüne Gäste der Heiligenhafener

Werkstätten. -Seien Sie herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Kubicki.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Peters, angesichts der Flüchtlingswelle, die auf uns zugekommen ist, hat sich das Problem jetzt erst einmal realisiert. Ich kenne kein amerikanisches Ehepaar mit Minderjährigen. Wenn wir da 300 oder 400 Minderjährigen-Ehen hätten, würden wir uns dem Problem in gleicher Weise widmen. Es ist keine Frage, woher die kommen, sondern es ist eine Frage des Prinzips, um das es geht, nämlich: Wie geht man damit um?

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Lars Harms [SSW])

Es ist deshalb Aufgabe der Politik, auf diese Entwicklung zu reagieren und den gesellschaftlichen Grundkonsens, auf dessen Grundlage der Pluralismus in unserer offenen Gesellschaft stattfindet, schärfer zu definieren. Ich bin unglaublich froh über den Antrag der FDP-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen vom 6. September 2016, Drucksache 16/12848, und empfehle wirklich allen Beteiligten, weil es sehr entspannend wirkt, sich ihn einmal vorzunehmen. Darin wird in einer sehr umfangreichen Begründung dargelegt, auf welcher Rechtsgrundlage wir uns eigentlich befinden und was nötig ist. Wir müssen unser Recht gar nicht groß ändern, sondern wir müssen es schlicht und ergreifend nur anwenden.

Ich komme zu einigen Problemfällen, weil ich mit der ehemaligen Staatssekretärin des Bundesjustizministeriums, Frau Dr. Grundmann, eine interessante Diskussion über die Frage der Anerkennung von Kinderehen hatte.

In Deutschland sind - darauf hat Katja Rathje-Hoffmann hingewiesen -, Stand Juli 2016, rund 1.500 minderjährige Verheiratete registriert. Davon sind 361 jünger als 14 Jahre. Mittlerweile sind sogar 12-Jährige bei uns, die als Ehepartner, und zwar weibliche Ehepartner, in Deutschland sind. Daher ist zu erwarten, dass die Zahl der zwangsverheirateten Flüchtlingskinder noch weiter steigen wird. In Syrien etwa ist die Zahl der minderjährigen Verheirateten innerhalb von fünf Jahren von 13 % auf über 51 % gestiegen. Ein Argument ist natürlich auch, wenn man Menschen auf die Flucht schickt,

(Burkhard Peters)

dann ist eine Heirat vielleicht ganz gut, weil sich eine ältere Person um ein jüngeres Mädchen kümmern kann.

Es ist jetzt eine einfache Frage der gesellschaftlichen Gestaltung, ob wir in einem Land leben wollen, das Kinderehen gestattet beziehungsweise duldet, oder in einem, das Vorkehrungen trifft, um sie zu verhindern. Meine Antwort ist hier völlig eindeutig: Wir dürfen es nicht hinnehmen, dass hier Familien mit verheirateten 12-, 14- oder 15-jährigen Mädchen leben wollen. Wir können nicht akzeptieren, dass jemand zu uns kommt, mit einer Minderjährigen verheiratet ist und mit ihr Geschlechtsverkehr hat. Das ist in Deutschland verboten, und zwar mit gutem Recht verboten.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN, SSW und vereinzelt SPD)

Das gilt für alle und jeden. Man muss sich die Absurdität vorstellen, dass wir es nach unserer Rechtsordnung akzeptieren sollen, dass ein minderjähriges Mädchen den rechtsgeschäftlichen Willen äußern kann, verheiratet zu sein, aber gleichzeitig, wenn sie sich auf deutschem Boden scheiden lassen will, einen Vormund braucht, weil man ihr abspricht, den rechtsgeschäftlichen Willen erklären zu können. Das ist absurd. Es ist natürlich auch absurd zu erklären, wenn dieses Mädchen sich jetzt in einen deutschen Nachbarn verliebt, dann darf sie mit ihm oder er mit ihr keine intensive Beziehung eingehen. Vor allem darf er sie dann nicht heiraten. Wenn zwei Deutsche nach Syrien fahren, dort nach syrischem Recht heiraten und zurückkommen, dann muss ihnen die Anerkennung der Ehe versagt werden, weil sie den materiellen Rechtsvorstellungen in Deutschland nicht entspricht. Die Rechtslage ist doch eindeutig. Über was debattieren wir hier eigentlich?

Probleme, die im zwischenstaatlichen Bereich auftauchen - Anke Spoorendonk wird vielleicht darauf eingehen, dass in baltischen Staaten die Ehe mit 15-Jährigen möglich ist -, kann man mit bilateralen Abkommen regeln. Aber jedenfalls muss doch bei uns der Grundsatz gelten, dass wir nicht akzeptieren, dass nicht rechtsgeschäftsfähige Persönlichkeiten daran festgehalten werden, dass sie nach den Regelungen ihres Heimatlandes, auf Druck ihrer Familie, auf Druck der Religion - wie auch immer -, sich zu einer Verhaltensweise haben hinreißen lassen müssen, die nicht ihrer eigenen Lebensvorstellung entspricht, zu der sie jedenfalls aufgrund ihres Alters nach unserer Vorstellung gar kei

ne eigene Einschätzung hätten abgeben dürfen. Dieser Grundsatz muss klar sein.

Was die rechtlichen Fragen angeht, die da im Raume stehen, so wissen Sie, Herr Kollege Peters, dass das Kammergericht Berlin völlig anders entschieden hat als das OLG Bamberg. Deshalb muss der BGH sich damit beschäftigen können. Es kann nach unserem Ordre public nicht anders sein, als dass wir nach den Vorschlägen, die auf dem Tisch liegen - ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss -, dazu beitragen, dass Minderjährigen-Ehen in Deutschland keine Akzeptanz erhalten; denn es gibt gravierende Folgen für die Mädchen.

Laut der Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes werden sie häufig sozial isoliert, brechen die Schule ab und werden in vielen Fällen Opfer von häuslicher Gewalt und sexuellem Missbrauch durch wesentlich ältere Ehemänner. Laut WHO ist die zweithäufigste Todesursache von Kinderbräuten die Geburt ihres Kindes, gefolgt von Selbstmord. Deshalb sollte darüber nachgedacht werden, Eltern, die beispielsweise ihre Kinder zur Zwangsheirat in andere Länder zurückschicken, das Sorgerecht zu entziehen. Es gibt doch nichts Schlimmeres, was die seelische Entwicklungsfähigkeit eines Kindes angeht, als erleben zu müssen, dass die eigenen Eltern einen in ein fremdes Land schicken, um dort mit Menschen zwangsverheiratet zu werden, die sie in ihrem Leben noch nie gesehen haben oder zu denen sie keine entsprechende Beziehung haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Schutz von Minderjährigen vor den Folgen von Rechtshandlungen, deren Tragweite sie noch nicht absehen können, ist nicht nur grundgesetzliche Pflicht, sondern, wenn man sich die UNO-Kinderrechtskonvention anguckt, geradezu Aufforderung an alle Gesellschaften auf der Erde, solche Vorgänge zu verhindern. Solange das dort nicht geschieht, ist es unsere Aufgabe, in unserem Land dafür zu sorgen, dass eine Anerkennung dieser Prozesse hier nicht stattfindet. - Herzlichen Dank.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN, SSW und vereinzelt SPD)

Für die Piratenfraktion hat jetzt die Frau Abgeordnete Angelika Beer das Wort.

(Wolfgang Kubicki)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion, die wir bisher geführt haben, zeigt, wie komplex die Thematik ist. Aus Sicht der Piratenfraktion wird der CDU-Antrag dieser komplexen Situation nicht gerecht. Deswegen unterstützen wir den Antrag der Koalitionsfraktionen, der eben verteilt worden ist.

Ehen zwischen Erwachsenen und Minderjährigen passen nicht zu unseren Werten; das ist vollkommen klar. Trotzdem hat das Oberlandesgericht Bamberg in dem Beschluss vom 12. Mai 2016 entschieden, dass eine nach syrischem Recht geschlossene Ehe auch bei uns Gültigkeit besitzt. Ich glaube, wir sollten diese Diskussion in Ruhe gesellschaftlich und verantwortlich führen, bis wir wissen, wie der BGH mit diesem Urteil umgeht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist gesagt worden: Für uns in Deutschland, wo man frühestens mit 16 ehemündig ist, ist das eine Entscheidung, die viele Fragen aufwirft. Gerade deshalb wollen wir uns der politischen Diskussion stellen; denn derzeit wird in der Regel ausländisches Recht soweit möglich anerkannt. Dies trifft derzeit auch auf Kinderehen zu. Abzuwägen ist das Wohl der Kinder und Jugendlichen, unabhängig von der Herkunft oder Religion.

Der Staat muss Kinder und Jugendliche vor Missbrauch und sexueller Ausbeutung schützen. Niemand darf zu einer Ehe gezwungen werden, erst recht kein minderjähriges Mädchen.