Protokoll der Sitzung vom 21.02.2013

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zum Einstieg Heinrich Brüning zitieren, der gesagt hat: Demokratie bedeutet ausreden lassen und zuhören können. Angeblich ist das, was die Regierungskoalition mit ihrem Gesetzentwurf erreichen will, mehr Demokratie. Was sie allerdings nicht getan hat, war ausreden zu lassen und zuzuhören. Die Art und Weise, wie auch in diesem Fall das Verfahren nicht in der gebotenen Ruhe und Sorgfalt, sondern im Schnellverfahren ohne Rücksicht auf Verluste durchgezogen wurde, passt zu Ihrer Koalition. Ob Sie zu der Demokratie passt, die Sie stärken wollen, möchte ich einmal dahingestellt sein lassen.

Das Thema Bürgerbeteiligung ist von seiner Diskussionsbreite und von seinen Auswirkungen her extrem weit. Daher ist die Aussage der Koalition, es gehe um mehr Demokratie, ebenso verkürzt wie irreführend. Es geht hier nicht darum, mehr Demokratie zu schaffen, sondern es geht um eine Verlagerung demokratischer Verantwortung.

Hätten Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition, alle Betroffenen ausreden lassen und hätten Sie ihnen zugehört, dann hätten Sie erkennen müssen, dass Ihr Entwurf Demokratie möglicherweise nicht fördert, sondern gefährdet.

Das System der repräsentativen Demokratie beruht auf der Delegation von Verantwortung auf gewählte Vertreter und ist in dieser Form grundsätzlich vorgesehen. Repräsentativ getroffene Entscheidungen sind daher der Regelfall.

Die CDU-Fraktion stellt sich nicht gegen die Möglichkeit direkter demokratischer Elemente. Allerdings muss die Funktionsfähigkeit der repräsentativen Grundausrichtung erhalten bleiben. Dies bedeutet auch, dass die Verantwortung für Entscheidungen den gewählten Vertreterinnen und Vertretern nicht leichtfertig entzogen werden darf.

(Vizepräsidentin Marlies Fritzen)

(Vereinzelter Beifall CDU)

Die bislang bestehenden Regelungen und Möglichkeiten für Plebiszite berücksichtigen in ausgewogener Weise dieses Prinzip. Für das Funktionieren dieses Systems ist es entscheidend, dass Menschen ehrenamtlich bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Doch schon heute bestehen in einigen Bereichen Probleme, ausreichend Personen zu finden, die sich dieser Aufgabe stellen. Eine Ausweitung plebiszitärer Elemente sollte nicht ohne eine genaue Analyse der möglichen Folgen in diesem Bereich geschehen.

Hätten Sie bei der Anhörung im Innen- und Rechtsausschuss ernsthaft zugehört, hätten Sie diese Bedenken, die gerade von denen kamen, die die Neuregelung betrifft, nämlich von den Kommunen, nicht völlig kommentarlos übergehen können.

Meine Damen und Herren, wenn die pauschale Behauptung aufgestellt wird, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein mehr Möglichkeiten zur unmittelbaren Teilhabe an öffentlichen Entscheidungen wünschen, dann bleiben die regierungstragenden Fraktionen einen Nachweis schuldig. Ich frage mich, ob die jetzt in der Gemeindeordnung vorgegebenen Einflussmöglichkeiten, zum Beispiel in Bezug auf Bürgerbegehren oder Einwohnerfragestunden sowie Jugend- oder Seniorenbeiräte, diesen Wünschen nicht in hinreichendem Maße Rechnung tragen.

Ich erinnere an dieser Stelle gern noch einmal an die Stellungnahme der SGK Schleswig-Holstein, die von unserem jetzigen Innenminister Breitner verfasst wurde. Hier heißt es zur Streichung der Zweidrittelmehrheit zur Initiierung eines Bürgerentscheids nach § 16 c GemO:

„Wir lehnen den Vorschlag, die Zweidrittelmehrheit zu streichen, ab. Die gewählten Kommunalvertreter/innen (NICHT die Ge- meinde!!!) sollen die Verantwortung für von ihnen zu treffende Entscheidungen nicht zu leicht auf die Bürger/innen verlagern können. In der Mehrheit der anderen Bundesländer gilt diese Regelung auch.“

Ich kann der Stellungnahme nur zustimmen. Die Übertragung der Entscheidungszuständigkeit muss politisch breit getragen werden.

Schauen wir einmal auf die bestehenden Rahmenbedingungen für Bürgerbegehren in den einzelnen Bundesländern, dann befinden wir uns mit unseren jetzigen Regelungen in guter Gesellschaft.

Die großen Kritikpunkte an dem vorliegenden Entwurf sind die drastische Absenkung und Staffelung der Zustimmungs- und Unterschriftenquoren, die künftige grundsätzliche Bürgerentscheidsfähigkeit der Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung von Bauleitplänen und das Fehlen jeglicher Kalkulationen über die zu erwartenden Kosten. Bürgerinnen und Bürger müssen eingebunden und mitgenommen werden. Dies ist auch heute schon der Fall.

Durch den Entwurf jedoch wird die repräsentative Demokratie in einer bedenklichen Art und Weise geschwächt, und dies könnte zu einem weiteren Absinken der Bereitschaft zur Übernahme eines Ehrenamts führen.

(Beifall CDU)

Wenn man über das Thema ernsthaft reden will, dann ist nicht blinder Aktionismus gefragt, sondern Besonnenheit. Doch eine solche besteht bei den regierungstragenden Fraktionen offenbar nicht. Es ist eben nicht überall mehr Demokratie drin, wo mehr Demokratie draufsteht. Deshalb kann ich den Kolleginnen und Kollegen der regierungstragenden Fraktionen nur eines mitgeben: Wenn Sie wirklich mehr Demokratie erreichen wollen, lernen Sie ausreden zu lassen und zuzuhören!

Wir werden den Gesetzentwurf der regierungstragenden Fraktionen und auch den Antrag der FDP ablehnen. - Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Dr. Kai Dolgner.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Nicolaisen, wer hat Ihnen denn heimlich Brüning als Beispiel für Demokratie aufgeschrieben? Also wirklich!

(Beifall SPD)

Wir reden hier über Heinrich Brüning, den Mann, der mit gutem Willen - gar keinen Zweifel - glaubte, gegen das Parlament mit Notverordnungen regieren zu können, damit eine verheerende Deflationspolitik betrieben hat, das Vertrauen in die Demokratie untergraben und geglaubt hat, man könnte die NSDAP

(Zuruf)

(Petra Nicolaisen)

- ja, natürlich, auch wir waren nicht frei von Irrtümern, aber wir sind inzwischen weiter

(Zuruf)

einbinden, und dann dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt hat. Sicherlich ist er eine tragische Figur, aber kein Beispiel dafür, wie man Demokratie stärkt. Das sieht man, wenn man sich mit der Endphase der Weimarer Republik beschäftigt.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, PIRATEN und SSW)

Ich möchte nicht falsch verstanden werden, alle Demokratien, die den Namen verdienen, sind im Kern repräsentative Demokratien, übrigens auch die Schweiz. Die besondere Stärke der repräsentativen Demokratie, die sich in zweieinhalbtausend Jahren in langen Diskussionen entwickelt hat, sind der Abwägungsprozess und die Kompromissfindung. Sie stellt sicher, dass trotz der notwendigen Mehrheitsentscheidungen die Minderheit Gehör findet und die unterschiedlichen Bedürfnisse und Interessen sorgsam abgewogen werden können. Sie ermöglicht auch in komplexen Entscheidungsprozessen die Einbeziehung von Experten und eine langfristige Lösungsfindung jenseits tagesaktueller Aufgeregtheiten. In der Praxis gelingt das zugegebenermaßen mal mehr und mal weniger gut, aber die historischen und globalen Vergleiche - den ersten hatten wir eben - sprechen für sich.

Aber bei allen guten Argumenten dürfen wir nicht vergessen, dass die repräsentative Demokratie kein Selbstzweck ist, sondern sich aus Notwendigkeiten begründet. Demokratie bedeutet wörtlich „Herrschaft des Volkes“. Es ist die Aufgabe aller Demokraten, dies auch direkt zu ermöglichen, wo es sinnvoll und geboten erscheint. Direktdemokratische Elemente sind nicht gegen die repräsentative Demokratie gerichtet, sondern sie ergänzen diese.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Frau Nicolaisen, sonst müsste mir einmal jemand erklären, warum ein Bürgerentscheid zu einer Einzelfrage die Arbeit eines Gemeinderatsmitglieds stärker einschränkt als zum Beispiel seine Nichtwahl bei der nächsten Wahl. Selbstbewusstsein Kommunaler geht anders. Selbst im direktdemokratischen Musterland Bayern gibt es einen Bürgerentscheid durchschnittlich nur alle 15 Jahre. Kommunalwahlen sind in Bayern deutlich häufiger - auch wenn ein Wechsel der Mehrheiten dort nicht so häufig vorkommt.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Leider ist das so!)

Wir wollen die Bürger nicht frustrieren, sondern sie ermutigen, sich für ihr Gemeinwesen zu engagieren. Wir werden deshalb Hürden senken und eine qualifizierte Beratung ermöglichen. Die Diskussion von Zulässigkeitsfragen während eines laufenden Verfahrens ist eine der typischen Frustrationsquellen.

Für uns ist es aber auch wichtig, dass direktdemokratische Elemente nicht grenzenlos sein können, die strukturelle Gesamtverantwortung soll bei den gewählten Gemeinderatsvertretern bleiben. Das bleibt sie auch, selbst wenn wir alle 15 Jahre einen Bürgerentscheid haben. Gemeinderäte müssen deutlich häufiger Entscheidungen treffen.

Wir geben aber auch den Gemeinderäten mehr Möglichkeiten. Zukünftig kann eine Gemeinderatsmehrheit - die liegt nun mal bei 51 % - einen alternativen Vorschlag zur Abstimmung stellen oder auch von sich aus die Bürger befragen, um Bürgerwillen besser von Einzelinteressen, die vielleicht nur mit besonderer Vehemenz vorgetragen werden, unterscheiden zu können. Hier kann direkte Demokratie durchaus hilfreich sein.

Nach fast 20 Jahren Kommunalmandat sei mir erlaubt anzumerken, dass ich es gut und richtig finde, wenn sich Bürgerinnen und Bürger im Rahmen von Bürgerbeteiligung für eine Sachfrage stark engagieren. Es ist das Wesen der kommunalen Selbstverwaltung, sich um die eigenen Dinge zu kümmern.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Noch besser ist es allerdings, wenn sich die Bürgerinnen und Bürger für einen längeren Zeitraum für die Arbeit in unseren Kommunalparlamenten zur Verfügung stellen, wie es 13.700 Menschen in diesem Land schon heute tun. Aber auch hier ist die Stärkung der Bürgerbeteiligung nicht etwa eine Gefährdung, außer man macht eine daraus und bläst etwas auf, was von der Substanz her gar nicht aufzublasen ist. Auch in Bayern ist die Demokratie übrigens nicht untergegangen, und die Regelungen dort gehen sogar noch weiter. Ich kenne diverse Menschen, die sich, nachdem sie sich für eine Einzelfrage vor Ort engagiert haben, für ein dauerhaftes Mandat gewinnen ließen.

(Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: So ist das! - Beifall SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Kommunalpolitiker unter Ihnen, wenn Sie ehrlich in Ihre eigene Geschichte zurückgehen, kennen vielleicht auch solche Ereignisse, die Sie dazu be

(Dr. Kai Dolgner)

wogen haben, dauerhaft Verantwortung zu übernehmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute können wir einmal die Stärke der repräsentativen Demokratie unter Beweis stellen: Abwägungs- und Kompromissfähigkeit. Der heutige Entwurf ist ein Beispiel dafür, wie ein Parlament im konstruktiven Dialog mit den Repräsentanten der direktdemokratischen Volksinitiative zu einer guten Lösung kommen kann. An dieser Stelle möchte ich mich ausdrücklich für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken.

Man muss nicht jedes Element eines Gesamtpakets sinnvoll finden, um das Gesamtpaket für einen sinnvollen Schritt vorwärts zu halten. Das liegt in der Natur der Sache. Dem einen ist er zu klein, dem anderen ist er zu groß. Vielleicht können andere trotzdem dem Beispiel der PIRATEN folgen, die sagen: Der Schritt ist uns zu klein, wir stimmen dem trotzdem zu.

Ich denke da vor allem an die FDP. Im letzten Jahr war Ihnen der Schritt zu klein, Sie waren für den Entwurf der Volksinitiative. Mit Ihrem Änderungsantrag heute ist Ihnen der Schritt zu groß. Sie wollen das Quorum dort halten, wo es im Augenblick ist. Sie sind ja eine Partei der Mitte: Der Durchschnitt zwischen diesen beiden Positionen ist unser Gesetzentwurf, vielleicht können Sie dem ja doch noch zustimmen und sich einen Ruck geben.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

In der Hoffnung, dass im hervorragenden Zusammenspiel zwischen parlamentarischer und direkter Demokratie das Beste für die Bürgerinnen und Bürger herauskommt, hoffe ich auf eine möglichst breite Zustimmung. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)