Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Demokratie wird erwachsen. Die Bürgerinnen und Bürger fordern mehr Mitbestimmung auch zwischen den Wahlen. Das ist gut so.
Deshalb ist es 20 Jahre nach Einführung der Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in der Kommunalverfassung Zeit für eine grundlegende Reform. Die Regelungen in Schleswig-Holstein haben schon lange keinen Leuchtturmcharakter mehr.
Uns ist es im Dialog mit der Initiative „Mehr Demokratie“ und unseren Koalitionspartnern gelungen, eine Regelung zu finden, die den angestrebten Volksentscheid von „Mehr Demokratie“ überflüssig macht. Wir haben miteinander diskutiert, sind aufeinander zugegangen und haben einen für alle tragbaren Kompromiss gefunden. Genauso stellen wir uns auch zukünftig den Umgang mit Konflikten auf kommunaler Ebene vor. Miteinander reden, überzeugen und Kompromisse ausloten so werden Beschlüsse der Kommunalvertretungen vermieden, die von den Bürgerinnen und Bürgern nicht gewollt sind und später durch Bürgerentscheide wieder einkassiert werden.
Unser Gesetzentwurf ist mitnichten ein Angriff auf die repräsentative Demokratie, wie es die CDU im Innen- und Rechtsausschuss formulierte. Im Gegenteil: Direkte und repräsentative Demokratie sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.
Es ist auch eine Fehleinschätzung, Frau Nicolaisen, dass mehr direkte Demokratie und Mitbestimmung zu einem Absinken des politischen Interesses führen. Gerade anders herum wird ein Schuh daraus.
In Schleswig-Holstein fanden von 1990 bis 2010 nur knapp 170 Bürgerentscheide statt. Die Hindernisse für Bürgerentscheide waren viel zu hoch. Das ändern wir jetzt. Seien Sie gewiss, es kommt uns allen zugute, wenn wir den Bürgerinnen und Bürgern die Wege erleichtern, ihr Leben in der Kommune mitzubestimmen. Wer sich ernst genommen fühlt, gestaltet viel lieber mit. Das sehen wir an der sehr hohen Beteiligung an Bürgerentscheiden. Schon jetzt machen im Durchschnitt 57 % der Wahlberechtigten bei den Abstimmungen mit. Das sind mehr als bei so manchen Wahlen.
Allerdings sinkt die Beteiligung mit der Größe der Kommune. Deshalb senken wir die Hürden, um ein Bürgerbegehren zu starten und einen Bürgerentscheid erfolgreich abzuschließen - gestaffelt nach Größe der Kommune, weil es leichter ist, in einer Dorfgemeinschaft ein Thema intensiv zu diskutieren als in einer großen Stadt.
Wir weiten die Möglichkeit für Bürgerentscheide aus, um auch über Bauleitplanung abstimmen zu können. Es kann mitbestimmt werden, bis der Aufstellungsbeschluss gefasst ist. In einigen anderen Bundesländern ist das längst üblich, ohne dass die kommunale Welt untergegangen wäre. Dort drehen sich 40 % aller Abstimmungen um Bauprojekte.
Wir trauen den Menschen in Schleswig-Holstein zu, zukünftig bei der Bauleitplanung verantwortungsvoll mitzureden.
Wir verzichten auch - wie zwölf weitere Bundesländer - auf den Zwang, Kostendeckungsvorschläge für die Bürgerentscheide vorzulegen. Wir tun dies nicht, weil Bürgerbegehren zu Wünsch-dirwas-Veranstaltungen werden sollen, sondern weil es für manche Bürgerinitiativen schlicht unmöglich ist, die Kosten präzise abzuschätzen. Hier sollen Verwaltung und Bürgerinnen und Bürger Hand in Hand arbeiten und gemeinsam zu einem Vorschlag kommen.
Mit der eingefügten Übergangsregelung ermöglichen wir auch Bürgerentscheide gegen Beschlüsse, die in der Vergangenheit liegen. Gerade nicht möglich wird es allerdings sein, alte Unterschriftenlisten von gescheiterten Bürgerbegehren zu recyceln. Niemand will tote Bürgerbegehren wieder zum Leben erwecken.
Auch die Frist von sechs Wochen für das Einreichen von Unterschriften bei kassatorischen Bürgerbegehren, also denen, die sich gegen einen Gemeinderatsbeschluss richten, fällt weg. Allerdings müssen, wenn ein kassatorisches Bürgerbegehren gestartet wird, die Unterschriften innerhalb von sechs Monaten gesammelt sein. Das ist wichtig und richtig, damit die Kommunen Planungssicherheit bekommen.
Fazit: Wir bringen Schleswig-Holstein wieder in das Spitzenfeld bürgerfreundlicher Kommunalverfassungen.
Springen Sie mit uns auf diesen Zug auf, liebe CDU, FDP und PIRATEN. Es geht um eine starke Zukunft. Nur gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes machen wir Politik wieder interessant.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die FDP hält es für notwendig und sinnvoll, die Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene zu stärken. Im Zuge der Anhörung des Innenausschusses sind wir allerdings zu dem Ergebnis gelangt, dass der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen in zwei wesentlichen Punkten geändert werden sollte.
Das Quorum sollte nach unserer Auffassung generell nur bei 4 % liegen, also bei der Mindestunterstützung, die die Koalition lediglich in Gemeinden mit mehr als 150.000 Einwohnern vorsieht. In kleineren Orten wollen SPD, Grüne und SSW das Quorum dagegen gestaffelt bis auf 10 % hochschrauben.
- Wir haben uns im Zuge der Beratungen und der Anhörung unsere eigene Meinung gebildet, die trage ich Ihnen hier vor.
Es ist unverständlich, weshalb das Quorum für ein Bürgerbegehren in einem kleineren Ort höher liegen soll als in einer größeren Gemeinde.
Frau Strehlau hat eben zu Recht angeführt, dass es in einem kleineren Ort viel einfacher ist - wegen des wesentlich höheren Informationsgrades, was kommunale Angelegenheiten angeht -, direkte Demokratie zu praktizieren, die natürlich immer auf einer weitgehenden Information der Bürger beruhen muss, als das beispielsweise in einer Großstadt der Fall ist. Deshalb sind wir der Auffassung, dass das Quorum für die Einleitung eines Bürgerbegehrens
generell bei 4 % liegen sollte. Das ist der eine wesentlicher Änderungsantrag, den wir eingebracht haben.
Außerdem halten wir es für erforderlich, dass ein Bürgerentscheid - wie das bisher im geltenden Recht vorgeschrieben ist - nur dann gültig sein kann, wenn die dazu erreichte Mehrheit mindestens 20 %, also ein Fünftel der Stimmberechtigten repräsentiert. Eine Absenkung dieses bereits heute bestehenden Erfordernisses ist nach unserer Auffassung deshalb nicht sachgerecht. Andernfalls besteht die Gefahr, dass kleine Minderheiten die Kommunalpolitik in Fragen, die für einen Großteil der Einwohnerschaft gar nicht von Interesse sind, sodass sie sich am Bürgerentscheid nicht beteiligen, dominieren.
Außerdem bieten die von uns vorgeschlagenen Änderungen - wie wir finden - einen guten Ausgleich zwischen dem Anliegen auf der einen Seite, die direkte Demokratie zu stärken, auf der anderen Seite aber die repräsentative Demokratie zu sichern. Weil wir meinen, dass mit unseren Vorschlägen diese Balance besser gefunden wird, als das mit dem Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen der Fall ist, schlagen wir diese Änderungen hier noch einmal mit Nachdruck vor.
Wir finden auch, dass es richtig ist, in vielen Punkten die Vorgaben der jetzigen Gemeinde- und der Kreisordnung zu ändern. Wir erleichtern die Einleitung von Bürgerbegehren. Insoweit gehen wir über den Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen hinaus.
Wir halten es für wichtig, dass die Beschränkung auf wichtige Selbstverwaltungsangelegenheiten wegfallen soll. Wir halten es für richtig, dass der Negativkatalog geändert werden soll, dass es also auch keinen Ausschluss von Fragen der Bauleitplanung mehr geben soll. Wir finden es auch richtig, dass das Erfordernis, eine Zweidrittelmehrheit zu bekommen, wenn eine Kommunalvertretung einen Bürgerentscheid einleiten will, wegfallen soll. In diesen Punkten sind wir mit dem Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen d'accord. Wir meinen aber, dass es ein ganz wesentliches demokratisches Anliegen sein muss sicherzustellen, dass mindestens 20 % der Stimmberechtigten als Mehrheit hinter einem Bürgerentscheid stehen. Alles andere wäre aus unserer Sicht undemokratisch. Deshalb sind wir in diesen für uns wesentlichen Punkten auch anderer Meinung als die Antragsteller. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege. - Bevor wir die Beratungen weiter fortsetzen, bitte ich Sie, mit mir zusammen weitere Schülerinnen und Schüler des Marion-Dönhoff-Gymnasiums aus Mölln auf der Tribüne zu begrüßen. - Herzlich willkommen hier im Kieler Landeshaus!
Mithilfe einer Volksinitiative, getragen von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis, unterstützt von über 20.000 Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteinern, konnte endlich die Koalition dazu bewegt und gezwungen werden, die Mitbestimmungsrechte der Bürgerinnen und Bürger zu stärken. Ich sage absichtlich „gezwungen“, denn allzu oft habe ich in den Beratungen das Argument gehört: Wenn wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, kommt es noch viel weitergehender. Das heißt, es brauchte den Druck der Bürgerinnen und Bürger, um diesen Fortschritt durchzusetzen. Das ist deshalb auch ein großer Erfolg für die Initiatoren.