Protokoll der Sitzung vom 21.02.2013

(Beifall PIRATEN)

Nichtsdestotrotz muss ich ganz klar aus Sicht der PIRATEN sagen, dass wir hier mit weit weniger Mitbestimmung abgespeist werden als wir PIRATEN uns das wünschen und als es andere Bundesländer längst eingeführt haben.

Ein paar Beispiele: Sie wollen die Bürgerinnen und Bürger nicht über die Gemeindefinanzen mitentscheiden lassen, über Steuern, über Abgaben, über Hebesätze, nicht über Tourismusabgaben, nicht über Kita-Beiträge, nicht über Schülerbeförderungskosten. Wir PIRATEN sind der Meinung, dass die Bürgerinnen und Bürger ein Recht darauf haben, auch hier mitzuentscheiden.

(Beifall PIRATEN)

Sie wollen die Entscheidung über die Ausgestaltung von Bauleitplänen den Bürgern vorenthalten. Man soll also einen Kraftwerksbau, einen Hoch

(Dr. Ekkehard Klug)

hausbau ablehnen können, aber zum Beispiel nicht die Stockwerkszahl begrenzen können. Das ist ein großer Fehler.

Sie wollen, dass Unterschriften, die Bürgerinnen und Bürger ehrenamtlich am Wochenende in ihrer Freizeit mühsam gesammelt haben, nach sechs Monaten einfach ihre Gültigkeit verlieren. Das frustriert Bürgerinitiativen. Ich kann sagen, die Erfahrungen mit der Volksinitiative zur freien Schülerbeförderung, bei der über 18.000 Unterschriften zusammengekommen sind und dann die Frist abgelaufen war, haben gezeigt, dass das ein enormes Frustrationspotenzial beinhaltet.

(Beifall PIRATEN)

Wir haben im Ausschuss beantragt, diese Frist zu streichen, genauso wie viele andere Punkte. Sie sind dem leider nicht gefolgt.

Schließlich - vielleicht der schwerwiegendste Punkt - erkennen Sie das Ergebnis eines Bürgerentscheids nur an, wenn eine Mindestwahlbeteiligung erreicht wird. Daran werden viele Bürgerentscheide scheitern. Das ist widersinnig. Denn wenn in Gemeinderäten oder in Kreistagen Mehrheiten entscheiden, die teilweise von weniger als 20 % der Wählerinnen und Wähler getragen werden, dann erkennen Sie politische Entscheidungen an. Wenn aber ebenso viele Bürger, die diese Mehrheiten gewählt haben, eine direktdemokratisch legitimierte Sachentscheidung treffen, die ein viel höheres Gewicht hat, dann wollen Sie denen die Anerkennung verweigern. An der Stelle scheint wirklich eine vordemokratische Haltung durch, dass nämlich die Obrigkeit, die Repräsentanten, besser wüssten, was für die Untertanen gut ist. Das können wir nur in aller Entschiedenheit ablehnen.

(Beifall PIRATEN)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung des Kollegen Winter?

Gern.

Herr Kollege Breyer, habe ich Sie gerade richtig verstanden, dass Sie sagen, dass Gemeinderäte, Kreistage, die mit einer Wahlbeteiligung von unter 20 % gewählt wurden, Entscheidungen treffen? Können Sie mir sagen, bei welchen Gemein

de- beziehungsweise Kreistagswahlen die Wahlbeteiligung unter 20 % lag?

- Da haben Sie mich nicht richtig verstanden, Herr Kollege Winter. Ich habe gesagt, dass in Gemeinderäten und Kreistagen Mehrheiten entscheiden, die von weniger als 20 % der Wählerinnen und Wähler gestützt sein können, zum Beispiel lag die Wahlbeteiligung in Glückstadt bei unter 40 %. Das kann man ja auch alles in Statistiken nachlesen. Leider ist es heutzutage bei Kommunalwahlen üblich, dass Wahlbeteiligungen unterschritten werden, wie Sie sie hier für Bürgerentscheide voraussetzen wollen.

Die Schwelle, die die FDP hier einziehen will Herr Klug, Sie haben es gesagt -, ist noch höher. Deswegen können wir Ihrem Antrag auch nicht zustimmen.

Wogegen ich mich ausdrücklich wehren möchte, ist die regelrechte Diffamierung der Interessen von Einzelpersonen und Minderheiten. Die haben doch auch ein legitimes Interesse daran, sich durchzusetzen, wenn ein Thema für einzelne sehr belastend und sehr wichtig, der großen Masse aber egal ist, sodass nicht viele Menschen zu dem Bürgerentscheid gehen werden. Dann ist es aber völlig legitim, wenn sich diejenigen, für die es wichtig ist, durchsetzen.

(Beifall PIRATEN)

Wir PIRATEN sind davon überzeugt, dass die Bürgerinnen und Bürger in einer Informationsgesellschaft, in der Bildung und Wissen frei zugänglich sind, völlig in der Lage sind und auch ein Recht darauf haben, politische Fragen, die sie selbst betreffen, selbst zu entscheiden. Gerade die Informationstechnologie ermöglicht eine viel weiterreichende Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger im Staat als wir sie bisher haben.

Und, Frau Nicolaisen, direkte Demokratie stärkt natürlich auch das Engagement in der repräsentativen Demokratie. Denn ganz viele Menschen kommen über ihr Engagement in Einzelpunkten zu einem generellen politischen Engagement.

Wir PIRATEN praktizieren dementsprechend auch eine weitreichende Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger, etwa über Projekte wie „Kassensturz“, wo Bürger Fragen zum Haushalt einreichen konnten, etwa über unsere Priorisierungsumfrage, bei der Bürgerinnen und Bürger bei unserer Schwerpunktsetzung als Fraktion mitgestalten konnten. Das fordern wir auch auf Landesebene, zum Beispiel mit Bürgerhaushalten, über niedrigere Hürden für Volksentscheide und auch über Volks

(Dr. Patrick Breyer)

entscheide auf Bundesebene, die wir endlich brauchen.

(Beifall PIRATEN)

Ich schließe mit einem etwas abgewandelten Zitat von Neil Armstrong: Der heutige Gesetzentwurf der Koalition ist sicherlich ein großer Schritt für die SPD, aber kann doch für die Bürgerinnen und Bürger nur ein kleiner erster Schritt in die richtige Richtung sein. - Wir PIRATEN werden die Schrittmacher für mehr direktdemokratische Mitbestimmungsrechte der Bürgerinnen und Bürger sein. Danke.

(Beifall PIRATEN)

Vielen Dank. - Für die Abgeordneten des SSW spricht Herr Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Breyer, nicht wir mussten zu diesem Gesetz gezwungen werden, sondern vielmehr hat die Volksinitiative ihre Initiative vor der Wahl begonnen. Und die heutigen Koalitionsparteien haben vor der Wahl deutlich gemacht, dass sie mehr Bürgerbeteiligung haben wollen, meine Damen und Herren.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Soviel vielleicht zur historischen Wahrheit. Ich füge an: Für mehr Bürgerbeteiligung bedarf es auch nicht unbedingt der PIRATEN in diesem Parlament, meine Damen und Herren.

(Beifall SSW und SPD)

Mehr gelebte und vereinfachte Bürgerbeteiligung macht Bürgermeister und Gemeinderäte nicht zwangsläufig zu ausgehöhlten Marionetten. Es geht nicht darum, dass die Bürgerbeteiligung die repräsentative Demokratie infrage stellt, sondern vielmehr sollen sich diese Bereiche ergänzen. Es muss ein gesundes Miteinander geschaffen werden, das vor allem für Bürger Motivation zur Partizipation vor Ort schafft. Erfahrungen aus anderen Bundesländern zeigen auch, dass die Anzahl der Bürgerentscheide nicht exorbitant steigt. Bürgerbeteiligung heißt eben nicht gleich Bürgerentscheid, Ausnahmezustände sind also nicht zu erwarten, meine Damen und Herren.

Die Idee, die hinter dem Gesetzentwurf steht, ist, dass Fälle, in dem ein mühseliges Schlichtungsverfahren nötig ist, gar nicht erst auftreten. Hier geht es darum, möglichst im Vorfeld zu einem breit angelegten Konsens zwischen den Beteiligten zu kommen. Das ist das eigentliche hintergründige Ziel dieses Gesetzes, meine Damen und Herren.

Mit diesem Gesetzentwurf wird die Bürgerbeteiligung eine ganz neue Qualität erhalten. In Fragen, Problemen und Entwicklungen der Gemeinde können sich Bürger jetzt nicht nur mit einem Ja oder Nein äußern, sondern es geht hier vielmehr um das Ob oder Wie. Denn Bürgerbeteiligung macht besonders dort Sinn, wo es Alternativen gibt.

Zu einer funktionierenden Bürgerbeteiligung gehört auch die Informations- und Wissensbereitstellung. Nur so können Präferenzen entstehen, ermittelt und ausgewogen werden. Die Bürger haben sich in vielerlei Hinsicht verändert, und nun muss die Verwaltung nachziehen. Wie viele Bürger erreicht eigentlich noch der Aushangkasten in den jeweiligen Dörfern? Wer liest noch die ortsüblichen Bekanntmachungen, die oftmals in Schaukästen ausgehangen werden oder auf der Homepage der Gemeinde stehen? Diese Problematik müssen wir zur Kenntnis nehmen und uns ihrer annehmen.

Ein weiterer Punkt, der zur Kenntnis genommen werden muss, ist der Aspekt der Akzeptanz. Selbst die modernste und umfassendste Form der Bürgerbeteiligung wird nicht immer einen Konsens aller Beteiligten vorweisen. Aber darum geht es ja auch gar nicht. Es geht darum, eine nachhaltige Akzeptanz zu schaffen, die eine Grundlage für ein ausgleichendes Miteinander zwischen Bürgern und Kommunalvertretung bildet.

Zur Kenntnis nehmen müssen wir auch, dass das Anliegen der Bürgerbeteiligung von heute auf morgen nicht fertig ist und wir es somit abhaken können. Die dazugehörige Informationskultur muss regelmäßig den Gegebenheiten angepasst werden. Auch wir müssen feststellen, dass die Integration von allen natürlich eine Illusion ist. Aber Ziel des Gesetzes ist immer wieder, einen Diskussion- und Informationsprozess anzuschieben.

Eine gute Planungskultur, mit einem transparenten Verfahren bei der Beteiligung der Bürger und positiven Erfahrungen mit der Behandlung von strittigen Themen, werden das Protestpotential der Beteiligten eher mindern. Denn die wenigsten würden wohl unter der Zeile Hobbys im Poesiealbum „die Auseinandersetzung mit schwerverständlichen Planwerken aus meiner Stadt“ angeben.

(Dr. Patrick Breyer)

(Heiterkeit SPD)

Meckern ist eben kein Selbstzweck, sondern Betroffenheit muss ernst genommen werden, meine Damen und Herren. Mehr Bürgerbeteiligung führt somit auch zu Konfliktabbau. Dies ist für mich eigentlich das wichtigste Ziel dieses Gesetzes.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Abschließen möchte ich mit einem Zitat:

„Die Tradition, Brücken zwischen Uneinigkeiten zu bauen, ist eine Tradition der Einbeziehung von breiten Interessen, die darauf aufbauen, dass Entscheidungen, die in der Gemeinschaft getroffen werden, stärker sind, als diejenigen, die vom stärksten Part im Alleingang getroffen werden.“

So sagte es die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt im Dezember 2012 zum Jahrestreffen des Dänischen Jugendrats.

(Beifall SSW)

Da hat sie Recht. Denn wir müssen weitere Brücken bauen zwischen Kommunalvertretern und Einwohnern sowie Anwohnern. Es müssen Brücken geschaffen werden zwischen dem, was auf dem Papier steht, und dem, was gelebt wird. Es muss endlich ein vernünftiges Miteinander von repräsentativer und direkter Demokratie auf die Beine gestellt werden. Und wir kommen hier in Schleswig-Holstein diesem Ideal auch einen Schritt näher. Damit sind wir in Schleswig-Holstein Spitze in der gesamten Bundesrepublik.

Abschließend möchte ich der Initiative „Mehr Demokratie“ danken, die für die positive Begleitung der Gesetzgebung maßgeblich mit verantwortlich ist.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)