Protokoll der Sitzung vom 25.04.2013

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im September letzten Jahres hat diese rot-grün-blaue Koalition hier ihren völlig verkorksten Entwurf für

(Lars Harms)

ein Tariftreue- und Vergabegesetz eingebracht. Er strotzte nur so von pseudolinker Ideologie und Gutmenschentum - wir haben es eben auch gehört und von einem tiefen Misstrauen gegenüber allen mittelständischen Betrieben.

(Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD])

- Herr Dr. Stegner, Mittelstand und Handwerk sind zu Recht auf die Barrikaden gegangen. Es hat schon eine besondere Dramatik, dass all das Gute, das Sie für die Betriebe angeblich tun wollen, vom Handwerk und vom Mittelstand als Frontalangriff empfunden wird. Die Handwerker haben sich auf die Äußerungen von Ministerpräsident Albig und des Wirtschaftsministers verlassen, man wolle Bürokratie abbauen. Sie haben sich auf die Beteuerungen der Koalitionspolitiker in vielen Diskussionsrunden verlassen, man werde im Interesse des Handwerks nachbessern. Aber heute ist klar: Wer sich auf solche Zusagen verlässt, der ist verlassen. Denn Sie haben Ihr verkorkstes Gesetz nicht nachgebessert, Sie haben es - das sagt selbst das Handwerk - verschlimmbessert.

(Beifall CDU und FDP)

Dieses Gesetz diskriminiert Schleswig-Holsteiner zum Beispiel gegenüber Dänen, Niederländern oder Polen. Es schafft nicht zu leistende Bürokratie durch zusätzliche Nachweispflichten. Es gefährdet Arbeitsplätze, und es kriminalisiert von vornherein die Handwerker, weil jeder, der von Ihren neuen Regeln abweicht, mit einem Bein im Gefängnis steht, und das selbst dann, wenn er trotz allen guten Willens manche Auflagen, etwa den Nachweis der Herkunft von bestimmten zugelieferten Produkten, gar nicht erfüllen kann.

Herr Dr. Tietze, Ihr lapidarer Kommentar im Ausschuss dazu war: Ja, das Gesetz diskriminiert Inländer; aber das ging leider nicht anders, weil die EU das so will und weil die Koalition das Gesetz will. Etwas Merkwürdigeres habe ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, beim besten Willen noch nicht gehört, und ich hätte Ihnen das auch nicht zugetraut.

Auch was die Lohnfindung angeht, bestätigen sich mit dem Änderungsantrag unsere Befürchtungen. Statt auf verbindliche Lohnuntergrenzen der Tarifpartner zu setzen - das wäre nämlich der richtige Weg -, kommen Sie hier zu einem gesetzlichen Mindestlohn von 9,18 €. Sie überladen damit die öffentliche Vergabe mit vergabefremden Kriterien und verlieren aus dem Auge, was öffentliche Vergabe eigentlich leisten soll.

Wenn Minister Meyer davon ausgeht, dass die Angebote teurer werden, die bereitgestellte Gesamtsumme für Investitionen sich aber nicht erhöhen wird, dann bedeutet das, dass zukünftig weniger Ausschreibungen durch das Land vergeben werden können.

Dies alles, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch als kluge Wachstumspolitik zu beschreiben, ist schlicht eine Farce.

(Beifall CDU und FDP)

Es ist deshalb niemand verwundert, wenn bei Ihrer Politik die Konjunkturumfragen in Schleswig-Holstein erste Bremsspuren zeigen. Sie sichern keine Arbeitsplätze, sie vernichten Arbeitsplätze.

(Beifall CDU und FDP - Zuruf Eka von Kal- ben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Dr. Ralf Stegner [SPD]: Das ist Unsinn!)

Der Hammer aber ist die Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf die Kreise und Gemeinden. Die bürokratischen und die finanziellen Belastungen sind überhaupt nicht abschätzbar.

Damit und mit Ihrer Weigerung, eine erneute Anhörung aller Betroffenen durchzuführen, haben Sie nun wirklich den Vogel abgeschossen. Die kommunalen Landesverbände schreiben Ihnen am 11. April 2013 ausdrücklich, dass eine konkrete Bewertung nicht vorgenommen werden kann, weil Ihr neuer Änderungsantrag gar nicht vorliegt.

(Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Wirtschaftsminister Meyer und die Koalition stellten im Ausschuss fest, dass dies ein neues Gesetz sei. Wenn dies aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein neues Gesetz ist, dann muss es doch dazu zwingend eine neue Anhörung geben, gerade weil die Kommunen jetzt einbezogen werden. Wenn das nicht der Fall ist, dann ist das miserabler Stil und hat mit Dialogkultur nichts zu tun.

(Beifall CDU und FDP - Zuruf Eka von Kal- ben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Der Koalition ist es offenbar völlig egal, dass es hierbei um echtes Geld geht und dass es um echte Arbeitsplätze geht, die auf dem ideologischen Altar dieser Koalition geopfert werden. Sie haben heute die Chance, sich mit unserem Entschließungsantrag, den wir eingereicht haben, klar zum Mittelstand und zum Handwerk zu bekennen, und Sie haben die Chance, eine vernünftige und für die Kommunen zwingend erforderliche Anhörung durchzuführen.

(Johannes Callsen)

Deswegen beantragen wir eine dritte Lesung dieses Gesetzentwurfs.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Die werden Sie nicht kriegen!)

- Ich bedanke mich, dass ich die Antwort schon bekomme. Ich habe auch nichts anderes erwartet. Falls Sie diese dritte Lesung ablehnen, beantragen wir zum Gesetzentwurf namentliche Abstimmung, damit klar wird, wer hier in Schleswig-Holstein Wirtschaft und Kommunen belastet. - Herzlichen Dank.

(Beifall CDU und FDP - Zurufe Serpil Mi- dyatli [SPD] und Dr. Ralf Stegner [SPD])

Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Olaf Schulze das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir haben keine Angst vor namentlicher Abstimmung. Diese begrüßen wir, weil dadurch deutlich wird, wer für dieses Land wirklich fortschrittliche Politik betreibt.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Meine Damen und Herren, vor rund zehn Jahren hat der Schleswig-Holsteinische Landtag schon einmal ein Tariftreuegesetz verabschiedet. Das Tariftreuegesetz von 2003 war schlank und knapp gehalten. Seitdem hat sich die Welt weitergedreht. Wir müssen auch sehen, dass es inzwischen in vielen Bundesländern Tariftreuegesetze gibt, die über unser damaliges Gesetz hinausgehen. Ein Bezug auf ILOKernarbeitsnormen, auf Gleichstellung, auf ökologische Standards gehört mittlerweile dazu. Einen vergabespezifischen Mindestlohn enthalten die Gesetze anderer Länder ebenfalls. Hinzu kommen Regelungen zu den Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten.

Ich möchte an dieser Stelle sehr deutlich machen, dass die Sozialdemokratie einen bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn fordert. Auch ich hielte es für richtig, wenn die Tariftreuegesetze der Bundesländer gleiche Berechnungsgrundlagen für den Vergabe-Mindestlohn enthielten. Und ich bin der Überzeugung, dass es richtig ist, Menschen einen anständigen Lohn zu zahlen, wenn sie im Auftrag der öffentlichen Hand arbeiten.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Deshalb haben wir uns an der am niedrigsten besetzten Entgeltgruppe im Tarifvertrag der Länder orientiert.

Meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist so ausführlich beraten und erörtert worden wie kaum ein anderes. Darüber bestand auch im Wirtschaftsausschuss in der vergangenen Woche Einvernehmen. Wir haben zwei mündliche und eine schriftliche Anhörung durchgeführt. Daraufhin haben wir zahlreiche Änderungen an dem Gesetz vorgenommen.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: So ist es!)

Dies ist im Übrigen ja auch der Sinn von Anhörungen.

(Vereinzelter Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die Koalitionsfraktionen haben zahlreiche Vorschläge der verschiedenen Expertinnen und Experten in das Gesetz aufgenommen. Genau das war auch Sinn der Anhörung.

Einige dieser Änderungen möchte ich hier hervorheben. Bei den Sozialstandards haben wir die Nachweispflichten deutlich verschlankt, ohne die Verpflichtung selbst in der Substanz zu ändern. Denn wir wollen die soziale Gerechtigkeit fördern, indem Gleichstellung von Frauen und Männern als wichtiges gesellschaftliches Ziel auch bei Auftragsvergaben gestützt, und nicht nur in Sonntagsreden oder Donnerstagsreden wie hier heute Morgen dargestellt wird, sondern wir wollen sie auch wirklich umsetzen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir haben gerade auf Grundlage der Kritik an unserem Entwurf und dem Gesetz in Nordrhein-Westfalen viele Bestimmungen reduziert, entbürokratisiert - Herr Callsen - und angepasst. An den Kern gehen wir jedoch nicht heran. Wenn Sie sich jetzt beschweren, dass nicht alle Änderungswünsche aufgenommen wurden, muss ich Ihnen sagen: natürlich nicht! - Wir haben, wie das unsere Aufgabe in der Politik ist, alle Interessengruppen angehört, wir haben die Argumente abgewogen, und wir haben in vielen Fällen Kompromisse gefunden.

Die Gestaltung von Politik allerdings obliegt uns. Das ist unsere Verantwortung als Politikerinnen und Politiker. Das können wir nicht abgeben, und wir sollten es auch nicht.

(Johannes Callsen)

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir wollen und wir werden mit dem Gesetz auch kleine und mittlere Unternehmen in Schleswig-Holstein im Wettbewerb stärken, damit sie im Kampf gegen Dumpinglöhne und Wettbewerbsverzerrung bestehen können.

Die Wirtschaft in Schleswig-Holstein leistet gute Arbeit. Die weit überwiegende Zahl der Unternehmen zahlt sehr gute Löhne, die deutlich über dem Mindestlohn im Tariftreue- und Vergabegesetz liegen. Selbst die allgemein verbindlichen Löhne im Bau liegen weit über dem, was wir hier eingesetzt haben.

Kürzlich hat der Direktor des Instituts für Regionalforschung an der Uni Kiel, Professor Johannes Bröcker, Schleswig-Holstein als Hochlohnland bezeichnet, mit hohem technischen Standard. Innovation sollte weiter unser Ziel sein. Eine moderne, sozial gerecht ausgestaltete und kundenorientierte starke Wirtschaft brauchen wir für dieses Land.

Was die öffentlichen Aufträge betrifft, haben wir formuliert, was wir erwarten. Gerechtigkeit hört aber für uns nicht an der Landesgrenze und nationalen Grenzen auf. Eine Revision der Entsenderichtlinie wird daher notwendig. Wenn dies aber auf europäischer Ebene noch nicht mehrheitsfähig ist, benötigen wir auch hier wenigstens geeignete Kontrollmechanismen. Wir fordern also eine wirksame Durchsetzungsrichtlinie. In der gehört nach unserer Meinung mindestens geregelt: das Vorhalten der Arbeitsunterlagen am Ort der Leistungserbringung und verantwortliche Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner vor Ort, die Möglichkeit grenzüberschreitender Sanktionen. Und wir fordern, dass die Mitgliedstaaten eigene Kontrollmechanismen anwenden dürfen.

Der Schleswig-Holsteinische Landtag sollte selbstbewusst eine eigene Haltung zur Umsetzung der EU-Entsenderichtlinie haben. Beraten können wir das dann gern zuvor in den Ausschüssen. Wir beantragen die Überweisung federführend an den Europaausschuss und mitberatend an den Wirtschaftsausschuss. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Vielen Dank. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Andreas Tietze das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Mit dem heutigen Gesetzentwurf erreichen wir, dass sich Unternehmen, die in Schleswig-Holstein einen öffentlichen Auftrag haben wollen, auf Mindestlohn und Tariftreue verpflichten. Das wollten wir, und das haben wir in diesem Gesetz scharf geschaltet.