Aber, Kollege Breyer, einer automatischen Ablehnung des Gesetzentwurfs durch den Bundesrat werden wir nicht zustimmen. Dieses Junktim war im Übrigen in der ursprünglichen Drucksache 18/370 auch nicht enthalten.
Wir werden uns deswegen bei dem heute von Ihnen vorgelegten gemeinsamen Antrag von Ihnen und den Koalitionsfraktionen in dieser Frage der Stimme enthalten. - Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gut, dass ein Gesetzentwurf der Landesregierung auf dem Tisch liegt, der so ausgereift ist und hohen professionellen Standards genügt, dass wir auf dieser Grundlage zu einem tragfähigen Gesetz kommen werden.
- Da bin ich mir wirklich völlig sicher. Sicher bin ich mir allerdings überhaupt nicht, ob alle Beteiligten wissen, wie der Diskussionsstand ist.
Wir sollten nicht bei jeder Internetdiskussion wieder von vorn anfangen beziehungsweise immer wieder die Extreme Segen und Fluch hin und her diskutieren. Das Problem bestand in der Vergangenheit darin, dass die demokratischen Gremien hoffnungslos hinter der digitalen Wirklichkeit hinterherliefen.
Der digitale Datenaustausch gehört heutzutage einfach zum Berufsalltag und spielt auch im Privatleben der meisten Menschen eine Rolle. Wir sprechen also weder über allgemeine Spielregeln fürs Internet noch über das klassische Postgeheimnis. Fangen wir mit letzterem Missverständnis an: Die sehr engagierte Arbeit der Enquetekommission Internet und digitale Gesellschaft des Bundestages hat gezeigt, wie wenig hilfreich Analogien zu herkömmlichen Nachrichtenwegen sind, wenn wir über Sicherheit im Internet reden. Die Kommissionsmitglieder haben schnell begriffen, dass sie dazulernen müssen, um das Internet verstehen zu können. So wenig wie man in früheren Zeiten die Post per reitendem Boten oder Pony-Express mit einem Fax vergleichen konnte, obwohl beide Systeme Nachrichten übermitteln, sowenig kommt man vor
Gerade die Enquetekommission hat aber auch gezeigt, dass Kompromisse über Parteigrenzen möglich sind. Das sollten wir auch in Schleswig-Holstein versuchen zu erreichen. Wir sollten ohne Hysterie einen praktikablen Weg finden, der die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt und gleichzeitig der Polizei unter Richtervorbehalt den Zugang zu nötigen Informationen eröffnet.
Noch einmal der Hinweis, dass wir nicht über das Internet an und für sich, also über Inhalte und Angebote reden, sondern über Bestandsdaten, also die Daten, die der Telefon- oder Internetanbieter dauerhaft vom Kunden speichert. Das sind die Daten, die der Nutzer in der Regel in seinem Vertrag angibt, also sein oder ihr Name, die Adresse und Kontodaten. Darüber hinaus gehören die IP-Adressen, mit denen sich ein Computer im Netzwerk identifiziert, zu den Bestandsdaten. Letztere Daten bilden quasi die Verbindung zwischen der digitalen Spur und dem realen Menschen.
Über die Grundsätze beim Zugriff auf diese Daten sollte immer nur einer entscheiden, und das ist das demokratisch gewählte Parlament. Wir dürfen Entscheidungen über den Datenverkehr im Netz und die Netzüberwachung nicht in die Hände kommerziell agierender Konzerne geben. Das ist genau das, was die Aktiengesellschaft Facebook derzeit massiv versucht; Daten werden langfristig gespeichert, sogar wenn sie vom Nutzer gelöscht wurden, Daten werden weiterverwertet und - schlimmer noch weiterverkauft. Das ist falsch. Daten gehören den Nutzern.
Nur demokratische Mehrheiten entscheiden über die Zugriffsrechte auf die Internetdaten - transparent, nachvollziehbar und in öffentlicher Debatte, wie es auch heute geschieht. Nur so bleiben die demokratischen Rechte auch für die Nutzung des Internet gewahrt. Dazu gehört der Richtervorbehalt, der im Entwurf fest verankert ist.
Für den SSW steht fest, dass es niemals zu einer allgemeinen Überwachung aller Nutzer kommen darf. Die Freiheitsrechte im Internet werden wir verteidigen, weil sie zu den Pfeilern unserer Gesellschaft gehören. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung beziehungsweise das vom Bundesverfassungsgericht sogenannte IT-Grundrecht gilt es zu respektieren.
Staatliche Eingriffe - das geht eindeutig aus dem Gesetzentwurf hervor - bilden die absolute Ausnahme im Datenverkehr. Die Kompetenzen für Eingriffe, also wer aus welchen Gründen Kenntnisse über die Bestandsdaten erhält, sind genau festgelegt. Allerdings sehe ich durchaus noch Klärungsbedarf, was den Praxisvollzug des Richtervorbehalts angeht. Kritiker im Netz verweisen vielleicht nicht ganz zu Unrecht auf die komplexe Materie, die es nur qualifizierten Richtern erlaube, sich wirklich mit dem Vorgang sachkundig auseinanderzusetzen. Unter anderem bezüglich dieses Punktes bin ich auf die Anhörung gespannt. Das setzt voraus, dass die Richter in diesem Bereich weitergebildet werden müssen.
Wir wissen, dass dies möglicherweise Kosten verursacht. Auch darüber müssen wir im Ausschuss beraten.
Ich glaube, dass wir uns im Parlament im Grundsatz weitgehend einig sind, wie über das Gesetz und unseren Antrag zu beraten ist. Insbesondere was das Gesetz angeht, freue ich mich auf die Ausschussberatung.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Nicolaisen, ich glaube an die Kraft des Arguments und probiere es noch einmal. Warum brauchen auch Teile der Bestandsdaten einen besonderen Schutz? Sie haben richtigerweise gesagt, man brauche es für weitere Maßnahmen. Wenn ich zum Beispiel ein Passwort haben möchte, brauche ich es, um an die Inhalte heranzukommen. Warum soll ich den Zugang weniger schützen als den Inhalt? Wenn ich den Richter sowieso brauche, um an den Inhalt heranzukommen, kann ich bei den kitzeligen Bereichen doch auch gleich den Richtervorbehalt nehmen. Bei den Passwörtern ist Ihre Bundestagsfraktion dem ja auch gefolgt, nur bei den IPDaten nicht. Das ist der Unterschied zu anderen Bestandsdaten.
Ich versuche einmal eine Analogie. Wenn Sie beim Kfz-Kennzeichen die Bestandsdaten abfragen, wer der Halter ist, bekommen Sie damit nicht gleich die
Möglichkeit, das Fahrzeug zu durchsuchen, ohne dass der Halter etwas davon mitbekommt. Das ist der qualitative Unterschied. Deshalb gibt es bei einigen Bestandsdaten wie Kfz-Daten oder Telefonanschluss keine Notwendigkeit für einen Richtervorbehalt. Wenn Sie aber an die Kommunikationsinhalte herankommen können, ohne dass jemand noch einmal draufschaut, halten wir es für rechtsstaatlich geboten, einen Richtervorbehalt einzuziehen.
Vielleicht können Sie das auch Ihren Kollegen auf Bundesebene noch einmal näherbringen. Ich kann das nach wie vor nicht verstehen. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Kollege Dolgner, das ist heute schon das zweite Mal, dass Sie mich verblüffen. Sie haben mich freundlicherweise auf einen sehr relevanten Unterschied zwischen der Ursprungsdrucksache und dem vorliegenden Antrag Drucksache 18/730 (neu) aufmerksam gemacht. Dieser wesentliche Unterschied macht es meiner Fraktion möglich, dem Antrag zuzustimmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Dezember vergangenen Jahres hat der Landtag die Landesregierung gebeten, sich im Bundesrat dafür einzusetzen, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung der Bestandsdatenauskunft als Folge der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Bürgerrechte stärker berücksichtigt. Dem ist die Landesregierung mit insgesamt vier Anträgen im Bundesrat nachgekommen.
genanhörung vor dem Bundestagsinnenausschuss hat der Bundestag am 21. März dieses Jahres das nun vorliegende Gesetz beschlossen. Es berücksichtigt Änderungswünsche des Landtags und räumt wesentliche Bedenken der Landesregierung am Bundesgesetz aus. So regelt das Gesetz die Bestandsdatenabfrage nun im Einzelfall mit Blick auf eine konkrete Gefahr beziehungsweise einen konkreten Verdacht. Zudem wird bei behördlichen Auskunftsverlangen zu Sicherungscodes und IPAdressen im Interesse eines nachträglichen Rechtsschutzes eine Benachrichtigung der Betroffenen zwingend.
Abfragen nach Sicherungscodes stehen zudem unter dem Richtervorbehalt. Das gilt jedoch aus Sicht der Landesregierung leider nicht für Abfragen für Bestandsdaten, die über IP-Adressen zu erhalten sind.
Eine Verzögerung - ich komme zum Verfahren - im Gesetzgebungsverfahren beziehungsweise ein Scheitern träfen auch den Entwurf unseres Landesgesetzes. Sollte die bundesgesetzliche Regelung bis zum 1. Juli 2013 nicht in Kraft treten, könnte auch unser Gesetz keine Rechtswirkung entfalten. Rechtswirkung können die landesgesetzlichen Regelungen nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und seinem sogenannten Doppeltürenmodell nur entfalten, wenn sich die Befugnisse im Landespolizeirecht und im Landesverfassungsschutzgesetz auf eine bundesrechtlich zitierfähige Regelung beziehen. Ein Scheitern des Bundesgesetzes sollte vermieden werden.
Landespolizei und Verfassungsschutz sollte auch ab dem 1. Juli die Möglichkeit der Bestandsdatenabfrage eingeräumt werden. Nachbesserungen am Bundesgesetz sind deshalb nicht aufgehoben, sondern aufgeschoben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in unserem Gesetzentwurf gehen wir weit über die bundesgesetzliche Regelung hinaus. Wir erweitern den Richtervorbehalt und die Benachrichtigung der Betroffenen auch für die Abfrage von Bestandsdaten aus IP-Adressen. Ein Unterlassen der Benachrichtigung ist nur mit gerichtlicher Genehmigung möglich.
Ein Hinweis aber ist mir wichtig: Auch unsere fortschrittliche und freiheitsstärkende landesgesetzliche Regelung tritt in Schleswig-Holstein nur in Kraft, wenn wir die Frist zum 1. Juli 2013 halten. Landesund Bundesgesetz bedingen einander. Auch deshalb
sollte Schleswig-Holstein einer bundesgesetzlichen Regelung nicht im Wege stehen. Dabei wird selbstverständlich das heutige Votum des Landtags Berücksichtigung finden. - Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Ich frage die Fraktionen: Ausschussüberweisung?
- In der Sache abstimmen. Deshalb wollte ich nachfragen, weil das nicht ganz klar war. - Herr Abgeordneter Dr. Dolgner zur Geschäftsordnung.
Herr Präsident, es handelt sich um zwei Vorlagen. Wir bitten darum, den Antrag 18/730 (neu) in der Sache abstimmen zu lassen. Die andere Drucksache sind zwei Gesetzentwürfe der Landesregierung. Wir bitten darum, die an den Ausschuss zu überweisen. - Danke.
Das ist klar. Dann ist beantragt worden, den Gesetzentwurf Drucksache 18/713 dem Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen sehe ich nicht, Enthaltungen auch nicht. Dann ist so beschlossen.
Der Antrag Drucksache 18/730 (neu) wird jetzt in der Sache abgestimmt. Ich bitte um Handzeichen, wer diesem Antrag zustimmen will. - Das sind die Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die Abgeordneten des SSW sowie die Fraktion der PIRATEN und die Fraktion der FDP.