Protokoll der Sitzung vom 21.08.2013

Meine Damen und Herren, die Infrastrukturpolitik der vergangenen Jahrzehnte hat einen entscheidenden Denkfehler. Es wurde immer nur geschaut: Was kostet der Bau einer Straße, einer Brücke, eines Tunnels, einer Philharmonie? Die langfristigen Kosten für den Erhalt wurden aber nicht berücksichtigt. Das ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was ich als nachhaltig bezeichnen würde.

(Eka von Kalben)

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sie haben es nachhaltig verhindert!)

„Wenn du deine Sachen pfleglich behandelst, hast du lange Freude daran“, diese Binsenweisheit bringen wir schon unseren Kindern bei. Erhalt statt Neubau, das ist eine im besten Sinne verstandene konservative Politik, eine bewahrende Politik.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Nicht nur im Naturschutz, sondern auch in der Verkehrspolitik sind die Grünen die besseren Konservativen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Christopher Vogt [FDP]: Große Ei- nigkeit in der Koalition!)

Gleich mehrere Landes- und Bundesregierungen haben den Erhalt der Infrastruktur total außer Acht gelassen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Waren Sie daran nicht beteiligt?)

- Wenn wir Grünen hier für die gesamte Infrastruktur verantwortlich gemacht werden: Es wäre ja schön, wenn wir in den letzten Jahren überall die Verkehrsministerien hätten besetzen können. Das wäre voll in meinem Sinne gewesen, es ist aber de facto nicht so.

(Volker Dornquast [CDU]: Gott sei Dank! - Dr. Heiner Garg [FDP]: Die SPD ist an allem schuld!)

- Was denn nun: Gott sei Dank? Entweder sind wir nun schuld, oder wir sind nicht schuld. Sie können uns nicht vorwerfen, dass wir hier eine falsche Politik gemacht haben, obwohl wir gar nicht in der Verantwortung waren.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sie waren nicht in der Regierung von 1996 bis 2005?)

Der Erhalt der Infrastruktur wurde außer Acht gelassen. Stattdessen wurden immer mehr und immer neue Straßen und Tunnel geplant. Die feste Fehmarnbelt-Querung ist nur das bekannteste Beispiel dafür. Ich fordere: Für jeden Neubau in öffentlicher Hand - Straße, Brücke, oder Kanal - muss zukünftig eine Rückstellung zum Erhalt eingeplant werden, die der natürlichen Abnutzung entspricht. Wenn diese Kosten von vornherein eingepreist werden, werden die Kosten auf lange Sicht transparent, und manche Wirtschaftlichkeitsrechnung wird anders aussehen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Christopher Vogt [FDP]: Und bei den Beam- ten?)

Planen Sie für eine zusätzliche Elbquerung bei Glückstadt die Erhaltungs- und Sicherungskosten mit ein. Dann wird sich zeigen, ob sich noch Investoren für ein ÖPP-Modell finden. Diese sind ja schon heute Mangelware.

(Christopher Vogt [FDP]: Und bei den Be- amten?)

Wir haben weit dringendere Baustellen als eine feste Fehmarnbelt-Querung oder einen Tunnel unter der A 20.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr stark, das wollten wir hören!)

Sie fordern uns auf, an dieser Stelle eine Meinung zu haben. Es ist wirklich lächerlich. Wenn Sie sich in den letzten Wochen die Debatten hier im Landtag zum Betreuungsgeld, zur Optionspflicht und zur gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft angehört haben und sich dann anschauen, wie Sie gegenteilig im Bund regieren, dann kommt hier immer das Argument: Wir sind unterschiedliche Parteien, wir können unterschiedlicher Meinung sein, und die Landes-FDP war schon immer ganz anderer Meinung als die Bundes-FDP. Von einer einheitlichen Meinung zu sprechen, die wir haben müssten, ist deshalb absurd. Wir leben in einer Demokratie.

(Christopher Vogt [FDP]: Sie haben Regie- rungsverantwortung!)

Wir haben einen Koalitionsvertrag. Sie erwarten in jeder Sitzung, dass wir ihn kopieren, dabei können Sie den im Netz finden. Dort stehen ganz präzise Sätze zur Fehmarnbelt-Querung. Aus die Maus.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Die A 7, die Jütlandroute, ist die Herzschlagader des schleswig-holsteinischen Verkehrs. Hier fließt der Verkehr zwischen Deutschland und Skandinavien. Ist diese Ader verstopft oder eingeengt, droht der Infarkt. Wir wissen heute nicht, ob noch weitere Engpässe drohen? Ich sage: Erhalt statt Neubau. Erhalt statt Neubau, ich kann es gar nicht oft genug wiederholen. Wir brauchen diesen Paradigmenwechsel in der Verkehrspolitik. Das Durchschneiden roter Bänder bei der Einweihung neuer Straßen ist ein Bild, das wir nur noch selten sehen werden. Wir müssen jetzt erst einmal die Schaufel in die

(Eka von Kalben)

Hand nehmen und unser Verkehrsnetz wieder flicken.

(Christopher Vogt [FDP]: Mit der Schaufel?)

Die einseitige Sicht auf den Straßenbau, um Verkehrsströme zu lenken, ist ein Fehler, den diese Koalition korrigieren wird. Wir haben das feste Ziel, die Mittel für den öffentlichen Verkehr aufzustocken. Ja, die S 4 und die S 21 werden im Hamburger Rand viele Pendlerinnen und Pendler aufnehmen können und so die weitere schnelle Abnutzung der Straßen vermindern. Der ÖPNV trägt so auch zum Erhalt der Straßeninfrastruktur bei. Nur, wir brauchen neue Konzepte. Wir brauchen eine neue Mobilitätspolitik. Wir brauchen die Verkehrswende.

Bildung, Klimaschutz, nachhaltige Mobilität und Haushaltskonsolidierung sind das magische Viereck modernen Regierungshandelns. Substanzverfall, Zukunftsverweigerung, Kurzsichtigkeit und Kleinkaro-Sparpolitik, das ist das schwarze Viereck der schleswig-holsteinischen CDU. Die Küstenkoalition hat also eindeutig das bessere Konzept. Wir sind stolz auf unsere Arbeit. - Danke schön.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für die Fraktion der PIRATEN hat Herr Abgeordneter Dr. Patrick Breyer das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn die heutige Debatte etwas Neues gebracht hat, dann, dass der Bundestagswahlkampf begonnen hat. Wir haben die entsprechenden Schaukämpfe hören dürfen.

(Heiterkeit)

Ich versuche einmal, zur Sache zu sprechen: Der Sanierungsbedarf unserer Landesstraßen ist unbestritten und dringlich. Nach der letzten Messung haben 25 % unserer Landesstraßen Substanzmängel. Das bedeutet, dass sie Risse enthalten oder geflickt sind. In anderen Bundesländern ist diese Situation übrigens nicht viel besser, das macht sie dadurch bei uns aber auch nicht besser.

Um die kalkulierte Nutzungsdauer einer Straße zu erreichen, ist es notwendig, dass ausreichende Erhaltungsmaßnahmen durchgeführt werden, zum Beispiel Deckenerneuerungen, sonst fallen nämlich später höhere Kosten an, als wenn man es rechtzei

tig macht. Inzwischen sind 700 km unseres Landesstraßennetzes verkehrsbeschränkt, aus Gründen des Straßenzustands. Der Landesverkehrsbetrieb sagt, wir benötigen 36 Millionen € pro Jahr, allein um den jetzigen Zustand zu erhalten.

Das Thema eignet sich denkbar schlecht für die Schuldzuweisungen, die ich heute Morgen gehört habe. Denn es sind doch Regierungen aller Couleur verantwortlich für diesen Zustand: FDP, CDU, Grüne, SPD. Sie alle waren doch in der Vergangenheit an der Regierung, und wir hören vom Landesbetrieb, dass sich der Zustand unserer Straßen beständig verschlechtert hat, egal in welcher Regierungszeit. Deswegen ist es das Ergebnis Ihrer Politik. Da machen gegenseitige Schuldzuweisungen überhaupt keinen Sinn.

(Beifall PIRATEN)

Was sind die Ursachen dafür? Erstens. In der Praxis machen Sie genau das Gegenteil von dem, was Eka von Kalben eben gesagt hat. Sie machen Neubau vor Erhalt. Schauen Sie sich allein Ihren Haushaltsplan für das nächste Jahr an. Darin sind 8 Millionen € für den Um- und Ausbau von Landesstraßen vorgesehen, und zwar nicht nur für bereits begonnene Projekte - es ist okay, dass man die zu Ende baut -, sondern auch für bereits zugesagte Projekte. Ich fordere Sie auf, diese Zusagen abzuräumen. Wir können es uns nicht länger leisten, neue Straßen zu bauen oder zu erweitern, während unsere bisherigen verkommen. Das ist volkswirtschaftlich unsinnig.

(Beifall PIRATEN)

Es geht nicht an, dass Sie weiterhin immer mehr Geld in solche Aus- und Umbauten stecken als in die Erhaltung des bestehenden Straßennetzes. Es geht auch nicht an, dass Sie anlässlich einer Sanierung dann immer noch Um- und Ausbauten dazufügen, wie es bei der L 192 der Fall ist. Alle Um-, Aus- und Neubauprojekte müssen in dieser Situation auf den Prüfstand. Ich fordere Sie auch auf, den Wegfall der Zweckbindung der Mittel zur Gemeindeverkehrswegefinanzierung zu nutzen, um eben nicht nur auf Neubau von Gemeindestraßen zu setzen, sondern auf den verstärkten Erhalt dieser Straßen. Sie haben dadurch die Möglichkeit, dass ab 2014 die Bindung an den Neubau entfällt. Dadurch können Sie diese Mittel eben auch für den Erhalt nutzen. Davon muss Gebrauch gemacht werden.

Was die Bundesmittel angeht, die sind leider auch zweckgebunden. Hier muss auch darüber nachgedacht werden, ob diese Neubaumittel im Verkehrs

(Eka von Kalben)

wegeplan nicht in Sanierungen umgewidmet werden müssen. Einstweilen ist es richtig und wirtschaftlich sinnvoll, dass die A 20 weitergebaut wird. Falsch ist es dagegen, sie als ÖPP-Projekt weiterzubauen, sodass dann die Tunnelbenutzer auch noch Maut zahlen müssen. Straßenprivatisierungen sind mit uns nicht zu machen.

(Beifall PIRATEN)

Schließlich fordern wir PIRATEN: Sie müssen dieses Projekt der festen Fehmarnbelt-Querung sofort stoppen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wie denn?)

Auf deutscher Seite sollen 2 Milliarden € in dieses Projekt fließen. Dafür könnten Sie sämtliche Landesstraßen neu machen und noch neue Laternen daneben setzen. Das ist ein völlig unsinniges Projekt.

(Beifall PIRATEN und Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wollen Sie vielleicht, dass unsere Straßen so verkommen, dass man irgendwann von Flensburg nach Lübeck über Kopenhagen und durch den Tunnel fahren muss?

(Beifall PIRATEN - Heiterkeit)