Protokoll der Sitzung vom 20.11.2013

(Beifall SPD und Dr. Patrick Breyer [PIRA- TEN])

Deswegen geht von dieser Zahl 12 % ein doppeltes Zeichen aus. Ich möchte aber auch genauso in die andere Richtung, nämlich in die Richtung des Naturschutzes appellieren, nicht immer alles so feindselig zu nehmen. Wenn ich mir die Diskussion in Lütjenholm ansehe, dann hätten wir uns das sparen können. Da bin ich mir ganz sicher. Ich hoffe, dass man aus diesen Erfahrungen - sowohl auf der einen als auch auf der anderen Seite - etwas lernt. Nur weil es einen Förster gibt - und das sage ich hier ganz bewusst -, der in Lübeck seine eigenen Erfahrungen gemacht hat, heißt es nicht, das er für jeden Forst im Land ein Fachmann ist.

(Beifall SPD und Hartmut Hamerich [CDU])

Ich bitte Sie, den Anträgen von den Regierungsfraktionen, von der CDU und von der FDP zuzustimmen. Den zweiten Antrag, Entwicklung Waldanteil, möchten wir gern in der Sache abstimmen lassen. Herr Rickers, ohne Frage, sollten wir das Konzept, Herr Ausschussvorsitzender, auch im Ausschuss einmal beraten, um es politisch breit zu diskutieren. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Hauke Göttsch [CDU])

Für die Fraktion der PIRATEN hat jetzt Frau Abgeordnete Angelika Beer das Wort.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich kann man aus jedem Gegenstand eine Kontroverse ma

chen. Wir PIRATEN finden die Anträge jedoch gut. Wir sind auch der Meinung, dass sie sich grundsätzlich nicht widersprechen. Ich finde sie also ganz prima.

(Vereinzelter Beifall PIRATEN)

Ich will noch einmal unterstreichen, dass natürlich auch wir das Ziel von 12 % in Schleswig-Holstein anstreben und umsetzen wollen.

Der Anbau von Energiepflanzen sowie internationale Agrarfonds, die überall auf der Welt Land erwerben, sorgen für rasant steigende Bodenpreise. Das ist bekannt. Es wird also zunehmend schwieriger, Flächen aus der rein auf Wirtschaftlichkeit ausgerichteten Nutzung herauszuhalten und für die Natur zu sichern. Hinzu kommt, dass uns immer mehr Raum durch Zersiedlung und den Ausbau von Infrastruktur verloren geht. Da die Bodenpreise aus unserer Sicht das größte Hindernis sind, ist zu überlegen, die Mittel, die beispielsweise durch Ausgleichszahlungen zur Verfügung stehen, nicht mehr in die Aufforstung, sondern direkt in den Landerwerb zu investieren. Überlässt man dieses Land dann sich selbst, so entsteht mit der Zeit ganz von allein ein Primärwald.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Außerdem siedeln sich dann jene Arten an, die an den vorliegenden Bodentyp angepasst sind. Auch kommt es beim Landerwerb nicht darauf an, besonders ertragreiche Böden zu erwerben.

In Ostdeutschland sehen wir bereits heute, welch schöne Naturlandschaften sich in den Gebieten des ehemaligen Tagebaus entwickeln. Pionierarten wie Birke und Weide haben nur geringe Ansprüche an die Bodenqualität, sind aber Wegbereiter für Ahorn, Hainbuche und Eiche, Arten, die von den Eichhörnchen und Eichelhähern jedes Jahr zuhauf eingepflanzt werden.

Da bin ich jetzt auch schon beim Antrag der Koalitionsparteien, der Frage also, wie wir die natürliche Waldentwicklung unterstützen können. Die Antwort ist aus unserer Sicht ganz einfach: weniger einmischen. Die Natur braucht uns nicht, um zu gedeihen. Es geht ihr sogar fast immer besser, wenn wir uns einfach einmal heraushalten.

(Beifall PIRATEN)

Dann kommt das Unterholz von ganz allein. Das Totholz bleibt liegen, woraufhin die Waldameise nicht mehr länger arbeitslos ist.

Wer hingegen glaubt, dass eine Ansammlung von Fichten in Reih und Glied, unten völlig braun und

(Sandra Redmann)

oben ein kleines bisschen grün, bereits ein Wald ist, dem sage ich: Nein, das ist kein Wald, das ist ein Holzacker.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN] und Uli König [PIRATEN])

Der richtige Naturwald, das ist der, den ich eingangs beschrieben habe. Er entsteht dort, wo man ihn in Ruhe wachsen lässt. Zugegeben, es dauert einige Jahrhunderte, bis er zu einem Urwald wird. Das sind hehre Ziele, aber warum sollten wir sie nicht im Blick haben? An diesem Wald sollten wir arbeiten. Er ist das Rückzugsgebiet für viele Arten, für die in unserer durchökonomisierten Welt immer weniger Platz ist.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN], Uli König [PIRATEN] und Marlies Fritzen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dieser Wald entsteht aus sich selbst heraus. Wir müssen ihm nur den nötigen Raum geben.

Ohne den Beratungen vorgreifen zu wollen - ich war davon ausgegangen, dass wir mit den Anträgen noch in den Ausschuss gehen -, möchte ich darauf hinweisen, dass wir über die Bedenken, wie zum Beispiel von der Bürgerinitiative Biberwald, durchaus auch eine Fachdiskussion im Ausschuss führen wollen. Dafür reicht der Platz hier im Plenum nicht aus. Denn klar ist doch, dass wir die Wälder des Landes, im konkreten Fall die Reinfelder Wälder, nicht so intensiv nutzen dürfen, wie einen auf den wirtschaftlichen Ertrag ausgerichteten Privatwald,

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN], Uli König [PIRATEN] und Marlies Fritzen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

zumindest dann nicht, wenn wir den Zielen der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt tatsächlich näherkommen wollen. Daran möchten wir uns gern beteiligen. - Vielen Dank.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN] und Uli König [PIRATEN])

Für die Abgeordneten des SSW hat Herr Abgeordneter Flemming Meyer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fraktionsübergreifend wurde 1995 das politische Ziel für Schleswig-Holstein gesetzt,

den Waldanteil bis 2010 auf 12 % zu bringen. Mit einem Waldanteil von derzeit 10,3 % stellen wir aber fest, dass der gesetzte Zeithorizont längst überschritten wurde und uns rund 27.000 ha bis zur Zielmarke fehlen. Rückwärtig betrachtet ist die Zielsetzung sehr ambitioniert. Nichtsdestotrotz halten wir weiterhin daran fest.

Zu Ehrlichkeit gehört aber, dass es nicht absehbar ist, wann wir die 12 % erreichen. Diese Koalition wird sich aber nicht von den 12 % verabschieden. Wer die Entwicklung der Neuwaldbildung der letzten Jahre genauer betrachtet, stellt fest, dass wir seit 1995 kontinuierlich einen Rückgang im Umfang der Neuwaldbildung zu verzeichnen haben, oder anders ausgedrückt: Auch andere Landesregierungen sind - wenn man es so will - an der Zielsetzung gescheitert. Das gehört auch mit zur Wahrheit.

Natürlich spielt die klamme Haushaltslage hierbei eine maßgebliche Rolle. Daneben hat sich aber auch die Flächenkonkurrenz zur Landwirtschaft in den letzten Jahren verstärkt, die zusätzlich durch die Biomassenutzung verschärft wurde. Es ist einfacher und schneller, Geld mit Energiemais zu verdienen, als einen Wald neu anzupflanzen. Das gehört auch mit zur Diskussion, wenn wir über Neuwaldbildung reden und wie wir die fehlenden 1,7 % umwandeln können.

Schleswig-Holstein ist das waldärmste Flächenland in Deutschland. Damit einher geht auch eine gesellschaftliche Verantwortung für unseren Wald und seine Weiterentwicklung. Das Aufgabenspektrum des Waldes ist so umfangreich, wie bei kaum einem anderen Lebensraum. Wälder sorgen für gute Luft und sauberes Wasser. Sie sind gut für unser Klima. Sie bieten Tieren und Pflanzen einen wichtigen Lebensraum und haben eine Erholungsfunktion für die Menschen. Darüber hinaus sorgt eine naturnahe Forstwirtschaft für den Rohstoff Holz.

Diese gesellschaftlichen Aufgaben sollen unsere Wälder auch zukünftig leisten. Es soll aber auch Bereiche geben, in denen wir den Wald sich selbst überlassen. Dort soll sich der Wald natürlich entwickeln, ohne dass der Mensch in den Prozess eingreift. Er soll seiner natürlichen Dynamik überlassen werden. Unterschiedliche Waldstadien und -gesellschaften sorgen für vielfältige Lebensräume und Strukturen und leisten somit einen wertvollen Beitrag zur Artenvielfalt.

(Beifall SSW und SPD)

Aus diesem Grund hat sich Deutschland mit der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt das Ziel gesetzt, bis 2020 den Flächenanteil der Wälder

(Angelika Beer)

mit natürlicher Waldentwicklung auf 5 % zu erhöhen. Die natürliche Entwicklung der Waldflächen der öffentlichen Hand sollen in demselben Zeithorizont auf 10 % geführt werden.

Für Schleswig-Holstein können wir feststellen, dass derzeit rund 5 % des Landeswaldes als Naturwald ausgewiesen sind. Damit ist Schleswig-Holstein bereits auf einem guten Weg. Darüber hinaus wurde von den Landesforsten bereits ein Konzept erarbeitet, um den Anteil der naturnahen Waldflächen weiter zu erhöhen. Ich denke, dass wir mit den vorliegenden Anträgen einen guten Weg einschlagen, um die Ziele der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt zur naturnahen Waldentwicklung in Schleswig-Holstein zu erreichen. - Vielen Dank.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus dem Parlament sehe ich jetzt keine weiteren Wortmeldungen. Wir kommen dann zur Landesregierung. Das Wort hat der Herr Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume, Herr Dr. Robert Habeck. - Bitte schön.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Gestatten Sie mir, nach der wirklich klugen Debatte noch ein paar Anmerkungen zu machen. Ich fange mit dem Orkan Christian an, der im Grunde - das ist wichtig zu sagen - alle strategischen Waldpläne, die in den letzten Jahren für Schleswig-Holstein entwickelt wurden, buchstäblich über den Haufen geworfen hat. Er hat - wir haben es den Pressemitteilungen ausgerechnet - 500.000 m³ Holz geknickt. Hundertjährige Bäume wurden buchstäblich wie Streichhölzer weggebrochen. Er hat das mit einer Brachialgewalt getan, die ganze Waldschläge zerstört hat. Er hat damit, über das Land gerechnet, in einer Nacht den Jahreseinschlag erreicht. Das ist nur die halbe Wahrheit, weil der Sturm insbesondere im Landesteil Schleswig besonders hart gewütet hat. In den Wäldern dort ist in dieser Nacht der Jahreseinschlag von vier bis fünf Jahren vernichtet worden.

Damit geht einher, dass das, was an Aufbauarbeit, an Umbauarbeit für die Wälder vorgenommen wurde, ebenfalls weit zurückgeworfen wurde. Das sind häufig Flächen, die sich schon im Waldumbau befunden haben. Nun liegt dort alles drunter und drüber. Keiner weiß, was von den nachgezogenen Buchen übriggeblieben ist. Keiner weiß vor allem, wie

die Wiederaufforstung mit dem Problem, nicht im Schutz des alten Waldes nachwachsen zu können, klarkommen wird. Diese Flächen sind frostanfällig, sie sind trockenheitsanfällig, sie sind hitzeanfällig. Es ist wirklich ein schwarzer Tag für die Wälder in Schleswig-Holstein gewesen und entsprechend für eine strategisch, politisch, planvoll durchgeführte Waldwirtschaft. Er hat die Arbeit von Jahren zunichte gemacht.

Man muss aber auch sagen, dass sich die Debatten, die sich jetzt zum Thema Naturwald anschließen, neu geführt werden müssen, weil wir jetzt vor allem im Landesteil Schleswig eine veränderte Waldlandschaft haben. Man wird sicherlich noch einmal genau schauen müssen, welche Flächen, die dort zerstört sind, beispielsweise zusätzlich als Naturwald hinzugenommen werden können, weil die Bäume an diesen Stellen weg sind.

Nach Christian heißt also, die Waldpolitik in Schleswig-Holstein noch einmal neu zu eichen. Insofern kommt die Debatte genau zum richtigen Zeitpunkt. Ich denke, wir stehen vor einem halben Jahr Ausschuss- und politischer Beratung, wie wir die Waldpolitik in Schleswig-Holstein ausrichten wollen. Deswegen ist es klug, dass heute die verschiedenen Aspekte schon einmal genannt wurden.

Aus meiner Sicht gibt es eine Maßgabe. Auf das Problem komme ich zum Schluss gleich zu sprechen. Ich will mit dem Positiven anfangen: Die Qualität der Wälder muss gesteigert werden. Mit der Quantität werden wir Probleme haben. Qualität muss also vor die Quantität gesetzt werden. Das ist tatsächlich ein anderer politischer Ansatz. Davor haben wir vor allem auf die Quantität geschaut, aber dabei die Qualität nicht ausreichend in den Blick genommen. Nun sollten wir es einmal umdrehen. Die Fortschritte bei der Quantität werden schwer zu erreichen sein. Ich werde noch darauf eingehen.

Erstens heißt das, dass wir den Umbau des Waldes als Mischwald mit heimischen Hölzern energisch fortsetzen müssen und wollen. Wir werden in der neuen Förderperiode die Mittel in ELER dafür wieder auf einen Ansatz von 5 Millionen € verdoppeln. Das dürfte nach unseren Schätzungen ausreichen, um die Schäden zu kompensieren und die Arbeit des Waldumbaus, also der Neustrukturierung vor allem der Nadelbaumanteile energisch voranzubringen und damit die Wälder klimarobuster für die Veränderungen zu machen, mit denen wir leider zu rechnen haben.

(Flemming Meyer)

Zweitens wollen wir die ökologische Qualität der Wälder erhöhen. Das betrifft den Naturwaldanteil. Wir haben ein Stück weit auf diese Debatte gewartet. Die Vorbereitungen sind getroffen. Frau Fritzen, Herr Meyer, auch die anderen Redner haben es angesprochen, dass es eine Bestandsaufnahme der Naturwaldanteile in den Landesforsten gibt. Jetzt brauchen wir die qualitative Debatte, wie wir diese Bestandteile zu einem vernünftigen Konzept zusammenführen, wie wir das natürlich auch mit der Waldnutzung abstimmen wollen, aber letztlich auch mit den privatwirtschaftlichen Wäldern in Schleswig-Holstein. All das soll jetzt beginnen. Das werden wir voraussichtlich im nächsten halben Jahr energisch durchführen.