Protokoll der Sitzung vom 21.11.2013

Die meisten verfügbaren Daten und Erfahrungswerte lassen es realistisch erscheinen, dass das Zinsniveau im Zeitraum der nächsten fünf Jahre wieder ansteigen wird. Vor diesem Hintergrund macht es Sinn, sich das derzeit niedrige Niveau so lange wie möglich zu sichern, und es ist lobenswert, dass das Finanzministerium im Haushalt deutlich macht, wie viel mehr es ausgeben wird, um langfristig kostengünstiger dazustehen. Das, was durch die Landesregierung getan wird, ist nicht nur finanzpolitisch gut, sondern auch für die Bürgerinnen und Bürger transparent. Deshalb kann man es nach unserer Auffassung auch nicht besser machen.

Gerade bei einer solchen Frage, in der es um einen riesigen Teil des Haushalts geht, steht es jeder Fraktion gut an, sich eine Meinung dazu zu bilden. Man kann es so oder so sehen, aber sich einfach in die Büsche zu schlagen - wie die CDU - und zu sagen: „Wir gucken mal, was am Ende dabei herauskommt; wenn es gut geht, loben wir euch, wenn es schlecht geht, kriegt ihr von uns Prügel“, ist mir zu einfach.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Heiner Garg [FDP]: Das ist mal eine Ansage!)

Für die Landesregierung hat sich die Ministerin Monika Heinold nochmals zur Wort gemeldet. Ich erteile ihr dieses nun gern.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Mir ist es wichtig, einmal auf die Zahlen einzugehen, die im Raum stehen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das war mir klar!)

Wir geben in diesem Jahr circa 11 Millionen € für Zinssicherung aus, im nächsten Jahr wollen wir circa 30 Millionen € ausgeben. Damit sichern wir für die Jahre 2015 bis 2018, wie ich vorhin sagte, die Zinsrisiken ab. Sollten wir auch ab 2019 das Zinsrisiko absichern wollen, bräuchten wir noch

einmal Geld. Das sind die Zahlen für die Zinssicherung.

Nun zu den von Herrn Garg angesprochenen 600 Millionen € und dem, was im Haushaltsgesetz steht. Der Rechnungshof hatte gefordert, dass die Landesregierung zukünftig als Anlage zum Haushaltsgesetz transparent die sowieso vorhandenen Zinsänderungsrisiken darstellt.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Dieser Forderung des Rechnungshofs kommen wir nach - nicht nur in der Anlage, sondern sogar im Gesetz. In diesem Gesetz stehen die Beträge für die nächsten Jahre, die wir im Rahmen des Zinsänderungsrisikos haben. Im Jahr 2014 sind das 50 Millionen €. Das steigt bis 165 Millionen € in 2019. Damit wird zum ersten Mal der Topf Zinsausgaben in der mittelfristigen Finanzplanung von einer Blackbox zu einem transparenten Haushaltstitel. Sie können sehen, was in diesen Haushaltstiteln an Zinsänderungsrisiko steckt. Das heißt, wir haben im Masterplan, in dem Zinstitel, den wir prognostiziert haben, 165 Millionen € mögliches Zinsänderungsrisiko, falls sich Zinsen für Kredite verändern, die wir nicht gesichert haben. Sicheren wir nicht und setzten die Forderung des Rechnungshofs um, das alles transparent darzustellen, hätten wir in den §§ 2 und 3 ungefähr die doppelte Höhe an Änderungsrisiko darstellen müssen. Es handelt sich um ein gewolltes transparentes Verfahren. Ich glaube, das ist sehr gut. Das darf man nicht mit dem verwechseln, was wir durch neue Formen von Zinssicherung zusätzlich ausgeben. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen und schließe deswegen die Beratung. Ich stelle zunächst fest, dass der Berichtsantrag Drucksache 18/1307 durch die Berichterstattung der Landesregierung seine Erledigung gefunden hat.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag der FDP-Fraktion, Drucksache 18/1283. Von verschiedenen Fraktionen wurde eine Ausschussüberweisung in den Finanzausschuss beantragt. Wer dem zustimmen möchte, bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist dies einstimmig so beschlossen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir fortfahren, bitte ich Sie, mit mir gemeinsam auf der Tribüne Schülerinnen und

(Lars Harms)

Schüler der Regionalschule Grömitz zu besuchen sowie -

(Heiterkeit und Zurufe: Zu begrüßen!)

- Diejenigen, die uns dort oben besuchen, sind Schülerinnen und Schüler der Regionalschule Grömitz sowie Rechtspflegeranwärterinnen und -anwärter des Amtsgerichts Flensburg, die wir nun gemeinsam herzlich im Landeshaus in Kiel begrüßen.

(Beifall)

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 52 auf:

Mehr Zeit für Pflege

Bericht der Landesregierung Drucksache 18/1213

Ich erteile der Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie und Gleichstellung, Kristin Alheit, das Wort. - Bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im März dieses Jahres hat der Landtag die Landesregierung gebeten, zu dieser Sitzung schriftlich über den Bereich Dokumentation und Aufsichtung und Prüfungsaktivitäten in der Pflege zu berichten. Der Bericht liegt Ihnen vor. Zugleich ist die Landesregierung aufgefordert worden, sich auf Bundesebene für eine Reduzierung der Pflegedokumentation auf ein erforderliches Maß einzusetzen.

Ich freue mich über das Interesse an diesem so wichtigen Pflegethema und nutze die Gelegenheit, dass wir die Debatte auf den Vormittag vorgezogen haben, um ergänzend zwei weitere Punkte anzusprechen.

Ich kann aktuell berichten, dass ich mich in den Verhandlungen in den letzten Wochen zwischen SPD und CDU über die Bildung einer möglichen Bundesregierung intensiv für eine sinnvolle Begrenzung der Dokumentationspflicht in der Pflege starkgemacht habe.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das ist kein Regierungshandeln. Das soll nicht missverstanden werden. Aber ich denke, das ist in der Debatte, die wir führen, von Interesse. Es sind möglicherweise wichtige Weichenstellungen, wich

tige Rahmenbedingungen, die für das, was wir im Land tun können, von Bedeutung sein werden.

Das gilt auch für die beabsichtigte Einführung der Pflegekammer. Sowohl bei der Bestimmung erforderlicher Dokumentationsinhalte als auch der Ausgestaltung von Aufsichts- und Prüfungsrechten ist die zu schaffende Kammer der Pflegeberufe eine wichtige Akteurin, eine Akteurin übrigens, die dazu beitragen kann, den Sektor der Selbstverwaltung gegenüber staatlicher Intervention zu stärken.

(Beifall SPD)

Sie wissen, wir haben im Sommer eine repräsentative Befragung bei den relevanten Berufsgruppen zu dieser Thematik durchführen lassen, eine Befragung, die den sozialwissenschaftlichen Standards einer repräsentativen Erhebung entsprach. Entgegen anderslautender Darstellung - das will ich hier gleich sagen - hat das beauftragte Institut zu keinem Zeitpunkt gegen das Betriebsverfassungsgesetz oder Datenschutzbelange verstoßen.

Die Befragung ergab eine - ja - knappe, aber doch klare Mehrheit für die Einführung einer solchen Pflegekammer in Schleswig-Holstein. Der Versuch, die Zustimmung von über 50 % kleinzureden, hat mich schon etwas irritiert. Wir werden daher nun zeitnah die nächsten Schritte zur Errichtung einer Pflegekammer Schleswig-Holstein gehen. Ich habe dazu bereits - wie angekündigt - zu einer Pflegekammerkonferenz eingeladen, die noch vor Weihnachten mit allen Akteurinnen und Akteuren stattfinden soll. Dort werden wichtige Weichenstellungen für den Gründungsprozess erfolgen und damit auch für die Zukunft der Pflegeberufe sowie des gesamten Handlungsfelds Pflege in unserem Land. Ich möchte die Chance der Landtagsdebatte dafür nutzen, an alle diejenigen zu appellieren, die sich bisher gegen eine Kammer ausgesprochen haben. Es ist mir wichtig, dass wir jenseits der unterschiedlichen Auffassungen im Gründungsprozess weiter konstruktiv und eng zusammenarbeiten, denn es liegt aus meiner Sicht im Interesse aller, dass wir die sehr gute und enge Zusammenarbeit im Bereich der Pflege auch in diesem Prozess weiterführen und weiternutzen. Das ist nicht nur ein Appell an alle Fraktionen und Parteien hier im Parlament, sondern auch an den Bundesverband privater Anbieter und an die Gewerkschaft ver.di.

(Beifall Birte Pauls [SPD])

Ich komme zum Bericht: Die beschriebene Entwicklung setzt sozusagen die Rahmenbedingungen für die Aktivitäten rund um die Pflegedokumentation. Eine gute Pflegedokumentation ist zentral für

(Vizepräsidentin Marlies Fritzen)

gute Pflege. Die Nachtschicht muss wissen, was am Vortag war, und Verwandte wollen und sollen wissen, wie die Pflege ihrer Angehörigen organisiert ist. Sie wollen, dass diese nachvollziehbar und transparent ist. Eine gute Dokumentation bedeutet aber auch eine Dokumentation mit Sinn und Verstand, also mit dem rechten Maß. Die Landesregierung hat sich vorgenommen, Pflegekräfte durch eine sinnvolle Reduktion von Dokumentationsaufgaben und Doppelkontrollstrukturen zu entlasten.

Der Bericht zeigt, dass wir uns nicht nur zügig, sondern auch besonnen und sehr strukturiert auf den Weg gemacht haben. Wir haben die Prüfrichtlinien im Land wissenschaftlich untersuchen lassen, um folgende Fragestellungen zu klären: Entspricht die Prüfrichtlinie dem Auftrag des Gesetzes? Führt sie zur Entbürokratisierung? Unterstützt sie eine arbeitsteilige Vorgehensweise mit dem MDK? - Wir haben einen Projektbeirat eingerichtet, in dem diverse Akteure rund um die Pflege die Ergebnisse des Berichts weiter beraten werden, wenn dieser Ende des Jahres vorliegen wird.

Nach dem derzeitigen Stand der Auswertung zeigt sich, dass die Prüfrichtlinie insgesamt ein geeignetes Instrument für eine einheitliche bürokratiearme Überprüfung einer Einrichtung darstellt. Es gibt gleichzeitig eine Reihe von Optimierungsvorschlägen, die nach Vorlage des Abschlussberichts im Einzelnen bewertet und gegebenenfalls aufgegriffen werden. Nicht zuletzt wird im kommenden März zu diesem Thema eine große Fachtagung durchgeführt, im Rahmen derer die Themen aufgegriffen werden. Wir werden dann die weiteren Schritte gehen.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, wir sind auf einem guten Weg, und wir werden und müssen diesen Weg weiterverfolgen. - Danke schön.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Herzlichen Dank, Frau Ministerin. - Ich eröffne die Aussprache und erteile Frau Abgeordneter Birgit Pauls von der SPD-Fraktion das Wort. Die Frau Ministerin hat ihre Redezeit überzogen. Daher weise ich darauf hin, dass Sie Ihre Redezeit um knapp 1 Minute verlängern dürfen.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Dank an Frau Ministerin

Alheit und an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums für diesen ausführlichen Bericht. Wenn man heute mit Pflegekräften über deren Arbeitssituation redet, dann kommt man an dem Thema Dokumentation nicht vorbei. Das Thema ist für alle Beteiligten belastend. Deshalb ist es wichtig, einen aktuellen Sachstand über die Aktivitäten vorliegen zu haben.

Dokumentation ist ein absolutes Muss, das bestreitet niemand. Sie ist ein Instrument zur Kommunikation und patientenorientierten Qualitätssicherung zwischen dem Pflegepersonal untereinander, aber auch unter Ärzten und anderen Therapeuten. Dokumentation schafft Transparenz im Umgang mit Patienten und Angehörigen. Dokumentation bedient häufig aber auch externe Ansprüche, zum Beispiel die vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen und der Heimaufsicht. Die Frage bleibt also: Was von alledem ist am wichtigsten? Kommt die umfangreiche Dokumentation wirklich dem Patientenwohl zugute? Wird dadurch die Erlebnisqualität des Patienten gesteigert? Wird das fachlich orientierte Verantwortungsgefühl der Pflegekräfte befriedigt? Oder dient sie etwa doch zum großen Teil dazu, wirtschaftliche Prozesse der Einrichtungen zu bedienen?

Nachweislich ist die Belegung in Heimen mit guten Noten der Pflegetransparenzvereinbarung höher. Das erhöht den Druck. Eine gute Note hat allerdings nachweislich oft nichts mit der Erlebnisqualität der Patienten zu tun. Wir haben diese Aspekte schon im Rahmen der Plenardebatte im März diskutiert, als wir den Berichtsantrag gestellt haben. Ich will das jetzt nicht alles wiederholen. Natürlich ist die Antwort darauf eine Frage der Sichtweise. Professor Dr. Weiß wird als Experte in dem Bericht zitiert. Er formuliert es als Experte für Pflege- und Berufsrecht so: Eine Dokumentation muss so aufgebaut sein, „dass nicht jeder, sondern Pflegekräfte und Ärzte sich schnell einen umfassenden Überblick verschaffen können“. Genauer und treffender kann man es nicht formulieren. Alles andere muss zweitrangig sein. Pflegekräfte und Ärzte bringen die nötige Professionalität mit, um Situationen und Zusammenhänge einschätzen zu können.

In einer Zeit, in der wir händeringend versuchen, Pflegekräfte in ihrem Beruf zu halten, ausländische Pflegekräfte ins Land zu holen, den Beruf anzupreisen und Ausbildungen zu modernisieren und so diese Arbeit attraktiver zu machen, sollten wir die einfachste aller Lösungen nicht außer Acht lassen: Weniger Zeit für Dokumentation, mehr Zeit für Pflege.

(Ministerin Kristin Alheit)

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW)

Die wichtigsten Zahlen des uns vorliegenden Berichts stehen auf Seite 6 im letzten Absatz. Ich muss gestehen, sie haben mich schockiert. Dort steht: Für die Pflegedokumentation werden jährlich 2,7 Milliarden € ausgegeben. Auf Schleswig-Holstein bezogen sind das circa 80 Millionen €. 2,7 Milliarden € entsprechen 1.000 € je Leistungsempfänger der Pflegeversicherungen pro Jahr. 1,9 Milliarden € davon werden nur für das Ausfüllen von Leistungsnachweisen aufgewendet. Das geschieht frei nach dem angesagten Motto des MDK: Was nicht dokumentiert ist, ist nicht gemacht. Auch dies erhöht den Druck.

Was ist mit der Zeit? - Neun Minuten am Tag pro Pflegebedürftigem hören sich erst einmal nicht so schlecht an. Berechnen Sie diesen Wert auf Grundlage einer Normalstation mit circa 40 Betten, dann bedeutet dies einen Aufwand von sechs Stunden Arbeitszeit am Tag. Das ist fast eine volle Schicht einer Pflegefachkraft.