Protokoll der Sitzung vom 12.12.2013

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung oder -frage des Herrn Abgeordneten Dr. Patrick Breyer?

Wenn mir die Zeit angerechnet wird, ja.

Das machen wir natürlich.

Lieber Kollege Kai Dolgner, ich stelle gern eine Zwischenfrage, um eine Freudenminute einlegen zu können über das, was Sie soeben gesagt haben. Was würden Sie denn an die Adresse Ihrer Genossinnen und Genossen in Berlin sagen, in deren Koalitionsvertrag steht, dass man eine Richtlinie umsetzen wolle, die jetzt möglicherweise, wie wir alle hoffen, nichtig sein wird? Was bedeutet das für die Koalition?

(Widerspruch SPD)

Das ist eine besondere Herausforderung an die Logik, Herr Kollege Breyer.

(Heiterkeit und Beifall SPD, SSW und Anita Klahn [FDP])

Das zeigt uns die Stärke der Gewaltenteilung, die ich auch zu respektieren bitte. Einige Parlamentarier hier neigen ja auch ein bisschen dazu, in den Ausschüssen immer Judikative zu spielen. Dann sage ich auch immer: „Bitte Vorsicht an der Bahnsteigkante!“ Wenn die Judikative, in diesem Fall der EuGH, sagt, dass diese Richtlinie menschenrechtswidrig ist, dann ist doch völlig klar, dass auch das zu beurteilen ist und den Rahmen schlicht und ergreifend enger setzt. Das heißt, die Richtlinie, die jetzt gilt, kann dann, wenn dieses Urteil kommt, nach meiner Auffassung natürlich nicht umgesetzt werden. Ich glaube - das wissen auch die Kolleginnen und Kollegen in Berlin ganz allein -, ohne dass ein Landtagsabgeordneter aus Schleswig-Holstein dort anrufen muss, auch wenn Sie mir zutrauen, dass ich eine Richtlinienkompetenz Richtung Berlin hätte. Vielen Dank dafür.

(Beifall SPD)

Was aber war nun der Anlass dieser Debatte? Der Anlass war die Äußerung von Innenminister Breitner, dass er aus fachlicher Sicht die Vorratsdatenspeicherung für notwendig hält.

(Beifall PIRATEN und Dr. Heiner Garg [FDP])

Wer unseren Facebook-Kontakt verfolgt hat, der weiß ungefähr, ob ich die Art und Weise der Argumentation für schlüssig oder für klug halte. Das ist sicherlich nicht der Fall. Aber - und jetzt komme ich zu dem eigentlichen Thema - seine Meinung

(Dr. Kai Dolgner)

darf er verkünden, und zwar völlig unabhängig davon, ob ich es für klug halte. Ich bin ja nicht derjenige, der das beurteilen kann.

Wer die Bundesjustizministerin LeutheusserSchnarrenberger dafür feiert, dass sie sich trotz des schwarz-gelben Koalitionsvertrages nicht nur aktiv gegen die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen hat, sondern sie sogar gegen den erklärten Willen der Kanzlerin - die das 2012 noch einmal erklärt hat - verhindert hat, der kann doch jetzt nicht ernsthaft bei Herrn Breitner kritisieren, dass er das gemacht hat.

(Zuruf Dr. Heiner Garg [FDP])

- Ich bezog mich nicht auf Ihren Redebeitrag.

Was wäre denn die Alternative? Dass die Fachleute eines Ministeriums nicht mehr über ihren Minister ihre Meinung äußern dürfen?

Herr Kollege, gestatten Sie eine erneute Zwischenbemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Breyer?

Bitte schön, Herr Dr. Breyer.

Lieber Kollege Kai Dolgner, können Sie bestätigen, dass es damals unter der schwarz-gelben Bundesregierung keinen Koalitionsvertrag gab, in dem festgehalten war, dass man sich gegen oder für eine Vorratsdatenspeicherung ausspricht, dass es auch keinen Kabinettsbeschluss gab, der sich für oder gegen eine Vorratsdatenspeicherung aussprach, und dass sowohl auf Bundesebene als auch auf Landesebene eine Geschäftsordnung der jeweiligen Regierung gilt, die besagt, dass sich das Kabinett dann, wenn die Beschlusslage klar ist, in öffentlichen Äußerungen daran zu halten hat?

Lieber Herr Kollege Dr. Breyer! Zum ersten Punkt: Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag war sehr wohl die Vorratsdatenspeicherung erwähnt. Der Passus lautete, dass man diese im rechtsstaatlichen Rahmen weiterführen wolle, bis das Bundesverfassungsgerichtsurteil vorliege. Das war ein Bekennt

nis zur Vorratsdatenspeicherung; denn sonst hätte man diese ablehnen müssen. Den Absatz können Sie gern einmal „nachgoogeln“. Ich habe das gemacht, weil ich mit dieser Frage gerechnet habe.

(Beifall SPD)

Auch mit Ihrer zweiten Frage habe ich gerechnet, da Sie sich hier ja immer so gern zum Thema Verfassungsrecht äußern. Ich bin für Ihre Hinweise immer sehr dankbar und versuche auch, einigermaßen lernfähig zu sein. Nachdem Sie auch im Ausschuss gesagt haben, dass Sie einen Verstoß gegen die Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten sähen, kann ich Ihnen mitteilen, was der Kommentar von Nolte/Ewer/Caspar/Waack dazu sagt:

„Die sachliche Ressortkompetenz erstreckt sich insbesondere auf das Recht zur Öffentlichkeitsarbeit. Die Minister haben danach das Recht, sich in der Öffentlichkeit im Rahmen der ihnen zukommenden Funktionen zu äußern und dabei eigene Stellungnahmen abzugeben.“

Ein wenig weiter steht im gleichen Kommentar, dass eine Richtlinienkompetenz nicht gleichzusetzen sei mit der „Definitionsmacht im Sinne einer ‚Kompetenz-Kompetenz’“, sodass wir auch zukünftig nicht auf die Fachmeinung der Ministerien verzichten müssen, auch wenn wir sie nicht teilen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Ihnen das im Detail nicht gefällt; aber das ist nun einmal so.

(Heiterkeit SPD)

Auch ich habe mich immer dagegen gewehrt, wenn man mir wohlmeinend nahegelegt hat, dass ich meine von der jeweiligen Mehrheitsmeinung abweichende Auffassung nicht öffentlich vertreten soll. Diejenigen, die mit mir darüber diskutiert haben, wissen das, sodass ich das hier nicht näher ausführen muss. Deshalb bin ich auch dafür, dass der Innenminister seine Auffassung vertreten kann. Dann kann man sich sachlich mit dieser Auffassung auseinandersetzen.

Auch wenn Sie den Kopf schütteln, Herr Dr. Breyer, muss ich ganz ehrlich Folgendes sagen: Obwohl Sie sich immer gegen gebundene Mandate aussprechen, gegen Koalitionsverträge, gegen Fraktionszwänge und Fraktionsdisziplin, fordern Sie hier von einem Minister, dass er gegen seine fachliche Überzeugung spricht, die sich in seinem Amt leider offenbar geändert hat. Ich sage „leider“, aber

(Dr. Kai Dolgner)

ich muss doch jemandem zugestehen, dass er seine Meinung ändern kann. Allerdings muss er sich dann auch anhören - das hat er sich auch von mir anhören müssen -, was man von der Validität seiner Argumente hält. Ich sehe darin keinen Widerspruch.

Herr Kollege, eine weitere Zwischenbemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Garg wird gewünscht. Lassen Sie diese zu?

Herr Garg, bitte schön.

Vielen Dank, Herr Kollege. - Ich teile ausdrücklich Ihre Auffassung, dass auch ein Kabinettsmitglied eine eigene Meinung haben darf und hoffentlich auch eine eigene fachpolitische Meinung. Aber teilen Sie auch meine Auffassung, dass am Ende bei der Umsetzung ein Kabinettsbeschluss zählt und ein Kabinettsbeschluss im Zweifel auch davon abhängt, was dieser Landtag mit Mehrheit beschlossen hat?

Das teile ich voll umfänglich. Ich gehe davon aus, dass sowohl in der Innenministerkonferenz als auch im Bundesrat die Regierungsmeinung beziehungsweise ein entsprechender Kabinettsbeschluss entsprechend umgesetzt wird, und ich gehe davon aus, dass das Kabinett in seiner Gänze den ziemlich eindeutigen Willen der letzten Plenartagung respektiert und sich dort offen gegen die Vorratsdatenspeicherung aussprechen wird. Das ist die Handlungs- und Meinungsebene.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

So laufen ja übrigens auch Koalitionen. Wer glaubt denn ernsthaft, dass alles das, was im Koalitionsvertrag steht, die Zustimmung aller Koalitionäre hat? Das hat im Normalfall noch nicht einmal die Zustimmung aller Mitglieder einer Partei.

(Heiterkeit SPD)

Das erreicht man vielleicht in Nordkorea. Da sind wir aber nun einmal nicht.

Auch Ihre Partei hat sich dankenswerterweise in vielen Fragen gegen die Mehrheitsmeinung auf Bundesebene gestellt. Das ist in der SPD Schleswig-Holstein genauso. Im Jahr 2009 haben wir auf einem Landesparteitag gegen die Vorratsdatenspeicherung gestimmt. Zwei Jahre später haben wir hingegen einen Bundesparteitagsbeschluss für eine eingeschränkte Vorratsdatenspeicherung gefasst.

Was soll ich denn da machen? Ich kann nur sagen: Wir respektieren die Meinungsfreiheit, und ich werde weiterhin für meine Meinung kämpfen. Wenn es eine Mehrheit für eine Meinung gibt, dann gehört es zum parlamentarischen Brauch, dass diese Meinung umgesetzt wird. Andere dürfen aber weiterhin ihre Meinung haben und dürfen auch dafür werben. Denn sonst wäre eine Meinung irgendwann sakrosankt, und jeglicher Diskurs in der Zukunft würde sich erübrigen. Das muss ich auch respektieren, wenn ich die Meinung nicht teile. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Vielen Dank. - Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Kollege Rasmus Andresen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach den Beiträgen von den Kollegen Kubicki und Dolgner bleibt eigentlich nicht mehr viel zu sagen, weil dadurch sehr gut ergänzt wird -

(Angelika Beer [PIRATEN]: Genau!)

- Frau Beer, Ihren ehemaligen Fraktionsvorsitzenden habe ich in der Aufzählung nicht genannt. Insofern wäre ich mit dem Klatschen ein bisschen zurückhaltend.